Donnerstag, 16. Januar 2025

Aufgeschnappt (bei Pasolini)

La mia indipendeza, che è la mia forza, implica la mia solitudine, che è la mia debolezza.

Meine Unabhängigkeit, die meine Stärke ist, führt zu meiner Einsamkeit, die meine Schwäche ist.

Mittwoch, 15. Januar 2025

Charakterstudie (3)

Der dort kümmert sich nicht gern um Kleinigkeiten. Er sieht sich mehr fürs Große und Ganze zuständig. Einzelheiten interessieren ihn nur, wenn er sie symbolisch für einen größeren Zusammenhang nehmen kann. Er sieht oft Zusammenhänge, die andere nicht verstehen. Darin liegt seine Begabung. Die große Linie. Wer liest schon das Kleingedruckte? Er arbeitet keine detailierten Pläne aus. Er macht einfach und vertraut darauf, dass alles gut gehen wird. Muss es ja, er hat schließlich den Überblick. Er kann, was er kann, aber einer wie er kann sich nicht um alles kümmern. Kritische Nachfragen irritieren ihn, das ist kleingeistig. Er ist kein Erbsenzähler. Scheitern ist keine Option. Weil er aber doch immer wieder scheitert, macht er dafür den Mangel an Sinn für seine Außergewöhnlichkeit bei den anderen verantwortlich.

Dienstag, 14. Januar 2025

Charakterstudie (2)

Die dort hat immer viel zu tun. Das bewahrt sie davor, innehalten zu können und sich womöglich zu fragen, warum sie tut, was sie tut. Darüber denkt sie nie nach, und fragte man sie, wüsste sie nur zu sagen, dass sie eben tue, was nötig sei. Was ihr Spaß mache. Was das für eine komische Frage sei. Für sowas habe sie keine Zeit.

Charakterstudie (1)

Der dort genießt seine Freiheiten nicht. Sie bereiten ihm vielmehr Unbehagen. Er wüsste immer gern, was er zu tun hat, ohne sich entscheiden zu müssen. Zwar mag er es nicht, wenn man ihm etwas vorschreibt, da wird er oft bockig, aber er nähme gern hin, was einfach sein muss. So aber verweigert er sich vielem. Eben deshalb, weil er sich nicht entscheiden müssen möchte. Dann lieber verzichten. Dass er unglücklich ist, weil er sich nie für etwas entscheiden konnte, was ihn vielleicht glücklich gemacht hätte, weiß er selbst und gerade darum verabscheut er ja das Entscheidenmüssen. Keine Wahl zu haben, kommt ihm besser vor, als etwas zu wählen, womit es dann vermutlich doch nichts ist. So vergehen ihm die Tage seit vielen Jahren. Am Ende wird er tot sein, das immerhin ist unvermeidlich, tröstet ihn aber auch nicht.

Montag, 13. Januar 2025

Balken & Splitter (110)

AfD-Programm: Dummheit und Niedertracht.
 
BSW-Programm: Dummheit und Niedertracht.

Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender: Dummheit. Ich sage nicht Niedertracht. Ich unterstelle, dass aus dem ehrlichen Bemühen um die berüchtigte Ausgeglichenheit auch jenen Sendezeit eingeräumt wird, über deren Schweinereien man zwar ab und an berichtet, die aber viele Wähler und Wählerinnen haben, die ja eben auch Zuschauer und Zuschauerinnen sein könnten.
Man kann nur nicht beides haben: Sich der Demokratie und Menschenrechten verpflichter fühlen und autoritären, rassistischen, landesverräterischen Kräften eine Bühne geben. Egal, wie viele die wählen.
Ich sage nicht, AfD und BSW würden nicht existieren, wenn man das Gesindel nicht immer wieder auf Gebührenkosten ausführlich zu Wort kommen hätte lassen, aber ich bin überzeugt, dass die zwanghafte Normalisierungsstrategie der Berichterstattung (und die Spektakeltaktik der Talkshow-Einladungen) einen multiplikatorischen Effekt hatten und weiterhin haben werden.

Sonntag, 5. Januar 2025

Balken & Splitter (109)

Der Korrespondent, der in der „Tagesschau“ vom Scheitern der Koalitionsverhandlungen in Österreich berichtete, tat dies in einer Schalte aus Wien vor einem green screen, der die Neue Hofburg zeigt, also auch jenen Balkon, von dem aus Hitler 1938 den „Anschluss“ Österreichs an das kleindeutsche Reich verkündete (das dadurch dann zum großdeutschen wurde). Selbstverständlich nur ein Zufall. Aber gibt es Zufälle? Wohl nur für die Geschichtsvergessenen
 
Warum trifft sich der ÖVP-Parteivorstand (zur Kür eines interimistischen Führers) eigentlich im Bundeskanzleramt? Parteien sind private Vereinigungen, keine Staatsorgane. 

Wieso genau ist Kurz nicht im Knast? Sondern im Gespräch als neuer Parteiführer und Bundeskanzler? Was für ein verkommenes Land.
 
Nachtrag (6. Januar): Durfte inzwischen feststellen, dass der Hinter-Balkon-Hintergrund inzwischen Standard bei Kommentar-Schalten der „Tagesschau“ zu sein scheint. (Wissen ARD-Journalistinnen  beiderlei Geschlechts nicht, wo in der Hofburg Amtssitz des Bundespräsident ist? Dort jedenfalls nicht.) Zuletzt ist der Korrespondent vor dem Bild allerdings nach rechts gerückt.

Demokratischer Fatalismus

Mir doch egal, welche neoliberale Marionette gerade regiert. Gewiss, schlimmer geht’s immer, und jede Regierung kann, ob sie will oder nicht, großen Schaden anrichten. Das liegt im Wesen des Regierens. Besser wär’s nicht regiert zu werden, aber wem passiert das schon.
Nicht die Regierung ist in einer Demokratie das Problem, sondern die Teile der Bevölkerung, die diese Regierung herbeiführen, zulassen und ertragen. In Österreich breitet sich immer mehr eine Art Sekundärpopulismus aus, bei dem man die FPÖ vielleicht nicht direkt wählt, aber sagt: Na, dann soll der Kickl halt Bundeskanzler werden und zeigen, was er kann.
Diese Entzauberungshypothese mit der impliziten Bezauberungshoffnung ist fatal. Derlei hat ja bekanntlich 1933 auch schon gut geklappt. Lassen wir die Nazis mal regieren, die „Konservativen“ (heute: neoliberalen Reaktionäre) passen eh auf, so schlimm wird’s schon nicht werden. Und 1945 war dann plötzlich keiner mehr schuld am Desaster.
Die FPÖ wird von weniger als einem Drittel der Wahlberechtigten gewählt, Mehr als zwei Drittel wählen die FPÖ also nicht. Wie ergibt sich da ein Regierungauftrag, gar ein quasi natürlicher Regierungsanspruch.
Wie kann man ― mit Putin, Trump, Millei, Orbán, Fico usw. vor Augen ― eine Regierungsbeteiligung oder sogar Regierungsführung der Rechtpopulisten ernstlich in Betracht ziehen? Ist das der typisch österreichische Fatalismus: „Es kommt eh, wie’s kommt, und es kommt nichts Besseres nach“? Oder einfach maßlose Dummheit (was auch typisch österreichisch wäre)? Oder aber eben eine Sympathie mit dem Diabolischen, ein Liebäugeln mit Hass, Ressentiment, Rassismus, Soziopathie usw.?

Notiz über Poesie

Ein Gedicht darf alles, was es kann. Rühmen. Beobachten. Klagen. Langweilen. Erregen. Einen Nerv treffen. Einen Augenblick festhalten. Den Horizont erweitern, und sei es nur um zwei Millimeter. Fragen stellen. Antworten geben. Antworten verweigern. Mit der Sprache spielen. Sich verlieren. Bedeutendes sagen. Albern sein. Witzig sein. Rührend sein. Schön sein. Herausfordern. Überfordern. Sich empören. Zur Empörung aufrufen. Resignieren. Trauern. Wüten. Usw. Usf. Nur eines darf ein Gedicht nicht: poetisieren. Nämlich das hervortretende Ego des Poeten oder der Poetin mit Manierismen zu dekorieren versuchen. Die Selbstgefälligkeit, mit der viel zu viele ein paar Wörter in die Tastatur klopfen, verrät ihre Bedenkenlosigkeit und damit die Poesie. Ohne Formbewusstsein, ohne Anspruch auf bestmögliche Gestaltung kein wirkliches Gedicht. Alles kleinzuschreiben und Zeilen mehr oder minder willkürlich abzubrechen, simuliert zwar graphisch literarhistorische Errungenschaften, aber derlei macht bei weitem kein Gedicht aus. Derlei tut bloß so als ob. Solche mickrigen Machwerke, gerne verrätstelt und auch sonst unlesbar, sind das pseudo-avancierte Gegenstück zu den gereimten Gelegenheitsgedichten unterforderter Hausfrauen und launiger Geburtstagsgratulanten. Mit Poesie hat das so viel zu tun wie Uromas Häkeldeckchen oder Uropas Bierdeckelsammlung. Mancher Klospruch ist da poetischer. (Wenn die Leute heutzutage überhaupt noch zum Ausüben dieser alten Kunstform kommen und nicht auch beim Pissen und Kacken dauernd aufs Mobiltelephon starren müssen.)
Ein Gedicht darf, was es kann, es muss das aber auch wirklich können. Es muss den Anspruch zu verwirklichen versuchen, dass nur diese Form, die es hat, dem gerecht wird, was es sein soll. Form, nicht Stoff, Gestaltung, nicht Absicht und Meinung sind das Entscheidende. Vieles, was Gedicht genannt wird, ist nur poetisiertes Unvermögen, eine verbindliche Form zu finden.
Gottfried Benn war der Überzeugung, dass auch die bedeutendsten Dichter unter den vielen Hunderten von Gedichten, die sie schreiben, allenfalls eine Handvoll wirklich guter zu Stande bringen. Damit dürfte Benn durchaus Recht gehabt haben. Aber man darf daraus nicht folgern, dass man bloß sehr viele Texte schreiben müsse, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass irgendwann einmal ein gelungener darunter sei. Man kann, darf und soll als Dichter gewiss so viel schreiben, wie man muss oder will, aber keinesfalls ist immer alles, was einer so absondert, ein lesenswerter Text. Das Schreiben ist nötig, das Publizieren ist es nicht.
Ein Tischler, der Hunderte von Tischen tischlerte, von denen nur ein paar nicht wackeln, wäre ein schlechter Tischler und hätte wahrscheinlich seinen Beruf verfehlt. (Oder eine schlechte Ausbildung genossen.) Ein Dichter hingegen hat das Recht, ja die Pflicht, auch schlechte Gedichte zu schreiben ― er braucht sie ja nicht zu veröffentlichen! ―, um durch Versuch, Scheitern, neuen Versuch, besseres Scheitern usw. darauf hinzuarbeiten, auch einmal ein gutes zu schreiben.
Dichtung ist nicht gefühlsseliges Verseschmieden. (Wenn überhaupt noch jemand einen Begriff vom Unterschied von Vers und Zeile hat.) Inspiration, Geistesblitz, Sensibilität sind erlaubt, aber garantieren bei Weitem noch keine gelungene Gestaltung. Dichtung ist Handwerk, das auf jeden Fall, ein Können also, das man hat oder nicht hat, warum auch immer, aber dichterische Handwerkskunst muss, wenn nicht gedrechselter, gehäkelter, hingerotzter Kitsch und vorgefertigter Müll entstehen soll, immer aufs Neue erarbeitet werden. (Gewiss darf ein Schreibender sich Kunstgriffe beibringen. Mit immer denselben Methoden zu werkeln, wäre jedoch höchst unschicklicher Manierismus. Der Übergang zum Marinierten ist dann oft allzu leicht.) Das Material, das ein Dichter bei diesen seinen Selbstversuchen vergeudet, ist die unerschöpfliche, ewig nachwachsende Sprache, sein Handwerkszeug ist er selbst, und wenn er sich abnützt, dann ist das eben so. Gedichte müssen sein, Dichter aber sind sowieso hinfällig und sterblich.