Donnerstag, 28. August 2014

Glosse XVII

Die Schreibweise messaliance, die ich unlängst irgendwo las, hat durchaus etwas für sich. Sie erinnert an Valeria Messalina, die dritte Gemahlin von Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus, der als Kaiser Claudius in die Geschichte eingegangen ist; eine gelungene Verbindung war diese Ehe nun wirklich nicht. Vielleicht möchte man auch „mess“ und „alienation“ assoziieren (englisch für Unordnung, Schlamassel, Schweinerei" und „Entfremdung, Verstimmtheit, Geisteskrankheit“). Im Wörterbuch allerdings steht lediglich „mésalliance“.

Montag, 18. August 2014

Glosse XVI

Finde es immer wieder hübsch, wenn bei irgendwem irgendwas an den Nerven zerrt. Ein kräftiges Bild: Etwas zerrt, etwas spannt sich — bis es womöglich reißt. Trotzdem bin ich selbstverständlich reaktionär genug, um jedes Mal zu denken: Richtig hieße es aber „zehren“.

Freitag, 15. August 2014

Über ein politisches Gespräch ohne Politik

Elmar Kraushaar und Alfonso Pantisano haben sich unterhalten. Dirk Ludigs hat das moderiert. Und queer.de hat es dokumentiert. Bei dem Gespräch war von viel Verschiedenem die Rede: Russland, Straßendemos, Journalismus, Establishment, Staatsknete, Spendengelder, Aufmerksamkeit, Organisation, Eitelkeit, „CSD“, Community, Hinterzimmer, Verantwortung, Erfolg. Wovon nicht die Rede war, war Politik. Das Wort fiel zwar, aber seltsamerweise blieb es dabei nahezu inhaltsleer.
Das ist deshalb seltsam, weil Kraushaars Vorwurf, das Engagement von „Enough is enough“, dessen Vertreter Pantisano ist, entbehre der „verbindlichen Inhalte“ — und der zu Recht gerühmte und zu Unrecht angefeindete Text, in dem das steht, war doch offensichtlich der Anlass für das hier besprochene Gespräch — dass also Kraushaars Vorwurf an „Enough is enough“ ja wohl nicht darin besteht, es gäbe dort keine Politik, keine politischen Effekte (denn schließlich ist bekanntlich alles immer irgendwie politisch), sondern, wie ich annehme, so verstanden werden darf, dass es an einem Konzept dafür fehlt, was man wie erreichen will, und zwar ausdrücklich über die aktuelle Aktion und die sie begleitenden Affekte hinaus.
Es reden also zwei bis drei Männer über Politik, aber nur über deren Erscheinungsbild und die Attraktivität desselben, nicht jedoch darüber, um welche Politik mit welchen Zielen es sich eigentlich handelt, handeln kann, handeln soll.
Ist denn aber das politische Programm, zu dessen Umsetzung Schwule (und Lesben und …) sich zusammenfinden, wirklich so selbstverständlich, dass es stillschweigend vorausgesetzt werden kann? Mir scheint das nicht so.
An einer Stelle allerdings kommt Pantisano sehr wohl auf sein Politikverständnis zu sprechen. „Es ist politisch, wenn ich mit meinem Mann Hand in Hand durch die Stadt laufe, wenn wir uns küssen, wenn ich einen Regenbogen-Button trage. Das ist eine klare Aussage.“
Aber ja doch, klar wie Gulaschsuppe … (Jedenfalls für mich. Vielleicht verstehen andere sofort was gemeint ist. Auch das würde mich besorgt machen.)
Ich will hier gar keine Polemik gegen die Regenbogensymbolik anfangen — deren Sinn sich mir nie erschlossen hat und die ich als ein unschönes Gegenstück zu Nationalsymbolik wahrnehme —, sondern mich auf die Sache mit dem Händchenhalten und Küssen konzentrieren: Was um Himmels willen ist daran politisch?
Pantisano scheint völlig zu entgehen, dass es in vielen Gegenden dieser Welt eine Selbstverständlichkeit ist, dass zwei einander freundschaftlich zugetane Männer in der Öffentlichkeit Hand in Hand gehen. Das gilt bekanntlich auch und gerade eine gerade in Ländern, in denen das Strafrecht homosexuelle Handlungen verbietet. Im arabischen Raum, in Teilen Afrikas und Asiens nimmt niemand händchenhaltende Männer als „Homosexuelle“ wahr, und wenn doch, dann unter westlichem Einfluss. Im Westen nämlich ist die Kultur der Freundschaft unter (jungen) Männern, zu der ganz selbstverständlich Umarmungen, Küsse und leidenschaftliche Liebesbeteuerungen gehörten — man denke nur an den Freundschaftskult des 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts —, längst völlig zerstört worden.
Die angeblich klare „politische“ Aussage, die also angeblich gemacht wird, wenn Pantisano (mir stolzem Regenbogenbutton an der Brust) mit einem Mann Hand in Hand und küssend durch die Stadt läuft, lässt sich demnach wohl so ausformulieren: Solche Intimitätsbekundungen müssen als Ausdruck unseres homosexuellen Wesens gedeutet werden. Nichthomosexuelle Männern können oder dürfen ihrer Zuneigung solchen Ausdruck nicht geben. Wir haben öffentliche Intimität unter Männern neu kodiert. War sie früher etwas Selbstverständliches, das allen Männern offen stand, so ist sie jetzt etwas, was nur Schwulen zukommt, die darum das Recht darauf, wo es in Frage gestellt wird, einfordern und durchsetzen müssen.
Da Pantisano (und seine mutmaßlichen Gesinnungsgenossen), wenn sie denn so denken, nur vermitteln, was unter den gegebenen Bedingungen westlicher Gesellschaften gültiger Standard ist, kann von ihrem Handeln, wenn es denn auf die Verwirklichung der ihnen von mir nachgesagten Überzeugungen abzielt, als von irgendeiner emanzipatorischer Politik keine Rede sein. Noch viel schlimmer ist allerdings, dass unter dem Deckmantel von „Solidarität“ mit Menschen außerhalb Westeuropas und Nordamerikas, die ihr Selbstverständnis als Homosexuelle bereits nach dem westlichen Homosexualitätsbegriff gemodelt haben, eben dieses Konzept einer Homosexualität, die nicht universelle Empfindungs- und Handlungsmöglichkeit jedes Menschen ist, sondern Eigentümlichkeit einer Minderheit, dass also dieses ausschließende, einengende, die Gesamtgesellschaft enthomosexualisierende Modell auch anderen Weltgegenden aufgedrängt werden soll.
Statt den westlichen Weg einer Quasi-Ethnisierung der Homosexuellen als einer von den Heterosexuellen klar geschiedenen Gruppe mit besonderen Bedürfnissen, Traditionen, Rechten und Orten als den Irrweg zu begreifen, der er ist, soll er als der einzig denkbare Weg aller Welt vorgeschrieben werden.
Die Reduktion von Homosexualität auf das Homosexuellsein von Homosexuellen hat, wie einschlägige Erhebungen belegen, zu einem Rückgang gleichgeschlechtlicher Erfahrungen bei Menschen, die sich selbst Etiketten wie „schwul“; „lesbisch“ oder „LGBTIQsternchen“ nicht aufpappen würden, geführt. Konzepte wie „coming out“ und „Sichtbarkeit“, die einmal emanzipatorischen Sinn hatten, weil sie gegen Unsichtbarkeit, Versteckspiel und Selbstmissverständnisse aufbegehrten, haben diesen ihren emanzipatorischen Sinn längst verloren, indem sie Teil der kulturellen Selbstverständlichkeit der Mehrheitsgesellschaft wurden. Ein Schwuler kann es sich heute nicht mehr leisten, irgendjemanden über seine „Identität“ im Unklaren zu lassen, er würde als verklemmt, selbsthasserisch und unehrlich diffamiert. Homosexuellsein ist keine Privatsache, sondern ein bekannt zu gebendes Merkmal, auf dass niemand, der „so“ ist, mit einem Heterosexuellen verwechselt werden kann. Es ist, so die Botschaft, okay, wenn du schwul bist, aber nur, wenn du zugibst, dass du es bist, wenn du dazu stehst, wenn du dich identifizierbar machst. Die Folge ist, dass Menschen, denen der Sinn nicht nach einer solchen Identität steht, es sich zweimal überlegen müssen, ob sie gewisse Gefühle zulassen, gewisse Handlungen wagen können. Jugendliche heute haben keine Chance mehr auf eine diskrete „Phase“ des Ausprobierens, sie wurden schon im Kindergartenalter darauf gedrillt, entweder heterosexuell zu sein oder, auch das ist okay, homosexuell, aber bitte entweder oder. Homosexualität als Homosexuellsein von Homosexuellen wird zur Sache einer Minderheit, die hübsch unter sich bleiben soll, während die Mehrheit, endlich von der Infragestellung durch Homosexualität befreit, ungestört weitermachen kann wie bisher
Diese grobe Skizze soll erklären, warum ich das westliche Homosexualitätskonzept für schädlich halte und ablehne. Dies wiederum ist der Grund, warum ich eine Politik ablehne, die, bewusst oder unbewusst, die Durchsetzung dieses enthomosexulaisierenden Konzeptes betreibt. Im Konkreten kann man sich leicht einig werden: Selbstverständlich ist Gewalt und Diffamierung, geschähen sie privat oder von Staats wegen, von Menschen, die sich homosexuell betätigen oder das wollen, abzulehnen, anzuklagen und zu bekämpfen. Das steht außer Frage. Aber es ist zweierlei, ob man das als Verwirklichung der Sonderrechte von Homosexuellen versteht oder als aber als Eintreten für ein allgemeines Menschenrecht. Warum? Weil es nicht nur um das Naheliegende, schon gar nicht immer nur um die „eigenen Leute“ geht, sondern um das gesellschaftliche Zusammenleben im Ganzen.
Emanzipatorische Politik besteht meinem Verständnis nach nicht darin, Menschen nach bestimmten Kategorien einteilen zu lassen und zu akzeptieren, dass ihnen bestimmte Nischen als Lebensräume zugewiesen werden, dass also zum Beispiel Homosexuelle „LSGBTIQsternchen-Rechte“ erhalten, die sie von Nichthomosexuellen absondern. Sondern emanzipatorische Politik hätte darin zu bestehen, dass jeder Mensch unabhängig von seiner sexuellen Orientierung dieselben Rechte hat.
Von solchen politischen Inhalten war bei Kraushaar, Pantisano, Ludigs nicht die Rede. Schade, sehr schade.