Sonntag, 19. März 2017

Anmerkung zu „Aschermittwoch“ (3)

Ich habe auf die Goldene Regel verwiesen. Bei dieser geht es nicht um Reziprozität. Weder konditional („Wenn du so und so handelst, werde ich so und so handeln“) noch kausal („Weil du so und so handelst, handle ich so und so“). Sondern es geht darum, gleichsam vom anderen her zu denken: Wenn ich an deiner Stelle wäre, wie möchte ich von dir behandelt werden? Nun kann man einwenden, dass es doch Menschen gibt, die misshandelt, ausgebeutet, missachtet werden wollen. Wenn also einer sagt: Ich möchte von dir schlecht behandelt werden, also darf ich dich schlecht behandeln — befolgt der nicht auch die Goldene Regel? Nein, denn wer sich selbst nicht achtet, kann den anderen nicht achten und darum nicht wirklich vom anderen her denken. Wer die eigene Freiheit nicht will, kann nicht frei wollen. Ohne freien Willen und ohne Achtung vor dem anderen ist aber die Anwendung der Goldenen Regel ebenso wenig sinnvoll möglich wie ohne Vernunftgebrauch. Die Goldene Regel, die der Kern jeder Ethik ist, setzt sozusagen einen unbeschädigten Menschen voraus, der sich und anderen keinen Schaden zufügen will. Setzt ihn jedenfalls insoweit voraus, als er die Regel frei, vernünftig und achtsam anwenden können muss. Wenn also jemand, aus welchen Gründen auch immer, ethische Regeln nicht verstehen oder befolgen kann, spricht das nicht gegen diese Regeln.

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