Alt, aber gar nicht mal so übel: Auch nach über 20 Jahren finde ich meinen (an meinem Netzort wieder zugänglich gemachten) Text „Liebe Männer. Bemerkungen zur männlichen Homosexualität“ durchaus noch lesenswert.
(Der Titel ist selbstverständlich eine Hommage an das Buch „Männer.Liebe. Ein Handbuch für Schwule und alle, die es werden wollen“
von Matthias Frings und Elmar Kraushaar aus dem Jahr 1982). „Liebe
Männer“ war der erste Text, den ich zum Thema Homosexualität
publizierte.
Dieser Tage, mehr als vingt ans après, habe ihn nach langer Zeit des Fastvergessens wiedergelesen und muss
in aller Bescheidenheit sagen: Er gefällt mir. Gewiss, heute
fiele wohl manche Formulierung anders aus, ich setzte mitunter andere
Akzente, wäre vielleicht weniger sprunghaft und zuweilen präziser. Aber
erstaunlicherweise muss ich mir, von heute aus gesehen, an keiner Stelle
völlig widersprechen, und ich bin durchaus angenehm davon berührt, dass
ich damals schon Motive und Themen ansprach, die mich noch heute
beschäftigen.
Heute würde ich sicherlich mehr Nachdruck darauf legen, dass der moderne Homosexualitätsbegriff ein Sein, einen Status, eine Identität meint, während die alten Wertungen Laster, Krankheit, Verbrechen usw. sich auf homosexuelle Handlungen bezogen. Ein Unterschied, der insofern relevant ist, weil durch das gegenwärtig hegemoniale Konzept Homosexualität auf das Homosexuellsein der Homosexuellen beschränkt wird, was gleichgeschlechtliche Empfindungen und Handlungen derer, die nicht „schwul“ (oder lesbisch) sind oder sein wollen, unsichtbar, undarstellbar, unaussprechlich macht. Vielleicht macht es sie sogar in hohem Maße unmöglich. (Sozialwissenschaftliche Untersuchungen weisen jedenfalls darauf hin; zwischen 1978 und 1998 gab es einer Studie zufolge bei männlichen Jugendlichen einen Rückgang homosexueller Erfahrungen um 90 Prozent.) Auf eine Formel gebracht: In den westlichen Gesellschaften sind Homosexuelle weitgehend emanzipiert, ihre Diskriminierung gilt als unanständig. Homosexualität jedoch, als eine jedem Menschen mögliche Erfahrung, ist alles andere als emanzipiert und wird — gerade durch die Beschränkung der Homosexualität auf das Homosexuellsein — in zuvor nie geahnter Weise ausgeschlossen und unterdrückt.
Unter diesem Aspekt fiele heute auch meine Kritik an den real existierenden „Lesbenundschwulen“, ihren (meist selbsternannten) RepräsentantInnen und der vorherrschenden Identitätspolitik noch weit schärfer aus als damals schon. Realistischerweise halte ich zwar das kritische, subversive, gar revolutuionäre Potenzial der Homosexuellen für gering, was aber nichts an der mir schlichtweg unabdingbaren Forderung ändert, das eigene Anderssein als Chance zu be- und ergreifen, die herrschenden Verhältnisse in Frage zu stellen und herauszufordern, statt sich auf Biegen und Brechen in das schlechte Bestehende integrieren zu wollen (Stichwort „Homo-Ehe“). Im Jahr 1991 waren die spießbürgerlichen Fehlentwicklungen der Homosexuellebewegung zwar längst absehbar, aber (vor allem in Österreich) noch längst nicht so anscheinend irreversibel etabliert wie heute.
Was ich sonst aus heutiger Sicht an dem alten Text zu revidieren hätte, sind lauter Kleinigkeiten. Die Geschichte der Homosexualitätsbegriffe und der Zusammenhang von Heterosexualität und Homosexualität scheint mir rückblickend etwas zu flott und mit einigen Gedankensprüngen geschrieben zu sein. Ich stand damals noch sehr am Anfang meiner Forschungen und hatte mehr zu sagen, als ich ausdrücken konnte.
Dass ich heute das quasifeministische, antipatriarchale Vokabular von 1991 so nicht verwenden wollte, braucht wohl kaum extra erwähnt zu werden. Es war den Umständen geschuldet. Denn „Liebe Männer“ erschien ja damals (Mai 1991) in „Wischi-Waschi. Die Männerzeitung“, 1. Jg., Nr. 1. Diese „Männerzeitung“ war ein aus einer 1989 an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien gegründeten Männergruppe hervorgegangenes Projekt von Studenten und Nichtstudenten, das von vornherein auf diese eine Nummer beschränkt war.
Später wurde der Text dann in einer von mir kaum veränderten Fassung (aber grauenvoll von lieblosem Layout und mangelnder Korrektur entstellt) im „Männerkalender 1992“ wieder abgedruckt. Das war übrigens das erste Mal, das etwas von mir Geschriebenes in so ziemlich allen Buchhandlungen des deutschen Sparchraumes auslag; zumindest stellte ich mir das so vor und werde dieses Gefühl, als ich das erste Exemplar jenes „Männerkalenders“ im Regal eines Buchladens sah, nie vergessen: Es war überwältigend wie ein Orgasmus.
Noch später hatte ich mit dem Text eine weitere interessante Erfahrung. Ich kaufte 1993 an einem Kiosk ein Exemplar der „Gay News“, einer in Ostdeutschland erscheinenden, aber überregionalen Zeitschrift. Ich blätterte darin herum, las dieses und jenes und stieß schließlich auf einen Artikel, bei dem ich mir dachte: Gut gedacht und gesagt, so ähnlich würde ich es durchaus auch geschrieben haben. Ich brauchte tatsächlich einige Minuten, bis ich verstand, dass es mein eigener Text war, den ich da las, ein (leider anonymisierter) mehrteiliger Wiederabdruck von „Liebe Männer“! Diese Anekdote hat mir seither oft dazu gedient, nachzuweisen, dass ich kein selbstverliebter, eitler Autor bin … Was mir trotzdem keiner glaubt.
Am besten an meinem alten Text „Liebe Männer“ gefällt mir übrigens der Epilog, den ich (wiederum eine Hommage, diesmal an Hubert Fichtes „Versuch über die Pubertät“) „Versuch über die Identität“ überschrieben hatte. Gleich im ersten Text, den ich über Homosexualität publizierte — und der von vielen meiner damaligen Bekannten und sicher auch einigen mir Unbekannten als eine Art schriftliches coming out missverstanden wurde — jede Identitätsverpflichtung zu verweigern, ohne deshalb eine kritische Solidarität aufkündigen zu wollen, also zwar eine gewisse Begrifflichkeit („schwul“ usw. usf.) auf sich selbst anzuwenden und anwenden zu lassen, diese Begrifflichkeit aber zugleich in Frage zu stellen und (ein Lieblingswort jener Zeit in jenem Milieu) zu „dekonstruieren“: Das war schon ein starkes Stück!
Der Stefan Broniowski von heute kann dem Stefan Broniowski von damals also seinen intellektuellen und politischen Respekt nicht versagen. Trotz aller Unzulänglichkeiten, trotz all der Irrtümer und Neuanfänge, die das Leben ausmachen, trotz aller notwendigen Selbstkritik, tut es doch manchmal gut, derselbe Mensch geblieben zu sein. Und für den Fall, dass kein anderer mir das sagt, habe ich es hier schon mal selbst gesagt.
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