„Jeder, der in eine Erstaufnahme hineinkommt, muss ein Papier in die Hand bekommen in seiner Muttersprache. In dem Papier wird klar gesagt: Dieses Geschenk der Deutschen, dass man erst mal ohne Bezahlung eine Unterkunft, einen Schlafplatz und eine Vollversorgung plus Taschengeld bekommt, muss durch eigene Anstrengungen im Asylheim beantwortet werden. Man erwartet die Teilnahme an allen Veranstaltungen im Heim. Der Deutschunterricht muss besucht werden, es muss in den ersten Tagen fleißig Deutsch gelernt werden. Es müssen alle Arbeiten im Haus oder Heim von den Flüchtlingen erledigt werden, auch die Toilettenreinigung. Es müssen kommunale Arbeitsdienste, auch ohne Bezahlung, geleistet werden. Ein solches Papier muss nach Lektüre unterschrieben werden. Es gibt wenige Fälle, in denen sich Flüchtlinge nicht bereitfinden, den Deutschunterricht zu besuchen. Dann muss ihnen gesagt werden, dass sie in diesem Fall wieder abgeschoben werden. Und das muss auch sofort durchgeführt werden.“ (Rupert Neudeck)
Was geht da ab? Was löst solche Phantasien aus? Woher diese wütende Lust, anderen Vorschriften zu machen, sie zur Anerkennung des obrigkeitlichen Rechtes, ihnen Vorschriften zu machen, zwingen zu wollen („muss nach Lektüre unterschrieben werden“) und, für den Fall, dass jemand nicht Deutsch lernen will (oder die Toilette nicht richtig putzt), das Grundrecht auf politisches Asyl für nichtig zu erklären und auf sofortiger Deportation zu bestehen?
Wohl niemand bezweifelt, dass es im Alltag nützlich ist, praktische Kenntnisse der ortsüblichen Verkehrssprache zu haben. Anders gesagt: Dass Flüchtlinge Deutsch lernen, liegt in ihrem eigenen Interesse. Hier geht es aber offensichtlich um etwas anderes. Denn für gewöhnlich wird, wer nicht im eigenen Interesse handelt, nicht deportiert.
Das Erlernen von Deutsch wird von Neudeck als „Bringschuld“ konzipiert, als etwas, zu dem man sich verpflichten muss, um Rechte zu haben. Dass man nicht Deutsch kann (was vorausgesetzt wird) macht noch nicht schuldig, aber wer es unterlässt, fleißig (!) Deutsch zu lernen, wird mit sofortiger Deportation bestraft. Ob das Menschen zurück zu Elend, Folter, Tod schickt, ist gegenüber der vorrangigen Pflicht des Spracherwerbs anscheinend völlig egal.
Bemerkenswerterweise wird dabei ausnahmsweise einmal nicht so getan, als könnten Flüchtlinge gar keine Sprache. Dies ist sonst die gewöhnliche Haltung, dass nämlich die Menschen, die nicht oder nicht gut Deutsch können, als irgendwie zurückgeblieben oder behindert zu gelten haben, sodass sie erst einmal auf das Niveau des Durchschnittsdeutschen gebracht werden müssen. Neudeck hingegen gesteht den Flüchtlingen zu, sehr wohl einer Sprache mächtig zu sein, nämlich ihrer jeweiligen Muttersprache, und erstaunlicherweise beherrschen in Neudecks Vorschlag sogar deutsche Behörden plötzlich Fremdsprachen, denn sie legen den Neuankömmlingen ja ein Papier vor, das diese lesen können. Während also sonst der Flüchtling ein Problem darstellt, weil er nicht Deutsch kann, die Behörde aber nicht seine Sprache spricht, ist hier das Problem vorab gelöst und Verständigung überraschenderweise möglich — jedenfalls in genau dem Umfang, die schriftliche Anerkennung zu ermöglichen, dass der Flüchtling kein Recht auf seine eigene Sprache mehr hat (zumindest nicht im Umgang mit Deutschen und ihren Behörden), sondern auf das verpflichtet ist, mehr noch: sich selbst verpflichten muss, was auch die Deutschen jederzeit verstehen.
Diese mit Gewaltandrohung erzwungene Selbstverpflichtung, diese Umdeutung von Vorgaben und Vorschriften in Vereinbarungen, liegt im Trend der Zeit. Arbeitssuchende, Studierende und viele andere werden auf ähnliche Weise verarschst. Längst hat das auch in der innerfamiliären Pädagogik Einzug gehalten: „Thorben-Konstantin, wir hatten doch vereinbart, dass du dein Zimmer aufräumst. Jetzt ist die Mama aber sehr enttäuscht.“
Nun sind private Regeln das eine, öffentliche Rechtsvorschriften aber etwas anderes. Die gelten nämlich unabhängig davon, ob jemand sich bereit erklärt, sie einzuhalten oder nicht. Dass trotzdem immer wieder davon phantasiert wird, Zuwanderer sollten sich schriftlich auf das Grundgesetz und andere Gesetze verpflichten (auf dasselbe Grundgesetz übrigens, das man bei jeder Gelegenheit passend umformuliert, etwa auch beim Asylrecht), hat nicht nur mit juristischem Unwissen zu tun. Es geht darum, von anderen mehr zu fordern als von sich selbst. Denn wer von Geburt deutscher Staatsbürger ist, muss natürlich nichts unterschreiben.
Auch Neudecks „Papier“, das nach Lektüre unterschrieben werden muss — wohlgemerkt: muss! —, ist nichts anderes, als der Versuch, Nichtdeutsche ins Unrecht zu setzen. Wenn die Pflicht zum Besuch von Deutschunterricht für Flüchtlinge geltendes Recht ist, wäre die Unterschrift überflüssig. Ihre Verweigerung wäre folgenlos. Durch die Unterschrift kommt dann eigentlich keine rechtliche Wirksamkeit hinzu, sie ist symbolisch. Aber was symbolisiert sie? Nicht allein Einseitigkeit, mit der die einen den anderen Vorschriften machen dürfen, sonder darüber hinaus noch die Demütigung, diese Entrechtung und Unterwerfung auch noch anerkennen zu müssen, wenn einem sein Leben lieb ist. Eigentlich hat das Rechtsstaaten immer von totalitären Diktaturen unterschieden: Dass jene zwar Vorschriften machen und mit Gewalt durchsetzen, diese aber auch noch fordern, dass man die über einen verfügende Macht und die eigene Ohnmacht bejubelt.
Ich zweifle keinen Augenblick daran, dass Herr Neudeck es nur gut meint. Er hat seine unbestreitbaren Verdienste als Menschenretter. Dafür gebührt ihm Anerkennung und Dank. Seine autoritären Phantasien aber müssen zurückgewiesen werden. Deutsch zu lernen kann sinnvollerweise nur ein Vorschlag sein, der für sich selbst spricht, keine Zwangsmaßnahme. Nimmt man die, die Zuflucht gefunden haben, als selbständige, eigenverantwortliche Menschen ernst (und sieht in ihnen nicht nur ein zu bewältigendes Problem), stellen sich all die Fragen der Verständigung, der Orientierung, des Kennenlernens, des Eingewöhnens, der Anpassung und auch des Toilettenputzens ganz anders. Und sind menschlich beantwortbar. Die Vorschläge des Herrn Neudeck hingegen lösen kein Problem. Sie sind selbst eines.
Was geht da ab? Was löst solche Phantasien aus? Woher diese wütende Lust, anderen Vorschriften zu machen, sie zur Anerkennung des obrigkeitlichen Rechtes, ihnen Vorschriften zu machen, zwingen zu wollen („muss nach Lektüre unterschrieben werden“) und, für den Fall, dass jemand nicht Deutsch lernen will (oder die Toilette nicht richtig putzt), das Grundrecht auf politisches Asyl für nichtig zu erklären und auf sofortiger Deportation zu bestehen?
Wohl niemand bezweifelt, dass es im Alltag nützlich ist, praktische Kenntnisse der ortsüblichen Verkehrssprache zu haben. Anders gesagt: Dass Flüchtlinge Deutsch lernen, liegt in ihrem eigenen Interesse. Hier geht es aber offensichtlich um etwas anderes. Denn für gewöhnlich wird, wer nicht im eigenen Interesse handelt, nicht deportiert.
Das Erlernen von Deutsch wird von Neudeck als „Bringschuld“ konzipiert, als etwas, zu dem man sich verpflichten muss, um Rechte zu haben. Dass man nicht Deutsch kann (was vorausgesetzt wird) macht noch nicht schuldig, aber wer es unterlässt, fleißig (!) Deutsch zu lernen, wird mit sofortiger Deportation bestraft. Ob das Menschen zurück zu Elend, Folter, Tod schickt, ist gegenüber der vorrangigen Pflicht des Spracherwerbs anscheinend völlig egal.
Bemerkenswerterweise wird dabei ausnahmsweise einmal nicht so getan, als könnten Flüchtlinge gar keine Sprache. Dies ist sonst die gewöhnliche Haltung, dass nämlich die Menschen, die nicht oder nicht gut Deutsch können, als irgendwie zurückgeblieben oder behindert zu gelten haben, sodass sie erst einmal auf das Niveau des Durchschnittsdeutschen gebracht werden müssen. Neudeck hingegen gesteht den Flüchtlingen zu, sehr wohl einer Sprache mächtig zu sein, nämlich ihrer jeweiligen Muttersprache, und erstaunlicherweise beherrschen in Neudecks Vorschlag sogar deutsche Behörden plötzlich Fremdsprachen, denn sie legen den Neuankömmlingen ja ein Papier vor, das diese lesen können. Während also sonst der Flüchtling ein Problem darstellt, weil er nicht Deutsch kann, die Behörde aber nicht seine Sprache spricht, ist hier das Problem vorab gelöst und Verständigung überraschenderweise möglich — jedenfalls in genau dem Umfang, die schriftliche Anerkennung zu ermöglichen, dass der Flüchtling kein Recht auf seine eigene Sprache mehr hat (zumindest nicht im Umgang mit Deutschen und ihren Behörden), sondern auf das verpflichtet ist, mehr noch: sich selbst verpflichten muss, was auch die Deutschen jederzeit verstehen.
Diese mit Gewaltandrohung erzwungene Selbstverpflichtung, diese Umdeutung von Vorgaben und Vorschriften in Vereinbarungen, liegt im Trend der Zeit. Arbeitssuchende, Studierende und viele andere werden auf ähnliche Weise verarschst. Längst hat das auch in der innerfamiliären Pädagogik Einzug gehalten: „Thorben-Konstantin, wir hatten doch vereinbart, dass du dein Zimmer aufräumst. Jetzt ist die Mama aber sehr enttäuscht.“
Nun sind private Regeln das eine, öffentliche Rechtsvorschriften aber etwas anderes. Die gelten nämlich unabhängig davon, ob jemand sich bereit erklärt, sie einzuhalten oder nicht. Dass trotzdem immer wieder davon phantasiert wird, Zuwanderer sollten sich schriftlich auf das Grundgesetz und andere Gesetze verpflichten (auf dasselbe Grundgesetz übrigens, das man bei jeder Gelegenheit passend umformuliert, etwa auch beim Asylrecht), hat nicht nur mit juristischem Unwissen zu tun. Es geht darum, von anderen mehr zu fordern als von sich selbst. Denn wer von Geburt deutscher Staatsbürger ist, muss natürlich nichts unterschreiben.
Auch Neudecks „Papier“, das nach Lektüre unterschrieben werden muss — wohlgemerkt: muss! —, ist nichts anderes, als der Versuch, Nichtdeutsche ins Unrecht zu setzen. Wenn die Pflicht zum Besuch von Deutschunterricht für Flüchtlinge geltendes Recht ist, wäre die Unterschrift überflüssig. Ihre Verweigerung wäre folgenlos. Durch die Unterschrift kommt dann eigentlich keine rechtliche Wirksamkeit hinzu, sie ist symbolisch. Aber was symbolisiert sie? Nicht allein Einseitigkeit, mit der die einen den anderen Vorschriften machen dürfen, sonder darüber hinaus noch die Demütigung, diese Entrechtung und Unterwerfung auch noch anerkennen zu müssen, wenn einem sein Leben lieb ist. Eigentlich hat das Rechtsstaaten immer von totalitären Diktaturen unterschieden: Dass jene zwar Vorschriften machen und mit Gewalt durchsetzen, diese aber auch noch fordern, dass man die über einen verfügende Macht und die eigene Ohnmacht bejubelt.
Ich zweifle keinen Augenblick daran, dass Herr Neudeck es nur gut meint. Er hat seine unbestreitbaren Verdienste als Menschenretter. Dafür gebührt ihm Anerkennung und Dank. Seine autoritären Phantasien aber müssen zurückgewiesen werden. Deutsch zu lernen kann sinnvollerweise nur ein Vorschlag sein, der für sich selbst spricht, keine Zwangsmaßnahme. Nimmt man die, die Zuflucht gefunden haben, als selbständige, eigenverantwortliche Menschen ernst (und sieht in ihnen nicht nur ein zu bewältigendes Problem), stellen sich all die Fragen der Verständigung, der Orientierung, des Kennenlernens, des Eingewöhnens, der Anpassung und auch des Toilettenputzens ganz anders. Und sind menschlich beantwortbar. Die Vorschläge des Herrn Neudeck hingegen lösen kein Problem. Sie sind selbst eines.
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