Sonntag, 31. Januar 2010

Moral: Lehre und Wirklichkeit

Da hat aber mal einer den Durchblick: „Wenn sich die Lehre der katholischen Kirche zur Sexualität so weit von den realen Fragestellungen, auch junger Menschen, entfernt, dass sie mit den realen Erfahrungen praktisch nichts mehr zu tun hat, dann führt das die junge Generation zu ganz großen Teilen in eine Sprachlosigkeit“, wird P. Klaus Mertes (SJ), der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs von der dpa zitiert. Nun sollte freilich der Aberglaube, es handle sich um Akte der Befreiung, wenn zu Diskursen über Sexualität angereizt werde, seit Foucaults Widerlegung der Repressionshypothese in „Sexualität und Wahrheit“ eigentlich an Kraft verloren haben. Aber bis Berlin ist derlei vielleicht noch nicht durchgedrungen.
Darum geht es aber auch gar nicht. Mertes nicht, der dpa nicht und den vielen Zeitungen nicht, die das Mertens-Zitat (oft in variierter Form) verbreiten. Es geht auch nicht um die angeblichen Missbrauchsfälle im Canisius-Kolleg vor zum Teil mehr als dreißig Jahren. (Von angeblich darf man sprechen, da keinerlei Beweise für die Anschuldigungen erbracht wurden.) Die bilden nur den schaurig-schönen Rahmen.
Worum es geht, sind die Signalwörter „Kirche“, „Lehre zur Sexualität“, „reale Erfahrungen“. Es ist immer dieselbe Leier: Die von der Kirche geforderte Sexualmoral sei nicht mehr zeitgemäß, die Lebenswirklichkeit heutiger Menschen sei eine andere usw. usf. Allerdings ergeben sich bei diese weit verbreiteten Geschwätz einige logische Schwierigkeiten.
Zum einen ist es selbstverständlich so, dass sich, wenn gelehrte Moral und praktizierte Moral nicht übereinstimmen, erstere aber im Wesentlichen seit langem dieselbe ist, offensichtlich nicht die Lehre vom Leben, sondern die Praxis von der Theorie entfernt hat.
Zum anderen kann und soll Moral doch wohl nicht einfach aus dem abgeleitet werden, was die Leute so tun. Handlungen haben sich an moralischen Vorgaben zu orientieren, nicht umgekehrt. Welchen Sinn hätte Moral sonst? Aber darum geht es wohl: Moral abzuschaffen.
Und warum auch nicht. In anderen Lebensbereichen würde das Prinzip „Passe die Regeln dem Handeln an, nicht das Handeln den Regeln“ ja ebenfalls wunderbar funktionieren. Etwa im Straßenverkehr. Wozu denn noch Geschwindigkeitsbeschränkungen, Vorfahrtsregeln, Alkoholverbot am Steuer usw.? Das ist nicht mehr zeitgemäß, denn es entspricht nicht den realen Erfahrungen. Die Leute fahren bekanntlich auch besoffen Auto, rasen und ignorieren Verkehrsschilder. Dem sollte der Staat endlich seine veraltete Straßenverkehrsordnung anpassen!
Aber im Ernst. Man muss die Normen der römisch-katholischen Kirche hinsichtlich sexueller Aktivität nicht billigen, aber auch als Außenstehender kann man ihre zeitlose Konsequenz respektieren: Keine sexuellen Handlungen außerhalb der Ehe von Mann und Frau. Das entsprach zu keiner Zeit den „realen Erfahrungen“, auch vor hundert oder tausend Jahren haben die Menschen schon gewichst, vor und außerhalb der Ehe gefickt, es mit Personen des eigenen Geschlechts getrieben. Na und? Das soll ein moralisches Argument sein? Die Leute haben damals auch gelogen, gestohlen gemordet — und tun es bekanntlich heute noch. Soll darum die kirchliche Lehre hinsichtlich Lüge, Diebstahl oder Mord der „Lebenswirklichkeit“ angepasst werden? Oder hat sich Moral etwa nur im Bereich des Sexuellen den jeweiligen „realen Fragestellungen“ zu fügen? Und warum dann das? Kann man das irgendwie begründen?
Durchblicker à la Pater Mertes sind brav angepasst an den Zeitgeist. Sie plappern das, was die Leute hören (oder lesen) wollen. Mit Moral und deren ernstzunehmender Problematisierung hat derlei aber nichts zu tun.

Weibliches Einfühlungsvermögen

Wenn Sie hören, es gebe eine aktuelle psychologisch Studie zum Verhältniss von Schuldgefühlen und Geschlecht, was würden Sie vermuten, was die Forscher herausgefunden haben? Richtig geraten! Frauen haben öfter Schuldgefühle als Männer. Also wieder einmal eine wissenschaftliche Studie, die die Welt dringend gebraucht hat …
Und das ging so: 360 männlichen und weiblichen Personen im Alter von 15 bis 50 Jahren wurden unter Leitung von Itziar Etxebarria an der Universität im baskischen San Sebastián als Auskunftgeber ausgewählt. „In der Befragung mussten die Probanden unter anderem einschätzen, wie schuldig sie sich nach verschiedenen Alltagssituationen fühlen, beispielsweise wenn sie einen Krankenbesuch aufschieben, den Geburtstag eines guten Freundes vergessen oder in einem Streit zu grobe Worte gewählt haben. Frauen zeigten durchweg ein deutlich intensiveres Schuldempfinden als Männer, wenn sie ihre Gefühle auf einer Skala einordnen sollten. Weitere Fragen in der Studie ergaben, dass sich Frauen auch viel häufiger schuldig fühlen als Männer. Als Ursache vermuten die Wissenschaftler, dass Männer sich schlechter in andere Menschen einfühlen können, und daher oft gar nicht merken, wenn sie jemanden verletzt haben. Deshalb sehen sie auch seltener einen Grund für Reue.“ (www.sueddeutsche.de, Franziska Draeger)
„Die Wissenschaftler bewerten ihre Ergebnisse dahingehend, dass Frauen nicht etwa zu schnell und zu intensiv Schuldgefühle entwickeln, sondern eher die Männer zu selten und zu wenig: Das starke Geschlecht erkenne offensichtlich einfach seltener, wann es einer Person Leid zugefügt oder sie in Unannehmlichkeiten gebracht hat. Diese Fähigkeit entwickeln Männer demnach erst im Laufe der Jahre, während Frauen bereits im Kindesalter dazu angeleitet werden, sich um andere zu kümmern. Doch auch Frauen machen bezüglich Schuld und Mitgefühl eine zeitliche Entwicklung durch: Junge Frauen zeichnen sich vor allem durch Empathie aus, sie leiden also mit der Person mit, der sie geschadet haben. Mit zunehmendem Alter neigen sie allerdings stattdessen immer mehr zu einem ängstlich-aggressiven Schuldgefühl: Anstelle des Mitgefühls tritt die Sorge, welche Konsequenzen der angerichtete Schaden für die eigene Person haben könnte, sowie der Ärger über die unangenehmen Schuldgefühle.“ (www.wissenschaft.de, Mascha Sacht)
Ich liebe solche Studien, bei denen man herausbekommt, was man vorher schon weiß, und diese Resultate mit dem „erklärt“, was man sich halt so denkt!
Der Haken an der Sache: Es ist ein Unterschied, ob man selbst meint, sich in andere einfühlen zu können, oder ob man es tatsächlich kann und tut. Nur die subjektive Einschätzung der Probanden und Probandinnen konnte ja aber erfragt werden. Nun lehrt aber die schlichte Alltagserfahrung, dass Frauen zwar sehr oft zu wissen meinen, was jemand anderer denkt oder fühlt, dass sie damit aber keineswegs immer richtig liegen. Man möchte fast sagen: im Gegenteil …
Die weibliche Geschlechtsrolle legt ihren Akteurinnen nahe, sich für Spezialistinnen in Sachen Innenleben zu halten, die eigene und fremde Gefühlserlebnisse ausführlich zur Sprache bringen müssen. Männer hingegen gelten dann im Einklang mit ihrer Rolle befindlich, wenn sie ihre Befindlichkeit und die anderer nicht reflektieren, sondern beherzt handeln und alles Widrige in sich hineinfressen. So weit das Doppelklischee, das sich wunderbar mit sich selbst ergänzt.
In Wirklichkeit, so meine ich, verstehen Frauen nicht besser als Männer, was in ihnen selbst und anderen Menschen vorgeht. Sie glauben das nur und verwenden ihr vermeintliches „Wissen“ als Machtmittel. Weil sie unablässig mit Seelenvorgängen, eigenen und fremden, befasst sind, meinen sie, sich in einer überlegenen Urteilsposition zu befinden. „Du sagst zwar nichts, aber ich weiß, was du fühlst. Du leugnest es zwar, aber ich weiß es besser.“ Bei ihrem Herumpsychologisieren hilft ihnen, dass sie sich vor allem für sich selbst interessieren, dafür, wie sie von anderen gesehen und bewertet werden. Da aber solche Sichtweisen und Einschätzungen nicht immer manifest werden, muss man halt spekulieren, was das Gegenüber so denkt und fühlt.
Das alles klingt böse und frauenfeindlich, aber so ist nun einmal — mit manchen Ausnahmen — meine persönliche Erfahrung. Und vermutlich nicht meine allein. Frauen sind überhaupt nicht einfühlsamer, im Gegenteil, Frauen sind für gewöhnlich weit rücksichtsloser als Männer. Irgendein Beispiel: Man gehe einmal eine belebte Straße entlang, man wird rasch merken, dass es weit öfter vor einem gehende Frauen als Männer sind, die unvermittelt stehen bleiben oder plötzlich die Richtung wechseln. Eine hinter ihnen gehende Person existiert für sie bis zum Zuammenprall einfach nicht. Sie haben sie nicht wahrgenommen und darum nicht berücksichtigt. Wäre sie ihnen hingegen entgegengekommen, wäre sie sofort in ein Raster eingefügt worden (bekannt / unbekannt, neutral / relevant, freundlich / feindlich, begehrend / abweisend, hilfreich / bedrohlich usw.), und es wäre ihr unterstellt worden, selbst so zu rastern.
Frauen leben eben meist in ihrer eigenen, auf sie zentrierten Welt. Daher erklärt sich auch ihre „Fürsorge“. Diese besteht im Grunde in nichts anderem, als das, was ihnen begegnet, auf sich zu beziehen. Daher kümmern sie sich um so vieles, auch gern um solches, das sie nichts angeht.
All das sind Dinge, über die man eigentlich nicht sprechen darf, sonst gilt man wie gesagt als frauenfeindlich. Was soll’s … Dass es Verallgemeinerungen und Stereotypen sind, die hier geäußert wurden, sei zugestanden. Aber dass es, wenn Sie einmal heimlich ehrlich sind, auch Ihre Erfahrungen wiedergibt, werter Herr, das werden Sie doch wohl nicht ganz leugnen wollen?

Freitag, 22. Januar 2010

Aufgeschnappt (bei Michael Landau)

Wer von Armut spricht, darf von Reichtum nicht schweigen. Es gibt obszönen Reichtum, auch in Österreich.
Msgr. DDr. Michael Landau (Direktor der Caritas der Erzdiözese Wien)

Montag, 18. Januar 2010

Gespräch über Orwells "1984"

Jurek Molnar* schreibt: George Orwell ist ein Autor, den ich schon sehr früh sehr gemocht habe, mit 14 mindestens, und wenn ich mich recht entsinne, hab’ ich „1984“ mit zwölf zum ersten Mal gelesen (1984 nämlich), weil es mein Vater mir damals geschenkt hat. Ihn hat das Buch sehr beunruhigt, glaube ich. Danach hab ich natürlich alles andere auch verschlungen, von „Animal Farm“, über die kurzen Geschichten wie „Tod eines Elefanten“, die Sozialreportagen „Der lange Weg nach Wigan Pier“, „Down and out in Paris and London“ (mein erster Orwell, den ich ganz im Original gelsen hab), bis zu „A Clergymans daughter“ bis zu den Schriften über Spanien, „Hommage to Catalonia“, das mich sehr erschüttert hat. Mein persönlicher Lieblingsorwell ist jedoch „Coming up for air“ (Auftauchen um Luft zu holen), ein grandioser Roman über die Trümmer eines englischen Kleinbürgerlebens, unglaublich stark geschrieben, aber vielleicht ist das auch der Zeit geschuldet, in der ich ihn gelesen habe (vor etwa 20 Jahren war das).
Bronio antwortet: Bemerkenswerterweise habe auch ich „1984“ recht früh, also auch mit zwölf oder dreizehn Jahren gelesen. Es war eine erschütternde Lektüre, die mich allerdings nicht zum Autor (von dem ich erst später anderes las) getrieben, sondern, wie ich gerne sage, in die Philosophie gestoßen hat: Wenn Macht total werden kann, wenn man dazu gebracht werden kann, alles für wahr zu halten — auch, dass zwei mal zwei fünf ist —, was ist dann noch gewiss, was ist dann noch wirklich, was ist dann noch wahr? Ungefähr zu selben Zeit sah ich auch Fassbinders Film „Welt am Draht“ (nach dem lesenswerten Roman von Daniel F. Galouye), in dem es um das Thema „Wirklichkeit als Computersimulation“ geht. Wieder dasselbe philosophische Thema. Was kann man noch glauben, wenn alles Manipulation sein könnte? Erst viel später erfuhr ich dann, dass schon Descartes anhand der Figur des „genius malignus“ über Ähnliches meditiert hatte.
Molnar: Dass Orwell übrigens antisemitische oder schwulenfeindliche Töne geäußert haben soll, ist mir ob du das glaubst oder nicht, noch nie aufgefallen. Ich kenne nur einen Essay von ihm über den Antisemitismus in England und eine Beschreibung der rechten Schreihälse seiner Zeit, (Mosley und Konsorten), und seine Figur des Goldstein hab ich eigentlich immer als die beste Kritik an linkem Antisemitismus verstanden, aber es wäre vermutlich trotzdem heute ein Antizionist, das glaub ich schon.
Dass Orwell aggressiv schwulenfeindlich gewesen ist, kann ich mir zwar gut vorstellen, ist mir aber seinerzeit komplett entgangen, ich wüsste keinen Text in seinem Werk, wo das eine Rolle gespielt hätte, aber vermutlich hab ich es einfach überlesen. Vielleicht kannst du mir ein paar Hinweise schicken, es würde mich interessieren, wo und in welchem Kontext das vorkommt.
Bronio: Du musst nur mal bei einer Internet-Suchmaschine „orwell homophobia“ und „orwell antisemtism“ eingeben und findest dann eine recht breite Diskussion zu diesen Themen. Meine eigene Quelle war eher die biographische Literatur (besonders der in meinem Artikel mehrfach zitierte Bernard Crick) — wo eben auch Texte herangezogen werden, die ich sonst nicht kennte, etwa Briefe und andere Gelegenheitstexte.
Es mag stimmen, dass in Orwells Werk Rassismus, Antisemitismus, Schwulenfeindlichkeit im Unterschied zu seinem Patriotismus keine große Rolle spielen. Aber zum Verständnis der Persönlichkeit des Autors gehört ihre Kenntnis doch wohl dazu.
Molnar: Die Shoah fehlt als Marker oder auch nur als Anspielung in Orwells Werk völlig. Damit konnte oder wollte er sich nicht auseinandersetzen, und vielleicht war das bis zu seinem Tod 1949 auch noch nicht in seiner ganzen Dimension für ihn sichtbar.
Bronio: Was bis dahin auch tatsächlich kein Wunder ist. Damals, in Orwells Todesjahr 1950, existierte so etwas wie „Shoah“ oder „Holocaust“ ja einfach noch nicht. Um nicht missverstanden zu werden: Die entsetzlichen Verbrechen waren zwar selbstverständlich durchaus schon begangen worden, aber ihre überdimensionale Bedeutung musste ihnen erst beigelegt werden. Das war ein Prozess, der Jahrzehnte in Anspruch nahm, und er war wohl für niemanden, auch für Orwell nicht, vorhersehbar. Zudem lässt sich in Frage stellen, ob Judenverfolgung zu Totalitarismen notwendig hinzugehört oder ob sie nicht doch, sogar beim Nazismus, akzidentiell ist.
Molnar: Den Hinweis auf Orwells gespaltenes Verhältnis zum Totalitarismus fand ich sehr wichtig, weil wie du mir sicher zustimmen wirst, „1984“ zwar als Reaktion auf Stalinismus und Hilerismus gedeutet wird, das Buch aber im Wesentlichen eine Kritik der bolschewistischen Sowjetunion darstellt.
Bronio: Nein, ich kann dir da nicht zustimmen. Anders als bei „Animal Farm“ handelt es sich doch bei „1984“ weder um eine aufschlüsselbare Fabel noch um eine Geschichtsparodie. Nimmt man das Dargestellte beim Wort, findet es in der Zukunft und in England statt. Orwell hat also ausdrücklich Ozeanien und nicht Eurasien, den Ingsoz und nicht den Neobolschewismus dargestellt. Russland war Orwell ohnehin ziemlich wurscht, denke ich. Ihm ging’s ums geliebte Vaterland und darum, was die bösen Linken daraus machen würden, wenn man sie ließe. (Davon, dass ich von einem „gespaltenen Verhältnis zum Totalitarismus“ geschrieben hätte, weiß ich übrigens nichts.)
Molnar: „1984“ sollte man und kann man eigentlich nur als Stalinismuskritik verstehen, das die Erfahrungen aus dem spanischen Bürgerkrieg in eine Analyse der Parteigewalten und Staatstheorien der kommunistischen Sowjetunion verwandelte. Das brillante „Animal Farm“ ist dabei ein Werk von eigenem Rang, das Orwells scharfsinnigen Blick für die Geschichte Russlands offenbart. Der rurale Charakter der Revolution trägt für mich dazu bei, den Prozess der Ideologie (im Althusserschen Sinn jetzt) als große marxistische Vision wahrzunehmen, wie sich der Terror als Arbeitsethos vermittelt und den Wechsel von einer feudalen Agentur in ein organisiertes Chaos der Verfolgung nachvollzieht. Dabei erscheint mir Orwells Position im Namen eines abstrakten „Sozialismus“ dessen „Missbrauch“ anzuprangern als größte Schwäche von „1984“.
Bronio: „1984“ auf Stalinismuskritik zu verengen, scheint mir unangemessen. Es handelt sich eher um ein Gedankenexperiment, das Orwells Eindrücke, Kenntnisse und Deutungen aller damaligen totalitären und autoritären Regimes kombiniert (von denen allerdings wohl die Sowjetunion des Hochstalinismus am „totalitärsten“ war), um sie im Kontext eines künftigen Englands zu Ende zu denken. Warum hätte er denn eine Kritik an der Sowjetunion in ein angelsächsisches Kostüm stecken sollen? Allenfalls eine Auseinandersetzung mit den britischen (und US-amerikanischen) Stalinisten könnte ich konzidieren. Aber weder die technischen Visionen (Televisor usw.) noch das urbritische Ambiente noch die Skizzierung der Herrschaftsideologie lassen eine Verengung auf „Kritik der bolschewestischen Sowjetunion“ zu. Derlei ist mitgemeint, steht aber meiner Meinung nach nicht im Zentrum. Von Orwell wird totalitäre Herrschaft sozusagen rein herauspräpriert. Das geht freilich nur am fiktiven Ende der Geschichte, weshalb das Buch ja ursprünglich auch „The Last Man in Europe“ heißen sollte. Oder, wie Dürrenamtt sagt: Eine Geschichte ist dann zu Ende erzählt, wenn sie ihrer schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Die ist in „1984“ am Ende vollzogen. Er liebte den Großen Bruder.
Molnar: Wenn diese großartige Textzeile „Der Zweck der Macht ist die Macht.“ ernst gemeint ist, dann kann man dem Stalinismus nicht durch eine Referenz auf den „guten Sozialismus“ begegnen, sondern dann ist der Sozialismus der Sowjetunion der einzig mögliche Sozialismus, der in dieser Form an die Macht gelangen konnte. Althusser hat diesen Zusammenhang systematisch durchgedacht, als er die stalinistische Ideologie als Kritik der hegelianischen Dialektik formulierte. Orwell hat ja mit dem Begriff des Zwiedenkens ebenfalls eine interessante Variante davon entwickelt. Dazu kommt, dass sein Begriff des Zwiedenkens („Zwiedenken bedeutet die Gabe, gleichzeitig zwei einander widersprechende Ansichten zu hegen und beide gelten zu lassen.“) eine recht genaue populäre Beschreibung dessen liefert, was Mao in seinem Text „Über den Widerspruch“ geschrieben hat: „Die Grundursache der Entwicklung eines Dinges liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb desselben; sie liegt in seiner inneren Widersprüchlichkeit.“ Und: „Diese dialektische Weltanschauung lehrt uns vor allem, die Bewegung der Widersprüche in den verschiedenen Dingen verständnisvoll zu beobachten und zu analysieren und auf der Grundlage dieser Analyse die Methoden für die Lösung der Widersprüche zu bestimmen.“ Im Wort „verständnisvoll“ steckt schon der Blick O’Briens. Orwells Position ist ja, dass diese Widersprüchlichkeit deshalb so totalitär ist, weil sie die Unmöglichkeit dieser Haltung nur durch totalen Terror für und an den Individuen in den Alltag übersetzen kann. Der Terror verschiebt und das sehe ich ja auch als einer der wichtigsten Punkte in deiner Argumentation an, diese Unmöglichkeit direkt in die Menschen selbst. Ihre freiwillige Unterwerfung ist da eher nur das Moment, in der sich diese Verschiebung realisiert, sie ist nur mittelfristig das Ziel, weil es im eigentlichen Sinne kein Ziel gibt. Eines der bedrängenden Motive von „1984“ ist die völlig sinnfreie Ausübung dieser Herrschaft. Krieg ist immer eine ewiger Krieg, der durch die ständigen Wechsel der Bündnisse zwischen Ozeanien, Eurasien und Ostasien in eine ahistorische Determinante mündet, denn Absicht ist ja nicht einen Krieg zu gewinnen, sondern den Terror aufrecht zu erhalten. Und der Terror ist auch nicht wirklich das Ziel, als vielmehr ihn beständig zu wiederholen. Die Dialektik denunziert Orwell als Verdrängung des Schrittes von These und Antithese zur Synthese: Die Synthese ist nichts anderes als Wiederholung von Schritt 1 und 2 permanent zu machen, durch die Verschiebung des Feindes in Form seiner paranoiden Goldsteinversion.
Bronio: Das verstehe ich nicht. Der Übergang von der O’Brienschen These der Herrschaftsausübung um ihrer selbst willen zu Deiner (oder Althussers?) These von der Unvermeidbarkeit und historischen Notwendigkeit des bolschewistischen Regimes erschließt sich mir ganz und gar nicht. Man kann meiner Meinung nach allenfalls sagen: Sobald der Sozialismus „an die Macht (zur Herrschaft) gelangte“, war die Sache längst erledigt. Ein herrschender oder nach Herrschaft strebender Sozialismus ist eben ein böser Sozialismus. Also in Wahrheit gar keiner. Denn wenn als Zweck des Sozialismus üblicherweise Gerechtigkeit und Freiheit verstanden werden, ist ein „Staatsozialismus“ (also ein System, bei dem die Gesellschaft vom Staat und dieser von der Partei beherrscht wird) schlicht kein Sozialismus.
Dass, was den Willen zur Macht (Herrschaft) betrifft, eine Linie von Marx über Lenin zu Stalin führt, scheint mir freilich unübersehbar. Aber was hat das mit Sozialismus zu tun? Für Marx, Lenin, Stalin war „Sozialismus“ nie mehr als eine Leerformel, um den eigenen Herrschaftsanspruch anzumelden. Der Marxismus hat mit der sozialistischen Bewegung tatsächlich nicht mehr zu tun als der Nazismus. Da darf man sich vom Theoriebrimborium nicht verwirren lassen. Das hielt schon Marx selbst für „Scheiße“ und diente nur dem Zweck, Gegner (also andere, wirkliche Sozialisten) einzuschüchtern und niederzureden. Bei Stalin, dieser Leuchte der Wissenschaft, wird das (außer irgendwelchen bizarren Sektierern) wohl kaum jemand bestreiten wollen, auch bei Lenin lässt es sich leicht zeigen, denn der hat Theoriearbeit immer nur als vernichtungswillige Polemik verstanden, und eben auch bei Marx schon geht aus allen (seriösen) biographischen Untersuchungen hervor, dass er sein Geschreibsel nie ernst genommen, sondern bloß als Waffe verstanden hat.
Der „Staatsozialismus“ kann übrigens nicht einmal in rein formaler Hinsicht (Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln) als Sozialismus bezeichnet werden, da ja in Wahrheit die Produktionsmittel de facto Privateigentum der Partei waren. Die verfügte beliebig darüber.
Molnar: Das philosophische Problem, das sich angesichts der sowjetischen Politik und ihres mehr oder weniger vollständigen Verschwindens stellt, ist doch eher die Verteidigung der Idee, die angeblich dahinter stehen soll. Nimmt man Orwells Erfahrung ernst und die in „1984“ vollständig negativ beantwortete Frage seiner historischen Relevanz, erscheint Negris (und Althussers) Ansatz viel sinnvoller, die historische Rolle des Sozialismus als eines „Übergangs“ zu verwerfen. Die Absicht der bolschewistischen Revolution war es die rückständige agrarische Gesellschaft Russlands in eine industrialisierte Entwicklungsdiktatur zu knechten, die ihre politischen Widersprüche durch die Konstruktion eines äußeren Feindes (der gar nicht so konstruiert, sondern tatsächlich sehr real gewesen ist) stabilisieren musste. Freiheit oder besser ihr Versprechen war nur die viel brutalere Ausübung der terroristischen Gewalt. Dass alle Ansätze einer irgendwie demokratischen Gesellschaft ausgelöscht wurden, war damit kein Betriebsunfall sondern Ausdruck einer inneren Logik des Begriffs „Übergang“, der ja angeblich angestrebt wurde. Dialektik selbst wurde damit zum Ausdruck eines totalen Machtanspruchs, der Widersprüche eben nicht als Gleichzeitigkeit zweier widersprechender Ansätze, sondern als gewalttätige Niederringung des einen durch das andere inszenierte. Denn würden beide gelten, also Anspruch auf Realität besitzen, könnte der Terror niemals so absolut sein. Wäre er absolut könnte der Terror keinen Widerstand erzeugen. Der Terror geht auf den menschlichen Körper, und dieser ist allen Befürchtungen zum Trotz niemals völlig kontrollierbar, weil er den Widerspruch beständig realisiert, also nicht aufhebt oder gar transformiert.
Orwells Pessimismus bezog sich letztendlich darauf, dass sich der Stalinismus immer als sozialdemokratische Funktionärselite konstruiert, und in staatlicher Macht repräsentieren muss. Foucault etwa hat ja immer diese Konzentration der Linken auf den staatlichen Apparat und seine Gefängnisse kritisiert, die als humanistische Interpretation daher kommt. „1984“ ist daher auch eine Kritik an diesem abstrakten Menschenbild, das die hegelianische Dialektik entwirft. (Wobei eine Auseinandersetzung mit Hegel auch andere Lösungen nahe legt.) Die materialistische Metaphysik Spinozas wirft auf diese Problematik ein erhellendes Licht.
Bronio: Dass es beim real existierenden Sozialismus um eine Art „Entwicklungsdiktatur“ gegangen wäre, bestreite ich. Die Industrialisierung war für Lenin und seine Bolschewisten kein Zweck, sondern einerseits ein Weg, die Machtmittel zu vergrößern — nicht zuletzt am Rüstungswettlauf ist die Sowjetunion ja dann auch gescheitert —, andererseits bereits selbst blanker Terror, wütende Destruktivität. Dabei stand die Repression dem wirtschaftlichen Aufbau, den sie scheinbar beförderte, in Wahrheit meist im Wege: Alle Herrschaft beruht eben auf dem Ausnützen von Widersprüchen! Das Konzept der „Entwicklungsdiktatur“ auf die Sowjetunion anzuwenden, erscheint mir als Missverständnis oder Verharmlosung. (Und ist wohl ein Restposten dessen, was Orwell den „sowjetischen Mythos“ nannte.) Am Leninschen Slogan „Sowjetmacht und Elektrifizierung“ war von Anfang an beides gelogen. Die Industrialisierung ist zwar nicht zu leugnen, aber hätte sie nicht auch unterm Zaren stattgefunden? Freilich in anderer Form, ohne Bürgerkrieg, ohne Arbeitslager und ohne gezielte eingesetzte Hungersnöte.
Selbstverständlich war der rote Terror kein Betriebsunfall der Revolution. Er war die Revolution selbst, das zwangsläufig zum Selbstzweck gewordene untaugliche Mittel. Das Richtige kann eben nicht mit falschen Mitteln erreicht werden, sonst ist es eben nicht das Richtige. Das gerade haben ja einige Anarchisten verstanden und gesagt: Durch Unterdrückung schafft man keine Freiheit. (Leider haben das andere anarchistische Richtungen ignoriert, wenn sie glaubten, durch Terror den Sozialismus herbeibomben zu können.)
Warum nun aber von einem „guten Sozialismus“ gar nicht die Rede sein kann oder darf, verstehe ich nicht. Wenn nicht auf die Abschaffung des (auch ökonomischen) Unrechts und der (auch ökonomischen) Unfreiheit soll „linke“ oder „emanzipatorische“ Politik denn deiner Meinung nach abzielen? Oder hast du dich — gemäß der Devise „dabeisein ohne mitzumachen“ — vom Politischen schon ganz verabschiedet?

*Jurek Molnar betreibt das Wordpress-Weblog „dieweltohneuns“ (siehe Link-Liste auf dieser Seite).

Mittwoch, 6. Januar 2010

Sternsingerinnen

Kommt es mir bloß so vor oder ist es wirklich so? Es scheint, dass es fast nur noch Mädchen sind, die sich am Sternsingen beteiligen. Im wirklichen Leben gehe ich den singenden und sammelnden Horden ja nach Möglichkeit weiträumig aus dem Weg, im Fernsehen allerdings wird man ja rund um Epiphanias immer wieder auf sie gestoßen. (Zum Beispiel, wenn sie die deutsche Bundeskanzlerin heimsuchen.) Und auf solchen Bildern sehe ich dann eben nur noch Mädchen.
Nun mag man die magoi des Matthäusevangeliums außer mit Magiern auch mit Weisen, Sterndeutern oder, der Legende gemäß, mit Königen übertragen, fest steht jedenfalls, dass es sich dem Text nach eindeutig um Männer handelte, die dem Stern gefolgt waren und dem Jesusknaben mit Weihrauch, Myrrhe und Gold darbrachten. Also nicht um Frauen und auch nicht um als Männer verkleidete Mädchen. Jahrhundertelang war es darum folgerichtig ein schöner Brauch, dass als Sternsinger — drei Könige mit Gefolge — nur Jungs unterwegs waren. Erst das 20. Jahrhundert, das neben all den anderen Verwüstungen auch den Einbruch von Frauen in vermeintliche „Männerdomänen“ erleben musste (und das 21. folgt ihm auch darin), hat die Errungenschaft der in aller Öffentlichkeit Sternsingerlieder plärrenden Mädchen in die Welt gesetzt.
Ich persönlich finde solche Transvestitinnenshows höchst unappetitlich. Denn neben den historischen und vielleicht theologischen Einwänden gegen Sternsingerinnen gibt es ja auch einen entscheidenden ästhetischen: Mädchenstimmen sind hässlich.
Hat man je etwas von den Wiener Sängermädchen oder vom Tölzer Mädchenchor gehört? Zum Glück nicht. Mädchenstimmen sind eine akustische Zumutung. Nur der doktrinäre „Gleichberechtigungswahn“ kann die Ohren so verstopft haben, dass man das überhören will.
Das Unheil nimmt seinen Lauf. Sich vordrängende Frauen haben bereits die beiden großen christlichen Konfessionen an die Wand gefahren, denn gegen gitarrenschwingende Pastoralreferentinnen und dummschwätzende „Bischöfinnen“ hat authentisches Christentum eben keine Chance. Sternsingerinnen sind ja nur ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. Was kommt als nächstes? Eine Jesa Christa, die bei den Oberammergauer Passionsspielen von der Apostelfürstin Petra verleugnet und von Pontia Pilata verurteilt wird? (Nur Judas bleibt vermutlich ein Mann.)

Freitag, 1. Januar 2010

Die Liebe zum Großen Bruder

George Orwells „1984” und die Frage nach der Macht

Seit anderthalb Jahrzehnten* ist es eigentümlich still geworden um George Orwells berühmten Roman „Nineteen Eighty-Four“(1). Es ist, als hätte das Verstreichen des Jahres 1984, ohne dass es zur weltweiten Machtergreifung totalitärer Parteien und zur endgültigen Aufteilung der Welt unter drei Superstaaten gekommen wäre, den vermeintlichen Prophezeiungen Orwells jeden Reiz und jede Relevanz genommen. Ein halbes Jahrzehnt später tat dann der Untergang des osteuropäischen Realsozialismus ein Übriges, um jede Warnung vor der Bedrohung von Freiheit und Menschenwürde durch „oligarchischen Kollektivismus” als obsolet erscheinen zu lassen.
Allerdings bekommt es dem Orwellschen Text durchaus, wenn er nicht mehr als die Schreckensvision einer unvermeidlich eintretenden Zukunft gelesen wird, als die er nie gedacht war, sondern als zeitbedingte Auseinandersetzung mit bestimmten Entwicklungen einerseits und als grundsätzliche Analyse dessen, was es heißt, ein Mensch unter den Bedingungen einer Totalisierung des Politisch zu sein, andererseits. Wenn es sich bei „1984“(2), wie sein Autor(3) meinte, um „eine Utopie in Romanform“(4) handelt, dann gewiss nicht im Sinne einer präzisen Prognose oder eines futurologischen Schauermärchens. Vielmehr ging es George Orwell, dessen Anspruch es stets war, „in künstlerischer Form politisch zu schreiben“(5), bei der Niederschrift von „Nineneteen Eighty-Four” nach eigenem Bekunden darum, „die geistigen Implikationen des Totalitarismus mit den Mitteln der Parodie aufzuzeigen“ (nach Crick, S. 738).
Bevor ich mich nun näher mit dem, was Orwell die „geistigen Implikationen” nennt, befasse, scheint es mir ratsam, auf das Reizwort „Totalitarismus“ näher einzugehen, um zu verhindern, dass manche Leser oder Leserinnen dieser marxistischen Zeitschrift* spätestens an dieser Stelle die Lektüre meines Textes abbrechen.
Wer das nicht will, findet den ganzen Text unter:

Gebloggt wird nicht ...

… sagte ich mir bis vor kurzem. Ist doch das Internet längst gleichsam eine gigantische informationelle Mülldeponie, in der sich zwischen all der Uninformiertheit und Desinformation nur mit Mühe hin und wieder etwas halbwegs Brauchbares aufstöbern lässt. Und gleicht doch die sogenannte „Blogosphäre“ einem multdimensionalen Stammtisch, an dem alle wild durcheinander reden und zwar meistens dummes Zeug. So jedenfalls dachte ich bisher und so denke ich auch noch immer. Aber getreu meiner alten, aus redaktionellen Erfahrungen gewonnenen Überzeugung, dass man dem Überflüssigen und Unsinnigen nur durch Sinnvolles und Notwendiges beikommt, dass man also Schlechtes mit Gutem vergelten muss, habe ich mich nun, ein bisschen zu meiner eigenen Überraschung, über Nacht dazu entschlossen, mein eigenes Weblog in die Welt zu setzen. Die Einsicht in die Simplizität der technischen Voraussetzungen hat das Ihre dazu beigetragen. Wenn nämlich jeder Depp ruckzuck seinen Quatsch ins Netz stellen kann, warum sollte nicht auch ich mich wichtig machen können und zum Weltgeschehen meinen Senf dazugeben dürfen?
Nun ist ja Selbstdarstellung unter Umständen ein durchaus berechtigtes Anliegen, aber was gehen eigentlich den Rest der Menschheit die Gefühlchen und Gedänkchen, die Wehwehchen und Hurrahchen irgendwelcher ansonsten uninteressanter Privatpersönchen an? Eigentlich nichts. Desungeachtet feiert im Netzgezwitscher eine sich erstaunlich naiv gebende Subjektivität fröhliche Urständ. Jeder ist sich bekanntermaßen selbst auch thematisch der Nächste, und über nichts tauscht man sich mit anderen so gerne aus wie über Belanglosigkeiten, sofern sie nur irgendetwas mit einem selbst zu tun zu haben scheinen oder einem wenigstens Intimes über andere verraten. Die meisten Zwitscher-, Tschätter- und Bloggereien gleichen daher ganz unverkennbar dem in die Gegend Pinkeln und wechselweisen Hinternbeschnüffeln von Hunden: Ich stinke so und wie stinkst du?
Mein eigener Blog soll da selbstverständlich ganz anders sein. Ein Anti-Blog geradezu. Keine launigen Benachrichtigungen über den allerneuesten Stuhlgang und andere Privatereignisse sollen hier geboten werden, sondern Gedanken über Gott und die Welt, die es hoffentlich wert sind, von anderen gelesen und länger als für die Dauer von ein paar Mausklicks bedacht zu werden. Dass es sich dabei um meine Gedanken handelt und darum hin und wieder von mir die Rede ist, darf nicht dazu verleiten, das Ganze ins Private abzuschieben. Vielmehr geht es mir, wenn ich zur Sprache komme, darum, verantwortlich zu bleiben: Wer nicht andere für sich denken lassen, sondern selber denken will, muss dafür wohl auch mit seinem Namen — und sei er spaßeshalber auch ein leicht aufzulösender nom de plume wie Bronio — einstehen.
Dieses Blog soll also im Grunde gar kein Blog sein, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne eines eigentlich privaten Tagebuchs zum Mitlesen für alle. Es soll vielmehr darum gehen, ohne großen Aufwand ein kleines Stück neue Öffentlichkeit zu schaffen, es sozusagen der allgemeinen Privatisiererei zu entreißen. In einer möglichst unverstümmelten Sprache zudem, und mit der Bereitschaft, bei Bedarf auch mal gründlich und langatmig zu sein — und damit vermutlich für viele viel zu langweilig. Aber dieses Blog soll ja auch gar nicht möglichst viele, sondern möglichst interessierte, möglichst angeregte Leser haben. — In diesem Sinne: Ab heute wird gebloggt!