Wie leicht das geht. Wie wenig es braucht. Nicht einmal Schüsse und Explosionen, geschweige denn Geiselnahmen und Flugzeugabstürze. Nicht einmal diese berühmten Fernsehbilder, die wir immer alle gesehen haben, nicht einmal irgendwas Unscharfes von Überwachungskameras oder was Verwackeltes von Handys. Bloß ein paar unbewiesene Behauptungen und eine nach und nach so richtig in Fahrt kommende Berichterstattung, die sich aus lauter Gerüchten und Vermutungen zusammensetzt, deren belegbare Fakten nur darin bestehen, wer wann darüber etwas gesagt haben soll, was wer wann und wo getan haben soll. Einen öffentlichen Diskurs also, dessen Faktizität die Faktizität der Ereignisse substituiert. Bis sich niemand mehr vorstellen kann, dass es sich anders zugetragen hat, als man es sich im Voraus immer schon vorgestellt hatte. Undenkbar, dass alles ganz anders gewesen sein könnte. Unmöglich, dass sich nichts zugetragen haben könnte.
Aber es muss nicht nur irgendetwas gewesen sein, es muss dieses Bestimmte gewesen sein: Sexuelle Gewalt gegen Frauen. Da weiß man, woran man ist, da kennt man sich aus. Der Diskurs ist hysterisch: Er simuliert in höchster Erregung eine Realität, die es nur gibt, insofern er daran glaubt. Millionen von Menschen, die nicht dabei waren, die nichts beobachtet haben und nichts bezeugen können, sind sehr rasch sehr fest überzeugt, zu wissen, was war, und wie das, was war, es zu beurteilen ist. Sie erklären sich die Ursachen und fordern Maßnahmen. „Experten“ und „Politikern“, denen Journalisten die Bühne bieten, tun ihnen gerne den Gefallen und faseln von Zwängen, Nöten und Abgründen und phantasieren von Härte und Strenge.
Die „Ereignisse“ bilden einen Einschnitt. Es gibt ein Vorher und Nachher. Die „Silvesternacht von Köln“ wird zum feststehenden Begriff. Was genau damit begriffen wird, ist zwar von Anfang an undeutlich und wird im Laufe der Zeit mehr und mehr verschwimmen, aber jeder wird stets wissen oder zu wissen glauben: Da war doch was. Etwas Ungutes. Etwas, gegen das etwas unternommen werden musste.
„Köln“ bringt zwei der aktuellen Lieblingsthemen der Zeit zusammen: Die sexuelle Gewalt gegen Frauen und die Minderwertigkeit von Ausländern. Zur Fremdenfeindlichkeit hat immer schon die psychische Besetzung des fremden Mannes mit Sexualangst gehört, das Phantasma einer übermächtigen und übergriffigen sexuellen Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Orientalen. „Die nehmen uns die Frauen weg“ war immer schon zumindest unterschwellig so präsent wie „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ oder „Die nehmen uns die Heimat weg“.
Als also mit einiger Verspätung ( in der Silvesternacht selbst hatte die Polizei alles als mehr oder minder ruhig eingeschätzt) Anzeigen und Berichte auftauchten, die rassistische Phantasien enthielten — Wie erkennt eine Zeugin eigentlich, ob ihr Belästigter aus dem „nordafrikanischen oder arabischen Raum“ stammt? Hat sie mit ihm geplaudert? Sich seine Papier zeigen lassen? —, galt das nicht von vornherein als die Schmälerung der Glaubwürdigkeit, die es hätte sein müssen, sondern umgekehrt, die Unantastbarkeit weiblicher Vorwürfe machte aus rassistischen Phantasien Fakten ethnisch markierter Kriminalität.
Es gilt als unumstößliches Dogma, dass Behauptungen von Frauen, sie seien belästigt oder vergewaltigt worden, nie in Frage gestellt werden dürfen, weil das natürlich hieße, Opfer zum Schweigen zu bringen und sie auf diese Weise quasi zum zweiten Mal zu vergewaltigen. Dadurch wird jeder Vorwurf zum Fall. Und wenn Ermittlungen dann keine Beweise erbringen oder ein Gericht niemanden verurteilt, dann ist das offensichtlich Teil der Verschwörung des Patriarchats zur Unterdrückung von Frauen. Gerade die Unerweislichkeit von Fakten wird so zum Beweis ihrer Evidenz.
Genau das nach „Köln“ passiert. Weder wurden massenhafte sexuelle Übergriffe gegen Frauen belegt noch gab es eine dem entsprechende Vielzahl von Verurteilungen. Und wenn überhaupt jemand verurteilt wurde, dann nicht für das, wofür „Silvesternacht von Köln“ steht, sondern wegen Kleinkriminalität oder Vergehen, die mit den angeblichen Ereignissen nichts zu tun hatten.*
Das ändert aber nichts daran, dass das Phantasma bestehen bleibt. In den auf die berüchtigte Silvesternacht folgenden Silvesternächten, als gezielt mehr Polizei und mehr mediale Aufmerksamkeit zum Einsatz kam, wunderte man sich, dass nicht passierte. Man suchte daraufhin nach Erklärungen und schrieb die wundersamen Nichtereignisse einem geänderten Einsatzplan der öffentlichen Kontrolle und Gewalt zu, weil man nicht zugeben konnte, dass einfach dasselbe passiert war, wie damals auch: eigentlich nichts.
Gewiss, wo viele Menschen ausgelassen auf einander treffen, wird es immer zu Taschendiebstahl, Rempelei, sexueller oder anderer Belästigung kommen. Aber das, wovon das Phantasma spricht: massenhafte und womöglich im voraus verabredete sexuelle Gewalt dunkelhäutiger Männer gegen deutsche Frauen — das fand nicht statt.
Solches zu sagen, ist verpönt. Wer „Köln“ leugnet ist fast wie jemand, der „Auschwitz“ leugnet. (Mit dem Unterschied freilich, dass „Auschwitz“ historisch durch und durch erforscht ist, während „Köln“ eine journalistische Seifenblase ist und bleiben wird.) Wer sagt, damals sei nichts passiert, was den rassistischen Diskurs, der sich daran knüpft, in irgendeiner Weise rechtfertigt, dem kann jederzeit mit der Keule der Frauenfeindlichkeit eins übergebraten werden. Denn die führenden Feministinnen in Deutschland haben sich zusammen mit dem Heer ihrer Helfershelfer dafür entschieden, lieber Rassismus zuzulassen, als die Möglichkeit zuzugeben, dass bei irgendeiner Gelegenheit Frauen einmal nicht unterdrückt worden wären.
Frauen sind als Frauen ja bekanntlich geradezu dadurch definiert, dass sie unterdrückt werden, dass sie auf vielfältige Weise Opfer sind. Opfer von Männern natürlich, von wem denn sonst. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen sich nicht wehren können, jedenfalls nicht mit Taten, sondern allenfalls mit Worten, und auch das nur im Nachhinein. Der Gedanke, dass Frauen für ihr Wohl und wehe in bestimmten Ausmaß selbst verantwortlich sind, ist undenkbar, weil frauenfeindlich: Man darf Frauen nicht abverlangen, dass sie sich vorher überlegen, wann sie wo mit wem bei welcher Gelegenheit zu welcher Uhrzeit wie unterwegs sind. Man darf Frauen nicht abverlangen, keine falschen Signale auszusenden. (Auch nur anzudeuten, eine den Körper entblößende und Geschlechtsmerkmale betonende äußere Erscheinung einer Frau könne auf ihre sexuelle Kontaktfreudigkeit hinweisen, ist gleichbedeutend damit, Frauen die Schuld an den gegen sie verübten Verbrechen zu geben, und ist also selbst ein Verbrechen. Frauen kleiden und schminken sich wie Sexarbeiterinnen, weil es ihnen gefällt, und nicht etwa, weil sie für Männer attraktiv sein wollen.)
Man darf Frauen auch nicht abverlangen, unerwünschte Avancen unzweideutig zurückzuweisen und Übergriffigen auf die Finger zu klopfen. Man darf Frauen nämlich überhaupt nicht abverlangen, sich zu wehren. Bekanntlich sind ja alle Frauen jedem Mann physisch unterlegen und damit schutzlos ausgeliefert (und sie begleitende Männer dürften immer wie gelähmt den Untaten ihrer Geschlechtsgenossen zusehen müssen). Da es ja offensichtlich keinerlei Möglichkeiten für Frauen gibt, speziell für sie eingerichtete Selbstverteidigungskurse zu besuchen, und Frauen zudem der Gedanke fern liegen muss, ihre ständige Furcht, zum Opfer männlicher Gewalt werden zu können, statt mit rosarot markierten Frauenparkplätzen, Frauenzugsabteilen und anderen Schutzzonen, besser mit dem Besuch besagter Kurse zu bekämpfen, wissen sie auch nichts vom Tritt in die Eier oder anderen, elaborierteren Tricks, mit denen körperlich Unterlegene beliebige Angreifer womöglich abwehren können. Und leider wird ja auch zum Beispiel kein Pfefferspray in Deutschland verkauft. Auch um Hilfe rufen kann keine Frau, schon gar nicht in einer Menschenmenge. Kurzum, Frauen können auf männliche Gewalt gar nicht anders als mit Duldungsstarre reagieren, um dann Stunden, Tage, Jahre oder Jahrzehnte später daraus zu erwachen und nach viel Seelenpein dann endlich den Mut zu finden, haarklein zu erzählen, was ihnen Schlimmes passiert und wer daran schuld ist.
Und ihnen muss, das weiß man, geglaubt werden. Da sie a priori Opfer sind, muss es auch a priori Täter geben. Also Männer. Und je deutscher das Opfer, desto undeutscher der Täter. Nun wäre ja der bei den „Ereignissen der Kölner Silvesternacht“ als Täter identifizierte orientalische Mann eigentlich auch ein Opfer. Zum einen, weil er eben einer falschen, nämlich auf aktuellem westlichem Stand befindlichen kulturellen Prägung und Vergesellschaftung unterlegen ist, die ihm ein zusätzliches Tätertum aufzwingt (nämlich zusätzlich zum bloßen Mann sein als zumindest potenzielles Tätertum). Zum anderen durch das ja besonders hervorgehobene Merkmal seine Aufenthaltsstatusses. Denn wer wäre mehr Opfer als jemand, der aus Krieg und Elend fliehen musste und womöglich nur das nackte Leben retten konnte? Oder der zumindest aus einem Land stammt, in dem wirtschaftliche Not ohne Aussicht auf Besserung herrscht, und der hier Aufnahme gefunden hat, um ein neues, womöglich besseres Leben zu beginnen? Aber gerade sein Flüchtlingsein, seine Herkunft aus der Fremde wird gegen den Aufgenommenen gewendet. Gerade deswegen soll er härter und im Grunde doppelt bestraft werden: Während dem deutschen Mann für dieselbe Tat nur Geld- oder Haftstrafe drohen, soll, so eine weit verbreitete Forderung, der straffällig gewordene nichtdeutschen Mann außerdem deportiert („abgeschoben“), also ganz zum Verschwinden gebracht werden. Es gibt, soweit ich sehe, im Deutschen nur zwei wiederkehrende Wendungen, in denen etwas „verwirkt“ wird. Nämlich einmal „das Gastrecht“, zum anderen, altertümlich und seit Abschaffung der Todesstrafe nicht mehr gebräuchlich, „das Leben“: Wenn also, wie es bei jedem sich bietenden Anlass geschieht, nachdrücklich gesagt wird, jemand habe durch das und das „sein Gastrecht verwirkt“, so arbeitet im Unbewussten womöglich die Assoziation „sein Leben verwirkt“.
Und darum geht es ja letztlich bei Rassismus (frei nach Foucault formuliert): Die müssen sterben, damit wir leben können. Dazu muss jeder, der in Frage kommt daran glauben, dass die uns an Leib und Leben bedrohen, weshalb es zulässig ist, sie zu markieren, zu diskriminieren, zu kriminalisieren, zu entrechten, zu entwürdigen, zu deportieren usw. usf. Weil aber die Realität keine ausreichende Bedrohung (oder überhaupt eine) hergibt, muss sie erfunden werden. Möglichst so, dass sie unwiderleglich erscheint.
Genau dafür steht das Gespenst des „Silvesternacht von Köln: Für eine Verbindung von hegemonialem Feminismus und hegemonialem Rassismus zu einem geschlossenen Narrativ, bei dem das eine Element das andere stützt: Weil Frauen ihre Vorwürfe immer zu Recht erheben, sind die nichtdeutschen Männer schuldig; weil Männer aus dem Orient frauenfeindlich sind, sind Frauen Opfer.
Dass Rassismus widerlich ist, steht hoffentlich außer Frage. Als nicht weniger abstoßend aber hat doch wohl ein Feminismus zu gelten, der das emanzipatorische Ziel aufgeben hat, dass Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht dieselben Recht und Pflichte haben und dass sie unabhängig von dem ihnen zugeschriebenen oder von ihnen behaupteten Geschlecht denselben Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe haben müssen. An die Stelle von Emanzipation in diesem Sinne wird der Anspruch auf Sonderrechte für Frauen erhoben, die als das besonders bedrohte und unterdrückte und darum besonders schützens- und förderungswerte Geschlecht zu gelten hätten. Feminismus ist dann nicht mehr emanzipatorisch, sondern reaktionär, weil er statt Gleichheit und deren Durchsetzung die Anerkennung von Ungleichheit und Ungleichbehandlung fordert. Das tatsächlich bestehende Unrecht wird auf diese Weise zum beliebigen Beleg, zur Bestätigung von Vorurteilen, und soll nicht mehr beseitigt, sondern bloß mit umgekehrtem Vorzeichen verewigt werden. Frauen werden zugleich auf ihren Opferstatus festgelegt und dieser als Herrschaftsmittel ausgebaut: Ich bin eine Frau, also werde ich unterdrückt, also muss ich Vorrechte haben, nicht etwa als Ausgleich bestehender Ungleichbehandlung bis zur Erreichung von Gleichbehandlung unabhängig von Geschlechtszugehörigkeit, sondern mit dem erklärten Ziel dauerhafter Ungleichbehandlung als unmissverständlicher Anerkennung meines Frauseins.
Nein. Frauen haben dasselbe Recht, sich gegen Übergriffe, sexuelle und andere, zu wehren wie Männer. Sie haben auch dieselbe Pflicht, im öffentlichen Raum Umsicht und Vorsicht walten zu lassen und Vorkehrungen für die eigene Sicherheit zu treffen. Sie haben nicht mehr Recht, von Veranstaltern, Betreibern oder der Polizei geschützt zu werden, als Männer. Sie können genauso wenig wie Männer verlangen, dass öffentliche Zurschaustellung kein Publikum findet und dass bestimmte Selbstdarstellungsformen nicht als Zurschaustellung gewertet werden. Frauen sind im journalistischen Diskurs und vor Gericht nicht glaubwürdiger als Männer. Wenn Frauen Opfer von Straftaten geworden sind, müssen sie diese genauso anzeigen wie Männer, wenn sie wollen, dass diese Straftaten verfolgt werden, und sie müssen sich genauso wie Männer damit abfinden, wenn Ermittlungen oder Urteile nicht das Erwartete oder Erhoffte ergeben.
Emanzipatorisch gesagt: Frauen dürfen sich nicht darin einrichten, von Männern angeblich immer als Objekte des Begehrens oder der Ausbeutung behandelt zu werden und diese Behandlung durch ihr Verhalten auch noch entgegenkommen, wenn sie nicht anders behandelt werden wollen als Männer. Oder aber ihr „Feminismus“ ist nichts anderes als ihr unverzichtbarer Beitrag zum „Patriarchat“, das dann freilich wohl eher als verdecktes Matriarchat zu gelten hätte, in dem die Männer auf ihre Rolle als (strukturell heterosexuelle) Schurken verpflichtet sind, während Frauen gleichsam die verfolgte Unschuld geben und Privilegien nützen können (wie etwa vom Einkommen von Männern zu leben), ohne dadurch zu irgendetwas verpflichtet zu werden.
* „Im Januar 2016 wurden drei beteiligte nordafrikanische Asylbewerber wegen Diebstahls zu Bewährungsstrafen zwischen 3 und 6 Monaten und einer Jugendstrafe verurteilt. […] Bis Juli 2016 wurden zu den Sexualdelikten in Köln lediglich zwei Männer zu Bewährungsstrafen verurteilt. […] Bis August 2016 wurden 14 Täter rechtskräftig verurteilt. Nach Angaben der Kölner Staatsanwaltschaft konnte der Aufenthaltsstatus von lediglich 133 der bis dahin 286 Beschuldigten geklärt werden. […] Bis Oktober 2016 gab es vor dem Kölner Amtsgericht 19 Verhandlungen gegen 22 Angeklagte. Dabei wurden Strafen zwischen 480 Euro Geldstrafe und 20 Monaten Haft ohne Bewährung verhängt. Wegen sexueller Nötigung wurde lediglich in einem Verfahren verurteilt, in einem weiteren wegen Beleidigung auf sexueller Grundlage durch Grapschen. Die meisten anderen Anklagen erfolgten wegen Diebstahlsdelikten. Bei den Angeklagten handelte es sich überwiegend um Nordafrikaner. Elf Verfahren waren rechtskräftig abgeschlossen, gegen acht Urteile wurden Rechtsmittel eingelegt. Vier weitere Verfahren endeten ohne Gerichtsverhandlung mit Strafbefehlen. Im Zusammenhang mit der Silvesternacht waren rund ein Dutzend weiterer Verfahren anhängig. Bis Ende November 2016 wurden nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministeriums nach insgesamt 1205 Strafanzeigen nur sechs Täter verurteilt, einer davon noch nicht rechtskräftig. Das Amtsgericht Köln verhängte Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und neun Monaten, die meisten davon zur Bewährung. Viele Verfahren wurden eingestellt, nachdem kein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte.“ (Wikipedia, Eintrag „Sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht 2015“)
Aber es muss nicht nur irgendetwas gewesen sein, es muss dieses Bestimmte gewesen sein: Sexuelle Gewalt gegen Frauen. Da weiß man, woran man ist, da kennt man sich aus. Der Diskurs ist hysterisch: Er simuliert in höchster Erregung eine Realität, die es nur gibt, insofern er daran glaubt. Millionen von Menschen, die nicht dabei waren, die nichts beobachtet haben und nichts bezeugen können, sind sehr rasch sehr fest überzeugt, zu wissen, was war, und wie das, was war, es zu beurteilen ist. Sie erklären sich die Ursachen und fordern Maßnahmen. „Experten“ und „Politikern“, denen Journalisten die Bühne bieten, tun ihnen gerne den Gefallen und faseln von Zwängen, Nöten und Abgründen und phantasieren von Härte und Strenge.
Die „Ereignisse“ bilden einen Einschnitt. Es gibt ein Vorher und Nachher. Die „Silvesternacht von Köln“ wird zum feststehenden Begriff. Was genau damit begriffen wird, ist zwar von Anfang an undeutlich und wird im Laufe der Zeit mehr und mehr verschwimmen, aber jeder wird stets wissen oder zu wissen glauben: Da war doch was. Etwas Ungutes. Etwas, gegen das etwas unternommen werden musste.
„Köln“ bringt zwei der aktuellen Lieblingsthemen der Zeit zusammen: Die sexuelle Gewalt gegen Frauen und die Minderwertigkeit von Ausländern. Zur Fremdenfeindlichkeit hat immer schon die psychische Besetzung des fremden Mannes mit Sexualangst gehört, das Phantasma einer übermächtigen und übergriffigen sexuellen Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Orientalen. „Die nehmen uns die Frauen weg“ war immer schon zumindest unterschwellig so präsent wie „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ oder „Die nehmen uns die Heimat weg“.
Als also mit einiger Verspätung ( in der Silvesternacht selbst hatte die Polizei alles als mehr oder minder ruhig eingeschätzt) Anzeigen und Berichte auftauchten, die rassistische Phantasien enthielten — Wie erkennt eine Zeugin eigentlich, ob ihr Belästigter aus dem „nordafrikanischen oder arabischen Raum“ stammt? Hat sie mit ihm geplaudert? Sich seine Papier zeigen lassen? —, galt das nicht von vornherein als die Schmälerung der Glaubwürdigkeit, die es hätte sein müssen, sondern umgekehrt, die Unantastbarkeit weiblicher Vorwürfe machte aus rassistischen Phantasien Fakten ethnisch markierter Kriminalität.
Es gilt als unumstößliches Dogma, dass Behauptungen von Frauen, sie seien belästigt oder vergewaltigt worden, nie in Frage gestellt werden dürfen, weil das natürlich hieße, Opfer zum Schweigen zu bringen und sie auf diese Weise quasi zum zweiten Mal zu vergewaltigen. Dadurch wird jeder Vorwurf zum Fall. Und wenn Ermittlungen dann keine Beweise erbringen oder ein Gericht niemanden verurteilt, dann ist das offensichtlich Teil der Verschwörung des Patriarchats zur Unterdrückung von Frauen. Gerade die Unerweislichkeit von Fakten wird so zum Beweis ihrer Evidenz.
Genau das nach „Köln“ passiert. Weder wurden massenhafte sexuelle Übergriffe gegen Frauen belegt noch gab es eine dem entsprechende Vielzahl von Verurteilungen. Und wenn überhaupt jemand verurteilt wurde, dann nicht für das, wofür „Silvesternacht von Köln“ steht, sondern wegen Kleinkriminalität oder Vergehen, die mit den angeblichen Ereignissen nichts zu tun hatten.*
Das ändert aber nichts daran, dass das Phantasma bestehen bleibt. In den auf die berüchtigte Silvesternacht folgenden Silvesternächten, als gezielt mehr Polizei und mehr mediale Aufmerksamkeit zum Einsatz kam, wunderte man sich, dass nicht passierte. Man suchte daraufhin nach Erklärungen und schrieb die wundersamen Nichtereignisse einem geänderten Einsatzplan der öffentlichen Kontrolle und Gewalt zu, weil man nicht zugeben konnte, dass einfach dasselbe passiert war, wie damals auch: eigentlich nichts.
Gewiss, wo viele Menschen ausgelassen auf einander treffen, wird es immer zu Taschendiebstahl, Rempelei, sexueller oder anderer Belästigung kommen. Aber das, wovon das Phantasma spricht: massenhafte und womöglich im voraus verabredete sexuelle Gewalt dunkelhäutiger Männer gegen deutsche Frauen — das fand nicht statt.
Solches zu sagen, ist verpönt. Wer „Köln“ leugnet ist fast wie jemand, der „Auschwitz“ leugnet. (Mit dem Unterschied freilich, dass „Auschwitz“ historisch durch und durch erforscht ist, während „Köln“ eine journalistische Seifenblase ist und bleiben wird.) Wer sagt, damals sei nichts passiert, was den rassistischen Diskurs, der sich daran knüpft, in irgendeiner Weise rechtfertigt, dem kann jederzeit mit der Keule der Frauenfeindlichkeit eins übergebraten werden. Denn die führenden Feministinnen in Deutschland haben sich zusammen mit dem Heer ihrer Helfershelfer dafür entschieden, lieber Rassismus zuzulassen, als die Möglichkeit zuzugeben, dass bei irgendeiner Gelegenheit Frauen einmal nicht unterdrückt worden wären.
Frauen sind als Frauen ja bekanntlich geradezu dadurch definiert, dass sie unterdrückt werden, dass sie auf vielfältige Weise Opfer sind. Opfer von Männern natürlich, von wem denn sonst. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen sich nicht wehren können, jedenfalls nicht mit Taten, sondern allenfalls mit Worten, und auch das nur im Nachhinein. Der Gedanke, dass Frauen für ihr Wohl und wehe in bestimmten Ausmaß selbst verantwortlich sind, ist undenkbar, weil frauenfeindlich: Man darf Frauen nicht abverlangen, dass sie sich vorher überlegen, wann sie wo mit wem bei welcher Gelegenheit zu welcher Uhrzeit wie unterwegs sind. Man darf Frauen nicht abverlangen, keine falschen Signale auszusenden. (Auch nur anzudeuten, eine den Körper entblößende und Geschlechtsmerkmale betonende äußere Erscheinung einer Frau könne auf ihre sexuelle Kontaktfreudigkeit hinweisen, ist gleichbedeutend damit, Frauen die Schuld an den gegen sie verübten Verbrechen zu geben, und ist also selbst ein Verbrechen. Frauen kleiden und schminken sich wie Sexarbeiterinnen, weil es ihnen gefällt, und nicht etwa, weil sie für Männer attraktiv sein wollen.)
Man darf Frauen auch nicht abverlangen, unerwünschte Avancen unzweideutig zurückzuweisen und Übergriffigen auf die Finger zu klopfen. Man darf Frauen nämlich überhaupt nicht abverlangen, sich zu wehren. Bekanntlich sind ja alle Frauen jedem Mann physisch unterlegen und damit schutzlos ausgeliefert (und sie begleitende Männer dürften immer wie gelähmt den Untaten ihrer Geschlechtsgenossen zusehen müssen). Da es ja offensichtlich keinerlei Möglichkeiten für Frauen gibt, speziell für sie eingerichtete Selbstverteidigungskurse zu besuchen, und Frauen zudem der Gedanke fern liegen muss, ihre ständige Furcht, zum Opfer männlicher Gewalt werden zu können, statt mit rosarot markierten Frauenparkplätzen, Frauenzugsabteilen und anderen Schutzzonen, besser mit dem Besuch besagter Kurse zu bekämpfen, wissen sie auch nichts vom Tritt in die Eier oder anderen, elaborierteren Tricks, mit denen körperlich Unterlegene beliebige Angreifer womöglich abwehren können. Und leider wird ja auch zum Beispiel kein Pfefferspray in Deutschland verkauft. Auch um Hilfe rufen kann keine Frau, schon gar nicht in einer Menschenmenge. Kurzum, Frauen können auf männliche Gewalt gar nicht anders als mit Duldungsstarre reagieren, um dann Stunden, Tage, Jahre oder Jahrzehnte später daraus zu erwachen und nach viel Seelenpein dann endlich den Mut zu finden, haarklein zu erzählen, was ihnen Schlimmes passiert und wer daran schuld ist.
Und ihnen muss, das weiß man, geglaubt werden. Da sie a priori Opfer sind, muss es auch a priori Täter geben. Also Männer. Und je deutscher das Opfer, desto undeutscher der Täter. Nun wäre ja der bei den „Ereignissen der Kölner Silvesternacht“ als Täter identifizierte orientalische Mann eigentlich auch ein Opfer. Zum einen, weil er eben einer falschen, nämlich auf aktuellem westlichem Stand befindlichen kulturellen Prägung und Vergesellschaftung unterlegen ist, die ihm ein zusätzliches Tätertum aufzwingt (nämlich zusätzlich zum bloßen Mann sein als zumindest potenzielles Tätertum). Zum anderen durch das ja besonders hervorgehobene Merkmal seine Aufenthaltsstatusses. Denn wer wäre mehr Opfer als jemand, der aus Krieg und Elend fliehen musste und womöglich nur das nackte Leben retten konnte? Oder der zumindest aus einem Land stammt, in dem wirtschaftliche Not ohne Aussicht auf Besserung herrscht, und der hier Aufnahme gefunden hat, um ein neues, womöglich besseres Leben zu beginnen? Aber gerade sein Flüchtlingsein, seine Herkunft aus der Fremde wird gegen den Aufgenommenen gewendet. Gerade deswegen soll er härter und im Grunde doppelt bestraft werden: Während dem deutschen Mann für dieselbe Tat nur Geld- oder Haftstrafe drohen, soll, so eine weit verbreitete Forderung, der straffällig gewordene nichtdeutschen Mann außerdem deportiert („abgeschoben“), also ganz zum Verschwinden gebracht werden. Es gibt, soweit ich sehe, im Deutschen nur zwei wiederkehrende Wendungen, in denen etwas „verwirkt“ wird. Nämlich einmal „das Gastrecht“, zum anderen, altertümlich und seit Abschaffung der Todesstrafe nicht mehr gebräuchlich, „das Leben“: Wenn also, wie es bei jedem sich bietenden Anlass geschieht, nachdrücklich gesagt wird, jemand habe durch das und das „sein Gastrecht verwirkt“, so arbeitet im Unbewussten womöglich die Assoziation „sein Leben verwirkt“.
Und darum geht es ja letztlich bei Rassismus (frei nach Foucault formuliert): Die müssen sterben, damit wir leben können. Dazu muss jeder, der in Frage kommt daran glauben, dass die uns an Leib und Leben bedrohen, weshalb es zulässig ist, sie zu markieren, zu diskriminieren, zu kriminalisieren, zu entrechten, zu entwürdigen, zu deportieren usw. usf. Weil aber die Realität keine ausreichende Bedrohung (oder überhaupt eine) hergibt, muss sie erfunden werden. Möglichst so, dass sie unwiderleglich erscheint.
Genau dafür steht das Gespenst des „Silvesternacht von Köln: Für eine Verbindung von hegemonialem Feminismus und hegemonialem Rassismus zu einem geschlossenen Narrativ, bei dem das eine Element das andere stützt: Weil Frauen ihre Vorwürfe immer zu Recht erheben, sind die nichtdeutschen Männer schuldig; weil Männer aus dem Orient frauenfeindlich sind, sind Frauen Opfer.
Dass Rassismus widerlich ist, steht hoffentlich außer Frage. Als nicht weniger abstoßend aber hat doch wohl ein Feminismus zu gelten, der das emanzipatorische Ziel aufgeben hat, dass Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht dieselben Recht und Pflichte haben und dass sie unabhängig von dem ihnen zugeschriebenen oder von ihnen behaupteten Geschlecht denselben Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe haben müssen. An die Stelle von Emanzipation in diesem Sinne wird der Anspruch auf Sonderrechte für Frauen erhoben, die als das besonders bedrohte und unterdrückte und darum besonders schützens- und förderungswerte Geschlecht zu gelten hätten. Feminismus ist dann nicht mehr emanzipatorisch, sondern reaktionär, weil er statt Gleichheit und deren Durchsetzung die Anerkennung von Ungleichheit und Ungleichbehandlung fordert. Das tatsächlich bestehende Unrecht wird auf diese Weise zum beliebigen Beleg, zur Bestätigung von Vorurteilen, und soll nicht mehr beseitigt, sondern bloß mit umgekehrtem Vorzeichen verewigt werden. Frauen werden zugleich auf ihren Opferstatus festgelegt und dieser als Herrschaftsmittel ausgebaut: Ich bin eine Frau, also werde ich unterdrückt, also muss ich Vorrechte haben, nicht etwa als Ausgleich bestehender Ungleichbehandlung bis zur Erreichung von Gleichbehandlung unabhängig von Geschlechtszugehörigkeit, sondern mit dem erklärten Ziel dauerhafter Ungleichbehandlung als unmissverständlicher Anerkennung meines Frauseins.
Nein. Frauen haben dasselbe Recht, sich gegen Übergriffe, sexuelle und andere, zu wehren wie Männer. Sie haben auch dieselbe Pflicht, im öffentlichen Raum Umsicht und Vorsicht walten zu lassen und Vorkehrungen für die eigene Sicherheit zu treffen. Sie haben nicht mehr Recht, von Veranstaltern, Betreibern oder der Polizei geschützt zu werden, als Männer. Sie können genauso wenig wie Männer verlangen, dass öffentliche Zurschaustellung kein Publikum findet und dass bestimmte Selbstdarstellungsformen nicht als Zurschaustellung gewertet werden. Frauen sind im journalistischen Diskurs und vor Gericht nicht glaubwürdiger als Männer. Wenn Frauen Opfer von Straftaten geworden sind, müssen sie diese genauso anzeigen wie Männer, wenn sie wollen, dass diese Straftaten verfolgt werden, und sie müssen sich genauso wie Männer damit abfinden, wenn Ermittlungen oder Urteile nicht das Erwartete oder Erhoffte ergeben.
Emanzipatorisch gesagt: Frauen dürfen sich nicht darin einrichten, von Männern angeblich immer als Objekte des Begehrens oder der Ausbeutung behandelt zu werden und diese Behandlung durch ihr Verhalten auch noch entgegenkommen, wenn sie nicht anders behandelt werden wollen als Männer. Oder aber ihr „Feminismus“ ist nichts anderes als ihr unverzichtbarer Beitrag zum „Patriarchat“, das dann freilich wohl eher als verdecktes Matriarchat zu gelten hätte, in dem die Männer auf ihre Rolle als (strukturell heterosexuelle) Schurken verpflichtet sind, während Frauen gleichsam die verfolgte Unschuld geben und Privilegien nützen können (wie etwa vom Einkommen von Männern zu leben), ohne dadurch zu irgendetwas verpflichtet zu werden.
* „Im Januar 2016 wurden drei beteiligte nordafrikanische Asylbewerber wegen Diebstahls zu Bewährungsstrafen zwischen 3 und 6 Monaten und einer Jugendstrafe verurteilt. […] Bis Juli 2016 wurden zu den Sexualdelikten in Köln lediglich zwei Männer zu Bewährungsstrafen verurteilt. […] Bis August 2016 wurden 14 Täter rechtskräftig verurteilt. Nach Angaben der Kölner Staatsanwaltschaft konnte der Aufenthaltsstatus von lediglich 133 der bis dahin 286 Beschuldigten geklärt werden. […] Bis Oktober 2016 gab es vor dem Kölner Amtsgericht 19 Verhandlungen gegen 22 Angeklagte. Dabei wurden Strafen zwischen 480 Euro Geldstrafe und 20 Monaten Haft ohne Bewährung verhängt. Wegen sexueller Nötigung wurde lediglich in einem Verfahren verurteilt, in einem weiteren wegen Beleidigung auf sexueller Grundlage durch Grapschen. Die meisten anderen Anklagen erfolgten wegen Diebstahlsdelikten. Bei den Angeklagten handelte es sich überwiegend um Nordafrikaner. Elf Verfahren waren rechtskräftig abgeschlossen, gegen acht Urteile wurden Rechtsmittel eingelegt. Vier weitere Verfahren endeten ohne Gerichtsverhandlung mit Strafbefehlen. Im Zusammenhang mit der Silvesternacht waren rund ein Dutzend weiterer Verfahren anhängig. Bis Ende November 2016 wurden nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministeriums nach insgesamt 1205 Strafanzeigen nur sechs Täter verurteilt, einer davon noch nicht rechtskräftig. Das Amtsgericht Köln verhängte Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und neun Monaten, die meisten davon zur Bewährung. Viele Verfahren wurden eingestellt, nachdem kein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte.“ (Wikipedia, Eintrag „Sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht 2015“)
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