Einer
der vielen, die unablässig für die „Homo-Ehe“ trommeln, schreibt in
einem sozialen Netzwerk: „Mein Vater hatte ein Riesenproblem mit meinem
Schwulsein. Wir haben Jahre über dieses Thema gestritten. Als mein Mann
und ich 2001 unsere Lebenspartnerschaft geschlossen haben, schrieb er
mir eine Karte: ‘Als du 16 warst brach meine Welt entzwei, heute ist sie
wieder heil geworden.’ Auf seinem Totenbett äußerte er einen letzten
Wunsch: ‘Ihr beide müsst mir versprechen, dass ihr zusammenbleibt!’ Mein
Leben hat er wahrscheinlich nicht in seiner Gänze verstanden. Aber wenn
ich heute für die Öffnung der Ehe kämpfe, dann tue ich es auch im
Gedenken an ihn.“
Peinlicher geht es kaum. Dabei ist nicht die
Veröffentlichung von Privatem das Unangenehme, sondern dass der
Verfasser dieser Notiz das Politische am von ihm preisgegebenen
Persönlichen so völlig missdeutet, obwohl offensichtlich ist, das gerade
das Gegenteil von dem, was er um jeden Preis wahrhaben will, der
Wirklichkeit entspricht.
Ein Vater hat etwas dagegen, dass sein Sohn
schwul ist. Das ist die von wenigen Ausnahmen bestätigte Regel. Manche
Schwule versöhnen sich nie mit ihren Vätern, manche erlangen eine Art
Duldung, hin und wieder mag es zu einem mehr oder minder freudigen
Akzeptieren kommen. Nicht die Ablehnung des Schwulseins des Sohnes durch
den Vater ist hier also das Besondere, sondern die Weise, wie der Vater
sie überwindet. Die Entdeckung, dass der eigene Sohn nicht
heterosexuell ist, wurde vom Vater als Beeinträchtigung seines
Weltverhältnisses erlebt („brach meine Welt entzwei“), dass der Sohn
Jahre später eine Lebenspartnerschaft schließt, stellt die richtigen
Verhältnisse wieder her, die Welt des Vaters ist „wieder heil geworden“.
Dem
Sohn stellt sich dies anscheinend als Umkehrung der Verhältnisse dar:
erst Ablehnung, dann Zustimmung. Das Gegenteil ist der Fall. Ganz
offensichtlich hat sich nicht die Einstellung des Vaters geändert,
sondern der Gegenstand seiner Wertung. Die Homosexualität des Sohnes,
die er als Nichtheterosexualität, als Bindungslosigkeit, als
ungeordnetes Leben empfand, lehnte der Vater ab; den Eintritt in
geordnete Verhältnisse, die staatliche Registrierung einer
Partnerschaft, die Imitation von Heterosexualität befürwortete der Vater
sehr.
Anders gesagt, Homosexualität, die etwas grundsätzlich anderes
ist als Heterosexualität, wies der Vater entschieden zurück, einer
Homosexualität aber, die sich, was die paarweise Lebensweise betrifft,
nicht von Heterosexualität unterscheidet, stimmt der Vater entschieden
zu.
Der sich durchhaltende „homophobe“ Impuls entgeht dem Sohn
völlig. Dass nicht die Ablehnung der Homosexualität durch den Vater sich
gewandelt hat, sondern seine, des Sohnes, Weise, Homosexualität zu
konzipieren, zu präsentieren, zu praktizieren, versteht er nicht. Es ist
wohl kein unzulässiges Herumpsychologisieren, wenn man unterstellt,
dass es gerade der (unbewusste) Wunsch ist, die Zustimmung des Vaters
zur eigenen Lebensweise doch noch zu erlangen, der den Sohn dazu
gebracht hat, diese seine Lebensweise am heterosexuellen Modell zu
orientieren.
„Wenn ich heute für die Öffnung der Ehe kämpfe, dann tue
ich es auch im Gedenken an ihn.“ Das ist zweifellos richtig. Es
bedeutet nur das Gegenteil von dem, was der „Kämpfer“ meint. Die
„Ehe-Öffnung“ — ein unsäglich unehrlicher Ausdruck, der verschleiern
soll, dass zwecks Ausgleichs einer nicht bestehenden Ungleichheit
Sonderrecht geschaffen und damit der herkömmliche Begriff von Ehe durch
einen anderen ersetzt werden soll —, die „Ehe-Öffnung“ also oder,
redlicher gesagt, die Durchsetzung der Homo-Ehe ist dem Sohn deshalb ein
Anliegen, weil er damit die Ablehnung des Vaters rückwirkend in
Zustimmung umwerten zu können erhofft. Er ist durchaus bereit, dafür den
Preis zu zahlen: Seine Selbstbestimmung darüber, in welchen Formen er
Beziehungen zu Männern unterhält, aufzugeben zugunsten der Einwilligung
in eine, der Rechtsform nach, monogame Lebenspartnerschaft nach dem
Vorbild von Mama und Papa. (Nicht notwendig den tatsächlichen Eltern,
sondern Mama und Papa als Archetypen.)
Was muss dieser Vater für ein
grässlicher Mensch gewesen sein! Nicht, weil er etwas gegen
Homosexualität hatte; das ist normal, schließlich war er selbst
heterosexuell, und Heterosexualität beruht immer auf unterdrückter
Homosexualität. Zuwider muss einem der Mann sein, weil er, noch dazu
erpresserisch auf dem Totenbett, dem Sohn und dessen Partner ein
Versprechen abverlangt, dass diese weder geben können mussten noch geben
dürfen hätten. Das Versprechen des Zusammenbleibens ist nämlich
entweder eine Zusage über etwas, worüber man nicht verfügt, denn man
kann nicht vorhersagen, ob man in späterer Zeit noch zusammensein will,
oder es ist bloßes Gerede, weil man etwas zusagt, das zu halten man
ohnehin gar nicht vorhat. Und was muss der Sohn für ein komischer Kerl
sein, wenn er bereit war, sich ein solches Versprechen abpressen zu
lassen! Warum überhaupt gilt ihm die Zustimmung oder Ablehnung des
Vaters so viel? Warum hat er sich nie emanzipiert (was ja wörtlich
einmal bedeutet hatte: aus der Verfügungsgewalt des Vaters entlassen
werden)?
Was sie für einander in Zukunft empfinden werden, können
zwei Menschen einander nicht versprechen — und schon gar nicht Dritten
(die derlei deshalb auch nicht fordern dürfen). Freilich können sie
einen Vertrag darüber schließen, was sie im Verhältnis zum jeweils
anderen auch künftig tun und lassen müssen. Das unterscheidet
Liebesbeziehungen von Rechtsverhältnissen. Beides zu vermengen zeichnet
die Debatte um die Homo-Ehe aus, etwa wenn gefordert wird: Gleich viel
Recht für gleich viel Liebe.
Die Liebe, die der Sohn sich sichern
will, ist offensichtlich die des Vaters. Für sie verrät er seine
Freiheit und die seines „Partners“ an herrschende Denkweisen und
traditionelle Modelle des Zusammenlebens. Nichts ist gegen
Verbindlichkeit oder auch gegen Versprechen und Verträge einzuwenden.
Auch wenn es wohl menschenwürdiger ist, dass zwei Menschen sich, wenn
schon, immer wieder neu für einander entscheiden, statt
zusammenzubleiben, weil es so im Vertrag oder im Gesetz steht. Warum
aber müssen Verträge, Versprechen, Verbindlichkeit ausgerechnet nach dem
Vorbild der heterosexuellen Monogamie gemodelt werden? Das zeugt nicht
nur von Einfallslosigkeit und Feigheit, sondern vor allem auch von einem
fundamentalen Konformismus, der sich aus dem verborgenen Quell
internalisierter Homophobie speist: Schau her, Papa, ich bin ganz brav! Ich bin zwar schwul, aber dabei genau so ein Spießer wie du!