Diese Leute gehören hier nicht her. Das ist der Grundsatz, nach dem sie alle denken und handeln. Zuwanderung soll eigentlich gar nicht sein. Manche sagen: Ein bisschen Zuwanderung sollte aber sein, uns fehlen Fachkräfte. Und ein paar Flüchtlinge müssen wir hereinlassen, dazu zwingt uns das Völkerrecht. Aber das sind nur Ausnahmen, der Grundsatz bleibt unangetastet: Diese Leute gehören hier nicht her. Manche sagen: Nur kontrollierte Zuwanderung. Wir können nicht alle aufnehmen. Wir sind jetzt schon überfordert. Irgendwann muss Schluss sein. Manche sagen: Diese Leute gehören nicht hierher, darum darf keiner von denen herein. Wenn wir sie aussperren, geht es uns besser. Noch besser wäre es, die, die schon da sind, wieder wegzuschicken.
Manche sagen: Die Leute hier haben Angst und berechtigte Sorgen. Das nützen die aus, die niemanden hereinlassen wollen. Die werden so immer stärker. Darum dürfen wir selbst nur ganz wenige hereinlassen. Als schwäche man die mit den stärkeren Parolen mit schwächeren Parolen. Als könne man eine Politik dadurch verhindern, dass man sie durchsetzt.
Diese Leute gehören nicht hierher, darin sind sich alle einig, auch wenn es nicht alle so deutlich aussprechen. Die, die den klaren Worten am nächsten kommen, die rassistischen Rechtspopulisten, bekommen Zulauf, weil die anderen zwar im Grundsatz dasselbe wollen, aber auf dies und jenes Rücksicht nehmen und darum weniger klar und deutlich sind in der Ablehnung der Leute, die nicht hierher gehören. Und gerade weil sie mit ihnen den Grundsatz teilen, sind sie machtlos gegen die Populisten. Denen können sie bloß vorwerfen, dass sie keine Rücksicht nehmen. Gerade das aber gefällt vielen.
Alle wollen sie also Zuwanderung begrenzen: möglichst wenig bis gar keine. Darum wollen sie Grenzen schützen und ungesetzliche Grenzübertritte verhindern. Kampf den Schleusern! Dabei gäbe es morgen schon keine Schleuser mehr, wenn man Einwanderung nicht zu unterbinden versuchte. Und es gäbe keine ungesetzliche Einwanderung mehr, wenn man Einwanderung nicht verböte.
Wovor genau sollen sie die Grenzen eigentlich geschützt werden? Wer bedroht sie? Geschwächte Menschen, die nichts haben, außer was sie am Leibe tragen oder in eine Plastiktüte passt? Welche Gefahr stellen die dar? Wie können diese bettelarmen Menschen jemanden bedrohen? Gar ganze Länder, ganz Europa?
Es ist anscheinend die bloße Existenz der Leute, die nicht hierher gehören, die man als bedrohlich wahrnimmt. Sie stellen alles in Frage.
Es kommen ja nicht die Allerärmsten, die Elendsten, die Hungernden, die kurz vorm Verrecken sind. Die gibt es, millionenfach, aber die kommen nicht. Wer sich aufmachen kann, nach Europa zu fliehen, der hatte immerhin noch so viel, sich das leisten zu können. Es kommen die, die noch Hoffnung haben, die für sich und andere ein besseres Leben wollen, die den Verhältnissen ein wenig Glück abtrotzen wollen.
Man nennt sie Wirtschaftsflüchtlinge und zwar zu Recht. Sie fliehen vor den Auswirkungen, die die Weltwirtschaftsordnung auf sie hat. Die, die sich anmaßen, darüber zu entscheiden, wer kommen und bleiben darf und wer wieder verschwinden soll, sagen: Heißen die Folgen Krieg und politische Verfolgung, dann vielleicht. Aber Armut und Chancenlosigkeit sind kein Grund, von dort, wo man ist, wegzuwollen in ein reiches Land.
Auch die reichen Länder haben ihre Armen, zweifellos, und nur ganz wenigen geht es so gut, dass sie nicht wünschen könnten, dass es ihnen noch viel besser ginge. Aber als ganze, als Volkswirtschaften, als Gesellschaften, sind die reichen Ländern eben doch reich, bieten mehr Sicherheit und Wohlstand und Teilnahmemöglichkeiten als arme Länder. Im unmittelbaren Vergleich sind die einen sogar wahnsinnig reich und die anderen wahnsinnig arm. Und wie innerhalb einer Gesellschaft so auch im Rahmen der Weltwirtschaftsordnung: Die einen sind reich, weil die anderen arm sind. Der Reichtum der wenigen ist mit der Armut der vielen erkauft. Es ist nicht so, dass die Reichen klüger, fleißiger, geschickter wären als die Armen. Sie profitieren einfach von den Verhältnissen, die sie entweder geschaffen oder vorgefunden haben, die zu erhalten sie jedenfalls bestrebt sind.
Den Menschen in den reichen Ländern ist es freilich egal, warum ihr Land reich ist. Es ist ihr Land und darum ihr Reichtum, auch wenn sie vielleicht wenig davon haben. Und darum wollen sie eines ganz sicher nicht: Gerechtigkeit. Zur Not kann man ein paar Almosen geben. Aber auf gar keinen Fall darf an der Weltwirtschaftsordnung gerüttelt werden. Das wäre gefährlich, glaubt man.
Jeder Arme, der aus einem armen Land hierherkommt, ist einer zu viel. Denn wenn alle kämen ― was zwar nie passieren kann, aber als rhetorisches Phantasma gut funktioniert ―, dann gäbe es einen Austausch und Ausgleich zwischen Arm und Reich, die Weltwirtschaftsordnung bräche zusammen, die sicher geglaubten Grenzen zwischen uns und denen existierten nicht mehr und alle wären plötzlich wie die, die man hier nicht haben will.
Gewiss gäbe es auch Unmut, wenn sich irgendwo Hunderttausend kanadische Milliardäre niederließen. Auch denen würfe man ihr Anderssein vor und verlangte Anpassung. Aber derlei kommt ja nicht vor. Die Wanderungsbewegungen der Reichen und ihre Reichtums sind unauffällig und nicht massenhaft.
Der gewöhnliche Flüchtling jedoch ist eben beides: arm und fremd. Darum muss er versorgt und angepasst („integriert“) werden. Er hat nichts, also muss ihm alles gestellt werden. Er kann nichts, nicht einmal die Sprache, darum muss ihm alles beigebracht werden, vor allem die Sprache. Das kostet! Der Staat aber muss sparen. Er hat schon jetzt viel zu wenig für das Nötigste. (Außer es kommt eine Pandemie, dann kann das Geld bedenkenlos mit beiden Händen aus dem Fenster geworfen werden.)
Dass für Flüchtlinge alles getan werden muss, bis man sie halbwegs zur ortsüblichen Selbständigkeit erzogen hat (oder sie wieder losgeworden ist), verweist auf die bestehenden Unzulänglichkeiten. (Es macht sie stärker sichtbar, es verursacht sie nicht.) Es gibt zu wenig Wohnraum für wenig Geld, es fehlt an Infrastruktur der Bildung. der sogenannte Arbeitsmarkt ist schlecht organisiert. (An Luxuswohnungen und teuren Privatschulen ist zwar kein Mangel. Jeder Wohnraum ist bezahlbar, wenn man das nötige Geld hat. Jede formelle Bildung ist käuflich. Es fehlt an Arbeitskräften, aber Menschen sind arbeitslos oder verdienen zu wenig.)
Da der Staat die Aufgabe hat, die Reichen reicher werden zu lassen und alle anderen in Schach zu halten, kommt er mit „Umverteilung“ nur schlecht zurecht. Es gibt sogenannte gut ausgebaute Sozialstaaten und schlecht ausgebaute. Beide haben die Funktion, die Frage gar nicht erst aufkommen zu lassen, wieso es Armut in reichen Gesellschaften eigentlich überhaupt gibt. Während die Superreichen immer reicher werden, müssen die Mittelschichten so weit zur Angst vor Abstieg und zur Hoffnung auf Aufstieg gebracht werden, dass sie im Ganzen ruhig bleiben. Von den Armen geht ohnehin keine Gefahr aus, die die Polizei nicht früher oder später im Griff hätte. „Umverteilung“ ist also eine Inszenierung mit Realitätseffekten, die die zu Grunde liegende Realität der „Vorverteilung“ des Eigentums unantastbar machen soll.
Aber „Umverteilung“ kann nicht beliebig erweitert werden. Der Staat kann Almosen verteilen, aber nur nur unter Ächzen und Stöhnen. Das ist wirklich das Äußerste, mehr geht beim besten Willen nicht! Außerdem ist es gar nicht gut, so viel zu helfen. Die Leute sollen gefälligst was arbeiten und Eigenverantwortung zeigen.
Der Flüchtling ist nun eben einer, der nicht arbeiten darf und völlig unselbständig gehalten werden muss. (Er darf aber auch nichts anstellen!) Und ihm wird unterstellt, dass er genau das will, dass er deshalb gekommen ist: Um auf Kosten von Steuerzahlern zu leben, zu denen er nicht gehört.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Menschen, die ihr Leben riskieren, um aus einem armen Land in ein reiches zu kommen, wollen nicht entmündigt und rundumversorgt werden. Sie wollen arbeiten, sich selbst erhalten und ihre Angehörigen unterstützen. Sie wollen ein selbstbestimmtes Leben führen. Dort, wo sie herkommen, wird ihre Arbeitskraft nicht oder nur unzureichend benötigt. Es fehlt an Kapital, Arbeit zu bezahlen. In den reichen Ländern gibt es das Kapital und auch Arbeitskräfte werden benötigt. Aber nun trifft der Wunsch, etwas zum eigenen und fremden Wohlstand beizutragen auf ein phantastisches Regelwerk. Hier ist das Recht auf Arbeit und Einkommen an allerhand Einschränkungen und Bedingungen gebunden. Schwarzarbeit ist zwar immer möglich, gern auch im „Niedriglohnsektor“, aber wo alles seine Ordnung haben muss, kann nicht jeder tun, wofür er bezahlt werden will.
Alles wäre so viel einfacher, wenn man mal fragte, was die Flüchtlinge eigentlich wollen. Was sie können und was sie brauchen. Statt das über ihre Köpfe hinweg festzulegen und zum Problem zu erklären. Statt die Menschen dem System anzupassen, könnte man versuchen, das System den Menschen anzupassen. Allen. Dann ließen sich Lösungen erarbeiten, die ohne Integration in die schlechten Verhältnisse auskommen. Das darf nicht sein. Die Verhältnisse sind nicht zufällig so, wie sie sind. Umständlichkeit, Bürokratie, Kompetenzwirrwarr. Segregation, Willkür, Unmenschlichkeit usw. usf. sind Teil des Systems. Wenn alles lösungsorientiert einfach funktionierte, wo bliebe da der Staat? Dann könnten ja alle tun und lassen, was sie wollen, wenn sie es nur gemeinsam, mit guten Willen und vernünftig täten. Das kommt gar nicht in Frage.
Es ist, um die Sache abzukürzen, nicht so, dass die reichen Länder sich die Aufnahme armer Flüchtlinge nicht leisten könnten. Es gibt genug Geld, es ist nur zu einem beachtlichen Teil in den falschen Händen. Es gibt auch genug Platz. Und wenn man die Neuankömmlinge nur machen ließe, trügen sie rasch zu ihrem eigenen Unterhalt und zum Wohlstand aller bei. Hier könnten sie das, „zu Hause“ nicht.
Also müssen sie hier zu Hause sein dürfen. Warum auch nicht? Womit lässt sich begründen, dass jeder dort bleiben muss, wohin ihn der Zufall der Geburt (oder des Krieges und der Vertreibung) hat landen lassen? Es gibt keine Pflicht zur Heimat, auch wenn die meisten Menschen sich aus Gewohnheit und Sentimentalität eine Heimat wünschen. Die sie ungern verlassen.
Daran setzt auch die sogenannte „Bekämpfung der Fluchtursachen“ an. Wenn man es in den Ländern des Elends nur ein bisschen erträglicher macht, so die Idee, dann bleiben diese Leute hübsch dort, wo sie sind und wollen nicht hierher, wo sie nicht hingehören. Das ist im Prinzip nicht falsch, aber doch zynisch. Das Elend gerade so abmindern, dass das Bedürfnis nach Aufbruch in ein besseres Leben geschwächt wird, ist ein übler Trick. Seht mal, eure Armut ist doch gar nicht so übel, wir haben vieles für euch erträglicher gemacht, was wollt ihr euer Leben riskieren für einen Traum, der zerplatzen wird, wenn wir euch erst einmal klar machen, dass ihr bei uns unerwünscht seid …
Wollte man die „Fluchtursachen“ wirklich angehen, genügten ein paar Verbesserungen der Lebensbedingungen nicht, man müsste das Übel an der Wurzel packen. Und die entscheidende Ursache der weltweiten Misere und damit „Fluchtursache“ Nummer eins ist nun einmal die herrschende Weltwirtschaftsordnung. Auch Kapitalismus genannt. Der macht wenige Menschen reich und viele arm. Und wenig überraschend ist diese Ausbeutungsmaschinerie auch die Ursache der Umweltzerstörungen, deren eine Folge der menschengemachte Klimawandel ist, dessen Folgen wieder zu Armut führen. Es wäre also nur vernünftig, die Probleme allesamt ganz grundsätzlich anzugehen.
Die Staaten sind dabei allerdings keine Hilfe. Ihre Aufgabe ist eine andere (siehe oben). Es sind ja staatliche Grenzen, die mit Gewalt „geschützt“ werden müssen. So wie mit unsichtbarer und ab und zu auch sichtbarer Gewalt das Eigentum und seine ungerechte Verteilung geschützt wird.
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Außer natürlich, die Gesetze begünstigen die einen und benachteiligen die anderen. Geht man hingegen von unveräußerlichen Menschenrechten aus, ist nicht einzusehen, warum die einen reich werden dürfen, während die anderen arm bleiben sollen. Warum die einen in reichen Ländern leben dürfen, während die anderen in armen Ländern müssen. Es gibt dann schlechterdings keinen Grund, warum diese Leute nicht hierher gehören sollten. Sie haben dasselbe Recht, hier zu sein, wie jeder andere.
Nur wer das System der Ausbeutung, Zerstörung und Verblödung schützen will, kann bestrebt sein, die Grenzen gegen Zuwanderer zu „schützen“. Nicht dass die Flüchtlinge lauter Antikapitalisten wären; im Gegenteil, sie wollen ein winziges Stück vom nach kapitalistischem Rezept gebackenen Kuchen abhaben. Aber ihre bloße Existenz, ihr Ankommen, ihr Zugegensein ist eine ständige Mahnung, dass das System dumm und böse ist, das zwischen ihnen und „uns“ Grenze zieht, viele Grenzen, und diese Grenzen wachsender Wut und Tötungsbereitschaft gegen jede Infragestellung verteidigt.
Diese Menschen gehören nicht hierher? Doch. Aber das System muss weg. Unbedingt.