Aus Anlass der dreißigsten Wiederkehr ihres Todestages ist heute vielerorts von Zarah Leander die Rede. Dabei wird, wie üblich, allerhand Unsinn verzapftm vorzugsweise über ihre Rolle im Dritten Reich. Besonders ärgern mich in dem Zusammenhang immer dieAusdrücke „Durchhaltefilme“ und „Durchhaltelieder“. Es besteht zwar kein Zweifel, dass auch unter dem NS-Regime — und unter welchem Reime wäre das je anders? — die Unterhaltungsindustrie sich nebst dem Profit dem Ziel verpflichtet wusste, gute Stimmung zu erzeugen und die Leute von der Realität abzulenken. Wer aber heute noch meint, mit Kino und Schallplatte sei beinahe der Krieg gewonnen oder zumindest verlängert worden, denkt wie Goebbels und irrt. Wer bei Verstand ist, kann doch nicht wirklich glauben, ohne die Filme und Lieder der Zarah Leander und anderer wäre auch nur ein Mensch weniger gestorben. Aber vielleicht wurde manchem in all dem Schrecklich (an dem er vielleicht selbst mitwirkte, vielleicht auch nicht) doch eine Weile leichter ums Herz, wenn er sich in die visuellen und akustischen Traumwelten verlieren konnte. Ich missgönne das keinem. Und das „Durchhalten“ hat ja eigentlich noch eine andere Bedeutung als die, die Goebbels wollte und auch heutige „Kritiker“ noch gerne haben wollen. Nicht um jeden Preis bis zum Endsieg kämpfen, sondern den Schrecken und den Wahn, in den sie sich verstrickt hatten oder in den sie verstrickt worden waren überleben, das wollten die meisten Menschen. Und das ist der Subtext der zum Beispiel in „Davon geht die Welt nicht unter“ mitzuhören ist, wenn man verstehen will, was der Autor Bruno Balz sagen wollte. Denn der war kein Nazi und kein Durchhaltepropagandist, sondern einer, der erst vor einiger Zeit aus dem Kazett entlassen worden war, nicht zuletzt, weil seine Freundin Zarah Leander sich für ihn eingesetzt hatte. Dass die Texte von Bruno Balz, die oberflächlich betrachtet oft so harmlos und völlig unpolitisch erscheinen, einen subtilen Witz zu bieten hatten und für kundige Leser noch heute haben, den man schwerlich anders als als poetischen Widerstand bezeichnen kann, habe ich von neun Jahren in einem Zeitungsartikel zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages zu zeigen versucht, den ich hier wieder zugänglich mache.
Donnerstag, 23. Juni 2011
Dienstag, 21. Juni 2011
Kleine Ämterkunde
Was man nicht alles so lesen muss: „D: Innenamt gegen NPD-Verbot“, lautet heute eine Schlagzeile im Teletext des Österreichischen Rundfunks und die zugehörige Überschrift: „Deutsches Innenamt gegen NPD-Verbot“. Wer auch immer das verzapft hat — es geht hier mit hier nur um die Formulierung, die zur Rede stehende Sache ist ein anderes Thema —, hat kräftig danebengelangt und seine Unbildung herausgestellt. Wenn es, wovon man immer ma wieder hört, ein deutsches Außenamt gibt, muss es ja auch ein Innenamt geben, scheint sich jemand gedacht zu haben. Wenn „Denken“ für das, was in der Teletext-Redaktion so passiert, nicht schon ein viel zu hochgegriffener Ausdruck ist.
Lernen Ösis denn gar nichts in der Schule? In der Verfassung erst des Norddeutschen Bundes, dann des Zweiten Deutschen Kaiserreiches war der Kanzler, später Reichskanzler, der einzige Minister. Erst nach und nach wurden ihm, gleichsam als Gehilfen, sogenannte Staatssekretäre beigesellt. Die diesen unterstellten Behörden hießen Reichsämter. Eines davon, zuweilen vom Regierungschef selbst geführt, war das Auswärtige Amt. Dieses deutsche Außenministerium behielt seinen amtlichen Namen auch in der Weimarer Republik und im Dritten Reich bei, als andere Ressorts längst als Reichsministerien bezeichnet wurden. Und auch, als 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, griff man die alte Bezeichnung für das entsprechende Bundesministerium wieder auf. Die gängige Kurzbezeichnung für Auswärtiges Amt ist Außenamt. Ein Innenamt aber gibt es nicht. Die betreffende Behörde heißt Bundesministerium des Innern, kurz Bundesinnenministerium, und steht in der Nachfolge des Reichsministerium des Innern, das wiederum dem Reichsamt des Innern nachgefolgt war, das seinerseits aus dem Reichsakanzleramt hervorging. Auch in Österreich gibt es übrigens ein Innenministerium, dessen amtlich Bezeichnung derzeit Bundesministerium für Inneres lautet.
Von „Innenamt“ kann also gar keine Rede sein. Ein bisschen aber muss man die Ösis (nicht deren Unbildung!) in Schutz nehmen. Denn der verfehlte Ausdruck kommt, wie sich beim Googeln herausstellt, sogar in der „Zeit“ vor …
So, und damit jetzt alle mal ein bisschen was lernen, hier ein Hinweis: Die Republik Österreich besitzt längst kein Bundesministerium für Äußeres (1920) oder Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten (1959) mehr. Die entsprechende Behörde heißt heutzutage Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten. In den allgemeinen Sprachgebrauch ist das nicht eingegangen. Nach wie vor ist vom Außenministerium die Rede. Aber bitte nie vom „Außenamt“!
Lernen Ösis denn gar nichts in der Schule? In der Verfassung erst des Norddeutschen Bundes, dann des Zweiten Deutschen Kaiserreiches war der Kanzler, später Reichskanzler, der einzige Minister. Erst nach und nach wurden ihm, gleichsam als Gehilfen, sogenannte Staatssekretäre beigesellt. Die diesen unterstellten Behörden hießen Reichsämter. Eines davon, zuweilen vom Regierungschef selbst geführt, war das Auswärtige Amt. Dieses deutsche Außenministerium behielt seinen amtlichen Namen auch in der Weimarer Republik und im Dritten Reich bei, als andere Ressorts längst als Reichsministerien bezeichnet wurden. Und auch, als 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, griff man die alte Bezeichnung für das entsprechende Bundesministerium wieder auf. Die gängige Kurzbezeichnung für Auswärtiges Amt ist Außenamt. Ein Innenamt aber gibt es nicht. Die betreffende Behörde heißt Bundesministerium des Innern, kurz Bundesinnenministerium, und steht in der Nachfolge des Reichsministerium des Innern, das wiederum dem Reichsamt des Innern nachgefolgt war, das seinerseits aus dem Reichsakanzleramt hervorging. Auch in Österreich gibt es übrigens ein Innenministerium, dessen amtlich Bezeichnung derzeit Bundesministerium für Inneres lautet.
Von „Innenamt“ kann also gar keine Rede sein. Ein bisschen aber muss man die Ösis (nicht deren Unbildung!) in Schutz nehmen. Denn der verfehlte Ausdruck kommt, wie sich beim Googeln herausstellt, sogar in der „Zeit“ vor …
So, und damit jetzt alle mal ein bisschen was lernen, hier ein Hinweis: Die Republik Österreich besitzt längst kein Bundesministerium für Äußeres (1920) oder Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten (1959) mehr. Die entsprechende Behörde heißt heutzutage Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten. In den allgemeinen Sprachgebrauch ist das nicht eingegangen. Nach wie vor ist vom Außenministerium die Rede. Aber bitte nie vom „Außenamt“!
Sonntag, 19. Juni 2011
Macht euer Buch-Sein unsichtbar!
Ist das noch komisch oder schon lächerlich? Christian Högl, der Obmann der Homosexuellen Initiative Wien, hat der interessierten Öffentlichkeit bereitwillig Einblicke in die ästhetische Gestaltung seines Wohnzimmers gewährt („Der Standard“, 18./19. Juni 20011) Man erfährt dabei etwas über die Farben der Wände, über das Sofa, das Högl hat, und das Sofa, das Högl gerne hätte, über Gemütlichkeit, über ein „schwules Klischee“ (gemeint ist wohl ein Klischee über Schwule — das angeblich darin besteht, dass sie viele bunte Bilder und Posters an der Wand haben; man lernt nie aus) und über das Fehlen eines Einrichtungskonzeptes. Über den letztgenannten Umstand gibt sich Högl recht erstaunt: „Eigentlich ist das eine Schande, denn ich bin hauptberuflich Grafiker, ich setze mich tagtäglich mit Gestaltung auseinander und habe ein ästhetisch geschultes Auge im Print- und Webbereich.“ Na dann.
In all dem Geschwätz fällt mir, der ich ein intellektuell geschultes Auge nicht nur im Bereich der Druckschriften und Netzveröffentlichungen habe, ein Satz besonders auf. Högl erwähnt unter seinen Wünschen für ein wohnzimmermäßiges Design-Relaunch auch: „Und meine Bücher würde ich gerne in einem Kasten* verschließen. Erstens sind mir die vielen bunten Buchrücken zu unruhig, zweitens ist das Ausstellen der Bücher in einem offenen Regal heute eh nicht mehr en vogue. Der Trend geht hin zu Einfachheit und Schlichtheit.“ (*Für deutsche Leser: „Kasten“ meint „Schrank“.)
Nun, am Schlichtheit, zumindest des Gemüts, scheint es Christian Högl nicht zu mangeln. Dass manche Leute Bücher deshalb herumstehen haben, weil sie diese Dinger zu lesen pflegen, und nicht, weil es sich um Dekorationselemente handelt, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen. Bei mir zum Beispiel, um auch mal was Privates öffentlich zu machen, stehen, lehnen und liegen die Bücher nicht nur ganz offen im Regal herum, sondern stapeln sich auch auf Tischen und Fußböden. Sieht fürs wohnzeitschriftengeschulte Auge vielleicht nicht gut aus, ist aber so und geht auch gar nicht anders, weil ich einfach zu viele Bücher habe und dauernd noch welche dazu kommen.
Zurück zu Högl. Der will also um der Einrichtungsmode willen die Bücher im Schrank verstecken. Zu komisch! War nicht mal „Get out of the closet!“ ein wichtiger Slogan der Schwulenbewegung? Dieses „Raus aus dem Schrank“ war Teil des Konzeptes „Macht euer Schwulsein öffentlich!“ Dem scheint Högl ja auch immer noch anzuhängen (sofern es nicht um Bücher geht): „Natürlich habe ich auf meiner Eingangstür einen kleinen Regenbogenaufkleber. Das gehört zu meiner Identität. Aber ich habe den Eindruck, dass man in Wien früher viel mehr Regenbogenfahnen aus den Fenstern und von Balkonen hängen gesehen hat als heute. Auch ich habe damals eine Fahne auf dem Balkon gehabt. Das war immer eine Art Zeichen zu sagen: ‘Seht her, ich bin schwul! Seht her, ich bin lesbisch!’ Irgendwie finde ich schade, dass das zurückgegangen ist. Doch es zeigt auch, dass das Thema in der Gesellschaft selbstverständlicher geworden ist.“
Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass: Integriert euch, aber markiert euch. Was will Högl denn nun? Selbstverständlichkeit oder Auffälligkeit? Beides gleichzeitig geht wohl nur im amerikanischen System der quasi-ethnischen Identitäten, die alle irgendwie gleichberechtigt sind (wobei dieses Irgendwie weder soziale Hegemonie noch praktischen Rassismus ausschließt …), aber eben auch notwendig, um dem Individuum über seine Zugehörigkeit zu einer anerkannten Gruppe oder Untergruppe seine Rechte und Pflichten zuzuweisen.
Huch, das war jetzt wohl zu intellektuell! Rasch zurück in den Schrank damit! — Ich freunde mich gerade mit der Vorstellung an, dass Högels bücherversteckender Bücherschrank geradezu die Metapher für das ist, was nach der Schwulenbewegung und ihren uneingelösten Emanzipationsansprüchen im beginnenden 21. Jahrhundert bei Homo-Vereinsmeiern noch an „Politik“ und Lebensstil übrig geblieben ist: Mode und Schein und eine gewisse Abneigung gegen alles, was Gedanken macht.
In all dem Geschwätz fällt mir, der ich ein intellektuell geschultes Auge nicht nur im Bereich der Druckschriften und Netzveröffentlichungen habe, ein Satz besonders auf. Högl erwähnt unter seinen Wünschen für ein wohnzimmermäßiges Design-Relaunch auch: „Und meine Bücher würde ich gerne in einem Kasten* verschließen. Erstens sind mir die vielen bunten Buchrücken zu unruhig, zweitens ist das Ausstellen der Bücher in einem offenen Regal heute eh nicht mehr en vogue. Der Trend geht hin zu Einfachheit und Schlichtheit.“ (*Für deutsche Leser: „Kasten“ meint „Schrank“.)
Nun, am Schlichtheit, zumindest des Gemüts, scheint es Christian Högl nicht zu mangeln. Dass manche Leute Bücher deshalb herumstehen haben, weil sie diese Dinger zu lesen pflegen, und nicht, weil es sich um Dekorationselemente handelt, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen. Bei mir zum Beispiel, um auch mal was Privates öffentlich zu machen, stehen, lehnen und liegen die Bücher nicht nur ganz offen im Regal herum, sondern stapeln sich auch auf Tischen und Fußböden. Sieht fürs wohnzeitschriftengeschulte Auge vielleicht nicht gut aus, ist aber so und geht auch gar nicht anders, weil ich einfach zu viele Bücher habe und dauernd noch welche dazu kommen.
Zurück zu Högl. Der will also um der Einrichtungsmode willen die Bücher im Schrank verstecken. Zu komisch! War nicht mal „Get out of the closet!“ ein wichtiger Slogan der Schwulenbewegung? Dieses „Raus aus dem Schrank“ war Teil des Konzeptes „Macht euer Schwulsein öffentlich!“ Dem scheint Högl ja auch immer noch anzuhängen (sofern es nicht um Bücher geht): „Natürlich habe ich auf meiner Eingangstür einen kleinen Regenbogenaufkleber. Das gehört zu meiner Identität. Aber ich habe den Eindruck, dass man in Wien früher viel mehr Regenbogenfahnen aus den Fenstern und von Balkonen hängen gesehen hat als heute. Auch ich habe damals eine Fahne auf dem Balkon gehabt. Das war immer eine Art Zeichen zu sagen: ‘Seht her, ich bin schwul! Seht her, ich bin lesbisch!’ Irgendwie finde ich schade, dass das zurückgegangen ist. Doch es zeigt auch, dass das Thema in der Gesellschaft selbstverständlicher geworden ist.“
Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass: Integriert euch, aber markiert euch. Was will Högl denn nun? Selbstverständlichkeit oder Auffälligkeit? Beides gleichzeitig geht wohl nur im amerikanischen System der quasi-ethnischen Identitäten, die alle irgendwie gleichberechtigt sind (wobei dieses Irgendwie weder soziale Hegemonie noch praktischen Rassismus ausschließt …), aber eben auch notwendig, um dem Individuum über seine Zugehörigkeit zu einer anerkannten Gruppe oder Untergruppe seine Rechte und Pflichten zuzuweisen.
Huch, das war jetzt wohl zu intellektuell! Rasch zurück in den Schrank damit! — Ich freunde mich gerade mit der Vorstellung an, dass Högels bücherversteckender Bücherschrank geradezu die Metapher für das ist, was nach der Schwulenbewegung und ihren uneingelösten Emanzipationsansprüchen im beginnenden 21. Jahrhundert bei Homo-Vereinsmeiern noch an „Politik“ und Lebensstil übrig geblieben ist: Mode und Schein und eine gewisse Abneigung gegen alles, was Gedanken macht.
Samstag, 18. Juni 2011
Wer nicht spurt, fliegt raus
Einer flog aus dem Kuckucksnest: Wie Agenturen melden und verschiedene Medien berichten, wurde am letzten Mittwoch in San Francisco ein 20-jähriger Passagier wegen seiner tief hängender Hosen, die den Blick auf die Unterwäsche freigegeben hätten, von Bord eines Flugzeuges verwiesen. Weil der die Anweisungen der Crew nicht gleich befolgt habe, sei er anschließend von der vom Piloten herbeigerufenen Polizei festgenommen worden. „Die Unterwäsche bedeckte seine Geschlechtsteile, aber seine Hosen hingen tiefer als die Unterhose, dadurch konnten die Reisenden alles sehen, soll ein Polizist einem Fernsehsender erklärt haben. Demselben Sender gegenüber rechtfertigte sich der Übeltäter, ein Football-Spieler der University of New Mexico: Er habe zwei große Taschen getragen und daher nicht sofort reagieren können, an seinem Platz habe er dann aber die Hosen hochgezogen. Flugbegleiter hätten das Recht, die Kleidung von Passagieren kritisch zu betrachten, soll eine Sprecherin der Fluggesellschaft einer Zeitung gesagt haben. Sie könnten dann entscheiden, ob „die Sicherheit und das Wohlbefinden“ der übrigen Passagiere gewährleistet seien. Der Fluggast sei nicht wegen seiner Kleidung von Bord gewiesen worden, sondern weil er die Anweisungen der Crew nicht befolgt habe, hob die Firmensprecherin hervor. Der Festgenommene wurde einen Tag (!) nach seiner Verhaftung gegen Hinterlegung einer Kaution von 10.000 Dollar (!) vorübergehend freigelassen, aber die Staatsanwaltschaft prüft nun, heißt es, ob sie Anklage gegen den Mann erhebt.
Das alles kann man unkommentiert so stehen lassen. Der Wahnsinn ist so offensichtlich, dass ihn selbst die hartnäckigsten Verteidiger des moralischen Imperialismus nur um den Preis, ihm selbst zu verfallen, leugnen können.
Das alles kann man unkommentiert so stehen lassen. Der Wahnsinn ist so offensichtlich, dass ihn selbst die hartnäckigsten Verteidiger des moralischen Imperialismus nur um den Preis, ihm selbst zu verfallen, leugnen können.
Dienstag, 7. Juni 2011
Die Bahn-Banane
Darf das wahr sein? Im vorigen Sommer fielen bekanntlich in mehreren ICE-Zügen der Deutschen Bahn die Klimaanlagen aus. Fenster ließen sich „natürlich“ nicht öffnen. Zahlreiche Passagiere wurden so mit enormer Hitze belästigt und zum Teil sogar gesundheitlich geschädigt. Nun heißt es von Seiten der Bahn, das Problem werde bei den Zügen der zweiten Baureihe bis 2013 behiben sein. Wie bitte? Drei Jahre für 44 Züge? Deutschland sieht sich gern als Land der Hochtechnologie, des Leistungswillens und der perfekten Organisation. Darum spottet man gern über die echte oder vermeintliche Schlamperei und Unfähigkeit in anderen Ländern. Wenn es aber nicht einmal dem größten (und in Staatsbesitz befindlichen) deutschen Verkehrsunternemen gelingt, eine technische Schwierigkeit bescheidenen Ausmaßes und erheblicher Folgen rasch zu beheben, ist Deutschland vielleicht in Wahrheit doch die „Bananenrepublik“, die zu sein es insgeheim immer befürchtet hat.
In memoriam Jorge Semprúns
… habe ich auf meinem Netzort einen alten Text von mir eingestellt: Mit einer Blume im Arsch über Semprúns Buch „Der Tote mit meinem Namen“.
Samstag, 4. Juni 2011
Aufgeschnappt (bei Ai Weiwei)
Lasst uns den 4. Juni vergessen, diesen Tag, der keine besondere Bedeutung hat. Das Leben hat uns gelehrt: In einem totalitären Regime sind alle Tage gleich, alle totalitären Tage sind ein einziger Tag, es gibt keinen Tag Zwei, kein Gestern und kein Morgen.
Weil das so ist, brauchen wir nur das Kontinuum und keine speziellen Abschnitte der Wirklichkeit, keine Phasen der Gerechtigkeit oder Gleichheit.
Menschen ohne Redefreiheit, ohne Pressefreiheit und ohne Wahlrecht sind keine Menschen und brauchen kein Gedächtnis. Wenn wir aber kein Recht auf ein Gedächtnis haben, wählen wir das Vergessen.
Lasst uns jede Verfolgung, jede Demütigung, jedes Massaker, jede Vertuschung, jede Lüge, jedes Versagen und jeden Toten vergessen, alles, was in der Erinnerung schmerzen könnte, und lasst uns immer auch gleich vergessen, dass wir etwas vergessen. Alles geht mit rechten Dingen zu, so dass sie uns auslachen, als seien sie unbescholtene, anständige Herren.
Weil das so ist, brauchen wir nur das Kontinuum und keine speziellen Abschnitte der Wirklichkeit, keine Phasen der Gerechtigkeit oder Gleichheit.
Menschen ohne Redefreiheit, ohne Pressefreiheit und ohne Wahlrecht sind keine Menschen und brauchen kein Gedächtnis. Wenn wir aber kein Recht auf ein Gedächtnis haben, wählen wir das Vergessen.
Lasst uns jede Verfolgung, jede Demütigung, jedes Massaker, jede Vertuschung, jede Lüge, jedes Versagen und jeden Toten vergessen, alles, was in der Erinnerung schmerzen könnte, und lasst uns immer auch gleich vergessen, dass wir etwas vergessen. Alles geht mit rechten Dingen zu, so dass sie uns auslachen, als seien sie unbescholtene, anständige Herren.
Vergessen wir die Soldaten, die auf Zivilisten geschossen haben, die Panzer, die mit ihren Ketten die Körper der Studenten zermalmt haben, die Kugeln, die durch die Straßen geflogen sind, und das Blutvergießen, die Stadt und den Platz, wo keine Tränen vergossen wurden. Vergessen wir die endlosen Lügen und die Machthaber, die auf unserem Vergessen bestehen, vergessen wir ihre Schwäche, ihre Tücke und ihre Unfähigkeit. Ihr werdet sie bestimmt vergessen, man muss sie vergessen, sie können nur existieren, wenn man sie vergisst. Um überleben zu können, lasst uns vergessen.
Der Galiani Verlag, der die Blogtexte Ai Weiweis herausbringen wird,
stellt diesen Text zum 20. Jahrestag des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens
allen Medien zur Verfügung, "um Ai Weiwei die geraubte Stimme zurückzugeben"
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