Kein Wunder, dass den Leuten dieses Fest gleichgültig ist, da sie es nur als Störung im vorweihnachtlichen Rhythmus des Verkaufens und Kaufens wahrnehmen können. Das Festgeheimnis übersteigt ihren Horizont. Die allermeisten Menschen im angeblich christlich geprägten Europa gäben, nach der Unbefleckten Empfängnis befragt, wohl ohne groß nachzudenken an, dabei handle es sich um die (zudem vermutlich als durchaus lächerlich wahrgenommene) Vorstellung, dass Maria und Josef nicht gefickt hätten, als es zur Zeugung Jesu kam. Falsche Antwort! Nicht um die Zeugung Jesu, sondern um die Mariens geht es, und diese ging auf ganz natürlichem Wege von statten: Joachim penetrierte Anna, ejakulierte, und von einem Spermium wurde eine Eizelle befruchtet, die sich dann einnistete. So weit alles ganz normal. Nur dass nach dem Glauben der Kirche Gott, die Person, die den Erlöser gebären sollte, Maria, im Hinblick auf die Erlösungstat ihres Sohnes, also Kreuzestod und Auferstehung, schon im Augenblick ihrer Zeugung vom Makel der Erbsünde bewahrte. Während wir anderen Kinder Evas unter dem Joch auch der Sünden stehen, die wir nicht begangen haben, bis wir eben durch Christus davon befreit werden, sollte die Kette der Schuld schon beim Maria durchbrochen werden, damit der zukünftige Erlöser nicht von einer Sünderin geboren werde. So weist Mariä Empfängnis auf Weihnachten voraus. Wie aber kann das in einer Welt, in der Weihnachten nicht das Fest der Menschwerdung Gottest ist, sondern eines der Familie, der Geschenke, der Sentimentalität, wie kann in einer Welt des Konsums und Selbstbetrugs die Unbefleckte Empfängnis noch zum Fest werden? Von Sünde und Schuld, von Erlösungsbedürftigkeit will niemand etwas hören. Schon gar nicht davon, was es kosten würde, der Erlösung teilhaftig zu werden. Ho, ho, ho!
Donnerstag, 8. Dezember 2016
Montag, 5. Dezember 2016
Nach der Wahl ist vor der Wahl
Nun, gewiss, man kann durchaus froh sein und sogar darüber jubeln, dass Van der Bellen den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl gestern zum zweiten Mal gewonnen hat. Auch mir persönlich ist ja ein Nichtnazi in der Hofburg lieber als ein Nazi, keine Frage. Aber es ist nicht nur das gewohnheitsmäßige Granteln des gelernten Österreichers, dass mich noch mehr als die Freude darüber, dass das Glas mehr als halb voll ist, die Sorge beschäftigt, dass das Glas ja dann auch fast halb leer ist. Wie oft wird der Klassenkampf noch gut ausgehen? Wie oft wird das Bürgertum die Arbeiterschaft, werden die Frauen die Männer, die Städter die Landbevölkerung, die Maturanten und Akademiker die Hauptschüler, die Jüngeren die Älteren noch in Schach halten können? Der Rechtspopulismus ist weiter auf dem Vormarsch, und längst machen Rot und Schwarz blaue Politik. Irgendwann wird wieder gewählt, und dann braucht die FPÖ keine absolute Mehrheit, nur willige Koalitionspartner, um so unmittelbar auf staatliche Machtmittel zugreifen zu können, wie sie es jetzt schon mittelbar auf Herz und Hirn (besser wohl: Psyche und Maul) so vieler in diesem Lande vermag. Ob man mit dem Zuschütten von Gräben, das man jetzt zum Programm erheben will, überhaupt hinterherkommt, wenn so viele den festen Willen haben, anderen eine Grube zu graben? Kann es genügen, den Totengräbern von Anstand und Menschlichkeit die Hand zu reichen, um sie von ihrem Geschäftsmodell abzubringen? Et is noch immer jut jejange, sagt man in Köln. Es kommt nichts Besseres nach, weiß man in Wien.
Sonntag, 4. Dezember 2016
2. Advent 2016
Nur die Religion, sagte ich, antwortet auf die Frage, was aus dem vergangenen Leben, dem Leiden, dem Unglück, der Schuld, dem Totsein wird — wenn man denn als Antwort mehr erwartet als ein Schulterzucken. Aber „die“ Religion gibt es nicht. Und dass alle Religionen dasselbe wollen, ist ein weniger frommer als dummer Spruch. Denn alles Religiöse auf dasselbe Habt-euch-lieb-Schema zurückzustutzen, hat mit der Realität nichts zu tun. Die Praxis eines Aztekenpriesters, der Kriegsgefangenen bei lebendigem Leibe das Herz herausschneidet, um es der Sonne darzubringen, hat mit der Praxis eines sich in Gedankenleere übenden Zen-Meister herzlich wenig zu tun. Man wende nicht ein, das seien Äußerlichkeiten. Religion ist konkretes Tun, die Lehre folgt dem nach (oder auch nicht). So man denn überhaupt eine Begriffsbestimmung wagen dürfte, dann vielleicht: Religionen sind Weisen, sich zu dem, was man mit westlichem Ausdruck Transzendenz nennen könnte, zu verhalten. Sie binden, anders gesagt, das Leben in der Welt durch bestimmte Praktiken zurück an ein dieses Übersteigendes.
Wenn sich also die Weisen des Verhaltens unterscheiden, dann sind die Religionen verschieden, und über das Konkrete hinaus irgendeinen diffusen „humanistischen“ Kern identifizieren zu wollen, verfehlt das Wesentliche. Religiöse Praxis überschreitet gerade den Bezirk des Menschlichen, aber nicht um ins Inhumane, Animalische, gar Bestialische abzugleiten, sondern um außerhalb der Bedingtheiten dieser Welt sich dem zuzuwenden, was Dinge Dinge und Menschen Menschen sein lässt. Sich ihm zuzuwenden, womöglich rühmend, dankend, bittend, es aber auch zu bannen, von seiner Ungeheuerlichkeit, seiner menschliches Maß übersteigenden Macht nicht vernichtet zu werden. Ohne Ehrfurcht, als rein technisches Geschehen, ist religiöse Praxis nämlich undenkbar (oder wird zur Blasphemie).
Zumal am Ursprung aller Religion nicht Spekulation steht, sondern Empirie. Das alles bis dahin Erlebte Übersteigende ist nicht ausgedacht, sondern erfahren. Diese Erfahrung mag mehr oder minder deutlich sein, sich mehr oder minder in Vorstellungen und Erzählungen ausprägen, entscheidend ist die Intensität. Diese Intensität zu bewahren und zu reaktivieren, ohne an ihr zu Grunde zu gehen, das begründet Religion.
Wer erlebt hat, dass da mehr ist, als sich anfassen oder begreifen lässt, sieht die Welt mit anderen Augen. Die Erfahrung des Unbedingten fordert das von selbst. „Du musst dein Leben ändern.“ Lässt man hingegen nur die Dinge gelten — und den Menschen als Ding unter Dingen —, gibt es streng genommen keine Möglichkeit des Sollens. Was ist, ist, was nicht ist, ist nicht. Also kann auch kein Widerspruch zwischen dem bestehen, was ist, aber nicht sein soll, und dem, was nicht ist, aber sein soll. Bloße Immanenz kann weder Ethik verstehen noch Gerechtigkeit oder berechtigte oder unberechtigte Hoffnung.
Aber jeder Mensch, der noch nicht völlig abgestumpft ist (oder durch Materialismus verblödet) will mehr. Wer wirklich liebt, will die Ewigkeit des Daseins des Geliebten, weit mehr noch als die des eigenen, will kein Leiden und keinen Tod. Keine Macht der Welt aber kommt dagegen an, weder gegen das Unglück und Unrecht, noch gegen den existenziellen Widerspruch dagegen im Namen der Bejahung des Lebens und der Freude.
Beides also, die Erfahrung, dass es etwas gibt, was über das, was es gibt, hinausgeht, ebenso wie die, dass es das geben muss, weil das, was ist, nicht alles gewesen sein kann, macht Religion, das Verhalten zum Unbedingten, unabdingbar.
Wenn sich also die Weisen des Verhaltens unterscheiden, dann sind die Religionen verschieden, und über das Konkrete hinaus irgendeinen diffusen „humanistischen“ Kern identifizieren zu wollen, verfehlt das Wesentliche. Religiöse Praxis überschreitet gerade den Bezirk des Menschlichen, aber nicht um ins Inhumane, Animalische, gar Bestialische abzugleiten, sondern um außerhalb der Bedingtheiten dieser Welt sich dem zuzuwenden, was Dinge Dinge und Menschen Menschen sein lässt. Sich ihm zuzuwenden, womöglich rühmend, dankend, bittend, es aber auch zu bannen, von seiner Ungeheuerlichkeit, seiner menschliches Maß übersteigenden Macht nicht vernichtet zu werden. Ohne Ehrfurcht, als rein technisches Geschehen, ist religiöse Praxis nämlich undenkbar (oder wird zur Blasphemie).
Zumal am Ursprung aller Religion nicht Spekulation steht, sondern Empirie. Das alles bis dahin Erlebte Übersteigende ist nicht ausgedacht, sondern erfahren. Diese Erfahrung mag mehr oder minder deutlich sein, sich mehr oder minder in Vorstellungen und Erzählungen ausprägen, entscheidend ist die Intensität. Diese Intensität zu bewahren und zu reaktivieren, ohne an ihr zu Grunde zu gehen, das begründet Religion.
Wer erlebt hat, dass da mehr ist, als sich anfassen oder begreifen lässt, sieht die Welt mit anderen Augen. Die Erfahrung des Unbedingten fordert das von selbst. „Du musst dein Leben ändern.“ Lässt man hingegen nur die Dinge gelten — und den Menschen als Ding unter Dingen —, gibt es streng genommen keine Möglichkeit des Sollens. Was ist, ist, was nicht ist, ist nicht. Also kann auch kein Widerspruch zwischen dem bestehen, was ist, aber nicht sein soll, und dem, was nicht ist, aber sein soll. Bloße Immanenz kann weder Ethik verstehen noch Gerechtigkeit oder berechtigte oder unberechtigte Hoffnung.
Aber jeder Mensch, der noch nicht völlig abgestumpft ist (oder durch Materialismus verblödet) will mehr. Wer wirklich liebt, will die Ewigkeit des Daseins des Geliebten, weit mehr noch als die des eigenen, will kein Leiden und keinen Tod. Keine Macht der Welt aber kommt dagegen an, weder gegen das Unglück und Unrecht, noch gegen den existenziellen Widerspruch dagegen im Namen der Bejahung des Lebens und der Freude.
Beides also, die Erfahrung, dass es etwas gibt, was über das, was es gibt, hinausgeht, ebenso wie die, dass es das geben muss, weil das, was ist, nicht alles gewesen sein kann, macht Religion, das Verhalten zum Unbedingten, unabdingbar.
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