Als Kommentar unter einem Artikel
von „Spiegel online“ (über die Verurteilung des russischen Vereins
„Wichod“ nach dem „Agentengesetz“) fand ich dies: „Homosexualität ist
keine Krankheit, und schon gar nicht heilbar. Wer schwul ist, ist
schwul. Und wer nicht, ist eben Hetero. Weder das Eine noch das Andere
kann man sich aussuchen, man ist eben einfach entsprechend veranlagt.
Zwar merkt man evtl. erst später, welches Geschlecht einen wirklich
anzieht, aber aussuchen kann man sich das nicht. Bei den Anfeindungen,
denen Homosexuelle ausgesetzt sind, würde sich doch ein vernünftiger
Mensch, wenn es denn möglich wäre, die heterosexuelle Orientierung
aussuchen.“
Der Kommentar ist nicht namentlich gezeichnet (nur mit einer Mailadresse). Es ist für meine Zwecke aber auch völlig egal, wie der Autor oder die Autorin heißt, welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung die verfassende Person hat. Mir gefällt der Text, weil er so klar und schnörkellos die in vielen, wenn auch keineswegs allen gegenwärtigen Gesellschaften herrschende Auffassung von Homosexualität formuliert. Eben diese Auffassung möchte ich im Folgenden kritisieren.
„Wer schwul ist, ist schwul. Und wer nicht, ist eben Hetero.“ Ist dem so? Gibt es sie wirklich, die beiden von einander deutlich abgrenzbaren Bevölkerungsteile „Schwule“ (bzw. „Lesbenundschwule“) und „Heteros“? Immerhin ist es üblich, auch noch eine dritte Existenzform anzuerkennen, „Bisexuelle“ genannt. Die freilich in öffentlichen Debatten niemals eine Rolle spielt. Oder hat man je eine Diskussion über „Bisexuellen-Ehe“ und das Recht von Bisexuellen auf Adoption vernommen? Das hat selbstverständlich damit zu tun, dass es dem allgemeinen Verständnis zufolge schlichtweg kein „bisexuelles Paar“ geben kann. (Sofern man, was im Allgemeinen der Fall ist, von klar abgegrenzten Identitäten „Mann“ oder „Frau“ ausgeht.) Was es allenfalls geben kann, wären „Paare von Bisexuellen“. Aber das ist zu differenziert gedacht. Für gewöhnlich wird nämlich auch „heterosexuelles Paar“ mit „Paar aus Heterosexuellen“ und „homosexuelles Paar“ mit „Paar aus Homosexuellen“ gleichgesetzt. Als ob das selbstverständlich wäre.
Ist es jedoch nicht. Ebenso wenig wie die Einteilung in in bloß zwei Kategorien: „hetero“ und „homo“ (und, wie gesagt, die marginale Überschneidungskategorie „bi“). Zur Erinnerung: Der Sexualforscher Alfred Kinsey hatte bei seinen Erhebungen und deren Auswertung noch ein zwar ebenfalls sehr simples, aber wenigstens ansatzweise differenzierendes Modell angewandt: ausschließlich heterosexuell, ganz überwiegend heterosexuell, eher heterosexuell, gleichermaßen hetero- wie homosexuell, eher homosexuell, ganz überwiegend homosexuell, ausschließlich homosexuell. Es ist offensichtlich, dass man mit einem solchen Schema, so ungenügend es sein mag, der Lebenswirklichkeit von Menschen näher kommt als mit einer bloßen Zweiteilung, die dann suggeriert, es stünden sich exklusiv Heterosexuelle und exklusiv Homosexuelle gegenüber.
Das Dogma lautet: Man ist entweder schwul oder man ist es nicht. Für Heteros gilt umgekehrt dasselbe. Differenzierungen interessieren nicht. Das ist das vorherrschende Bild. Indem so getan wird, als gäbe es nur Exklusiv-Homosexuelle und Exklusiv-Heterosexuelle (und dazwischen eine nicht weiter beachtenswerte Gruppe von Unentschiedenen), wird die Vorstellung begünstigt, Homosexualität bzw. Heterosexualität sei eine „innere Wahrheit“, die das Individuum, für das sie gilt, bloß entdecken und — am besten öffentlich — anerkennen muss, um ganz es selbst zu sein.
Die Funktion, die eine solche Ideologie hat, ist offensichtlich: Wenn Homosexualität nicht mehr eine jedem Menschen mögliche Weise des Begehrens und Handelns ist, sondern nur noch als Homosexuellsein der Homosexuellen verstanden werden kann, dann sind die Heterosexuellen endlich von der Homosexualität befreit. Sie haben einfach nichts mehr damit zu tun. Homosexualität ist etwas, was ausschließlich Homosexuelle betrifft. Und homosexuell sind Heterosexuelle ja per definitionem nicht — also ist ihre nichthomosexuelle Heterosexualität perfekt, abgeschlossen und rein.
Das moderne Homosexualitätskonzept lagert Homosexualität aus der Mehrheit aus und verbannt sie in eine Minderheit. Zu der kann man dann auch freundlich sein. Was soll man auch gegen Homosexuelle haben, wenn sie doch so brav unter sich bleiben? Nur in „rückständigen“ Gesellschaften, die homosexuelle Betätigung nicht als angeborenen und unveränderlichen Ausdruck der innersten Wahrheit einer Person begreifen, sondern als Sünde, Laster, Krankheit oder Verbrechen, muss noch gegen Verführung oder Ansteckung vorgegangen werden. Liberale Gesellschaften hingegen wissen sich von der Bedrohung durch Homosexualität befreit (einige unverbesserliche, meist religiös motivierte Reaktionäre hinken dem noch hinterher, aber die sind in einer liberalen Gesellschaft ohnehin nur ungern gesehen). Die Gefahr ist gebannt. Vor einer Homosexualität, die nur noch die betrifft, die gar nicht anders können, geht keine Beunruhigung oder Verstörung mehr aus. Es ist halt eine Laune der Natur. Wie Linkshändigkeit oder Albinismus.
„Ich habe mir meine Homosexualität nicht ausgesucht“ und „I’m born this way“ lauten von Seiten der Schwulen die dazu passenden Rechtfertigungsformeln. So richtig es ist, nicht nach Ursachen von Homosexualität forschen zu wollen, so lange die Ursachen für Heterosexualität nicht erforscht werden können, weil diese mit Sexualität schlechthin identifiziert wird und als natürlich gilt, so falsch ist es, mit der Zurückweisung jeder Entscheidungsfreiheit und unter Berufung auf Angeborensein implizit einer genetischen Verankerung das Wort zu reden.
Wer solchem mehr oder minder stillschweigendem Biologismus huldigt, begibt sich auf dünnes Eis. Erstens ist trotz aller Bemühung (und entgegen umlaufenden Gerüchten) nichts gefunden worden, was eine Ableitung homosexueller Präferenz aus irgendwelchen körperlichen Gegebenheiten plausibel macht, geschweige denn zwingend nahelegt. Zweitens kann, was als Entschuldigung gedacht ist, jederzeit auch als Beschuldigung gemeint sein, denn vom Verständnis von Homosexualität als natürliche Variante zum Vorwurf der Degeneration und Missbildung ist es nur ein Schritt. Und drittens wird ein solches (implizites oder explizites) biologisches (Homo-)Sexualitätsmodell der Komplexität von kulturell geformten Sozialbeziehungen und gesellschaftlichen Verhältnissen nicht einmal annäherungsweise gerecht. Begehren und Lust, Intimität und Bindung, Selbstverständnis und Institutionalisierung sind doch wesentlich kompliziertere Angelegenheiten als etwa die Haarfarbe.
Aber die Doktrin vom Angeborensein ist durchaus sinnstiftend. Wenn auch bloß negativ. Kann nämlich homosexuelles Verhalten in keiner Weise mehr als etwas verstanden werden, für das man sich entschieden hat, ist nicht nur keine Kritik an Homosexualität mehr möglich, sondern auch keine Kritik durch Homosexualität. Dann ist auch — und das dürfte der Grund für den Erfolg dieses Konzeptes sein — Heterosexualität völlig unkritisierbar. Die Verhältnisse sind, wie sie sind, und wie sie sind, ist vorgegeben.
Die Normalisierung von Homosexualität läuft auf eine Naturalisierung von Heterosexualität hinaus. Diese hat dann mehr denn je das Recht, sich durchzusetzen. Wenn es für Homosexuelle, aber auch nur für sie, normal und richtig ist, sich homosexuell zu betätigen, dann ist es für Nichthomosexuelle umso unangebrachter. So etwas wie Jugendhomosexualität, also die berüchtigte „homoerotische Phase“, ist auf dem Rückzug. Studien belegen eine enormen Rückgang gleichgeschlechtlicher Erfahrungen bei Jugendlichen. Der Grund ist klar: Wenn homosexuelle Empfindungen und Handlungen als Ausdruck einer zu Grunde liegenden homosexuellen Identität interpretiert werden müssen — und sie müssen es umso mehr, je offener darüber geredet werden kann —, werden in dem Maße, in dem die Identität als unpassend empfunden wird („Ich bin nicht so“), auch bestimmte Handlungen unerwünscht („So etwas mache ich nicht“). Anders gesagt: Wer irgendwann einmal ein richtiger Heterosexueller sein will, schottet sich besser beizeiten gegen die bloße Möglichkeit ab, er könne es irgendwann irgendwie nicht gewesen sein.
Wie es der anonyme Verfasser oder die anonyme Verfasserin des eingangs zitierten Leserbriefs so schön formuliert hat: „Zwar merkt man evtl. erst später, welches Geschlecht einen wirklich anzieht, aber aussuchen kann man sich das nicht.“ Das meint: Es gibt ein eigentliches Begehren und das ist entweder auf das eine oder das andere Geschlecht gerichtet, alles andere ist Irrtum. Den gilt es zu vermeiden. Das gelingt nicht immer, aber in der Regel Heterosexuellen besser als Homosexuellen.
Der Grund, warum, dem Leserbriefschreiber oder der Leserbriefschreiberin zufolge, es sich nicht um eine Wahl handeln kann, scheint einleuchtend: Da Heterosexualität beliebter ist als Homosexualität, wäre man verrückt, sich letztere auszusuchen. Schwul ist nur, wer gar nicht anders kann, so sehr er vielleicht wollte, wenn er es sich aussuchen könnte.
Damit wird der Primat der Heterosexualität einmal mehr naturalisiert. Es ist einfach so, das Heterosexualität das ist, was jeder haben will. Homosexualität wäre unvernünftig, wenn sie nicht unvermeidlich, weil natürlich wäre. Nur Heterosexualität ist im Grunde vernünftig, normal und natürlich zugleich. Nach ihr bemisst sich, wie akzeptabel etwas anderes ist. Damit ist sie etwas, was nicht begründet werden muss, was vielmehr von sich aus Norm ist und was darum nicht kritisiert werden kann. Schon gar nicht durch Homosexuelle.
Ohne es auch nur zu bemerken, bringen somit die, die „Toleranz“ fordern oder gewähren, weil Homosexualität wie Heterosexualität nichts sei, was man sich aussuche und nichts, was ändern oder gar loswerden könne, jede Möglichkeit zur Kritik an den bestehenden Verhältnissen zum Verschwinden. Solche „Toleranz“ mag dem Einzelnen, dem sie entgegengebracht wird, den einen oder anderen Vorteil bringen, für die Möglichkeit, die Machtverhältnisse zu kritisieren, in denen und durch die etwas als natürlich, rational, normativ gilt, ist derlei verheerend.
Der Kommentar ist nicht namentlich gezeichnet (nur mit einer Mailadresse). Es ist für meine Zwecke aber auch völlig egal, wie der Autor oder die Autorin heißt, welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung die verfassende Person hat. Mir gefällt der Text, weil er so klar und schnörkellos die in vielen, wenn auch keineswegs allen gegenwärtigen Gesellschaften herrschende Auffassung von Homosexualität formuliert. Eben diese Auffassung möchte ich im Folgenden kritisieren.
„Wer schwul ist, ist schwul. Und wer nicht, ist eben Hetero.“ Ist dem so? Gibt es sie wirklich, die beiden von einander deutlich abgrenzbaren Bevölkerungsteile „Schwule“ (bzw. „Lesbenundschwule“) und „Heteros“? Immerhin ist es üblich, auch noch eine dritte Existenzform anzuerkennen, „Bisexuelle“ genannt. Die freilich in öffentlichen Debatten niemals eine Rolle spielt. Oder hat man je eine Diskussion über „Bisexuellen-Ehe“ und das Recht von Bisexuellen auf Adoption vernommen? Das hat selbstverständlich damit zu tun, dass es dem allgemeinen Verständnis zufolge schlichtweg kein „bisexuelles Paar“ geben kann. (Sofern man, was im Allgemeinen der Fall ist, von klar abgegrenzten Identitäten „Mann“ oder „Frau“ ausgeht.) Was es allenfalls geben kann, wären „Paare von Bisexuellen“. Aber das ist zu differenziert gedacht. Für gewöhnlich wird nämlich auch „heterosexuelles Paar“ mit „Paar aus Heterosexuellen“ und „homosexuelles Paar“ mit „Paar aus Homosexuellen“ gleichgesetzt. Als ob das selbstverständlich wäre.
Ist es jedoch nicht. Ebenso wenig wie die Einteilung in in bloß zwei Kategorien: „hetero“ und „homo“ (und, wie gesagt, die marginale Überschneidungskategorie „bi“). Zur Erinnerung: Der Sexualforscher Alfred Kinsey hatte bei seinen Erhebungen und deren Auswertung noch ein zwar ebenfalls sehr simples, aber wenigstens ansatzweise differenzierendes Modell angewandt: ausschließlich heterosexuell, ganz überwiegend heterosexuell, eher heterosexuell, gleichermaßen hetero- wie homosexuell, eher homosexuell, ganz überwiegend homosexuell, ausschließlich homosexuell. Es ist offensichtlich, dass man mit einem solchen Schema, so ungenügend es sein mag, der Lebenswirklichkeit von Menschen näher kommt als mit einer bloßen Zweiteilung, die dann suggeriert, es stünden sich exklusiv Heterosexuelle und exklusiv Homosexuelle gegenüber.
Das Dogma lautet: Man ist entweder schwul oder man ist es nicht. Für Heteros gilt umgekehrt dasselbe. Differenzierungen interessieren nicht. Das ist das vorherrschende Bild. Indem so getan wird, als gäbe es nur Exklusiv-Homosexuelle und Exklusiv-Heterosexuelle (und dazwischen eine nicht weiter beachtenswerte Gruppe von Unentschiedenen), wird die Vorstellung begünstigt, Homosexualität bzw. Heterosexualität sei eine „innere Wahrheit“, die das Individuum, für das sie gilt, bloß entdecken und — am besten öffentlich — anerkennen muss, um ganz es selbst zu sein.
Die Funktion, die eine solche Ideologie hat, ist offensichtlich: Wenn Homosexualität nicht mehr eine jedem Menschen mögliche Weise des Begehrens und Handelns ist, sondern nur noch als Homosexuellsein der Homosexuellen verstanden werden kann, dann sind die Heterosexuellen endlich von der Homosexualität befreit. Sie haben einfach nichts mehr damit zu tun. Homosexualität ist etwas, was ausschließlich Homosexuelle betrifft. Und homosexuell sind Heterosexuelle ja per definitionem nicht — also ist ihre nichthomosexuelle Heterosexualität perfekt, abgeschlossen und rein.
Das moderne Homosexualitätskonzept lagert Homosexualität aus der Mehrheit aus und verbannt sie in eine Minderheit. Zu der kann man dann auch freundlich sein. Was soll man auch gegen Homosexuelle haben, wenn sie doch so brav unter sich bleiben? Nur in „rückständigen“ Gesellschaften, die homosexuelle Betätigung nicht als angeborenen und unveränderlichen Ausdruck der innersten Wahrheit einer Person begreifen, sondern als Sünde, Laster, Krankheit oder Verbrechen, muss noch gegen Verführung oder Ansteckung vorgegangen werden. Liberale Gesellschaften hingegen wissen sich von der Bedrohung durch Homosexualität befreit (einige unverbesserliche, meist religiös motivierte Reaktionäre hinken dem noch hinterher, aber die sind in einer liberalen Gesellschaft ohnehin nur ungern gesehen). Die Gefahr ist gebannt. Vor einer Homosexualität, die nur noch die betrifft, die gar nicht anders können, geht keine Beunruhigung oder Verstörung mehr aus. Es ist halt eine Laune der Natur. Wie Linkshändigkeit oder Albinismus.
„Ich habe mir meine Homosexualität nicht ausgesucht“ und „I’m born this way“ lauten von Seiten der Schwulen die dazu passenden Rechtfertigungsformeln. So richtig es ist, nicht nach Ursachen von Homosexualität forschen zu wollen, so lange die Ursachen für Heterosexualität nicht erforscht werden können, weil diese mit Sexualität schlechthin identifiziert wird und als natürlich gilt, so falsch ist es, mit der Zurückweisung jeder Entscheidungsfreiheit und unter Berufung auf Angeborensein implizit einer genetischen Verankerung das Wort zu reden.
Wer solchem mehr oder minder stillschweigendem Biologismus huldigt, begibt sich auf dünnes Eis. Erstens ist trotz aller Bemühung (und entgegen umlaufenden Gerüchten) nichts gefunden worden, was eine Ableitung homosexueller Präferenz aus irgendwelchen körperlichen Gegebenheiten plausibel macht, geschweige denn zwingend nahelegt. Zweitens kann, was als Entschuldigung gedacht ist, jederzeit auch als Beschuldigung gemeint sein, denn vom Verständnis von Homosexualität als natürliche Variante zum Vorwurf der Degeneration und Missbildung ist es nur ein Schritt. Und drittens wird ein solches (implizites oder explizites) biologisches (Homo-)Sexualitätsmodell der Komplexität von kulturell geformten Sozialbeziehungen und gesellschaftlichen Verhältnissen nicht einmal annäherungsweise gerecht. Begehren und Lust, Intimität und Bindung, Selbstverständnis und Institutionalisierung sind doch wesentlich kompliziertere Angelegenheiten als etwa die Haarfarbe.
Aber die Doktrin vom Angeborensein ist durchaus sinnstiftend. Wenn auch bloß negativ. Kann nämlich homosexuelles Verhalten in keiner Weise mehr als etwas verstanden werden, für das man sich entschieden hat, ist nicht nur keine Kritik an Homosexualität mehr möglich, sondern auch keine Kritik durch Homosexualität. Dann ist auch — und das dürfte der Grund für den Erfolg dieses Konzeptes sein — Heterosexualität völlig unkritisierbar. Die Verhältnisse sind, wie sie sind, und wie sie sind, ist vorgegeben.
Die Normalisierung von Homosexualität läuft auf eine Naturalisierung von Heterosexualität hinaus. Diese hat dann mehr denn je das Recht, sich durchzusetzen. Wenn es für Homosexuelle, aber auch nur für sie, normal und richtig ist, sich homosexuell zu betätigen, dann ist es für Nichthomosexuelle umso unangebrachter. So etwas wie Jugendhomosexualität, also die berüchtigte „homoerotische Phase“, ist auf dem Rückzug. Studien belegen eine enormen Rückgang gleichgeschlechtlicher Erfahrungen bei Jugendlichen. Der Grund ist klar: Wenn homosexuelle Empfindungen und Handlungen als Ausdruck einer zu Grunde liegenden homosexuellen Identität interpretiert werden müssen — und sie müssen es umso mehr, je offener darüber geredet werden kann —, werden in dem Maße, in dem die Identität als unpassend empfunden wird („Ich bin nicht so“), auch bestimmte Handlungen unerwünscht („So etwas mache ich nicht“). Anders gesagt: Wer irgendwann einmal ein richtiger Heterosexueller sein will, schottet sich besser beizeiten gegen die bloße Möglichkeit ab, er könne es irgendwann irgendwie nicht gewesen sein.
Wie es der anonyme Verfasser oder die anonyme Verfasserin des eingangs zitierten Leserbriefs so schön formuliert hat: „Zwar merkt man evtl. erst später, welches Geschlecht einen wirklich anzieht, aber aussuchen kann man sich das nicht.“ Das meint: Es gibt ein eigentliches Begehren und das ist entweder auf das eine oder das andere Geschlecht gerichtet, alles andere ist Irrtum. Den gilt es zu vermeiden. Das gelingt nicht immer, aber in der Regel Heterosexuellen besser als Homosexuellen.
Der Grund, warum, dem Leserbriefschreiber oder der Leserbriefschreiberin zufolge, es sich nicht um eine Wahl handeln kann, scheint einleuchtend: Da Heterosexualität beliebter ist als Homosexualität, wäre man verrückt, sich letztere auszusuchen. Schwul ist nur, wer gar nicht anders kann, so sehr er vielleicht wollte, wenn er es sich aussuchen könnte.
Damit wird der Primat der Heterosexualität einmal mehr naturalisiert. Es ist einfach so, das Heterosexualität das ist, was jeder haben will. Homosexualität wäre unvernünftig, wenn sie nicht unvermeidlich, weil natürlich wäre. Nur Heterosexualität ist im Grunde vernünftig, normal und natürlich zugleich. Nach ihr bemisst sich, wie akzeptabel etwas anderes ist. Damit ist sie etwas, was nicht begründet werden muss, was vielmehr von sich aus Norm ist und was darum nicht kritisiert werden kann. Schon gar nicht durch Homosexuelle.
Ohne es auch nur zu bemerken, bringen somit die, die „Toleranz“ fordern oder gewähren, weil Homosexualität wie Heterosexualität nichts sei, was man sich aussuche und nichts, was ändern oder gar loswerden könne, jede Möglichkeit zur Kritik an den bestehenden Verhältnissen zum Verschwinden. Solche „Toleranz“ mag dem Einzelnen, dem sie entgegengebracht wird, den einen oder anderen Vorteil bringen, für die Möglichkeit, die Machtverhältnisse zu kritisieren, in denen und durch die etwas als natürlich, rational, normativ gilt, ist derlei verheerend.
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