Sonntag, 6. Dezember 2015

Notiz im Advent (2)

Gott ist eine ausgezeichnete Ausrede. Wenn man sich auf Gott beruft, scheint alles erlaubt. Auch die größte Schweinerei. Der Grund ist einfach: Mit der Offenbarung diskutiert man nicht. Entweder ist etwas Gottes Wille oder nicht. Wenn es aber Gottes Wille ist, dann ist es unbedingt zu tun und es zu unterlassen wäre Sünde. Wer also nicht sündigen will, aber etwas nicht zu tun bereit ist, was als Gottes Wille gilt (oder etwas tun möchte, von dem es heißt, es verstoße gegen Gottes Willen), dem bleibt nichts anderes übrig, als die Gültigkeit der Berufung auf Gottes Willen in Frage zu stellen.
Und genau hierin liegt die Gefahr, wenn jemand sich zu Unrecht auf Gott beruft. Denn nicht nur werden dadurch, was schlimm genug ist, Menschen zum Falschen, gar zum Bösen verführt, sondern indem Gott fälschlich als Begründung für dies und jenes herangezogen wird, droht für viele die Berufung auf Gott überhaupt unglaubwürdig zu werden.
Darum machen manche, besonders in den westlichen Konsumgesellschaften, es sich leicht: Man wisse weder, ob es Gott überhaupt gebe, noch was er genau wolle. Einige gehen den leichtesten Weg: Gott gibt es nicht, darum ist es Unsinn, seinen Willen tun zu wollen. Glaube erscheint dann als Uneinsichtigkeit, als Rückständigkeit, als Marotte.
Dabei gibt es ein einfaches Mittel, wahre von falschen Berufungen auf Gott zu unterscheiden. Man muss nur die Frage stellen, welcher Glaube und welche sich aus diesem ergebenden Handlungen machen den Menschen frei, lassen ihm seine Würde, unterstützen die Entfaltung seiner Möglichkeiten, erlauben ihm ein freies und gerechtes Zusammenleben mit anderen Menschen?
Und da zeigt sich nun, dass sowohl die religiösen Fundamentalismen wie auch die fundamentalen Atheismen zutiefst menschenverachtend waren und sind. Der einzelne Mensch gilt ihnen nichts, sie berauben ihn seiner Handlungsmöglichkeiten, unterdrücken seine Potenziale, erniedrigen ihn und beschädigen seine Gesundheit, zerstören sein Leben. Dasselbe tut übrigens auf sehr viel raffiniertere Weise der nahezu jede Opposition integrierende (oder zumindest instrumentalisierende) Marktiberalismus der westlichen Demokratien, in denen jeder, solange er den Betrieb nicht stört, nach seiner Façon selig werden darf, weil er ohnehin nur als statistisches Moment in Produktion und Konsumation zählt. Vielfalt, Freiheit und Selbstbestimmung werden groß geschrieben, aber im Kleingedruckten steht, dass aufwändig kontrolliert, geängstigt, bespaßt, manipuliert und gegängelt werden muss, damit keiner auf die Idee kommt, kluge Fragen zu stellen und von deren Beantwortung den Sinn des Funktionierens abhängig zu machen.
An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Welche Religion (oder Religionsverweigerung) sorgt sich wirklich um die Menschen, welche muss als bloßer Vorwand gelten, um Ausbeutung, Krieg, Elend, Wohlstands-verwahrlosung, Umweltzerstörung usw. usf. zu rechtfertigen?

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