Donnerstag, 15. Januar 2015

In Zeiten von Terror, Terrorismus und Meinungsfreiheit (III)

Aus einer Diskussion in einem sozialen Netzwerk:

Ich weigere mich strikt, die Logik der Terroristen zu teilen, wonach ein Mord nicht nur ein Mord ist, sondern ein symbolischer Akt. Sie wollten was weiß ich: den Westen, die Freiheit, den Säkularismus treffen? Interessiert mich nicht. Hier sind Menschen umgebracht worden. Deren Tod ist betrauernswert. Wie der Tod jedes anderen Menschen. (Aber auch nicht betrauernswerter als der anderer.) Die Morde in derselben Logik wie die Terroristen zu instrumentalisieren („sie starben für …“) halte ich für unethisch - und für politisch falsch. 

Satire spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse wieder? Aber dann doch auch die Machtverhältnisse: also auch das Gefälle (weiß, männlich, gallisch, säkular versus subaltern und religiös). (Die Prekarität der „ArbeiterInnen“ von „Charlie Hebdo“ scheint mir kein Argument. Auch ein arbeitsloser Neonazi ist ein Neonazi.) Wenn derselbe Staat, der die Prekarität erzeugt und konserviert und nutzbar macht, jetzt „Charlie Hebdo“ mit Lob überschüttet, von einer „Mission“ des Blattes spricht (mission civilisatrice?) und finanzielle Hilfe verspricht, kann ich an die Gesellschaftsktitik dieser postum kanonisierten Satiriker nicht glauben.

Der andere Punkt ist der der „Religionskritik“. Ich gebe Herrn Karl Marx, London, völlig Recht, dass Religionskritik der Anfang, die Voraussetzung aller Kritik ist. Nur muss man sie eben auch leisten; das hat weder Herr M. (der im Wesentlichen bei der etwas albernen Projektionstheorie von Feuerbach feststeckte) noch m.W. „Charlie Hebdo“ getan. Sich über etwas lustig zu machen ist noch nicht Kritik. Oder zumindest keine ausreichende. Und, wie sich gezeigt hat, keine hilfreiche. (Nützlich freilich für die hegemonialen Kräfte, sonst würde „Charlie Hebdo“ jetzt nicht quasi verstaatlicht.) Zumal wenn der Gegenstand des Satire per defintionem etwas Erhabenes ist. Weshalb der Spott meiner Meinung nach eine andere Richtung als die der Kritik hat: Herabsetzung. Damit aber bin ich ganz sicher nicht solidarisch.

Ein weiteres Thema wäre gesellschaftlliche Faschisierung (ja, leider, die sehe ich auch) und die Radikalisierung „religiöser“ Gruppen. Da stehen, finde ich, die Gänsefüßchen zu Recht. Bei den Islamisten der verschiedenen Richtungen z.B. handelt es sich (anders als bei den mittelalterlichen Assasinen etc.) nicht um religiöse Sekten. Es sind Politsekten. Die Parallele ist nicht die von al-Quaida, IS usw. und (irgendeiner) Kirche, sondern von denen und RAF, Brigate Rosse usw.

Mord ist Mord und als solcher falsch. Es gibt also keine richtigen Gründe dafür. Darum können die Toten von Paris (sowenig wie usw.) gar nicht selbst schuld sein. Oder zu Recht ermordet, weil sie das und das getan haben. Nie, mit keiner einzigen Bemerkung oder Andeutung habe ich derlei gesagt. Es widerspricht all meinen Überzeugungen. Zur Beurteilung der Pariser Verbrechen spielt also weder die Tätigkeit von „Charlie Hebdo“ eine Rolle noch was die Mörder an Gründen gehabt zu haben meinten. (Über gesellschaftliche Ursachen kann man diskutieren, und sollte es wohl auch; aber das ist etwas anderes als die persönliche Motivation der Täter.)

(Tyrannenmord wäre u.U. etwas anderes, aber das nur am Rande.)

Ich bin keineswegs für staatliche Zensur, aber für ein gesellschaftliches Problembewusstsein, das jede Form von Blasphemie, mutwilliger Verletzung religiöser Gefühle, religionsfeindlicher Aufhetzung verächtlich findet. „So etwas tut man nicht.“ Man sagt doch auch niemandem: Dein Kind ist aber hässlich und doof. Selbst wenn man es so wahrnimmt. Verdienen Götter weniger Rücksichtnahme als andere geliebte Wesen? Respekt schließt freilich Kritik keineswegs aus.

In Zeiten von Terror, Terrorismus und Meinungsfreiheit (II)

Kommentare zu Ulrich Würdemanns „Freiheit braucht Engagement“:

„Der Angriff der Terroristen in Paris, die Ermordung von 12 Menschen, (…) galten uns, unserer Freiheit.“ Ich sehe das überhaupt nicht so. „Lassen wir uns nicht verhetzen.“ Sehr richtig. Dazu gehört dann aber auch, aus einem Verbrechen keinen Kulturkrieg zu machen: Wir gegen die, unsere Freiheit gegen deren Terrorismus. Da stimmt doch was nicht. Wieso identifizieren sich Millionen Menschen mit den zwölf Toten von Paris, während die drei Dutzend Toten von Sana’a am selben Tag nur eine Meldung unter ferner liefen sind? Und das, obwohl (wenn man der vorherrschenden Interpretation der Anschläge folgt) beide Verbrechen von Islamisten begangen wurden? Warum wird jetzt so getan, als sei ein albernes, hassverbreitendes (und sogar, wie man mir sagt, homophobes) Satire-Magazin der Hort der Demokratie und Meinungsfreiheit? Was ist das für eine (noch dazu angeblich radikale) „Kritik“, die jetzt praktisch vom französischen Staat bezahlt werden soll? Ich find das sehr seltsame Grenzziehungen und Frontstellungen. Und andererseits werden mir da nicht genug Grenzen gezogen. Was für einen Sinn und Zweck hat es, im Namen von „Pluralität und Vielfalt“ (was ist der Unterschied?) die „Klemmschwester“ und den/die „offen schwule(n) Mann / lesbische Frau“, die „politisch ‘konservativ’, ‘liberal’ oder ‘progressiv’“ Agierende, die „schrille Tunte“ und den „schwule(n) Spießer“ alle in einen Topf zu werfen und zu einem LGBTsternchen-Einheitsbrei zu verkochen? Freiheit braucht Engagement, jaja, völlig richtig, aber doch politisches Engagement, und das kann nicht unterschiedslos progerssiv und konservativ, spießig und nichtspießig usw. sein. Nicht jede Lebensweise ist, bloß weil sie mit Homosexualität zu tun hat, bereits sakrosankt und verteidigenswert. Ein schwuler Neonazi ist für mich vor allem ein Neonazi. Freiheit, die bloß bedeutet, dass jeder in seiner Konsumnische treiben darf, was der Staat ihm gerade erlaubt, während im Übrigen die gesellschaftlichen Verhältnisse unagetastet bleiben, ist keine Freiheit. Bekanntlich haben Reiche und Arme dasselbe Recht, unter Brücken zu schlafen … Mit anderen Worten: Ein abstraktes Reden über Rechte und
Freiheiten, das die Machtverhältnisse, die durch Lebensentwürfe gestützt oder untergraben werden, außer Acht lässt, ist unpolitisch und nützt nur dem Bestehenden.

U.W. antwortete, es gehe ihm nicht um einen Kulturkrieg, aber darum, darauf zu verweisen, dass Dogmatismus immer der Freiheit entgegenlaufe. Es gehe ihm gerade nicht um einen 'Einheitsbrei', sondern darum, dass nur in Freiräumen, in freiheitlich verfassten Gesellschaften, verschiedene, auch vom Mainstream abweichende Lebensentwürfe konzipiert und gelebt werden könnten. Sein Appell in Sachen Engagement sei zunächst einmal ein Versuch, denen, die ruhig im Sessel sitzen und denken was geht mich das an, zu sagen: „Bekomm den Arsch hoch“. Dass da weitere Debatten, auch über soziale und politische Verhältnisse, über macht sinnvoll seien, sei unbestritten.

So gesehen stimmen wir (einmal mehr) überein, Ulli. Mich irritiert nur der Anlass. Warum der Anschlag von Paris und nicht der von Sana’a? Warum die Gleichsetzung eines Verbrechens mit einem Anschlag auf Freiheitsrechte? Ein Banküberfall stellt ja auch nicht das Währungssystem in Frage. Eher im Gegenteil: Der Räuber will das Geld doch gerade, um damit zu bezahlen. Übertragen: Wer einen Terrorakt von seiner Symbolik her versteht, folgt der Logik der Terroristen. Nicht irgendwelche Einzeltäter oder untergründigen Netzwerke bedrohen „mühsam erkämpfte Rechte“, sondern das Problem ist die Staatsmacht, die Rechte nach Gutdünken gewährt oder verweigert. Die Emanzipation gerade auch der LGBTsternchen-Politik vom Staat wäre darum angebracht. Sich jetzt stattdessen mit der herrschenden Macht zu solidarisieren bzw. der von dieser verordneten Solidarität zu willfahren, scheint mir unangebracht. (Premier Valls sprach von der „Mission“ von „Charlie Hebdo“; bei aller Liebe zur französischen Kultur: auf die „mission civilisatrice“ pfeif ich …)

Bemerkung über Gotteslästerung

Ilija Trojanow schrieb auf facebook: „Zur Blasphemie: Wenn Gott allmächtig ist, kann er sich nicht selber zur Wehr setzen?“ Ich kommentierte:

Bei der Gotteslästerung geht es doch nicht darum, ob Gott sich wehren kann oder nicht. Um Wehrlosigkeit geht es ja bei Paragraphen, die in manchen Ländern die Verunglimpfung des Staates, seiner Institutionen, Repräsentanten usw. unter Strafe stellen, auch nicht; dass der Staat sich wehren kann, beweisen doch gerade die Paragraphen selbst. Bei der Gotteslästerung geht es um das gestörte Verhältnis zu Gott. Kein Liebender wird wollen, dass der Geliebte von Dritten verleumdet wird, und zwar nicht (oder wenigstens nicht in erster Linie), weil damit seine, des Liebenden, Gefühle verletzt werden, sondern weil dem Geliebten kein Unrecht geschehen soll. Dasselbe gilt für den Gläubigen. Nur Atheisten oder Agnostikern kann es egal sein, was über Gott behauptet wird. Man mag es hinnehmen müssen, dass andere irren, aber dass sie das per definitionem Höchste, Beste, Verehrungswürdigste in den Dreck ziehen dürfen sollen, kann man im Ernst von keinem anständigen Menschen verlangen.


In Zeiten von Terror, Terrorismus und Meinungsfreiheit

Einige meiner Facebook-Postings zwischen dem 7. und 10. Januar 2015.

Pressefreiheit hat eben ihren Preis.

Je ne suis pas du tout Charlie. Wer Hass sät, wird Hass ernten. Nicht, dass ich das Verbrechen nicht verwerflich finde oder die Opfer für „selber schuld“ erkläre. In einem Land, das die Burka verbietet, aber nicht Blasphemie, wundert mich allerdings nichts. Wer glaubt, Respektlosigkeit sei eine Tugend (und außerdem ein gutes Geschäft), dem kann es passieren, dass auch seine Rechte (etwa das auf Leben) missachtet werden. Ce est ce qui se passe. Kein Grund, jetzt hysterisch zu werden. Das Abendland wird durch diese Morde nicht bedroht. Und selbst wenn, wen kümmert’s?

Vor der französischen Botschaft wird Anteilnahme und Solidarität bezeugt. Wie nett. Und vor der jemenitischen? Starben heute nicht auch in Sana’a drei Dutzend Menschen bei einem terroristischen Akt? Doch weiße Leben sind eben mehr wert als nichtweiße, gelten eher als betraueernwert, der spektakuläre Mord an prominenten französischen Journalisten ist „uns“ näher als das fast schon gewohnte Sterben irgendwelcher anonymer Subalternen. Wie passend, dass der ganz normale Rassismus sich gerade dann zeigt, wenn man „Freiheit“ als westlichen Wert beschwört.

Todesstrafe in Frankreich? Ich frage mich seit langem, ob es nicht voreilig war, von der Praxis der Hexenverbrennungen abzugehen. Ich hätte da auch Kandidatinnen. Mme Le Pen liegt derzeit durchaus vorn.
   
Drei Verdächtige, sieben Verhaftungen. Die Täter seien Polizei und Justiz bekannt, sagt der Premierminister. Einer der drei Verdächtigen stellt sich selbst und scheint ein Alibi zu haben. Die Verdächtigen seien überwacht worden, heißt es. Ich muss sagen, mein Vertrauen in den französischen Rechtsstaat wächst von Minute zu Minute.

Bisher ist kein Verdächtiger verhaftet, geschweige denn vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Dennoch glaubt alle Welt zu wissen, wer warum die zwölf Morde begangen hat. Als hätte man nur darauf gewartet.

Satire darf alles? Vielleicht waren die zwölf Morde von Paris ja auch nur eine Art von besonders feindseligem Leserbrief. (Und als solcher ebenfalls vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt.)

Bei der Ermordung Anna Politkowskajas, bei der Verurteilung Chelsea Mannings, bei der Vorverurteilung und Ächtung Edward Snowdons, bei der Verleumdung Max Blumenthals - um nur vier Beispiele zu nennen - würde ich sagen: Ja, das galt im Grunde auch mir, da geht es auch um meine Freiheit, um meine Rechte. Bei „Charlie Hebdo“ kann ich sagen: Nein, das hat mit mir nichts zu tun, hier ist die Pressefreiheit oder Meinungsfreiheit nicht bedroht. Selbst wenn die bereits durchgesetzte (weil vorausgesetzte) Erzählung, hier hätten religiöse Fanatiker auf Satire reagiert, stimmt. Es sind staatliche und wirtschaftliche Strukturen, die Freiheiten bedrohen, einschränken, aufheben und damit Rechte mit Füßen treten. Verbrecher und Verrückte hingegen sind bloß Einzelfälle, unschön, schmerzhaft und tragisch, aber unbedeutend im Vergleich zum systematischen Terror der Herrschenden. Dass viele das anders empfinden, irritiert mich nicht. Das bin ich seit dem 11. September 2001 gewohnt.

Tut mir leid, aber jede Sache, bei der Merkel, Hollande & Co. vorneweg marschieren, ist eine schlechte.

Anschlag auf die Hamburger Morgenpost. Kommt jetzt „Je suis Mopo“? Und wenn, was man sich ja vorstellen kann, jemand in der Redaktion der „Bild„-Zeitung ein Gemetzel anrichtete, gälte dann weit und breit „Je suis Bild“? Mir ist das alles zu hysterisch.

Die Meldung vom Tod Anita Ekbergs berührt mich stärker und tiefer als das Tamtam um die Morde von Paris. Stimmt irgendwas nicht mit mir?

Premier Valls sprach bei seinem Redaktionsbesuch gar von der „Mission“ von „Charlie Hebdo“. Wer weiß, was es mit der französischen „mission civilisatrice“ auf sich hatte (und hat), kann sich nur gruseln.