Sonntag, 13. Februar 2011

Liberation Square

Seltsam. Wann immer mich etwas ärgert, finde ich Worte, um mir Luft zu verschaffen. Wenn mich hingegen etwas freut, habe ich eigentlich nicht, das Bedürfnis, etwas zu sagen. Aber ein paar Gedankensplitter notiere ich doch.

Als Übersetzung von midan at-tahrir wirkt liberation square viel poetischer als Platz der Befreiung. Zumal der Platz gar nicht quadratisch zu sein scheint und — wenn ihn nicht gerade demonstrierende Menschen bevölkern — einen Kreisverkehr enthält. Dessen Mittelinsel ja die eindrucksvolle kleine Zeltstadt beherbergt hat: temporäres Monument eines Aufstandes.

Was habe ich da eigentlich gesehen, Tag für Tag vor Fernseher und Rechner sitzend? Eine Revolution? Wohl kaum. Die Strukturen sind noch dieselben wie zuvor. Was sich verändert haben könnte, ist die Einstellung der Leute. Viele haben, zum Teil unter Einsatz von Leib und leben, etwas gewollt und gewagt und sogar etwas erreicht: Mubarak ist weg vom Fenster. Was jetzt kommt, weiß keiner. Aber etwas Neues hat begonnen. Was?

Vielleicht passt der Ausdruck Intifada, Abschüttelung, am besten. Eine Bevölkerung hatte ihren Diktator satt und zwang ihn zum Rückzug.

Mich überraschte, dass mir, der ich Massenansammlungen nicht ausstehen kann, die Demonstrationen sympathisch waren. Die Menschen waren mir sympathisch. Warum überrascht mich das? Die wenigen Ägypter, mit denen ich bisher in irgendeiner Form persönlich zu tun hatte, waren alle ausnahmslos nette Menschen. Habe ich etwa unbewusst meine Abneigung gegen Ägyptentouristen auf die von diesen ausgebeutete Bevölkerung übertragen? Nun ja, Bevölkerungen, die Diktaturen lange ertragen, sind mir suspekt. Ihr Wille zur Abschüttelung hat mich aber jedenfalls völlig solidarisch an die Seite der demonstrierenden Ägypter gestellt.

Bleibt, bis er geht, bleibt, bis er geht, flehte ich jeden Tag vor dem Bildschirm. Warum? Mubarak ist mir schnuppe. Ein Diktator geht, andere bleiben. Jeder Staat ist repressiv. Die Demokratie, wenn sie denn kommt, wird auch keine Wunder wirken. Aber was mir gefiel, war die Leidenschaft der Demonstrierenden. Wütend, aber mit viel Witz und Humor. Und medial versiert. Gegen Facebook, Twitter und das Internet insgesamt kann man an westlichen Schreibtischen noch so viele Einwände haben, den Ägyptern haben sie genützt.

Im Westen  wurde zuletzt gern über Islamophobie diskutiert: Ob man von einer solchen sprechen dürfe oder nicht. Leider ist nicht anzunehmen, dass die Verächter der Araber und Hasser des Islam (insbesondere die unter den Ex- bzw. Neostalinisten) sich durch die revolutionären Akte von Kairo und Tunis eines Besseren belehren lassen.

„Allahu akbar“, rief einer über den Platz. „Allahu akbar“, respondierten viele Tausende. Ich war beeindruckt. Wann wurde bei einer Revolution zuletzt öffentlich gebetet?

Und die Sache mit den Schuhen: großartig! Als Mubarak in der lange angekündigten Fernsehansprache doch nicht endlich seinen Rücktritt bekannt gab, dachte ich: Oh weh, jetzt kommt es zur Eskalation, jetzt brennt Ägypten. Aber die Demonstranten waren genial, sie versuchten nicht, den Präsidentenpalast zu stürmen und ließen sich nicht dabei abschlachten. Sie zogen einfach ihre Schuhe aus, hielten sie in die Luft und zeigten so ihre äußerste Verachtung. Dananch floh Mubarak schließlich.

Bemerkenswert der Wandel mancher „Experten“, insbesondere der Korrespondenten. Als nach Tunesien auch in Ägypten der Volkszorn erwachte, erklärte man, das habe kaum Chancen auf Erfolg, zu fest sitze Mubarak im Sattel, zu gut organisiert sei der Sicherheitsapparat. Zuletzt aber, als die Demonstranten sich durchgesetzt hatten, konnten viele Reporter ihre Freude über die Freude der Bewohner des Landes, aus dem sie berichten, nicht mehr verhehlen.

Erbärmlich das Verhalten mancher Touristen und westlicher Geschäftsleute. Es gibt Formen der Ignoranz, die implizit bösartig sind. Unterm Diktator es sich gut gehen lassen, und wenn die Diktatur dem Ende zuzugehen scheint, das Land fluchtartig verlassen? Widerwärtig.

Erwartbar das Verhalten der westlichen Politiker. Eben waren sie noch gut Freund mit dem Diktator, der in höchsten Tönen als Garant der Stabilität und vor allem des Friedens mit Israel gelobt wurde. Dann kurze Irritation. Und jetzt sind sie plötzlich alle auf Seiten des demokratischen Souveräns. Rückgratlos, machtgeil. Warum schüttelt man die nicht einfach ab? Nein, im Gegenteil, man wählt sie sogar.

Eine Frau, völlig in Stoff gehüllt, an den Händen Handschuhe, nur ein Schlitz für die Augen ist frei, lässt sich interviewen. Warum wird das nicht auch bei uns stilbildend? Merkel in der Burka, das wäre eine gewisse ästhetische Entlastung.

Und die Kopfbedeckungen der Männer! Was man alles so tragen kann … Männer mit Kopftüchern, warum nicht. Von Ägypten lernen, heißt Stil lernen. Wer im Politischen recht hat, kann im Modischen so falsch nicht liegen.

Als Mubraks Rücktritt bekannt gegeben wurde und das Volksfest begann, dachte ich mir: Wer sich jetzt nicht freut, musst ein schlechter Mensch sein. Und am Abend machte ich mit Wunderkerzen mein eigenes kleines Ersatzfeuerwerk.

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