Im Tefau spricht ein Fachmann vom Mittagsschlaf und seinen Vorzügen. Ich höre mit Wohlgefallen zu. Darum also bin ich so klug und ausgeglichen, so, so. Dann aber redet der Kerl was von zehn bis 20 Minuten. Das ist doch kein Mittagsschlaf! Das ist ja mehr wie Hinfallen und mühsam wieder Aufstehen.
Freitag, 11. Juli 2025
Übrigens (5)
Kennen Sie das? Sie sind ein bisschen krank sind und erzählen anderen davon wie es Ihnen geht, mit einigenallerhand erhellenden Einzelheiten, und die anderen antworten darauf, indem sie erzählen, wie es ihnen ging. als sie dasselbe hatten, aber mit ganz anderen Einzelheiten, und Sie ärgern sich ein bisschen, weil die Leute offensichtlich nicht einmal richtig krank sein können, mit den richtigen Symptomen und Verläufen, und vor allem wundern Sie sich, wozu einem die Leute das alles erzählen. Kennen Sie das?
Mittwoch, 9. Juli 2025
Notiz vom 31. März 1994
Schon früh ― in meiner Schulzeit, bei Diskussionen mit [meinem besten Freund] ― formulierte ich eine Art „Grundsatz der Macht-Erhaltung“. Damals problematisierte ich den „Abbau“, das „Verschwinden“ von Macht durch Demokratisierung: Irgendwo müsse die Macht ja bleiben …
Auch entdeckte ich folgende Parallele: Uns, den Schülern und Schülerinnen, wurde eingepaukt, die Freiheit des einen ende dort, wo die Freiheit des anderen beginne. Ebenso schien mir aber die Macht des einen von der Macht des anderen begrenzt zu werden. Also lag es für mich nahe, Freiheit und Macht gleichzusetzen …
Später diskutierte ich mit meine Philosophielehrer darüber, ob Demokratie Herrschaft und damit von Übel sei … Ich war unbelehrbar davon überzeugt. (Und bin es noch).
Nicht nur wegen der in den Lehrplänen vorgesehenen Politischen Bildung (und auch nicht erst wegen meiner politischen Aktivität als Klassen-, Kurs- und Schulsprecher) war der Lebensraum Schule genau der Ort, an dem ich meine ersten Begriffe im Denken des Politischen entwarf.
Die Situation, wie ich sie erlebte, war die eines Einzelnen, der nicht bloß „von oben“ (Lehrern, Lehrerinnen, dem Schulsystem überhaupt …) reglementiert, sondern auch „von der Seite“ (also von den Mitschülern und Mitschülerinnen) diszipliniert werden soll. Sein zu sollen und handeln (denken, sprechen …) zu sollen wie alle anderen und zugleich mit ihnen ― und sei es nur auf abstraktem Feld ― konkurrieren zu sollen. Anpassung, Zugehörigkeit, Isolation, Autorität, Sanktionen; die Einsamkeit und Schwere des Widerspruchs, der Zwang zum Mitmachen, die Dummheit der Mächtigen …
Ich genoss es zu sehr, eine abweichende Meinung zu vertreten und gegen den Rest der Welt (der Klasse oder des Kurses) argumentativ zu verteidigen, zu sehr nämlich, um Demokrat zu sein. Mehrheiten ― so meine Erfahrung ― waren mächtig und träge und dumm und ängstlich und rückständig und lagen meist falsch. Dazu gehört für mich aber auch die Erfahrung, durch besonderes Geschick (Sprach- und Denkbegabung …) aufzufallen und durch eine gewisse Art von Witzigkeit und Unzugänglichkeit gerade noch eben ― trotz der Isolation ― recht beliebt zu sein. (Oder auch rundheraus gehasst zu werden.)
Auch entdeckte ich folgende Parallele: Uns, den Schülern und Schülerinnen, wurde eingepaukt, die Freiheit des einen ende dort, wo die Freiheit des anderen beginne. Ebenso schien mir aber die Macht des einen von der Macht des anderen begrenzt zu werden. Also lag es für mich nahe, Freiheit und Macht gleichzusetzen …
Später diskutierte ich mit meine Philosophielehrer darüber, ob Demokratie Herrschaft und damit von Übel sei … Ich war unbelehrbar davon überzeugt. (Und bin es noch).
Nicht nur wegen der in den Lehrplänen vorgesehenen Politischen Bildung (und auch nicht erst wegen meiner politischen Aktivität als Klassen-, Kurs- und Schulsprecher) war der Lebensraum Schule genau der Ort, an dem ich meine ersten Begriffe im Denken des Politischen entwarf.
Die Situation, wie ich sie erlebte, war die eines Einzelnen, der nicht bloß „von oben“ (Lehrern, Lehrerinnen, dem Schulsystem überhaupt …) reglementiert, sondern auch „von der Seite“ (also von den Mitschülern und Mitschülerinnen) diszipliniert werden soll. Sein zu sollen und handeln (denken, sprechen …) zu sollen wie alle anderen und zugleich mit ihnen ― und sei es nur auf abstraktem Feld ― konkurrieren zu sollen. Anpassung, Zugehörigkeit, Isolation, Autorität, Sanktionen; die Einsamkeit und Schwere des Widerspruchs, der Zwang zum Mitmachen, die Dummheit der Mächtigen …
Ich genoss es zu sehr, eine abweichende Meinung zu vertreten und gegen den Rest der Welt (der Klasse oder des Kurses) argumentativ zu verteidigen, zu sehr nämlich, um Demokrat zu sein. Mehrheiten ― so meine Erfahrung ― waren mächtig und träge und dumm und ängstlich und rückständig und lagen meist falsch. Dazu gehört für mich aber auch die Erfahrung, durch besonderes Geschick (Sprach- und Denkbegabung …) aufzufallen und durch eine gewisse Art von Witzigkeit und Unzugänglichkeit gerade noch eben ― trotz der Isolation ― recht beliebt zu sein. (Oder auch rundheraus gehasst zu werden.)
Diese wiedergefundene Notiz, in der ich als achtundzwanzigjähriger auf mich und meine jugendlichen Überlegungen zum Politischen zurückblickte, überrascht mich durch die Kontinuität der Themen und nicht zuletzt der Haltungen, die ich dazu schon damals einnahm. Die Zuückweisung der liberalistischen Doktrin, wonach die Freiheit des einen durch die Freiheit der anderen begrenzt werde, als einseitig (und ihre Ergänzung durch die wesentliche Einsicht, dass die Freiheit und also Handlungsfähigkeit des einen durch die anderen überhaupt erst ermöglicht werde); die Deutung der Demokratie als Herrschaft (der Mehrheit und der Vertreter); das Zusammenbringen und geradezu Gleichsetzen von Freiheit und Macht (frei ist, er machen kann, was er will); die Entdeckung mittelbarer Herrschaft durch soziale Normen und den sanften oder unsanften Druck des Umfeldes; die persönliche Möglichkeit, sich (zumindest rhetorisch) abzugrenzen und zur Wehr zu setzen und dadurch fast so etwas wie (zumindest intellektuelle) Souveränität zu erarbeiten; all das beschäftigte mich mit schon als Schüler, also vor weit über vierzig Jahren, und es beschäftigt mich heute noch. Wahrscheinlich sollte es mich bedenklich stimmen, dass ich im Laufe der Jahrzehnte zwar manche Formulierungen überarbeitete und neue Begriffe verwendete (und zuweilen wieder aufgab), dass ich aber meine Grundüberzeugungen niemals änderte: Herrschaft ist von Übel; die Masse ist dumm; die Mitmenschen sind ebenso meine Einschränkung wie vor allem meine Ermöglichung; Demokratie ist auch bloß Herrschaft (weshalb man über sie hinaus muss; man sollte versuchen, sich von den Vorurteilen der anderen frei zu machen (und so von den eigenen). Solches Festhalten an einmal Gedachtem mag manchen als Zurückbleiben und als Engstirnigkeit erscheinen. Andererseits ist diese meine (freilich durchaus bewegliche) Beständigkeit vielleicht auch etwas Gutes, denn ich bin geneigt, in ihr, wenn schon nicht einen Hinweis auf die Richtigkeit meiner Ansichten, so doch eine Bestätigung ihrer persönlichen Unvermeidbarkeit zu sehen: So dachte ich schon früher, weil ich es so wollte, und weil ich es immer noch will, denke ich immer noch so. (9. Juli 2025)
Freitag, 4. Juli 2025
Stau ist kein Schicksal
Ich bin ein Gastarbeiterkind. Selbstverständlich fuhren wir jeden Sommer in die „alte Heimat“. Alle paar Jahre mit einem etwas besseren, etwas teureren Auto. Übrigens nie ― wer erinnert sich noch? ― mit einer Waschmaschine oder einem Kühlschrank auf dem Dach. Aber mit rammelvollem Kofferraum. Bei der Hin- und vor allem der Rückfahrt (weil es so viele gute Sachen der Heimat in der Fremde nicht gab). Wir düsten meist gleich zu Ferienbeginn los, zuweilen auch früher (wen interessiert schon so eine Zeugnisverteilung?), und wenn dann der angesammelte Urlaub meines Vaters knapp vor Schulbeginn zu Ende war, ging’s wieder zurück.
Mein Vater machte es bei der Reiseplanung richtig. Erstens fuhr er nie tagsüber, sondern immer nachts. (Nachtarbeit war er beruflich gewohnt.) Und zweitens garantiert nie an den Tagen, an denen allen andere nach Norden oder Süden fuhren. Perfekt.
So ging das zehn Jahre lang, erst reisten auf diese Weise meine Eltern, meine Schwestern und ich, dann nur noch meine Eltern und ich. Im Jahrzehnt darauf besuchte ich meine Eltern (und Freunde) sommers gern, in dem ich für die Hinfahrt die Bahn nahm und zur die Rückfahrt manchmal, wie in alten Zeiten, mit meinen Eltern im Auto mitfuhr. Unzählige Male bin ich also mit Zug und Pekaweh von Niederösterreich nach Niedersachsen, von Niedersachsen nach Niederösterreich gereist.
Warum erzähle ich das? Weil ich immer daran denken muss, wie klug mein Vater in dieser Hinsicht war, wenn ich Jahr für Jahr im Tefau sehe, wie die Leute zu Ferienbeginn in gewaltigen Staus stecken. Absolut bescheuert. Nun gut, nicht jeder mag weite Strecken bei Nacht fahren. Aber warum, wenn schon mit dem Auto gefahren werden muss, gerade an den Tagen, von denen man weiß, dass unzählige andere dann auch unterwegs sein werden? Gewiss, die Deutschen lieben ihre Autobahnen. Aber erklärt das den Wahnsinn? Geht es um eine Art Volksgemeinschaft der Kriecher auf Asfalt und Beton? Gehört das zum Ferienerlebnis einfach dazu?
Ich jedenfalls durfte schon als Kind lernen, wie man entspannt und effizient reist. Aber ich war ja auch ein Gastarbeiterkind.
Mein Vater machte es bei der Reiseplanung richtig. Erstens fuhr er nie tagsüber, sondern immer nachts. (Nachtarbeit war er beruflich gewohnt.) Und zweitens garantiert nie an den Tagen, an denen allen andere nach Norden oder Süden fuhren. Perfekt.
So ging das zehn Jahre lang, erst reisten auf diese Weise meine Eltern, meine Schwestern und ich, dann nur noch meine Eltern und ich. Im Jahrzehnt darauf besuchte ich meine Eltern (und Freunde) sommers gern, in dem ich für die Hinfahrt die Bahn nahm und zur die Rückfahrt manchmal, wie in alten Zeiten, mit meinen Eltern im Auto mitfuhr. Unzählige Male bin ich also mit Zug und Pekaweh von Niederösterreich nach Niedersachsen, von Niedersachsen nach Niederösterreich gereist.
Warum erzähle ich das? Weil ich immer daran denken muss, wie klug mein Vater in dieser Hinsicht war, wenn ich Jahr für Jahr im Tefau sehe, wie die Leute zu Ferienbeginn in gewaltigen Staus stecken. Absolut bescheuert. Nun gut, nicht jeder mag weite Strecken bei Nacht fahren. Aber warum, wenn schon mit dem Auto gefahren werden muss, gerade an den Tagen, von denen man weiß, dass unzählige andere dann auch unterwegs sein werden? Gewiss, die Deutschen lieben ihre Autobahnen. Aber erklärt das den Wahnsinn? Geht es um eine Art Volksgemeinschaft der Kriecher auf Asfalt und Beton? Gehört das zum Ferienerlebnis einfach dazu?
Ich jedenfalls durfte schon als Kind lernen, wie man entspannt und effizient reist. Aber ich war ja auch ein Gastarbeiterkind.
Mittwoch, 2. Juli 2025
Glosse CXXXVIII
Frauen als Priesterinnen kämen in einem jüngst rekonstruierten babylonischen Hymnus vor, lese ich. Ich sag mal so: Männer als Priesterinnen wären für die Zeit um 1.000 v. Chr. wohl auch etwas übertrieben fortschrittlich gewesen.
Ist doch egal, ob das was heißt
„Sollen Plattformen effektive Steuerungsleistungen erbringen,“ ― ähem, eben ist noch von Kanonen, Zitadellen und, hoppla, „zeitspezifischen Subjektivierungsweisen“ die Rede gewesen ― „müssen sie allerdings ein hohes Maß an Interaktivität und wechselseitiger Kommunikation zwischen Plateau und Ebene erlauben, nicht zuletzt um daraus Dynamik zu generieren.“ Man könnte vermuten, dass dieser Satz irgendetwas bedeutet oder das wenigstens versucht. Ebenso gut könnte er aber einfach nur mit den Mitteln des Bedeutens die Unmöglichkeit des Bedeutens vorführen wollen. Die Botschaft ist jedenfalls klar: „Ich bin professioneller Akademiker, und das kann ich beweisen.“
En bisschen Rassismus zwischendurch
Unvorsichtiges Schalten durch die Tefaukanäle. Die Fernbedingung spinnt und erzwingt ein zu langes Verweilen. Da spricht ein Merz (und ich muss es hören): „Das eigentliche Problem ist, dass wir zum Teil aus diesen Kulturkreisen eine unglaubliche Respektlosigkeit haben gegenüber Frauen, gegenüber unserer Polizei, in der Art und Weise des Umgangs im Alltag, so, und das ist etwas, was ich nicht sehen möchte. Und ich tue alles, um das in Deutschland zu unterbinden.“
Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Was sind das für Kreise, aus denen da so unverschämte nach Deutschland getrudelt sind? Zuvor war von verurteilten Straftätern aus Syrien, der Türkei und Afghanistan die Rede. Diese Eingetrudelten sind also kulturell darauf geprägt, „unserer“ Polizei (nicht nicht die ihre ist!) ohne Respekt zu begegnen ― während jeder brave Deutsche angesichts einer Unform innerlich in Habtachtstellung geht? ―, Frauen zu missachten (was wohl voraussetzt, dass sie selbst keine sind), und ihre „Art und Weise des Umgangs im Alltag“ lässt auch zu wünschen übrig.
Wer auch nur wenig von syrischen, türkischen, afghanischen traditionellen Umgangsformen weiß, dem drehen sich da die Kulturkreisel vor Augen, denn gerade besagte kulturelle Kontexte sind bekannt für ihr hohes Maß an Höflichkeit und Rücksichtnahme, auch und gerade gegenüber Älteren, Schwächeren, Gästen.
Dass irgendwelche, mutmaßlich untervögelte männliche Jugendliche fremder Herkunft in einem hessischen Freibad irgendwelche (deutschblütigen?) jungen Mädchen, die mutmaßlich (weil hierorts kulturell vorgegeben) freizügig wie Bordsteinschwalben herumliefen, übel angegangen sind, ist gewiss höchst unerfreulich, hat aber weder etwas mit einem Aufenthaltsstatus noch mit syrischer, türkischer oder afghanischer Kultur zu tun, sondern mit divergierenden Konzepten von Nacktheit in der Öffentlichkeit und Spaß an der eigenen Geschlechterrolle.
Merz will unterbinden. Will Leute (wegen Fehlverhaltens in Freibädern?) aburteilen und abschieben lassen. „Ich weiß das nicht, ob es ein Abschiebeverbot nach Syrien gibt, der Bürgerkrieg dort ist beendet, man kann nach Syrien zurückkehren, das Land braucht dringend die das Land wieder aufbauen.“ Ja genau, Syrien braucht dringend in der BRD verurteilte Straftäter für den Wiederaufbau …
Und werden dann auch Bundesbürger deportiert, wenn sie nachweislich respektlos gegenüber Bullen, äh, Polizisten waren? Nein, wenn ein Deutscher einen deutschen Beamten beschimpft, ist er zwar vielleicht kriminell, aber die Sache ereignet im eigenen Kulturkreis und ist darum nur halb so schlimm.
Jedenfalls ist es erfreulich, dass der Kanzlerdarsteller Merz kein ökonomisches Problem mit Migration hat, sondern ein kulturelles. Dass er damit de realen soziale Probleme vollkommen ausblendet, ist weit weniger schön. Das macht seine Sichtweise doch etwas rassistisch. Die anderen Rassisten reden ja auch nicht mehr so viel von Blut und Boden, sondern von ethnischer Identität und kultureller Verschiedenheit. Da klinkt der um Volkstümlichkeit bemühte Merz sich ein: Wer mag schon diese Orientalen, die ihre Frauen verschleiern und den Wachtmeister nicht grüßen?
Zum Glück war nach dem Wechsel der Batterien in der Fernbedienung der Wechsel des Senders wieder möglich. Leider nicht, ohne noch die alte Hetzerin Maischberger (die gar zu gern Menschenrechte beschnitten sehen möchte) respektlos dazwischenquatschen zu hören, wenn ihr Kanzler spricht. Ihre stotternde Erwähnung des fragwürdigen Freibad-Vorfalls ― „Es gibt einen Fall, der gerade die Schlagzeilen bestimmt … offensichtlich … das ist in der Klärung“ ― ist wirklich manipulativer Pseudojournalismus vom Feinsten. (Wozu denn noch eine Unschuldvermutung, wenn man schon Menschenrechte überflüssig findet?) Der Kulturkreis, aus dem das kroch ist, ist mutmaßlich leider noch sehr fruchtbar.
Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Was sind das für Kreise, aus denen da so unverschämte nach Deutschland getrudelt sind? Zuvor war von verurteilten Straftätern aus Syrien, der Türkei und Afghanistan die Rede. Diese Eingetrudelten sind also kulturell darauf geprägt, „unserer“ Polizei (nicht nicht die ihre ist!) ohne Respekt zu begegnen ― während jeder brave Deutsche angesichts einer Unform innerlich in Habtachtstellung geht? ―, Frauen zu missachten (was wohl voraussetzt, dass sie selbst keine sind), und ihre „Art und Weise des Umgangs im Alltag“ lässt auch zu wünschen übrig.
Wer auch nur wenig von syrischen, türkischen, afghanischen traditionellen Umgangsformen weiß, dem drehen sich da die Kulturkreisel vor Augen, denn gerade besagte kulturelle Kontexte sind bekannt für ihr hohes Maß an Höflichkeit und Rücksichtnahme, auch und gerade gegenüber Älteren, Schwächeren, Gästen.
Dass irgendwelche, mutmaßlich untervögelte männliche Jugendliche fremder Herkunft in einem hessischen Freibad irgendwelche (deutschblütigen?) jungen Mädchen, die mutmaßlich (weil hierorts kulturell vorgegeben) freizügig wie Bordsteinschwalben herumliefen, übel angegangen sind, ist gewiss höchst unerfreulich, hat aber weder etwas mit einem Aufenthaltsstatus noch mit syrischer, türkischer oder afghanischer Kultur zu tun, sondern mit divergierenden Konzepten von Nacktheit in der Öffentlichkeit und Spaß an der eigenen Geschlechterrolle.
Merz will unterbinden. Will Leute (wegen Fehlverhaltens in Freibädern?) aburteilen und abschieben lassen. „Ich weiß das nicht, ob es ein Abschiebeverbot nach Syrien gibt, der Bürgerkrieg dort ist beendet, man kann nach Syrien zurückkehren, das Land braucht dringend die das Land wieder aufbauen.“ Ja genau, Syrien braucht dringend in der BRD verurteilte Straftäter für den Wiederaufbau …
Und werden dann auch Bundesbürger deportiert, wenn sie nachweislich respektlos gegenüber Bullen, äh, Polizisten waren? Nein, wenn ein Deutscher einen deutschen Beamten beschimpft, ist er zwar vielleicht kriminell, aber die Sache ereignet im eigenen Kulturkreis und ist darum nur halb so schlimm.
Jedenfalls ist es erfreulich, dass der Kanzlerdarsteller Merz kein ökonomisches Problem mit Migration hat, sondern ein kulturelles. Dass er damit de realen soziale Probleme vollkommen ausblendet, ist weit weniger schön. Das macht seine Sichtweise doch etwas rassistisch. Die anderen Rassisten reden ja auch nicht mehr so viel von Blut und Boden, sondern von ethnischer Identität und kultureller Verschiedenheit. Da klinkt der um Volkstümlichkeit bemühte Merz sich ein: Wer mag schon diese Orientalen, die ihre Frauen verschleiern und den Wachtmeister nicht grüßen?
Zum Glück war nach dem Wechsel der Batterien in der Fernbedienung der Wechsel des Senders wieder möglich. Leider nicht, ohne noch die alte Hetzerin Maischberger (die gar zu gern Menschenrechte beschnitten sehen möchte) respektlos dazwischenquatschen zu hören, wenn ihr Kanzler spricht. Ihre stotternde Erwähnung des fragwürdigen Freibad-Vorfalls ― „Es gibt einen Fall, der gerade die Schlagzeilen bestimmt … offensichtlich … das ist in der Klärung“ ― ist wirklich manipulativer Pseudojournalismus vom Feinsten. (Wozu denn noch eine Unschuldvermutung, wenn man schon Menschenrechte überflüssig findet?) Der Kulturkreis, aus dem das kroch ist, ist mutmaßlich leider noch sehr fruchtbar.
Dienstag, 1. Juli 2025
Leute (34)
Als Maler und Zeichner ist X. es gewohnt, die Dinge von außen zu sehen und ie nur im Hinblick auf ihre unmittelabre Wirkung auf ihn selbst wahrzunehmen. Daher wohl auch seine Fremdenfeindlichkeit. Wenn er auf der Straße dicke Frauen mit Kopftuch und langem Mantel sieht, ist er entsetzt, er nimmt das Phänomen rein ästhetisch, es gefällt ihm nicht, und keinen Augenblick lang versetzt er sich in die Frauen hinein, es liegt ihm nichts daran, den Kontext zu begreifen, er wird einfach abgestoßen und ist dagegen. Noch schlimmer ist es mit der Zuwandeung. Er kennt kaum Migranten. Für ihn sind das Zahlen, und man hat ihm gesagt, die seien zu hoch. Er empfindet das als wahr, weil er in einer Großstadt lebt, die viel Zuwandeung anzieht und in der viele Sprachen gesprochen und viele Bräuche gelebt werden. Er findet jeden Tag Bestätigung und nimmt eine Flut war. Er interessiert sich nicht für die Einzelnen und ihre Erlebnisse. Deren Wünsch, Bedürfnisse, Rechte existieren für ihn nicht. Er findet, die Leute sollten zuhause bleiben und dort etwas verbnessern. Dass er selber wie die Made im Speck lebt, nicht durch eigenem Zutun, sondern gemäß den gesellschaftlichen Bedingungen, bemerkt er nicht. Er erlebt Fremdes und fühlt sich unwohl. Es ist nicht wie das Fremde im Urlaub, wo er mit seinem Geld der Chef ist. Dieses Fremde kommt zu ihm, konkurriert mit ihm in seiner Lebenswelt und stellt ihn in Frage. Er versteht die Fremden nicht und sucht nicht nach Verständigung. Tatsachen ignoriert er und übernimmt Parolen. Nicht weil er dumm ist, sondern weil sich dummzustellen bequemer ist, weniger Mühe erfordert und ihn ein bisschen mächtiger erscheinen lässt. Immerhin gehört er hierher, die anderen nicht. Seine Fremdenfeindlichkeit ist wie eines seiner altmeisterlich gepinselten Bilder: langweilig, aber halbwegs gekonnt.
Etwas Selbstverständliches (Anarchie)
Es sollte so selbstverständlich sein, dass es dafür kein eigenes Wort braucht: Dass jeder über seine Angelegenheiten selbst bestimmen kann und dass diese Angelegenheiten, wo sie auch Angelegenheiten anderer sind, gemeinsam bestimmt werden. Und zwar so, dass dabei jeder dieselben Rechte und Pflichten hat, dass niemand benachteiligt oder unverdientermaßen, bevorzugt wird, dass also niemand mit Gewalt genötigt oder „überstimmt“ (durch die zahlenmäßige Überlegenheit anderer genötigt) wird, sondern dass für alle Probleme Konflikte Lösungen gesucht werden, mit denen jeder gut leben kann. Sodass also niemand anderen etwas vorschreiben darf, niemand aus Zwang handelt, sondern jeder aus (mehr oder minder starker, imnmer aber wohlüberlegter) Überzeugung. ― Nennt das konsensuelle Basisdemokratie, nennt es Anarchie, nennt es, wie ihr wollt, meinetwegen schlicht: menschenwürdiges, freies, gerechtes, allen nützliches Zusammenleben.
Übrigens (4)
Mein Text „Wenn das Literatur ist“ ist wirklich grässlich; selbstgerecht, pseudolustig, argumentfrei und jämmerlich misogyn. Und das Schlimmste: Auf den Ausdruck „Lese-Else“ bin ich auch noch mächtig stolz. Er ist übrigens selbstverständlich auch gut „(m/w/d)“ zu verwenden.
Vorsicht, linke Spinner!
So geht’s ja nun nicht. „Es sollte keine Milliardäre geben.“ (Zohran Mamdani) Was erlauben sich diese „demokratischen Sozialisten“! Es sind genau diese radikalen, extremistischen, weltfremden Ansichten, die die Wähler den Republikanern in die Arme treiben und Trump überhaupt erst möglich gemacht haben.
Sagen zumindest die rechten „Demokraten“ in den USA (und ihre Nachsprecher überall auf der Welt. Demnach ist, wer für faire und ausreichende Löhne, für ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle, für gute und kostenlose Bildung, für bezahlbares Wohnen, für vernünftige Verkehrskonzepte und lebenswerte Städte eintritt, nicht nur ein verantwortungsloser Träumer, sondern arbeitetet (aus Dummheit?) geradezu der Gegenseite zu.
Das alte Lied der Sozialdemokratie: Wie dürfen uns nicht von den „Konservativen“ und „Neoliberalen“ unterscheiden, sonst wählen uns die Leute nicht. Wir müssen dieselbe beschissene Politik machen, aber dabei immer behaupten, wir seien trotzdem das kleinere Übel. Mit irgendwelchen überzogenen Forderungen ― etwa, dass man vom Erwerbseinkommen auch leben können müsse ― verschreckt man die Leute nur.
Dieselben Leute, die beispielsweise einen dummen und hässlichen, bösartigen und vulgären Defraudanten, Bankrotteur, Beutelschneider, Kriminellen, Ehebrecher und Frauenbelästiger gewählt haben, der autoritär, ahnungslos, geschichtsblind, nationalistisch, gewaltbesessen und unbelehrbar agiert? Na klar, diese gutmütigen Sensibelchen werden von Forderungen nach einer solidarischen Gesellschaft der Gleichberechtigten naturgemäß zu Tode erschreckt. Aus lauter Angst müssen sie dann weiterhin den Faschismus wählen.
Es stimmt, der „demokratische Sozialismus“ ist derzeit Sache einer Minderheit. Aber seine Forderungen und Vorschläge sind, so weit ich sehe, keineswegs radikal oder extrem (oder nur gemessen am rechtsextremen, illiberalen und menschenverachtenden mainstream). Die Alternative dazu ist jedenfalls ein destruktives Weiterso, verübt als Versuch, sich möglichst nicht vom Verabscheuungswürdigen zu unterscheiden, sondern bestenfalls eine Art von „republicanism light“ anzubieten (was nur auf den üblichen Neoliberalismus plus unverbindlicher Rhetorik der Anbiederung hinausläuft).
Einmal mehr ist derzeit der Gegner des demokratischen Sozialismus nicht schon direkt der Faschismus, sondern zunächst einmal das real existierende Establishment der Sozialdemokratie, dessen Abwiegeln, Verharmlosen. Leisetreten, Behindern und Sabotieren. Das ist traurig. Aber es gibt Hoffnung. Leute die gewählt werden, nicht obwohl, sondern weil sie sagen: „Es sollte keine Milliardäre geben.“ Das hat Zukunft.
Sagen zumindest die rechten „Demokraten“ in den USA (und ihre Nachsprecher überall auf der Welt. Demnach ist, wer für faire und ausreichende Löhne, für ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle, für gute und kostenlose Bildung, für bezahlbares Wohnen, für vernünftige Verkehrskonzepte und lebenswerte Städte eintritt, nicht nur ein verantwortungsloser Träumer, sondern arbeitetet (aus Dummheit?) geradezu der Gegenseite zu.
Das alte Lied der Sozialdemokratie: Wie dürfen uns nicht von den „Konservativen“ und „Neoliberalen“ unterscheiden, sonst wählen uns die Leute nicht. Wir müssen dieselbe beschissene Politik machen, aber dabei immer behaupten, wir seien trotzdem das kleinere Übel. Mit irgendwelchen überzogenen Forderungen ― etwa, dass man vom Erwerbseinkommen auch leben können müsse ― verschreckt man die Leute nur.
Dieselben Leute, die beispielsweise einen dummen und hässlichen, bösartigen und vulgären Defraudanten, Bankrotteur, Beutelschneider, Kriminellen, Ehebrecher und Frauenbelästiger gewählt haben, der autoritär, ahnungslos, geschichtsblind, nationalistisch, gewaltbesessen und unbelehrbar agiert? Na klar, diese gutmütigen Sensibelchen werden von Forderungen nach einer solidarischen Gesellschaft der Gleichberechtigten naturgemäß zu Tode erschreckt. Aus lauter Angst müssen sie dann weiterhin den Faschismus wählen.
Es stimmt, der „demokratische Sozialismus“ ist derzeit Sache einer Minderheit. Aber seine Forderungen und Vorschläge sind, so weit ich sehe, keineswegs radikal oder extrem (oder nur gemessen am rechtsextremen, illiberalen und menschenverachtenden mainstream). Die Alternative dazu ist jedenfalls ein destruktives Weiterso, verübt als Versuch, sich möglichst nicht vom Verabscheuungswürdigen zu unterscheiden, sondern bestenfalls eine Art von „republicanism light“ anzubieten (was nur auf den üblichen Neoliberalismus plus unverbindlicher Rhetorik der Anbiederung hinausläuft).
Einmal mehr ist derzeit der Gegner des demokratischen Sozialismus nicht schon direkt der Faschismus, sondern zunächst einmal das real existierende Establishment der Sozialdemokratie, dessen Abwiegeln, Verharmlosen. Leisetreten, Behindern und Sabotieren. Das ist traurig. Aber es gibt Hoffnung. Leute die gewählt werden, nicht obwohl, sondern weil sie sagen: „Es sollte keine Milliardäre geben.“ Das hat Zukunft.
Sonntag, 29. Juni 2025
Wenn das Literatur ist
Wenn man (wie ich) manchmal so durch die Tefaukanäle schaltet, gerät man in diesen Tagen womöglich in eine Übertragung des Klagenfurter „Wettlesens“. Zweimal saß da in meinem Bildschirm eine gelangweilte junge Frau (es war wohl nicht dieselbe, aber die gleiche), die im Tonfall einer schlecht gelaunten Schülerin, die ihre Schlaftabletten schon genommen hat, einen Text herunterleierte, an den sie offensichtlich selbst nicht glaubte. Wenn das Literatur ist, bin ich dagegen. (Ja, mein Eindruck ist zufällig, subjektiv und hoffentlich nicht repräsentativ. Aber er bestätigt so schön meine Vorurteile.)
Nachtrag.
Es hat also mittlerweile irgendsoeine Lese-Else den Dingsbums-Preis gewonnen. So ist es recht. Natascha Irgendwer. Kenn ich nicht. In Ösiland heißen bekanntlich alle jungen jungen Frauen Natascha. Vorn. Und hinten Pimplović oder Pumplhofer. Oder auch Pumplhofer-Pimplović. Oder so. Egal. Ich kenne nichts von der. Ganz sicher schreibt sie ganz großartige Sachen. Ist überhaupt ein sehr guter Mensch und nur durch falsche Freunde in den Literaturbetrieb geraten. Den verabscheue ich bekanntlich, aber Frau Pimplović oder Pumplhofer wünsche ich alles Gute für ihren weiteren Lebensweg.
Donnerstag, 26. Juni 2025
Übrigens (3)
Ich bin, wie ich bin. Ich hätte es schlechter treffen können. Aber auch besser. Viel besser.
Dienstag, 24. Juni 2025
Zwei Meldungen zum Stand des realexistierenden Kapitalismus in der BRD
Bundesagrarminister Alois Rainer hat sich in einem Zeitungsinterview offen für die Forderung von Bauernpräsident Joachim Rukwied gezeigt, den Mindestlohn für Saisonarbeiter zu kürzen. (…) Die Bundesregierung stehe grundsätzlich zum Mindestlohn, aber er nehme die Sorgen der Obst- und Gemüsebauern sehr ernst, sagte der CSU-Politiker. (…) Im Koalitionsvertrag sei außerdem vereinbart, kurzfristige Beschäftigung auf 90 Tage auszuweiten. So könnten nicht berufsmäßig tätige Saisonarbeitskräfte länger sozialversicherungsfrei beschäftigt werden. (…) Der Bauernverband hatte gestern Ausnahmen vom Mindestlohn für Saisonarbeitskräfte gefordert. „Wir schlagen vor, dass sie 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns erhalten“, sagte Bauernpräsident Rukwied der Rheinischen Post. Er argumentierte, Saisonarbeitskräfte hätten ihren Lebensmittelpunkt „schließlich nicht in Deutschland“. (tagesschau.de)
Rund 3.900 Superreiche in Deutschland besitzen nach Berechnungen der Unternehmensberatung BCG mehr als ein Viertel des gesamten Finanzvermögens im Lande – insgesamt knapp drei Billionen Dollar. „Superreiche“ beziehungsweise (…) sind demnach Menschen mit mehr als 100 Millionen Dollar Finanzvermögen. Dank der Kursgewinne des vergangenen Jahres an den internationalen Aktienmärkten hat sich laut BCG-Berechnung die Zahl der hiesigen Superreichen um 500 erhöht, deren Vermögen um 16 Prozent vermehrt. (…) 2024 war laut BCG generell ein sehr gutes Jahr für Reiche, nicht nur für die extrem Wohlhabenden an der Spitze: Die Zahl der Dollarmillionäre in Deutschland ist demnach um 65.000 auf 678.000 gestiegen. (br.de)
Rund 3.900 Superreiche in Deutschland besitzen nach Berechnungen der Unternehmensberatung BCG mehr als ein Viertel des gesamten Finanzvermögens im Lande – insgesamt knapp drei Billionen Dollar. „Superreiche“ beziehungsweise (…) sind demnach Menschen mit mehr als 100 Millionen Dollar Finanzvermögen. Dank der Kursgewinne des vergangenen Jahres an den internationalen Aktienmärkten hat sich laut BCG-Berechnung die Zahl der hiesigen Superreichen um 500 erhöht, deren Vermögen um 16 Prozent vermehrt. (…) 2024 war laut BCG generell ein sehr gutes Jahr für Reiche, nicht nur für die extrem Wohlhabenden an der Spitze: Die Zahl der Dollarmillionäre in Deutschland ist demnach um 65.000 auf 678.000 gestiegen. (br.de)
Montag, 23. Juni 2025
Notiz zur Zeit (253)
Die USA haben Russland bombardiert. Ein schwerer Schlag gegen die Herstellung und Lagerung von Raketen, Drohnen und anderen Rüstungsgütern ist gelungen. Der russische Krieg gegen die Ukraine dürfte bald zu Ende sein.
Ach nein, ich habe mich geirrt. Die USA haben den Iran bombardiert. Ein Land, das (im Unterschied etwa zu Israel) seine Nachbarn nicht anzugreifen pflegt. Das dürfte die Gewalt in der Region und weltweit anheizen.
Halten wir zwei Dinge fest: 1. Der Iran hat keine Atomwaffen. Er will keine Atomwaffen (sagt er). Und er darf keine Atomwaffen haben (gemäß einer Fatwa von Republikgründer Ayatollah Chomeini). 2. Israel hat Atomwaffen.
Ach nein, ich habe mich geirrt. Die USA haben den Iran bombardiert. Ein Land, das (im Unterschied etwa zu Israel) seine Nachbarn nicht anzugreifen pflegt. Das dürfte die Gewalt in der Region und weltweit anheizen.
Halten wir zwei Dinge fest: 1. Der Iran hat keine Atomwaffen. Er will keine Atomwaffen (sagt er). Und er darf keine Atomwaffen haben (gemäß einer Fatwa von Republikgründer Ayatollah Chomeini). 2. Israel hat Atomwaffen.
Infantilpazifismus
In Mitteleuropa ist, scheint mir, eine Haltung weit verbreitet, die weniger eine solche als eine vielmehr bloße Gewohnheit ist. Weil man, seit man sich erinnern kann, anders als Millionen Menschen in der Welt (einschließlich der Nachbarn in Osteuropa, Südosteuropa usw.) von keinem Krieg mehr unmittelbar betroffen war ― wie schön weg war Vietnam oder Ruanda oder Libyen usw. ―, möchte man Krieg für etwas halten, mit dem an nichts zu tun haben möchte. Man lebt in einer mentalen und politisch-ökonomischem Komfortzone, einer Friedensblase, und jede Erinnerung daran, dass die Blase platzen und die Komfortzone zum Kampfgebiet werden könnte, wird empört zurückgewiesen.
Vokabeln wie „Aufrüstung“ und „Kriegstüchtigkeit“ lösen Schnappatmung aus. Dass die BRD sich sündteure Streitkräfte leistet, nimmt man irgendwie hin, dass diese weitgehend nicht einsatzfähig (eben verteidigungsbereit, kriegstüchtig) sind, hält man für kein Problem. Braucht man eh nicht. Kommt eh kein Krieg. Bloß nichts ins Militär investieren. Nützt nur den Rüstungskonzernen.
Der Denkfehler: Der Krieg ist nicht weit weg, er ist schon da. Dass in in ihm keine deutschen Soldaten und Soldatinnen, keine deutschen Zivilistinnen und Zivilisten sterben, bedeutet nicht, dass er nicht längst auch gegen die BRD geführt wird: etwa als Cyberkrieg. Oder als Propagandakrieg (wie das kriegsverbrecherische „Manifest“ der Ekel-Sozis so schön demonstriert).
Dass andere derzeit die Last des Krieges tragen, indem sie sterben und verwundet werden, indem sie ihrer Angehörigen beraubt und von Raketen und Drohnen terrorisiert werden, indem ihr Hab und Gut zerstört wird ― das empfinden viele in Mitteleuropa, die von ihrer Mitverantwortung für Krieg und Frieden nichts wissen wollen, bloß als lästig, sie nehmen ihre moralische Verpflichtung nicht ernst, dass gegen den Krieg zu sein, wenn dieser bereits stattfindet, nur bedeuten kann, ihn mit allen möglichen Mitteln zu führen und zu beenden. Man mag von „diplomatischen“ Mitteln träumen, Tatsache ist, dass alles Verhandeln und Beschwören bisher weder etwas genützt hat (und mit Sicherheit nichts nützen wird), sodass offensichtliche nur militärische Mittel Frieden schaffen können.
Wer also meint, in einer Demokratie zu leben, müsste sich öffentlich so äußern und müsste so wählen, dass sein Staat merkbar aufrüstet, die Angegriffenen wirkungsvoll unterstützt und in geeigneter Weise in den Krieg eingreift.
(Putin hat ausdrücklich dem Westen den Krieg erklärt. Angegriffen hat er die Ukraine. Wie zuvor auch Georgien usw. Hätte er Italien angegriffen, hätte der Westen militärisch reagiert. Haben die Ukrainerinnen und Ukrainer weniger Recht auf Leben als Italiener und Italienerinnen? Sind sie bloß Angehörige eines minderwertige Ostvolkes? Ist es das, was die sagen wollen, die meinen, man müsse die Konfrontation, die bereits stattfindet, unbedingt vermeiden und dürfe nicht „eskalieren“? Sterben nicht genug Menschen in diesem Krieg, ist es das? Müssten mehr sterben, damit der Westen massiv eingriffe?)
Die Realität zu leugnen und in einer Phantasiewelt zu leben, ist unverantwortlich. Sicher, man kann aus grundsätzlichen Erwägungen gegen jegliche Gewalt sein, auch wenn einen selbst und andere das Freiheit und Leben kostet. Das ist eine mögliche Haltung. Wer sie einnimmt, müsste sich allerdings eigentlich dem Staat verweigern, dessen Gewaltmonopol der fundamentalpazifistischen Haltung ja widerspricht, dürfte keine Steuern zahlen (auch keine indirekten), weil damit ja auch Gewalt finanziert wird, dürfte an Wahlen nicht teil- und keinerlei staatliche Leistungen annehmen. Wer tut das schon? ― Es gab da ein paar russische Sektierer, die vom Zaren blutig verfolgt wurden, aber auch wenn noch irgendwo in Kanada ein paar ihrer Nachfahren lebten, eine nennenswerten Einfluss auf das Weltgeschehen scheinen sie nicht auszuüben.
Gewohnheit (statt Haltung), Komfortzone, Blase: Wer sich der ethischen und, wenn er den Staat grundsätzlich bejaht, demokratischen Verantwortung verweigert, indem er auf alles Militärische der eigenen Seite allergisch reagiert und das militärische Agieren der anderen Seite sehenden Auges ignoriert oder wie ein Naturereignis hinnimmt, den kann man mit Fug und Recht infantil nennen. Es ist kindisch, das Schreckliche und Verbrecherische nicht wahr haben zu wollen ― und Krieg ist ein schreckliches Verbrechen! ― und das, was dagegen hülfe, abzulehnen.
Vokabeln wie „Aufrüstung“ und „Kriegstüchtigkeit“ lösen Schnappatmung aus. Dass die BRD sich sündteure Streitkräfte leistet, nimmt man irgendwie hin, dass diese weitgehend nicht einsatzfähig (eben verteidigungsbereit, kriegstüchtig) sind, hält man für kein Problem. Braucht man eh nicht. Kommt eh kein Krieg. Bloß nichts ins Militär investieren. Nützt nur den Rüstungskonzernen.
Der Denkfehler: Der Krieg ist nicht weit weg, er ist schon da. Dass in in ihm keine deutschen Soldaten und Soldatinnen, keine deutschen Zivilistinnen und Zivilisten sterben, bedeutet nicht, dass er nicht längst auch gegen die BRD geführt wird: etwa als Cyberkrieg. Oder als Propagandakrieg (wie das kriegsverbrecherische „Manifest“ der Ekel-Sozis so schön demonstriert).
Dass andere derzeit die Last des Krieges tragen, indem sie sterben und verwundet werden, indem sie ihrer Angehörigen beraubt und von Raketen und Drohnen terrorisiert werden, indem ihr Hab und Gut zerstört wird ― das empfinden viele in Mitteleuropa, die von ihrer Mitverantwortung für Krieg und Frieden nichts wissen wollen, bloß als lästig, sie nehmen ihre moralische Verpflichtung nicht ernst, dass gegen den Krieg zu sein, wenn dieser bereits stattfindet, nur bedeuten kann, ihn mit allen möglichen Mitteln zu führen und zu beenden. Man mag von „diplomatischen“ Mitteln träumen, Tatsache ist, dass alles Verhandeln und Beschwören bisher weder etwas genützt hat (und mit Sicherheit nichts nützen wird), sodass offensichtliche nur militärische Mittel Frieden schaffen können.
Wer also meint, in einer Demokratie zu leben, müsste sich öffentlich so äußern und müsste so wählen, dass sein Staat merkbar aufrüstet, die Angegriffenen wirkungsvoll unterstützt und in geeigneter Weise in den Krieg eingreift.
(Putin hat ausdrücklich dem Westen den Krieg erklärt. Angegriffen hat er die Ukraine. Wie zuvor auch Georgien usw. Hätte er Italien angegriffen, hätte der Westen militärisch reagiert. Haben die Ukrainerinnen und Ukrainer weniger Recht auf Leben als Italiener und Italienerinnen? Sind sie bloß Angehörige eines minderwertige Ostvolkes? Ist es das, was die sagen wollen, die meinen, man müsse die Konfrontation, die bereits stattfindet, unbedingt vermeiden und dürfe nicht „eskalieren“? Sterben nicht genug Menschen in diesem Krieg, ist es das? Müssten mehr sterben, damit der Westen massiv eingriffe?)
Die Realität zu leugnen und in einer Phantasiewelt zu leben, ist unverantwortlich. Sicher, man kann aus grundsätzlichen Erwägungen gegen jegliche Gewalt sein, auch wenn einen selbst und andere das Freiheit und Leben kostet. Das ist eine mögliche Haltung. Wer sie einnimmt, müsste sich allerdings eigentlich dem Staat verweigern, dessen Gewaltmonopol der fundamentalpazifistischen Haltung ja widerspricht, dürfte keine Steuern zahlen (auch keine indirekten), weil damit ja auch Gewalt finanziert wird, dürfte an Wahlen nicht teil- und keinerlei staatliche Leistungen annehmen. Wer tut das schon? ― Es gab da ein paar russische Sektierer, die vom Zaren blutig verfolgt wurden, aber auch wenn noch irgendwo in Kanada ein paar ihrer Nachfahren lebten, eine nennenswerten Einfluss auf das Weltgeschehen scheinen sie nicht auszuüben.
Gewohnheit (statt Haltung), Komfortzone, Blase: Wer sich der ethischen und, wenn er den Staat grundsätzlich bejaht, demokratischen Verantwortung verweigert, indem er auf alles Militärische der eigenen Seite allergisch reagiert und das militärische Agieren der anderen Seite sehenden Auges ignoriert oder wie ein Naturereignis hinnimmt, den kann man mit Fug und Recht infantil nennen. Es ist kindisch, das Schreckliche und Verbrecherische nicht wahr haben zu wollen ― und Krieg ist ein schreckliches Verbrechen! ― und das, was dagegen hülfe, abzulehnen.
Herr Piosga bei Frau Mistorius, zum Beispiel
Wenn die Leute sich aufregen, was der und der Politiker (m/w/d) bei der und der Journalistin (m/w/d) mal wieder Arges gesagt hat, frage ich mich: Warum schauen die das überhaupt? Wer noch eine ausreichende Anzahl von Tassen im Schrank hat, weiß doch im Voraus, wer in solchen Quatschsendungen welche Meinung verkünden wird. So wird dort gefragt, so wird dort geantwortet: Dass nichts dabei herauskommt als das Erwartbare. Wenn doch einmal einem Befragten eine prägnante Formulierung unterläuft oder gar, hurra eine verräterische, hat auch das eine Funktion: Nun kann man sich aufregen, dass der das gesagt hat. Oder es befürworten und verteidigen. Nach Belieben.
Mir scheint, die Aufregerei nach solchen Sendungen, ist die Ware, die dem Zuschauer (der Zuschauerin) verkauft werden soll. Schaut her, hier werdet ihr nicht informiert und könnt außerdem eure Affekte in dieses Simulationsszenario investieren.
Dass solche Sendungen weder an Wahrheit noch an Wirklichkeit sonderlich interessiert sind, steht für mich seit langem fest. Darum schaue ich sie nicht.
Wenn ich mich über etwas aufregen wollte, dann darüber, das andere derlei Ablenkungstefau schauen, statt sich richtig zu informieren und ihre Affekte in Kritik zu investieren. Selbst wenn sie in der derselben Zeit bloß gerade so viel über sich selbst nachdächten wie ich über sie, wäre schon etwas, wenn auch sehr wenig, zur Verbesserung der Welt getan.
Mir scheint, die Aufregerei nach solchen Sendungen, ist die Ware, die dem Zuschauer (der Zuschauerin) verkauft werden soll. Schaut her, hier werdet ihr nicht informiert und könnt außerdem eure Affekte in dieses Simulationsszenario investieren.
Dass solche Sendungen weder an Wahrheit noch an Wirklichkeit sonderlich interessiert sind, steht für mich seit langem fest. Darum schaue ich sie nicht.
Wenn ich mich über etwas aufregen wollte, dann darüber, das andere derlei Ablenkungstefau schauen, statt sich richtig zu informieren und ihre Affekte in Kritik zu investieren. Selbst wenn sie in der derselben Zeit bloß gerade so viel über sich selbst nachdächten wie ich über sie, wäre schon etwas, wenn auch sehr wenig, zur Verbesserung der Welt getan.
Donnerstag, 19. Juni 2025
Heteronomes Fahren
Ich bin ja ein bisschen dumm. Darum verstehe ich zwei Dinge überhaupt nicht.
Erstens: Warum heißt es „autonomes“ Fahren, wenn doch der Mensch, der im Fahrzeug sitzt, keine Entscheidungen mehr zu treffen braucht (und vielleicht auch nicht mehr kann)? Soll das etwa heißen, das Ding ist „autonom“? Eine Maschine, also ein unpersönliches Etwas ohne Willen, ohne Bewusstsein und ohne Moral, demnach ohne die Fähigkeit, sich selbständig Ziele zu setzen und zwischen Gut und Böse zu unterschieden, soll „autonom“ sein? Was ist das für ein Begriff von Autonomie? Wäre im Hinblick auf den Menschen, der seiner Autonomie beraubt wird (wenn er sie nicht freiwillig hergibt), nicht besser von heteronomem Fahren die Rede?
Und zweitens: Wozu braucht man den Scheiß?
Wahrscheinlich bin ich von all der Gesellschaftskritik, mit der ich seit Jahrzehnten befasst bin, bis ins Mark verdorben, aber mir drängt sich der Verdacht auf, hier gehe es um Entmündigung. Wie schon bei so viel anderem „Spielzeug“, das angeblich nicht mehr wegzudenken ist und tatsächlich als weitgehend fest verschraubt mit geschäftlichen Notwendigkeiten und soziokulturellen Üblichkeiten gelten muss. Wer kann heutzutage, im aktuellen Zustand der technoiden Verzivilisiertheit, noch ohne Schaden und ohne Bedrängnis ganz ohne Smartphon leben? Wer morgen ohne Smartwatch? Und wer weiß, was übermorgen der heiße Scheiß sein wird. Hirnimplantate?
Läuft es beim fremdbestimmten Fahren nicht darauf hinaus: Deine Maschine wird dir sagen, wo du hinwillst und wie du am besten hinkommst. Du hast für die Maschine bezahlt, aber gebaut und programmiert haben sie andere, und die haben auch dauerhaft Zugriff auf das Ding. Diese anderen sind übrigens profitgeile Konzerne, die noch nie etwas Gutes für dich getan haben und nur daran interessiert sind, dich zu benützen. Sie wollen Geld machen mit dir und dich beherrschen. Punkt.
Und dass ist das ist das Dritte, das ich nicht verstehe: Warum die Leute wie verrückt in jede neue Konsumfalle rennen, wo doch die Nachteile des Zeugs vorhersehbar sind und die Vorteile hauptsächlich solche für die Ausbeuter?
Erstens: Warum heißt es „autonomes“ Fahren, wenn doch der Mensch, der im Fahrzeug sitzt, keine Entscheidungen mehr zu treffen braucht (und vielleicht auch nicht mehr kann)? Soll das etwa heißen, das Ding ist „autonom“? Eine Maschine, also ein unpersönliches Etwas ohne Willen, ohne Bewusstsein und ohne Moral, demnach ohne die Fähigkeit, sich selbständig Ziele zu setzen und zwischen Gut und Böse zu unterschieden, soll „autonom“ sein? Was ist das für ein Begriff von Autonomie? Wäre im Hinblick auf den Menschen, der seiner Autonomie beraubt wird (wenn er sie nicht freiwillig hergibt), nicht besser von heteronomem Fahren die Rede?
Und zweitens: Wozu braucht man den Scheiß?
Wahrscheinlich bin ich von all der Gesellschaftskritik, mit der ich seit Jahrzehnten befasst bin, bis ins Mark verdorben, aber mir drängt sich der Verdacht auf, hier gehe es um Entmündigung. Wie schon bei so viel anderem „Spielzeug“, das angeblich nicht mehr wegzudenken ist und tatsächlich als weitgehend fest verschraubt mit geschäftlichen Notwendigkeiten und soziokulturellen Üblichkeiten gelten muss. Wer kann heutzutage, im aktuellen Zustand der technoiden Verzivilisiertheit, noch ohne Schaden und ohne Bedrängnis ganz ohne Smartphon leben? Wer morgen ohne Smartwatch? Und wer weiß, was übermorgen der heiße Scheiß sein wird. Hirnimplantate?
Läuft es beim fremdbestimmten Fahren nicht darauf hinaus: Deine Maschine wird dir sagen, wo du hinwillst und wie du am besten hinkommst. Du hast für die Maschine bezahlt, aber gebaut und programmiert haben sie andere, und die haben auch dauerhaft Zugriff auf das Ding. Diese anderen sind übrigens profitgeile Konzerne, die noch nie etwas Gutes für dich getan haben und nur daran interessiert sind, dich zu benützen. Sie wollen Geld machen mit dir und dich beherrschen. Punkt.
Und dass ist das ist das Dritte, das ich nicht verstehe: Warum die Leute wie verrückt in jede neue Konsumfalle rennen, wo doch die Nachteile des Zeugs vorhersehbar sind und die Vorteile hauptsächlich solche für die Ausbeuter?
Glosse CXXXVII
Nein, es heißt nicht selektieren (oder gar „selektionieren“), sondern selegieren, wie es ja auch nicht „fiktieren“ heißt (oder gar „fiktionieren“), sondern fingieren.
Mittwoch, 18. Juni 2025
Übrigens (2)
Ich habe nie gesagt, ich könnte das auch. (Einen Beststeller schreiben.) Ich sagte, ich könnte das auch, wenn ich wollte. Wohl wissend, dass ich das niemals wollen würde.
Übrigens (1)
Ich schaue fast täglich die Nachrichten, um zu wissen, was ich glauben soll, was nicht passiert ist.
Notiz zur Zeit (252)
Merz sagt, Israel erledige mit seinem Krieg gegen den Iran die „Drecksarbeit“ für den Westen. Wie nennt man noch mal Leute, die Auftragskiller beauftragen?
Trump ähnelt von Charakter und Gehabe einem miesen kleinen Gangsterboss; was ihn davon unterscheidet, ist, dass keine Bande von Kriminellen einen so dummen und unfähigen Anführer lange akzeptieren würde.
Wohnungsbau-Turbo: Weniger Qualität beim Bauen (und also Wohnen) und weniger Klimaschutz. Eine ganz großartige Idee.
Trump ähnelt von Charakter und Gehabe einem miesen kleinen Gangsterboss; was ihn davon unterscheidet, ist, dass keine Bande von Kriminellen einen so dummen und unfähigen Anführer lange akzeptieren würde.
Wohnungsbau-Turbo: Weniger Qualität beim Bauen (und also Wohnen) und weniger Klimaschutz. Eine ganz großartige Idee.
Montag, 16. Juni 2025
Leute (33)
X. macht es sich einfach. Wenn andere in Zeiten zugespitzter politischer Konflikte, wie er es nennt, „totale Mobilmachung auf dem Feld bedingungsloser Parteinahmen“ betreiben, zitiert er „Die Feinde unserer Feinde sind auch unsere Feinde“ und setzt hinzu: „Geschichte ist, wenn schlimme Leute schlimme Leute abschlachten.“ Wenn es doch nur so einfach wäre! Wenn nicht auch, und zwar überwiegend, ganz und gar nicht schlimme Leute von schlimmen Leuten abgeschlachtet würden. Wenn es nicht Lagen gäbe, wo man sich mit anderen Teufeln gut stellen muss, um Beelzebub auszutreiben. Und was die Parteinahme betrifft: Es wäre unanständig und unheilvoll, nicht für das Recht gegen das Unrecht Partei zu ergreifen. Ich weiß schon, alle behaupten immer, sie seien im Recht. Es gibt aber doch auch das Offensichtliche. Beispielsweise: Wer abschlachtet ist im Unrecht, wer abgeschlachtet wird, dessen Recht wird verletzt. So einfach ist es wirklich.
Sonntag, 15. Juni 2025
Unterwegs (25)
Es war nicht schön, zufällig an dem Tag die Stadt vom einen zum anderen Ende und später wieder zurück zu durchqueren, an dem Splittergrüppchen und Einzelkämpfer (vielerlei Geschlechts) der Buchstabensternchen-Herde, mit diversen Exemplaren ihrer Stammesflagge bewaffnet, die Verkehrsmittel besiedelten. Vermutlich unterwegs zu Großen Stolz-Parade. Was für eine lächerliche Freakshow! So mögen die Heteros ihre Abartigen: bunt, peinlich, harmlos. Freilich, wer mit Kostüm und Schminke bezeugen muss, das er (sie, es) anders ist, ist es wohl in Wahrheit gar nicht so sehr. Heteronormativität in Tütü und Maske. Und was ist überhaupt aus den hübschen jungen Schwulen geworden, die es doch früher gab? Haben die Lesben, Trans, Nonbinären und Quiiieeeren die alle gefressen?
Unterwegs (24)
Ein beißend hässlicher alter Mann verstellt samt Koffer und Begleitung und deren Koffer am Bahnsteig den Fahrplanaushang. Als ich höflich, aber bestimmt darauf hinweise, dass ich, um Unterschied zu ihm, den Aushang gerne nutzen möchte, wird der Alte fuchtig, trollt sich dann aber. Eine unangenehmbe Begegnung. Hässlichkeit, Rücksichtslosigket und Feindseligkeit gegen die, die berechtigterweise gegen Fehlverhalten Einspruch erheben: Ich kann mir nicht helfen, aber ich vermute, es in diesem Fall einmal mehr mit einem Israeli zu tun gehabt zu haben.
Dienstag, 10. Juni 2025
Protest, Gewalt, Staat, Kapitalismus
Oh weh, die demonstrieren ja gar nicht friedlich. Na, da muss der Staat natürlich eingreifen. Um uns alle zu schützen.
Des braven, demokratischen Bürgers Herz rutscht in die Hose, wenn er von Gewaltausbrüchen hört, wo alles friedlich und zivilisiert zugehen sollte. Die gewöhnliche Vorstellung ist die: Es gibt ein Grundrecht auf Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit und zusammen ergeben sie das Recht auf Protest in der Öffentlichkeit. Wenn es friedlich zugeht. Wenn aber Polizisten (und Militärs) attackiert werden, Geschäft geplündert, Barrikaden errichtet und Autos und andere Wertgegenstände angezündet werden, dann ist der Spaß vorbei und der Ernst des Lebens muss wieder zuschlagen. Selber schuld, warum haben diese Leute (mit denen man nichts zu tun hat und haben will) nicht öediglich friedlich demonstriert, sondern sich für Gewalt und Zerstörung entschieden, das ist gegen das Gesetz und spielt nur denen in die Hände, die die Proteste unterdrücken wollen, was sie jetzt selbstverständlich müsse, mit Gewalt, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen.
Darin steckt ein Denkfehler, der so offensichtlich und grundlegend ist, dass er tatsächlich den Angelpunkt der Argumentation ausmacht: Warum sollten die, gegen deren Untaten protestiert wird, festlegen dürfen, in welcher Form das getan werden darf und in welcher nicht. Es ist vernünftig, darüber zu diskutieren, welche Protestformen vernünftig sind und welche Folgen sie haben. Aber den Staat und seine Gesetze vorschreiben zu lassen, wer wie wann wo gegen das staatliche Verbrechertum auftreten darf, ist absurd.
Nun kommt gewiss sofort der Protest: Aber der Staat, das sind doch wir alle, und Gesetze braucht es für ein friedliches und gewaltfreies Zusammenleben, ohne Vorschriften herrschte Anarchie!
Erstens: Anarchie (Herrschaftslosgkeit) herrscht nicht. Gemeint ist Durcheinander,. Zweitens: Anarchie ist nicht Unordnung, sondern vernünftig geordnetes Zusammenleben auf der Grundlage der Zustimmung und Mitwirkung jedes Einzelnen. Also genau das, was Frieden und Gewaltlosigkeit garantiert, im Unterschied zum System der Nationalstaaten und multinationalen Imperien, die innen und außen Kriege führen und äußerst destruktiv und unordentlich sind. Und drittens: Selbstverständlich kommt zunächst nichts Gutes dabei heraus, wenn systematisch-institutionelle Gewalt mit spontaner und privater Gewalt beantwortet wird. Wenn, anders gesagt, irgendwelche Protestgruppen sich aufführen, als wären sie jetzt mal kurz ein bisschen an der Macht und dürften nach Belieben (also hasserfüllt und ressentimentgeladen) über Menschen und Dinge verfügen.
Es ist aber doch so: Die Gewalt geht von den Verhältnissen aus. Was auch immer da und dort irgendwelche Protestierende gelegentlich an kriminellen Akten begehen, ist Reaktion darauf und nichts im Vergleich zu dem, was Staat und Wirtschaftsordnung den Leuten andauernd antun. Es sind nicht irgendwelche Demonstranten, gewalttätig oder nicht, die für all die Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen, für Umweltzerstörung und Unterdrückung, für Armut und Konsumwahn, für Verdummung und Unterhaltungsmüll verantwortlich sind, die es auf der Welt gibt. Verantwortlich ist die Weltwirtschaftsordnung, die von den Nationalstaaten geschützt wird. Während die Reichen weltweit nachweislich immer reicher werden, bleiben die Armen arm und alle dazwischen müssen Wohlverhalten an den Tag legen, wenn sie ein bisschen Wohlstand für sich abzweigen und nicht in die Mittellosigkeit abrutschen wollen.
Es geht übrigens nicht darum, dass halt die Reichen ein bisschen von ihrem Reichtum abgeben sollen, um die Armen ein bisschen weniger arm zu machen. Es geht darum, dass der real existierende Reichtum ungerechtfertigt ist, dass er auf Raub beruht (Privat-Eigentum) und auf Entrechtung. Diese Art von privatisierten, unproduktivem Reichtum gäbe es nicht, wenn nicht den Vielen etwas weggenommen würde und den Wenigen gegeben. Reich wird ja nicht, wer hart, schwer und viel dafür arbeitet, das ist eine Lüge; reich ist vielmehr und immer reicher wird, wer Reichtum geerbt oder innerhalb eine ihn begünstigenden Systems erschwindelt und erpresst hat.
Die meisten Menschen haben sich ― regional und global ― mit dieser Lage abgefunden. Auch die, die nicht von ihr profitieren und nie von ihr profitieren werden. Es gibt eben Reiche und Arme und irgendwas Dazwischen. Die meisten Menschen wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden und ihr Leben leben. Einige möchten außerdem gern den Umstand, dass es reiche und arme Länder gibt, insofern für sich nutzen, dass sie aus ihrer armen Heimat in reiche Länder migrieren, um dort hart zu arbeiten und zu etwas zu kommen, was ihnen dort, wo sie herkommen, verwehrt wird: ein erträgliches Auskommen. Ihre Migration ist einerseits ein Beitrag zum Wohlstand der Reichen, insbesondere wenn sie „illegal“ ins Land kommen und wie rechtlose Sklaven behandelt werden können. Wobei „Illegalität“ keine Naturgegebenheit ist, sondern vom Staat nach Gutdünken festgelegt wird. Andererseits eine gute Gelegenheit, die Abstiegsängste und die Fremdenfeindlichkeit der eigenen Mittelschichten zu mobilisieren und gegen Schwächere zu kanalisieren. Das funktioniert meistens. Nur selten bildet sich dagegen Widerstand.
Die Unruhen in Los Angeles kamen zu Stande, weil unter der faschistischen Regierung der USA die „Einwanderungsbehörde“ (in Wahrheit eine Einwanderungsverhinderungsbehörde, eine Deportationsbehörde) brutal, zum Teil gesetzwidrig und jedenfalls unmenschlich Jagd auf vermeintliche „Illegale“ machte. Dagegen bildete sich sehr wohl Widerstand. Verfolgte, deren Angehörige und besorgte Bürger gingen auf die Straße, um gegen Unrecht und Grausamkeit zu protestieren. Das demokratische und gewaltfreie Demonstrieren ließ sich die Behörde aber nicht gefallen und ging gewaltsam dagegen vor. Die Regierungszentrale eskalierte. Das war eine gern genutzte Gelegenheit für manche, ihre Wut auf ein repressives, diskriminierendes und ausbeuterisches System und ihre beschissenen Lebensverhältnisse durch Randalieren und Vandalieren auszudrücken. Damit bekamen die Anbeter der Staatsgewalt erst recht die Bilder, die sie haben wollten. Und die Gewaltschraube bekam ein paar Drehungen mehr.
Die Protestierer von Los Angeles oder anderswo LA sind keine Aufständischen. Ihr Protest ändert auch nichts an den Verhältnissen, er ist nur eine Bekundung von Anstand und Verzweiflung. Was inmitten einer gleichgültigen und in weiten Teilen bösartigen Gesellschaft schon sehr viel ist.
Friedlicher Protest beruft sich heutzutage in den USA auf Recht und Gesetz, in einer historischen Situation, in der nicht Recht und Gesetz von der Regierung missachtet. Das ist einerseits ein sinnvolles Mittel, die demokratische Usurpation des Staates durch undemokratische Kräfte zurückzuweisen, andererseits völlig untauglich, um die Zurückweisung wirkungsvoll zu machen. Die Faschisten hören nicht auf Stimmen der Vernunft, Logik, Moral usw. Sie sprechen nur die Sprache der Gewalt (nebst all ihren Lügen) und vermutlich kann nur Gewalt sie stoppen. Wie soll eine moralisch, kulturell, religiös völlig verwahrloste und verderbte Gesellschaft, in der die Hälfte der Leute einem debilen Clown mit tyrannischen Gelüsten anhängt, anders als durch einen Bürgerkrieg sich aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit, ihrem Konsumismus, ihrem Hedonismus, ihrer geistigen Leere herausarbeiten?
Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede hier nicht der Gewalt das Wort und auch nicht irgendeiner Straftat. Ich rede vielmehr der Abschaffung des Staates das Wort und der Abschaffung des Kapitalismus. Ich befürworte gewaltfreie Lösungen, weil die Mittel dem Ziel entsprechen müssen. Blutige Umstürze etablieren neue blutige Regimes, weiter nichts.
Aber ich sehe nicht, wo in den USA eine wirksame Gewaltfreiheit herkommen soll, die sich von Stillhalten und Wegschauen anders als bloß durch Gesänge, selbstbeschriftete Kartons und Internet-Memes unterscheidet. Der Staat und die, die sich seiner bedienen können, sind jederzeit nicht nur gewaltbereit, sondern setzen längst Gewalt ein. Derzeit wieder mit besonderem Nachdruck. Dass das dumm ist ― weil eine Masse von Unterdückten unproduktiver und nach außen gefährdeter ist als ein Gemeinwesen freier Bürger mit gesicherten Rechten ―, steht außer Frage, heißt aber nicht, dass es nicht durchgesetzt wird. Was soll dazu die Alternative sein? Wahlen? Eine Wahl hat den widerwärtigen Narren zweimal ins Amt gehoben. Wer soll die, die die Macht dazu haben, daran hindern, durch Aushebelung der Verfassung ein drittes Mal zu inszenieren ― ein Gericht? hahaha … ― oder irgendeine andere völlig unmögliche Galionsfigur einzusetzen? Einsicht, Gewissen, Anstand und die Einhaltung von Spielregeln scheiden also aus. Nochmals: Was ist die Alternative zum Quasifaschismus, der Faschismus zu werden droht?
Ich weiß es nicht.
Der Zustand des Systems ist grauenhaft. Aber vor allem ist das System selbstgrauenhaft. Der Form nach Demokratie, dem Inhalt nach Ausbeutung und Verblödung und Zerstörung der Lebensgrundlagen aller. Bevor das nicht von allen, die aktiv gegen Missstände vorgehen wollen, begriffen wird, sehe ich kaum eine Chance, wie die Missstände beseitigt werden sollen, besonders nicht der eine Missstand, der die Ursache der anderen ist: die Herrschaft von Menschen über Menschen.
Bilder von bespuckten und beworfenen Bütteln und brennende Fahrzeugen mögen rebellische Herzen höher schlagen lassen. Sie illustrieren allerdings nur die Machtlosigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Staat, der aller seiner Untertanen Feind ist und der „wir“ nicht sind und besser auch keinesfalls sein wollen sollten.
Des braven, demokratischen Bürgers Herz rutscht in die Hose, wenn er von Gewaltausbrüchen hört, wo alles friedlich und zivilisiert zugehen sollte. Die gewöhnliche Vorstellung ist die: Es gibt ein Grundrecht auf Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit und zusammen ergeben sie das Recht auf Protest in der Öffentlichkeit. Wenn es friedlich zugeht. Wenn aber Polizisten (und Militärs) attackiert werden, Geschäft geplündert, Barrikaden errichtet und Autos und andere Wertgegenstände angezündet werden, dann ist der Spaß vorbei und der Ernst des Lebens muss wieder zuschlagen. Selber schuld, warum haben diese Leute (mit denen man nichts zu tun hat und haben will) nicht öediglich friedlich demonstriert, sondern sich für Gewalt und Zerstörung entschieden, das ist gegen das Gesetz und spielt nur denen in die Hände, die die Proteste unterdrücken wollen, was sie jetzt selbstverständlich müsse, mit Gewalt, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen.
Darin steckt ein Denkfehler, der so offensichtlich und grundlegend ist, dass er tatsächlich den Angelpunkt der Argumentation ausmacht: Warum sollten die, gegen deren Untaten protestiert wird, festlegen dürfen, in welcher Form das getan werden darf und in welcher nicht. Es ist vernünftig, darüber zu diskutieren, welche Protestformen vernünftig sind und welche Folgen sie haben. Aber den Staat und seine Gesetze vorschreiben zu lassen, wer wie wann wo gegen das staatliche Verbrechertum auftreten darf, ist absurd.
Nun kommt gewiss sofort der Protest: Aber der Staat, das sind doch wir alle, und Gesetze braucht es für ein friedliches und gewaltfreies Zusammenleben, ohne Vorschriften herrschte Anarchie!
Erstens: Anarchie (Herrschaftslosgkeit) herrscht nicht. Gemeint ist Durcheinander,. Zweitens: Anarchie ist nicht Unordnung, sondern vernünftig geordnetes Zusammenleben auf der Grundlage der Zustimmung und Mitwirkung jedes Einzelnen. Also genau das, was Frieden und Gewaltlosigkeit garantiert, im Unterschied zum System der Nationalstaaten und multinationalen Imperien, die innen und außen Kriege führen und äußerst destruktiv und unordentlich sind. Und drittens: Selbstverständlich kommt zunächst nichts Gutes dabei heraus, wenn systematisch-institutionelle Gewalt mit spontaner und privater Gewalt beantwortet wird. Wenn, anders gesagt, irgendwelche Protestgruppen sich aufführen, als wären sie jetzt mal kurz ein bisschen an der Macht und dürften nach Belieben (also hasserfüllt und ressentimentgeladen) über Menschen und Dinge verfügen.
Es ist aber doch so: Die Gewalt geht von den Verhältnissen aus. Was auch immer da und dort irgendwelche Protestierende gelegentlich an kriminellen Akten begehen, ist Reaktion darauf und nichts im Vergleich zu dem, was Staat und Wirtschaftsordnung den Leuten andauernd antun. Es sind nicht irgendwelche Demonstranten, gewalttätig oder nicht, die für all die Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen, für Umweltzerstörung und Unterdrückung, für Armut und Konsumwahn, für Verdummung und Unterhaltungsmüll verantwortlich sind, die es auf der Welt gibt. Verantwortlich ist die Weltwirtschaftsordnung, die von den Nationalstaaten geschützt wird. Während die Reichen weltweit nachweislich immer reicher werden, bleiben die Armen arm und alle dazwischen müssen Wohlverhalten an den Tag legen, wenn sie ein bisschen Wohlstand für sich abzweigen und nicht in die Mittellosigkeit abrutschen wollen.
Es geht übrigens nicht darum, dass halt die Reichen ein bisschen von ihrem Reichtum abgeben sollen, um die Armen ein bisschen weniger arm zu machen. Es geht darum, dass der real existierende Reichtum ungerechtfertigt ist, dass er auf Raub beruht (Privat-Eigentum) und auf Entrechtung. Diese Art von privatisierten, unproduktivem Reichtum gäbe es nicht, wenn nicht den Vielen etwas weggenommen würde und den Wenigen gegeben. Reich wird ja nicht, wer hart, schwer und viel dafür arbeitet, das ist eine Lüge; reich ist vielmehr und immer reicher wird, wer Reichtum geerbt oder innerhalb eine ihn begünstigenden Systems erschwindelt und erpresst hat.
Die meisten Menschen haben sich ― regional und global ― mit dieser Lage abgefunden. Auch die, die nicht von ihr profitieren und nie von ihr profitieren werden. Es gibt eben Reiche und Arme und irgendwas Dazwischen. Die meisten Menschen wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden und ihr Leben leben. Einige möchten außerdem gern den Umstand, dass es reiche und arme Länder gibt, insofern für sich nutzen, dass sie aus ihrer armen Heimat in reiche Länder migrieren, um dort hart zu arbeiten und zu etwas zu kommen, was ihnen dort, wo sie herkommen, verwehrt wird: ein erträgliches Auskommen. Ihre Migration ist einerseits ein Beitrag zum Wohlstand der Reichen, insbesondere wenn sie „illegal“ ins Land kommen und wie rechtlose Sklaven behandelt werden können. Wobei „Illegalität“ keine Naturgegebenheit ist, sondern vom Staat nach Gutdünken festgelegt wird. Andererseits eine gute Gelegenheit, die Abstiegsängste und die Fremdenfeindlichkeit der eigenen Mittelschichten zu mobilisieren und gegen Schwächere zu kanalisieren. Das funktioniert meistens. Nur selten bildet sich dagegen Widerstand.
Die Unruhen in Los Angeles kamen zu Stande, weil unter der faschistischen Regierung der USA die „Einwanderungsbehörde“ (in Wahrheit eine Einwanderungsverhinderungsbehörde, eine Deportationsbehörde) brutal, zum Teil gesetzwidrig und jedenfalls unmenschlich Jagd auf vermeintliche „Illegale“ machte. Dagegen bildete sich sehr wohl Widerstand. Verfolgte, deren Angehörige und besorgte Bürger gingen auf die Straße, um gegen Unrecht und Grausamkeit zu protestieren. Das demokratische und gewaltfreie Demonstrieren ließ sich die Behörde aber nicht gefallen und ging gewaltsam dagegen vor. Die Regierungszentrale eskalierte. Das war eine gern genutzte Gelegenheit für manche, ihre Wut auf ein repressives, diskriminierendes und ausbeuterisches System und ihre beschissenen Lebensverhältnisse durch Randalieren und Vandalieren auszudrücken. Damit bekamen die Anbeter der Staatsgewalt erst recht die Bilder, die sie haben wollten. Und die Gewaltschraube bekam ein paar Drehungen mehr.
Die Protestierer von Los Angeles oder anderswo LA sind keine Aufständischen. Ihr Protest ändert auch nichts an den Verhältnissen, er ist nur eine Bekundung von Anstand und Verzweiflung. Was inmitten einer gleichgültigen und in weiten Teilen bösartigen Gesellschaft schon sehr viel ist.
Friedlicher Protest beruft sich heutzutage in den USA auf Recht und Gesetz, in einer historischen Situation, in der nicht Recht und Gesetz von der Regierung missachtet. Das ist einerseits ein sinnvolles Mittel, die demokratische Usurpation des Staates durch undemokratische Kräfte zurückzuweisen, andererseits völlig untauglich, um die Zurückweisung wirkungsvoll zu machen. Die Faschisten hören nicht auf Stimmen der Vernunft, Logik, Moral usw. Sie sprechen nur die Sprache der Gewalt (nebst all ihren Lügen) und vermutlich kann nur Gewalt sie stoppen. Wie soll eine moralisch, kulturell, religiös völlig verwahrloste und verderbte Gesellschaft, in der die Hälfte der Leute einem debilen Clown mit tyrannischen Gelüsten anhängt, anders als durch einen Bürgerkrieg sich aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit, ihrem Konsumismus, ihrem Hedonismus, ihrer geistigen Leere herausarbeiten?
Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede hier nicht der Gewalt das Wort und auch nicht irgendeiner Straftat. Ich rede vielmehr der Abschaffung des Staates das Wort und der Abschaffung des Kapitalismus. Ich befürworte gewaltfreie Lösungen, weil die Mittel dem Ziel entsprechen müssen. Blutige Umstürze etablieren neue blutige Regimes, weiter nichts.
Aber ich sehe nicht, wo in den USA eine wirksame Gewaltfreiheit herkommen soll, die sich von Stillhalten und Wegschauen anders als bloß durch Gesänge, selbstbeschriftete Kartons und Internet-Memes unterscheidet. Der Staat und die, die sich seiner bedienen können, sind jederzeit nicht nur gewaltbereit, sondern setzen längst Gewalt ein. Derzeit wieder mit besonderem Nachdruck. Dass das dumm ist ― weil eine Masse von Unterdückten unproduktiver und nach außen gefährdeter ist als ein Gemeinwesen freier Bürger mit gesicherten Rechten ―, steht außer Frage, heißt aber nicht, dass es nicht durchgesetzt wird. Was soll dazu die Alternative sein? Wahlen? Eine Wahl hat den widerwärtigen Narren zweimal ins Amt gehoben. Wer soll die, die die Macht dazu haben, daran hindern, durch Aushebelung der Verfassung ein drittes Mal zu inszenieren ― ein Gericht? hahaha … ― oder irgendeine andere völlig unmögliche Galionsfigur einzusetzen? Einsicht, Gewissen, Anstand und die Einhaltung von Spielregeln scheiden also aus. Nochmals: Was ist die Alternative zum Quasifaschismus, der Faschismus zu werden droht?
Ich weiß es nicht.
Der Zustand des Systems ist grauenhaft. Aber vor allem ist das System selbstgrauenhaft. Der Form nach Demokratie, dem Inhalt nach Ausbeutung und Verblödung und Zerstörung der Lebensgrundlagen aller. Bevor das nicht von allen, die aktiv gegen Missstände vorgehen wollen, begriffen wird, sehe ich kaum eine Chance, wie die Missstände beseitigt werden sollen, besonders nicht der eine Missstand, der die Ursache der anderen ist: die Herrschaft von Menschen über Menschen.
Bilder von bespuckten und beworfenen Bütteln und brennende Fahrzeugen mögen rebellische Herzen höher schlagen lassen. Sie illustrieren allerdings nur die Machtlosigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Staat, der aller seiner Untertanen Feind ist und der „wir“ nicht sind und besser auch keinesfalls sein wollen sollten.
Montag, 9. Juni 2025
Leute (32)
Jemand, den ich nicht kenne, war in Neapel, und man sagt mir, die Person sei mit der Nachricht zurückgekommen, die Stadt sei schmutzig. Das ärgert mich. Schmutzig, laut, arm, chaotisch usw., all diese Klischees, die vermutlich ebenso wahr wie bedeutungslos sind, kennt man die nicht schon, bevor man hinreist? Wozu Neapel besuchen, wenn man sich nicht für die Stadt interessiert? Wenn man nichts über sie weiß und offenschtlich nicht mehr wissen will, als ein Tourist eben beim durchtrampel einer Stadt an Nebensächlichem mitbekommt und missversteht. Ich ärgere mich also nicht darüber, dass Neapel verleumdet würde, denn ich halte mich dank Malaparte, Bellavista e tutti quanti für einigermaßen zum Mitwisser gemacht. Ich ärgere mich vielmehr darüber, dass andere dorthin reisen, die ignorant und borniert sind, die es nicht verdient hanen, ja völlig unwürdig sind, die Wirklichkeit dieser Stadt zu erfahren, während mir, der ich so gebildet und aufnahmefähig bin, auf absehabre Zeit und vielleicht für immer die Mittel fehlen werden, nach Neapel zu reisen. Was für ein Unrecht!
Sonntag, 8. Juni 2025
Notiz über Literatur
Wenn einer schriebe, Kalkutta liege an der Seine und Paris am Ganges, dann ist das völlig in Ordnung, es stellt sich allenfalls die Frage: In welcher? In der einen Ordnung und in einer anderen nicht. Die Entscheidung, welche er wählt oder ob er gar Unordnung vorzieht, wird man dem Schreibenden überlassen müssen, es ist ja sein Text, in dem das steht. Warum sollte denn Geographie, wie sie herkömmlicherweise gelehrt wird, der Maßstab der Literatur sein? Warum sollte nicht, wer kann und will, eine alternative Geographie behaupten dürfen? Man nennt das Fiktion und sollte es von der Faktenhuberei unterscheiden, die manche zur Kunst erheben wollten. Das möglichst akribisch Nachbeten einer vermeintlichen Realität (Regnete es am Tag der Schlacht von Waterloo? Von wann bis wann und wie viel? Was hatte Napoleon gefrühstückt? Musste er noch aufs Klo?) ist nicht an sich sinnvoll, es müsste, wie alles Geschriebene es muss, seine Sinnhaftigkeit im Zusammenhang der sprachlichen Gestaltung erst unter Beweis stellen. Oder diesen Beweis aus guten Gründen schuldig bleiben, auch das kann zulässig sein. Was stimmt oder nicht, unterliegt in der schönen Literatur anderen Regeln, Absichten und Erfordernissen als in der Geschichtsschreibung. Wer nur sagen will, wie es gewesen ist, ist in der Belletristik fehl am Platze. Er muss schon etwas können, das es sinnvoll macht, so tu tun, als sei etwas so gewesen oder anders. Wer also erzählen möchte, Napoleon sei damals während starken Schneefalls auf einem lahmenden Einhorn ungefrühstückt aufs Schachtfeld geritten, möge das tun, wenn er weiß (oder immerhin vermuten kann), was er da tut, und wäre auch das, was er tut, zur Erfüllung des Wunsches gemacht, zu verstören und in die Irre zu führen. Warum er jemanden dorthin bringen will (in die Irre), was er sich davon verspricht und was er von einem Rückweg hält, darf ganz ihm überlassen bleiben, derlei Tun und Machen ist jedenfalls nicht von vorn herein weniger berechtigt als das Anliegen, überpüfbare Rekonstruktion und eindringliche Information zu geben. Aber auch nicht unbedingt mehr. Weshalb Reflexion und Offenlegen der Gründe gerade dann nicht schaden wird, wenn ohnehin schon Illusion als Sinn und Zweck des Schreibens auuscheidet, also ein Text sich ebenso gut gleich selbst kommentieren kann. Wie es übrigens seit jeher recht häufig Sitte ist, sonderlich in dem Zeitalter, das man das moderne nennen möchte. Erfindung und deren Aufdeckung nehmen dem Lesevergnügen nichts, wenn anders dieses nicht vor allem darin bestehen soll, das Lesen und mit ihm das Geschriebene zu vergessen und einzutauchen in unechte Wirklichkeit. Im gewöhnlichen Umgang sind „alternatve Fakten“ einfach Lügen und also böse. In der Schönen Literatur aber ist alles erlaubt, was gut gemacht ist; oder so schlecht, dass es schon wieder gut ist. Alles, außer eben das: Den Unterschied von Fiktionen und Fakten vergessen machen zu wollen, weil das zu unkritischer Haltung erzieht und also böse ist.
Samstag, 7. Juni 2025
In eigener Sache: Neues Blog
Ab sofort gibt es von mir ein neues Blog: Nackter Wahnsinn. Unter der Adresse https://nackter-wahnsinn.blogspot.com veröffentliche ich dort bellestristische Prosa-Texte. Zunächst habe ich nur solche aus diesem Blog hier übernommen, fortan werden dort neue Texte (und alte aus anderen Zusammenhängen) zu lesen sein.
Donnerstag, 5. Juni 2025
Leute (31)
Vor
Jahren stritt ich mit X., einem Verleger, Übersetzer, Autor, ob Edmund Whites
Genet-Biographie ganz grässlich und nur für dumme Amerikaner geschrieben
sei (so X.) oder aber ein Meisterwerk der Biographik und eines der
besten Bücher über Jean Genet, wenn nicht gar das beste überhaupt (so
ich).
Am 3. Juni verstarb Edmund White. Sein Genet-Buch und manch anderes von ihm hat mich über dreißig Jahre lang begleitet. Ich bin ihm dankbar. Er ruhe in Frieden.
Mittwoch, 4. Juni 2025
Glosse CXXXVI
Befasst man sich intensiver mit dem Text, dann bieten die Form der formalen Gestaltung sowie die (...) Hier steige ich aus, der Satz muss erst einmal ohne mich zu Ende gehen. Was mich aus der Bahn wirft: Für mich sind Form und Gestalt Synonyme; andere können das gerne anders sehen, sie mögen mir ihre Gründe bitte in einer Fremdsprache erklären. Mir ist also ein Rätsel, was eine formale Gestaltung sein soll und wie sie sich unterscheidet von, ja was, einer nichtformalen Gestaltung? Einer stofflichen Gestaltung? Und wieso hat die Gestaltung, formal oder nicht, besonders aber, wenn ausdrücklich formal, auch noch eine Form? Oder geht es bei solchem Wortgeklingel nur um eine möglichst inhaltsarme, aber vokabelreiche Rede? Um so das Vorurteil zu bestätigen, dass Literaturwissenschaftler nicht gut schreiben können?
Glotze
Ich mochte es nie, wenn jemand vom Fernsehen als der Glotze sprach. Ob einer gern fernsieht oder nicht, muss jeder selber wissen, ob er es tut oder lässt, darf jeder selbst entscheiden. Aber das Fernsehen durch einen solchen Ausdruck abzuwerten und sich seiner dann doch zu bedienen (oder sich davon bedienen zu lassen), das erschien mir immer als Heuchelei.
Bedauerlich finde ich es aber vor allem, dass mit dem abschätzigen Ausdruck „Glotze“ schon das Fernsehen belegt worden ist, wo er doch heute so gut gebraucht werden könnte, um das Mobiltelephon zu bezeichnen. Lässt sich da nichts machen? Der Wortgebrauch scheint mir ohnehin stark rückläufig, übers Tefau zu meckern in der Internetära zudem weitgehend obsolet. Vielleicht darf man den Ausdruck also als bereits wieder frei geworden betrachten und somit auf besagtes Gerät anwenden.
Denn der Umgang mit diesem ist, soweit ich sehe, genau das: ein Glotzen. Manche sagen: ein Starren, auch das stimmt, aber vom „Handy“ als „Starre“ zu reden, wäre dann wohl doch zu abseitig.
Warum aber nicht „Glotze“? Es wird geglotzt, es wird gewischt, wieder geglotzt, getippt, wieder geglotzt und so weiter und so fort, das kann eine kleine Ewigkeit so gehen, manchmal auch nur ein paar Sekunden, dafür aber immer alle paar Minuten.
Nur selten noch wird geschwatzt. Zu oft, an der Lästigkeit gemessen, wenn es öffentlich geschieht, im Ganzen aber doch seltener, als der Begriff des Telephons vermuten ließe. Es gibt sogar, höre ich und habe es selbst bei einigen bemerkt, Fortgeschrittene, die gar nicht mehr mit dem Mobiltelephon telephonieren. Sie tippen nur noch, was sie zu sagen haben.
Es geht also ums Glotzen, Glotzen, Glotzen, und darum wäre Glotze so ein passender Ausdruck. Ich rate dringend dazu, ihn zu verwenden. Und wäre es auch nur in der pseudanglisierten Form „Glotzy“.
Bedauerlich finde ich es aber vor allem, dass mit dem abschätzigen Ausdruck „Glotze“ schon das Fernsehen belegt worden ist, wo er doch heute so gut gebraucht werden könnte, um das Mobiltelephon zu bezeichnen. Lässt sich da nichts machen? Der Wortgebrauch scheint mir ohnehin stark rückläufig, übers Tefau zu meckern in der Internetära zudem weitgehend obsolet. Vielleicht darf man den Ausdruck also als bereits wieder frei geworden betrachten und somit auf besagtes Gerät anwenden.
Denn der Umgang mit diesem ist, soweit ich sehe, genau das: ein Glotzen. Manche sagen: ein Starren, auch das stimmt, aber vom „Handy“ als „Starre“ zu reden, wäre dann wohl doch zu abseitig.
Warum aber nicht „Glotze“? Es wird geglotzt, es wird gewischt, wieder geglotzt, getippt, wieder geglotzt und so weiter und so fort, das kann eine kleine Ewigkeit so gehen, manchmal auch nur ein paar Sekunden, dafür aber immer alle paar Minuten.
Nur selten noch wird geschwatzt. Zu oft, an der Lästigkeit gemessen, wenn es öffentlich geschieht, im Ganzen aber doch seltener, als der Begriff des Telephons vermuten ließe. Es gibt sogar, höre ich und habe es selbst bei einigen bemerkt, Fortgeschrittene, die gar nicht mehr mit dem Mobiltelephon telephonieren. Sie tippen nur noch, was sie zu sagen haben.
Es geht also ums Glotzen, Glotzen, Glotzen, und darum wäre Glotze so ein passender Ausdruck. Ich rate dringend dazu, ihn zu verwenden. Und wäre es auch nur in der pseudanglisierten Form „Glotzy“.
Dienstag, 3. Juni 2025
Ist die Natur an sich sinnfrei?
„Die Natur an sich ist sinnfrei.“ Woher weiß das der Mensch, der das schreibt? Woher kennt er die Natur „an sich“? ― Was man unter Natur verstehen will, mag verschieden sein, aber vielleicht kann man sich ja auf dieses Minimum einigen: Natur ist, was Menschen nicht gemacht haben. Das scheint auch für die zitierten Satz (auf Grund von dessen hier ausgeblendetem Kontext) plausibel.
Wie also gewinnt man Erkenntnisse über das nicht von Menschen Gemachte „an sich“? Um es einmal mehr zu sagen: Es gibt keine menschliche Erkenntnis, die nicht Erkenntnis eines Menschen wäre (wenigstens eines). Was und wie etwas also ist, insofern es nicht Gegenstand der Wahrnehmung, der Erkenntnis, der Rede ist, darüber kann nichts Sinnvolles gesagt, das kann nicht gewusst, das kann nicht wahrgenommen werden. Selbstverständlich kann ich sagen, wie etwas aussieht, das ich jetzt gerade nicht sehe, denn ich kann es früher gesehen haben oder mich auf Beschreibungen anderer verlassen. Aber wie etwas aussieht, das nie jemand gesehen (oder sich vorgestellt hat), ist unmöglich zu sagen.
Trotzdem wird über derlei geredet. Man spricht von „Natur an sich“, was ja wohl heißen soll: Natur, so wie sie ist, auch wenn niemand sie wahrnimmt. Der zitierte Satz geht sogar noch darüber hinaus und behauptet, etwas über Natur, wie sie ist, unabhängig von menschlicher Wahrnehmung und Deutung (Sinnzuschreibung), sagen zu können.
Nun ist freilich die „sinnfreie Natur an sich“ ein hölzernes Eisen, will sagen: ein sinnlosen Ausdruck, ein sich selbst widersprechender Begriff. Denn dass etwas „sinnfrei“ ist, kann ich ja nur sagen, wenn ich etwas darüber weiß; dann ist es aber nicht mehr „an sich“, sondern auf diese oder jenes Weise etwas für mich. Zumal man von „Sinnfreiheit“ (oder „Sinnhaftigkeit“, wenn das das Gegenstück ist) nur innerhalb einer Hermeneutik reden kann. So wie man ja auch nur innerhalb von Kulturen von Natur redet. In der Natur kommt Natur nicht vor, es ist ein menschlicher, immer schon mit Bedeutungen ausgestatteter (und insofern niemals sinnfreier) Begriff.
Aber auch wenn ich der Meinung bin, dass „Natur an sich“ kein sinnvoller Ausdruck ist (wegen des logischen und epistemologischen Widerspruchs, die Nichtgegenständlichkeit von etwas zum Gegenstand machen zu wollen), so ist es doch meiner Auffassung nach kein sinnfreier. Der Sinn solcher Redeweise scheint nämlich zu sein, einen Seinsbezirk zu behaupten, der der menschlichen Deutung zunächst einmal vorausliegt und nicht von Sinnstiftungsakten konstituiert wird. Eine „reine Natur“ also, die nachträglich Deutungen unterzogen wird.
Nun sollte man aber bedenken, dass dieses Narrativ der Nachträglichkeit selbst nachträglich ist und nur innerhalb einer bereits hermeneutisch verfassten Praxis vorkommen kann. Anders gesagt: die „sinnfreie Natur an sich“ ist ein mit Sinn aufgeladenes Kulturprodukt. Und nichts weiter. Ob das, wovon keine Rede sein kann (weil es dann schon nicht mehr an sich wäre, sondern eben Gegenstand menschlicher Rede), existiert oder nicht und in welchem Sinne, kann nicht gesagt werden. Oder vielmehr, es kann gesagt werden, aber nur als bloße Spekulation und Fiktion, nicht in der Art von überprüfbaren Aussagen zu Tatsachen.
Der Sinn und Zweck der Rede von der „sinnfreien Natur an sich“ ist also eine Intervention innerhalb des hermeneutischen Feldes. Es wird etwas postuliert, Natur, und dann mit einer Deutung ausgestattet („ist sinnfrei“), die sich nicht nur von selbst versteht, sondern, zu Ende gedacht, höchst widersprüchlich und nur dann verständlich ist, wenn es nicht als „wertfreie Tatsachenbehauptung“ genommen, sondern als Aufforderung verstanden wird: Es gibt Natur und sie hat keinen Sinn.
Beweisen lässt sich der Satz nicht. Denn wer überblickte erstens das Gesamt dessen, was die so und so verstandene Natur ist? Was, wenn er etwas übersehen hätte oder Sinn dort verborgen ist, wo er ihn nicht sehen wollte? Und wer könnte zweitens so aus Natur und Kultur heraustreten (ohne sich mitzunehmen …), dass er das An-Sich dieser Totalität erfasste? Niemand kann das. Im Gegenteil, Wirklichkeitsbetrachtung ist nur als sinnvolle Handlung denkbar, mögen die Ergebnisse auch falsch oder absurd sein, als menschliche Handlung also, die Anlass, Umstände, Gelegenheit, Geschichte, Absichten, Bedingungen usw. hat. Nicht nur kann nichts über „Natur an sich“ gewusst werden, weil Natur als bewusst gemachte und in ihrem Sosein gewusste notwendig „Natur für jemanden“ ist, sondern auch eine „sinnfreie Natur“ kann kein Erkenntnisgegenstand sein, weil alle Erkenntnis darauf aus ist, sinnvoll zu sein (und sonst keine Erkenntnis wäre).
Die Sinnfreiheit der Natur ist also eher ein Mythos, den man hinnehmen soll, als eine Erkenntnis, die man überprüfen kann. Zeigen lässt sich jedoch, dass es überhaupt Sinn gibt. Wenn aber irgendetwas Sinn hat, und jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass dem so ist, dann hat im Grunde alles Sinn. Denn sonst müsste man ja annehmen, dass zwar etwas Sinn hat, aber das Sinnhaben selbst sinnlos („sinnfrei“) ist. Das wäre aber seinerseits nicht sinnvoll, sondern absurd. Es ist aber eben offensichtlich nicht absurd, sondern sinnvoll, dass etwas Sinn hat.
Man darf also sagen: Das nicht von Menschen Gemachte, woher immer es stammt, was auch immer es bedeutet und wozu immer es verpflichtet (oder berechtigt), es ist jedenfalls nur innerhalb der Sinnfülle zugänglich, die zu den Bedingungen des menschlichen Daseins gehört. Sinn wird den Dingen und Verhältnissen nämlich nicht (oder nicht immer nur) übergestülpt, er wird ihnen vor allem auch entnommen, er ist im Umgang mit der Wirklichkeit erfahrbar. Ich gehe so weit zu sagen, dass das menschliche Dasein ganz wesentlich Sinnerfahrung ist. (Nur dadurch sind Erfahrungen von Sinnlosigkeit als Lebenskrisen oder Kulturzustand überhaupt möglich.)
Dass „Natur“ als solche also keineswegs a priori und notwendigerweise sinnfrei ist, bedeutet andererseits selbstverständlich nicht, dass der Sinn von etwas, das man der Natur zurechnet, immer zugänglich ist und erfasst werden kann und wird. Was der Sinn und vor allem, was der letzte Sinn ist, ist eine andere Frage als die, ob etwas überhaupt Sinn hat. Sehr wohl kann die Sinnhaftigkeit von etwas natürlich Verstandenem erkannt werden, ohne dass darum der Sinn „der Natur“ schlechthin erfasst werden müsste. Womöglich verlässt aber das Nachdenken darüber den Bereich der Philosophie und tritt auf den der Theologie über. daran ist nichts Ehrenrühriges. Auch die Philosophie hat ihre Grenzen und auch jenseits dieser Grenzen kann es Wahrheit geben, der man sich dann eben anders als philosophisch anzunähern hätte.
Wie also gewinnt man Erkenntnisse über das nicht von Menschen Gemachte „an sich“? Um es einmal mehr zu sagen: Es gibt keine menschliche Erkenntnis, die nicht Erkenntnis eines Menschen wäre (wenigstens eines). Was und wie etwas also ist, insofern es nicht Gegenstand der Wahrnehmung, der Erkenntnis, der Rede ist, darüber kann nichts Sinnvolles gesagt, das kann nicht gewusst, das kann nicht wahrgenommen werden. Selbstverständlich kann ich sagen, wie etwas aussieht, das ich jetzt gerade nicht sehe, denn ich kann es früher gesehen haben oder mich auf Beschreibungen anderer verlassen. Aber wie etwas aussieht, das nie jemand gesehen (oder sich vorgestellt hat), ist unmöglich zu sagen.
Trotzdem wird über derlei geredet. Man spricht von „Natur an sich“, was ja wohl heißen soll: Natur, so wie sie ist, auch wenn niemand sie wahrnimmt. Der zitierte Satz geht sogar noch darüber hinaus und behauptet, etwas über Natur, wie sie ist, unabhängig von menschlicher Wahrnehmung und Deutung (Sinnzuschreibung), sagen zu können.
Nun ist freilich die „sinnfreie Natur an sich“ ein hölzernes Eisen, will sagen: ein sinnlosen Ausdruck, ein sich selbst widersprechender Begriff. Denn dass etwas „sinnfrei“ ist, kann ich ja nur sagen, wenn ich etwas darüber weiß; dann ist es aber nicht mehr „an sich“, sondern auf diese oder jenes Weise etwas für mich. Zumal man von „Sinnfreiheit“ (oder „Sinnhaftigkeit“, wenn das das Gegenstück ist) nur innerhalb einer Hermeneutik reden kann. So wie man ja auch nur innerhalb von Kulturen von Natur redet. In der Natur kommt Natur nicht vor, es ist ein menschlicher, immer schon mit Bedeutungen ausgestatteter (und insofern niemals sinnfreier) Begriff.
Aber auch wenn ich der Meinung bin, dass „Natur an sich“ kein sinnvoller Ausdruck ist (wegen des logischen und epistemologischen Widerspruchs, die Nichtgegenständlichkeit von etwas zum Gegenstand machen zu wollen), so ist es doch meiner Auffassung nach kein sinnfreier. Der Sinn solcher Redeweise scheint nämlich zu sein, einen Seinsbezirk zu behaupten, der der menschlichen Deutung zunächst einmal vorausliegt und nicht von Sinnstiftungsakten konstituiert wird. Eine „reine Natur“ also, die nachträglich Deutungen unterzogen wird.
Nun sollte man aber bedenken, dass dieses Narrativ der Nachträglichkeit selbst nachträglich ist und nur innerhalb einer bereits hermeneutisch verfassten Praxis vorkommen kann. Anders gesagt: die „sinnfreie Natur an sich“ ist ein mit Sinn aufgeladenes Kulturprodukt. Und nichts weiter. Ob das, wovon keine Rede sein kann (weil es dann schon nicht mehr an sich wäre, sondern eben Gegenstand menschlicher Rede), existiert oder nicht und in welchem Sinne, kann nicht gesagt werden. Oder vielmehr, es kann gesagt werden, aber nur als bloße Spekulation und Fiktion, nicht in der Art von überprüfbaren Aussagen zu Tatsachen.
Der Sinn und Zweck der Rede von der „sinnfreien Natur an sich“ ist also eine Intervention innerhalb des hermeneutischen Feldes. Es wird etwas postuliert, Natur, und dann mit einer Deutung ausgestattet („ist sinnfrei“), die sich nicht nur von selbst versteht, sondern, zu Ende gedacht, höchst widersprüchlich und nur dann verständlich ist, wenn es nicht als „wertfreie Tatsachenbehauptung“ genommen, sondern als Aufforderung verstanden wird: Es gibt Natur und sie hat keinen Sinn.
Beweisen lässt sich der Satz nicht. Denn wer überblickte erstens das Gesamt dessen, was die so und so verstandene Natur ist? Was, wenn er etwas übersehen hätte oder Sinn dort verborgen ist, wo er ihn nicht sehen wollte? Und wer könnte zweitens so aus Natur und Kultur heraustreten (ohne sich mitzunehmen …), dass er das An-Sich dieser Totalität erfasste? Niemand kann das. Im Gegenteil, Wirklichkeitsbetrachtung ist nur als sinnvolle Handlung denkbar, mögen die Ergebnisse auch falsch oder absurd sein, als menschliche Handlung also, die Anlass, Umstände, Gelegenheit, Geschichte, Absichten, Bedingungen usw. hat. Nicht nur kann nichts über „Natur an sich“ gewusst werden, weil Natur als bewusst gemachte und in ihrem Sosein gewusste notwendig „Natur für jemanden“ ist, sondern auch eine „sinnfreie Natur“ kann kein Erkenntnisgegenstand sein, weil alle Erkenntnis darauf aus ist, sinnvoll zu sein (und sonst keine Erkenntnis wäre).
Die Sinnfreiheit der Natur ist also eher ein Mythos, den man hinnehmen soll, als eine Erkenntnis, die man überprüfen kann. Zeigen lässt sich jedoch, dass es überhaupt Sinn gibt. Wenn aber irgendetwas Sinn hat, und jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass dem so ist, dann hat im Grunde alles Sinn. Denn sonst müsste man ja annehmen, dass zwar etwas Sinn hat, aber das Sinnhaben selbst sinnlos („sinnfrei“) ist. Das wäre aber seinerseits nicht sinnvoll, sondern absurd. Es ist aber eben offensichtlich nicht absurd, sondern sinnvoll, dass etwas Sinn hat.
Man darf also sagen: Das nicht von Menschen Gemachte, woher immer es stammt, was auch immer es bedeutet und wozu immer es verpflichtet (oder berechtigt), es ist jedenfalls nur innerhalb der Sinnfülle zugänglich, die zu den Bedingungen des menschlichen Daseins gehört. Sinn wird den Dingen und Verhältnissen nämlich nicht (oder nicht immer nur) übergestülpt, er wird ihnen vor allem auch entnommen, er ist im Umgang mit der Wirklichkeit erfahrbar. Ich gehe so weit zu sagen, dass das menschliche Dasein ganz wesentlich Sinnerfahrung ist. (Nur dadurch sind Erfahrungen von Sinnlosigkeit als Lebenskrisen oder Kulturzustand überhaupt möglich.)
Dass „Natur“ als solche also keineswegs a priori und notwendigerweise sinnfrei ist, bedeutet andererseits selbstverständlich nicht, dass der Sinn von etwas, das man der Natur zurechnet, immer zugänglich ist und erfasst werden kann und wird. Was der Sinn und vor allem, was der letzte Sinn ist, ist eine andere Frage als die, ob etwas überhaupt Sinn hat. Sehr wohl kann die Sinnhaftigkeit von etwas natürlich Verstandenem erkannt werden, ohne dass darum der Sinn „der Natur“ schlechthin erfasst werden müsste. Womöglich verlässt aber das Nachdenken darüber den Bereich der Philosophie und tritt auf den der Theologie über. daran ist nichts Ehrenrühriges. Auch die Philosophie hat ihre Grenzen und auch jenseits dieser Grenzen kann es Wahrheit geben, der man sich dann eben anders als philosophisch anzunähern hätte.
Montag, 2. Juni 2025
Notiz zur Zeit (251)
Ob das eine gute Wahl war? Ein Präsident, der nicht viel mehr können wird, als der Regierung dazwischenzufunken: Macht das Polen stark und unabhängig? Schützt es vor Bedrohungen? Antwortet es auf Herausforderungen? Dass so viele nicht eine Zukunft wählen, sondern den Wunsch nach einer Vergangenheit, die es nie gab, zeigt, wie gering die politische Phantasie bei den Leuten ist und wie groß die Lust an Abwertung anderer und der Kultivierung angeblicher Ängste, die in Wahrheit nur berechtigte Zweifel daran sind, ob man wirklich so großartig ist, wie man gerne wäre. Im Nachbarland zeigt gerade eine ganze Nation, was modernes Heldentum ist. Die Hälfte der Polen aber hat sich bei dieser Wahl als angeberische und rückständige Angsthasen erwiesen.
Leute (30)
Dass die Leute so gern X. zitieren (und also womöglich gelesen haben), ist mir ebenso unverständlich wie die Texte von X. selbst.
Mittwoch, 28. Mai 2025
Notiz zur Zeit (250)
Freispruch im dritten Anlauf. Ich hadere nicht mit dem Oberlandesgericht. Ich hadere nicht einmal mit Kurz. Ich hadere mit den Leuten, die dieses dreiste Ekel damals wählten. Und ihm immer noch die Stange halten.
Indem das jetzt im Oberwasser sein Schauschwimmen vollführt, versucht es vergessen zu machen, dass noch andere Verfahren anhängig sind, mit erheblicheren Anklagen und empfindlicheren Strafen.
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, welches Übermaß an Schamlosigkeit, Eigennützigkeit, Bedenkenlosigkeit den Schmierlapp kennzeichnet, sein Umgang mit der Justiz zeigt ihn hieb- und stichfest als den peinlichen Egomanen, der er ist.
Warum wählen die Leute Soziopathen, die versprechen, die Armen ärmer und die Reichen (und sich selbst) reicher zu machen? Weil sie, die nicht reich sind, sich mit den Reichen identifizieren? Weil sie so, mit einer Art von Abwehrzauber, den eigenen Abstieg verhindern wollen? Aus Lust am Bösen?
Indem das jetzt im Oberwasser sein Schauschwimmen vollführt, versucht es vergessen zu machen, dass noch andere Verfahren anhängig sind, mit erheblicheren Anklagen und empfindlicheren Strafen.
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, welches Übermaß an Schamlosigkeit, Eigennützigkeit, Bedenkenlosigkeit den Schmierlapp kennzeichnet, sein Umgang mit der Justiz zeigt ihn hieb- und stichfest als den peinlichen Egomanen, der er ist.
Warum wählen die Leute Soziopathen, die versprechen, die Armen ärmer und die Reichen (und sich selbst) reicher zu machen? Weil sie, die nicht reich sind, sich mit den Reichen identifizieren? Weil sie so, mit einer Art von Abwehrzauber, den eigenen Abstieg verhindern wollen? Aus Lust am Bösen?
Montag, 26. Mai 2025
Unterwegs (23)
Am Nebentisch fragt eine Frau: „Der Gemischte Salat, ist das nur Blattsalat?“ Ich bewundere den Kellner dafür, nicht geantwortet zu haben: „Aber selbstverständlich, signora, wir nennen ihn nur gemischt, weil wir Öl und Essig darangeben.“
Samstag, 24. Mai 2025
Notiz zur Zeit (249)
So geht das nicht! So ein Püppchen der Unterhaltungsindustrie darf doch nicht einfach sagen, was es denkt. Und damit auch noch Recht haben.
Alle, vom Bundespräsidenten abwärts, waren darum sofort zu Ordnungsrufen bereit.
Und das Püppchen gab zu, im Unrecht zu sein.
Uff, fast hätte man auf die Idee kommen können, in Österreich dürfe irgendwer, und sei es ein jüngst umjubeltes Produkt des gezielt unpolitischen Bespaßungsgewerbes, Israel kritisieren und Völkermord verurteilen. Nein, das darf selbstverständlich niemand. Es geht schließlich um „Musik“, nicht um Wahrheit, Anstand, Menschlichkeit.
Alle, vom Bundespräsidenten abwärts, waren darum sofort zu Ordnungsrufen bereit.
Und das Püppchen gab zu, im Unrecht zu sein.
Uff, fast hätte man auf die Idee kommen können, in Österreich dürfe irgendwer, und sei es ein jüngst umjubeltes Produkt des gezielt unpolitischen Bespaßungsgewerbes, Israel kritisieren und Völkermord verurteilen. Nein, das darf selbstverständlich niemand. Es geht schließlich um „Musik“, nicht um Wahrheit, Anstand, Menschlichkeit.
Sonntag, 18. Mai 2025
Unterwegs (22)
Im Drogeriemarkt. Ich meinte, im Nachbargang in einiger Entfernung einen alten Mann zu hören, der seiner Begleitung irgendetwas erzählte. Nähergekommen erwies sich der alte Mann aber als uralte Frau, die in ein unendliches, unverständliches, tief gemurmeldtes Selbstgespräch eingesponnen war. Ein paar Schritte entfernt sang inzwischen eine junge Frau vor sich hin. Nun, was hätte ich da tun sollen? Um auch etwas zum Wahnsinn beizutragen, fing ich an, Gedichte zu rezitieren: Es war einst ein König in Thule, gar treu bis an das Grab, dem sterbend seine Buhle einen goldnen Becher gab usw.
Unterwegs (21)
Im Kaffeehaus. Etwa 90 Prozent des Lärms gehen meiner Einschätzung nach auf schnatternde, zwitschernde, gackernde, gurrende, tirilierende, krächzende, kollernde Frauen zurück. Und einen schrillen jungen Mann (von jenseits des Weißwursteräquators), der seinem unscheinbaren und unhörbaren Verlobten und irgendwelchen sprachlosen Bekannten oder Verwandten allerhand zu erzählen hat.
Samstag, 17. Mai 2025
Leute (29)
Es mag ja sein, dass X., wie man mir vorschwärmt, druckreif spricht. Mein Problem ist eher, dass er noch nie etwas Relevantes zu sagen hatte.
Freitag, 16. Mai 2025
Kein Krieg „bricht aus“
Ich ärgere mich immer, wenn vom Ausbruch eines Krieges die Rede ist. Kriege brechen nicht aus wie Vulkane, sie sind keine Naturereignisse, sondern sie werden von Menschen gemacht, die das auch lassen könnten. Oft werden sie geplant und also mit Vorbedacht begonnen. Man kann meinetwegen von Kriegsbeginn sprechen, aber Kriegsausbruch ist, trotz dem passenden Mitklang von Gewaltsamkeit, ein unpassendes, ein dummes Wort. Man sollte sich bewusst dagegen entscheiden.
Dienstag, 13. Mai 2025
„Kultur“ im postkulturellen Zeitalter
Ja ja, stimmt schon, man sollte den „Spiegel“ nicht lesen. Aber irgendwie geriet ich an die Onlineversion, als ich mal eben rasch im Netz die Schlagzeilen des heutigen Tages überfliegen wollte. Und dann wunderte ich mich doch, dass da nichts aus dem Bereich zu finden war, den man früher einem Feuilleton zugeordnet hätte. Ich suchte ― und fand die Rubrik „Kultur“ und darin folgende aktuelle Schlagzeilen:
„Schlechte Quoten: RTL beendet Raab-Show ‘Du gewinnst hier nicht die Million’“;
„Urteil in Frankreich: Schauspieler Gérard Depardieu wegen sexueller Gewalt schuldig gesprochen“;
„Protestschreiben gegen Intendanten: Neue Vorwürfe gegen Hamburger Ballettchef Demis Volpi“;
„Neue Streamingserie: Jude Law und Andrew Garfield spielen ‘Siefgried & Roy’“;
„’Aus Gründen des Anstands’: Filmfestival von Cannes verbietet zu viel nackte Haut auf rotem Teppich“;
„Prozessauftakt in New York: Zeuge spricht über Sean Combs ‘teuflischen Blick’“.
Nennt mich erzkonservativ und vorvorgestrig, aber wenn das „Kultur“ ist, dann will ich nicht wissen, was Unterhaltungskommerz, Publikumsverarschung und Lüsternheitsökonomie ist.
„Urteil in Frankreich: Schauspieler Gérard Depardieu wegen sexueller Gewalt schuldig gesprochen“;
„Protestschreiben gegen Intendanten: Neue Vorwürfe gegen Hamburger Ballettchef Demis Volpi“;
„Neue Streamingserie: Jude Law und Andrew Garfield spielen ‘Siefgried & Roy’“;
„’Aus Gründen des Anstands’: Filmfestival von Cannes verbietet zu viel nackte Haut auf rotem Teppich“;
„Prozessauftakt in New York: Zeuge spricht über Sean Combs ‘teuflischen Blick’“.
Nennt mich erzkonservativ und vorvorgestrig, aber wenn das „Kultur“ ist, dann will ich nicht wissen, was Unterhaltungskommerz, Publikumsverarschung und Lüsternheitsökonomie ist.
Sonntag, 11. Mai 2025
Was verböte ein AfD-Verbot?
Ohne jeden Zweifel, die AfD ist widerwärtig und gefährlich. So etwas wie diese Partei für moralisch Zurückgebliebene gehört verboten. Man kann das auch im Politvokabular der Herrschenden formulieren: Die AfD ist gesichert rechtsextremistisch.
Aber gesetzt selbst, es gelänge, die Quasinazitruppe vom Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen, was wäre damit erreicht? Die AfD wäre nicht mehr wählbar und verunzierte nicht mehr die Parlamente. (Vielleicht auch nicht mehr die Talkshows, weil sie ja dann keine Macht mehr darstellte)
Aber das änderte nichts daran, dass Millionen Wahberechtigter die AfD gewählt haben und es, ohne Verbit wieder tun würden. Ein Parteverbot änderte also nichts an der Bereitschaft gesichert Rechtsextremen oder, wie ich sagen würde: Naioiden, die Stimme zu geben. Ein Verbot änderte nichts an Nationalismus, Rassismus, Klassismus.
Im Gegenteil, was jetzt in der AfD gleichsam kristallisiert ist, hätte dann wieder gute Chancen in anderen Parteien, die ja auch nationalistsche, rassistische, klassistische Anteile haben, noch stärker zu werden.
Oder glaubt jemand daran, dass, um ein paat Beispiele zu nennen, ein AfD-Verbot den Klassenkampf von oben beendete? Die Ausländer-raus-Phantasien über Zurückweisungen von Flüchtlingen an den Grenzen? Den Hass der Neoliberalen auf notwendige ökologisch durchdachte Mapßnahmen, die sie nicht zur Profitsteigerung missbrauchen können?
Das wird nicht passieren. darum wäre ein Verbot der AfD zwar theoretisch richtig. Faktisch aber müsste man die AfD-Wäjlerinnen und Wähler verbieten. Und alle, die ihnen nach dem Munde stinken.
Notiz zur Zeit (248)
Die hohe Zeit der Dummschwätzer und Möchtegernbescheidwisser (beiderlei Geschlechts). Weil kaum einer von den Kunden etwas vom Thema versteht, kann man über alles, was die Kirche betrifft, irgendwelchen Blödsinn erzählen.
Wenn einer sich Leo XIV. nennt, dann hat er ja offensichtlich dreizehn Vorgänger dieses Namens und nicht nur einen. Wer sagt, dass die Namenswahl nur mit dem letzten zu tun hat?
Leo XIII. schrieb übrigens nicht nur Sozialenzykliken (darin er u. a. gegen Sozialismus wetterte), sondern er hatte auch das längste bisherige Pontikfikat und war 68, als er es begann. Warum reden die Deuter der Namenswahl nicht darüber?
Schwarze Schuhe oder rote? Auch da will man etwas hineingeheimnisse und dann augurisch lächelnd herauslesen. Als ob die Lederfarbe irgendetwas anderes als ein gewisses Traditionsbewusstsein verriete. Ein Papst ist jedenfalls kein Diskalzeat, aber wenn er Gummistiefel oder Jesuslatschen trüge, wäre auch das seine Sache und kein Politikum.
Übrigens kostete die rote Fußbekleidung der Päpste Johannes Pauls II. und Benedikts XIII. weder die Kirchensteuerzahler (beiderlei Geschlechts) noch die Kirchenoberhäupter selbst auch nur einen roten Heller. Es handelte sich nämlich um Geschenke des Schuhmachers Adriano Stefanelli aus Novara. Ein Paar für den Sommer, eines für den Winter. Kein Reklamegag, versteht sich, denn Stefanelli hat genug gute Kunden, sondern ein Akt der Liebe zu Papst und Kirche.
Franz trug bekanntlich seine alten Latschen weiter, weil er fußmarode war und meinte, nur die würden im passen. Wahrscheinlich sind Maßschuhe und Einlagen in Argentinien unbekannt.
Aber Franz war ja so bescheiden! Die Päpste vor ihm badeten bekanntlich alle in goldenen Badewannen voller Eselsmilch und frühstückten in Essig aufgelöste Perlen. Ach nein, das war Kleopatra VII. Weil die angeblichen Experten anscheinend nichts über den Lebensstil der Päpste vor Franz wissen, scheinen sie annehmen zu wollen, sie hätten privat irgendwie ein Luxusleben geführt. Das Gegenteil war der Fall.
Franzens Residieren im potthässlichen Gästehaus Santa Marta erzeugte höhere Kosten, als wenn er wie seine Vorgänger im sehr schlichten päpstlichen Appartement im Apostolischen Palast gewohnt und gearbeitet hätte. Aber der Mann hatte weder Geschmack noch Sinn für Tradition noch Verantwortungsbewusstsein. Für Fototermine usw. musste er ja dann ohnehin wieder in den Palast gekarrt werden.
Aber er war ja so zugänglich und nah an den Menschen! War er das? Franz ist der einzige Papst, von dem es Filmaufnahmen davon gibt, wie er jemanden schlägt.
Die ersten Filmaufnahmen eines Papstes zeigen übrigens Leo XIII.
Samstag, 10. Mai 2025
Also doch: Blei zu Gold
Jahrhundertelang wurde den Menschen eingebläut, dass Alchymisten Dummköpfe und Charlatane gewesen seien, weil sie versucht hätten, aus unedlen Metallen edle herzustellen, was gar nicht möglich sei, da ein Element nicht zu einem anderen werden könne. Nun haben die Naturwissenschaftler sich und ihr Dogmas selnst widerlegt am. Den teilchenphysikalischen Forschern der Organisation européenne pour la recherche nucléaire (CERN) ist es bei ihren sündteuren Herumpfuschereien mit Materie gelungen, aus Blei Gold werden zu lassen. Für sehr kurze Zeit und in ungemein kleiner Menge, aber immerhin.
Die Alchymisten hatten also im Prinzip Recht, ihre Gegner Unrecht. Aber die Gralshüter der modernen Ideologie sind schlechte Verlierer. Denn von Seiten des CERN wird gestänkert: „Der Traum der mittelalterlichen Alchemisten ist zwar technisch gesehen wahr geworden, aber ihre Hoffnungen auf Reichtum haben sich wieder einmal zerschlagen.“
Von „wieder einmal“ kann keine Rede sein, und nur wer von Alchymie keine Ahnung hat, hängt immer noch dem Klischee von der Goldmacherei zur „schnellen“ materiellen Bereicherung an. Nun, Physiker sind keine Historiker und in der Regel auch sonst ungebildete Tröpfe. Aber das können sie sich jetzt in ihre Annalen schreiben: Wir sind widerlegt, die Alchymisten hatten Recht.
Die Alchymisten hatten also im Prinzip Recht, ihre Gegner Unrecht. Aber die Gralshüter der modernen Ideologie sind schlechte Verlierer. Denn von Seiten des CERN wird gestänkert: „Der Traum der mittelalterlichen Alchemisten ist zwar technisch gesehen wahr geworden, aber ihre Hoffnungen auf Reichtum haben sich wieder einmal zerschlagen.“
Von „wieder einmal“ kann keine Rede sein, und nur wer von Alchymie keine Ahnung hat, hängt immer noch dem Klischee von der Goldmacherei zur „schnellen“ materiellen Bereicherung an. Nun, Physiker sind keine Historiker und in der Regel auch sonst ungebildete Tröpfe. Aber das können sie sich jetzt in ihre Annalen schreiben: Wir sind widerlegt, die Alchymisten hatten Recht.
Mittwoch, 7. Mai 2025
Scholz heißt jetzt Merz
So eine bundestägliche Bundeskanzlerwahl ist ein schöner Anlass, sich nur mit Nebensächlichkeiten zu befassen, die politische und ökonomische Realität aber zu ignorieren und stattdessen so zu tun, als gäbe es nichts Wichtigeres als einen selbst („Deutschland“)
und die rasend interessante Frage, wer wen wählt und warum nicht.
Zugegeben, es war lustig mitzubekommen, dass Merz im ersten Wahlgang scheiterte. Das war das Mindeste, was er und seine Kumpane verdienten. Von irgendeiner politischen Relevanz ist es allerdings nicht. Eine schlechte Regierung wird nicht besser, wenn bei ihrer Installierung alles glatt geht. Und umgekehrt; wenn ein Wunder geschähe und diese Regierung entgegen ihrem Sinn und Zweck keine neoliberale Politik vorantriebe, wäre es auch egal, wie holprig ihr Häuptling damals ins Amt kam.
Überhaupt nicht lustig hingegen war es, sich dem Tefaujournalismus auszusetzen. Weil die Herrschaften von Union und SPD wohl mit Wichtigerem befasst waren, holte man ― ich geriet zum Glück nur zufällig, kurz und beiläufig an solche Sendungsschnipsel und weiß also eigentlich nicht, wie repräsentativ sie wirklich waren ― AfD-Zombies vor Kameras und Mikrofone. Mit anderen Worten: Man bot gerade denen eine Bühne, von deren Partei man gestern und vorgestern noch sehr ausführlich berichtet hatte, der Verfassungsschutz schätze sie als „gesichert rechtsextrem“ ein. Wie denn nun? Öffentlich-rechtliche Verpflichtung auf freiheitlich-demokratische Grundordnung oder zwanglose Plaudereien mit Nazis?
Dass man den Unterhaltungs- oder doch Erregungswert des rechten Gesindels zu schätzen weiß, hat man über viele Jahre durch Talkshow-Einladungen und anderen Mist bis zum Überdruss bewiesen. Dass das die Nazitruppe überhaupt erst groß und scheinbar „normal“ gemacht hat, darf man vermuten. Wer kennte denn Weidel und Konsorten überhaupt, wenn deren widerwärtigen Visagen nicht dauernd über Bildschirme flimmerten und in gebührenfinanzierten Formaten ihren widerwärtigen, dummen und bösartigen Müll in die Köpfe der Leute stopfen dürften? ― Und das soll jetzt trotz „gesichert rechtsextrem“ so weitergehen?
Dass Merz schließlich doch noch zum Bundeskanzler gewählt wurde, ist erschreckenderweise beruhigend. Aber nur, weil weiterer Herumwählerei zuzuschauen (und dazu die substanzlose Berichterstattung aufgedrängt zu bekommen), und das womöglich tage- und wochenlang, schlechterdings unerträglich gewesen wäre. Freilich, wer deutscher Bundeskanzler ist, ist ähnlich bedeutsam wie die Zahl der in Schanghai umfallenden Reissäcke. Die Politik, für die so jemand stehen darf, ist schon gemacht. Details mögen variieren. Besser wird nichts. Und weniges deshalb schlechter, weil der Frontmann Merz und nicht April oder Dezember heißt.
Merzens und eines jeden anderen Kanzlers Macht ist durch seine Bereitschaft begrenzt, sich der Macht der Lobbys und Konzerne zu unterwerfen. Aber darüber zu reden und über den beschissenen Zustand der Welt, statt über Formalien der Geschäftsordnung, wäre ja laaangweilig.
Zugegeben, es war lustig mitzubekommen, dass Merz im ersten Wahlgang scheiterte. Das war das Mindeste, was er und seine Kumpane verdienten. Von irgendeiner politischen Relevanz ist es allerdings nicht. Eine schlechte Regierung wird nicht besser, wenn bei ihrer Installierung alles glatt geht. Und umgekehrt; wenn ein Wunder geschähe und diese Regierung entgegen ihrem Sinn und Zweck keine neoliberale Politik vorantriebe, wäre es auch egal, wie holprig ihr Häuptling damals ins Amt kam.
Überhaupt nicht lustig hingegen war es, sich dem Tefaujournalismus auszusetzen. Weil die Herrschaften von Union und SPD wohl mit Wichtigerem befasst waren, holte man ― ich geriet zum Glück nur zufällig, kurz und beiläufig an solche Sendungsschnipsel und weiß also eigentlich nicht, wie repräsentativ sie wirklich waren ― AfD-Zombies vor Kameras und Mikrofone. Mit anderen Worten: Man bot gerade denen eine Bühne, von deren Partei man gestern und vorgestern noch sehr ausführlich berichtet hatte, der Verfassungsschutz schätze sie als „gesichert rechtsextrem“ ein. Wie denn nun? Öffentlich-rechtliche Verpflichtung auf freiheitlich-demokratische Grundordnung oder zwanglose Plaudereien mit Nazis?
Dass man den Unterhaltungs- oder doch Erregungswert des rechten Gesindels zu schätzen weiß, hat man über viele Jahre durch Talkshow-Einladungen und anderen Mist bis zum Überdruss bewiesen. Dass das die Nazitruppe überhaupt erst groß und scheinbar „normal“ gemacht hat, darf man vermuten. Wer kennte denn Weidel und Konsorten überhaupt, wenn deren widerwärtigen Visagen nicht dauernd über Bildschirme flimmerten und in gebührenfinanzierten Formaten ihren widerwärtigen, dummen und bösartigen Müll in die Köpfe der Leute stopfen dürften? ― Und das soll jetzt trotz „gesichert rechtsextrem“ so weitergehen?
Dass Merz schließlich doch noch zum Bundeskanzler gewählt wurde, ist erschreckenderweise beruhigend. Aber nur, weil weiterer Herumwählerei zuzuschauen (und dazu die substanzlose Berichterstattung aufgedrängt zu bekommen), und das womöglich tage- und wochenlang, schlechterdings unerträglich gewesen wäre. Freilich, wer deutscher Bundeskanzler ist, ist ähnlich bedeutsam wie die Zahl der in Schanghai umfallenden Reissäcke. Die Politik, für die so jemand stehen darf, ist schon gemacht. Details mögen variieren. Besser wird nichts. Und weniges deshalb schlechter, weil der Frontmann Merz und nicht April oder Dezember heißt.
Merzens und eines jeden anderen Kanzlers Macht ist durch seine Bereitschaft begrenzt, sich der Macht der Lobbys und Konzerne zu unterwerfen. Aber darüber zu reden und über den beschissenen Zustand der Welt, statt über Formalien der Geschäftsordnung, wäre ja laaangweilig.
Krieg und die Unmoral der Neutralität
Wenn irgendwo auf der Welt irgendwer gegen irgendwen Krieg führt, dann geht mich das etwas an, dann betrifft das auch mich, dann hat das auch mit mir zu tun, dann ist das auch ein Krieg gegen mich. So wie niemand wirklich frei ist, wenn nicht alle frei sind, so lebt auch niemand in Frieden, wenn nicht jeder in Frieden leben darf.
Zugegeben, das scheint eine völlig abstrakte Haltung zu sein. Denn eine Sache ist es, dem Krieg unmittelbar ausgesetzt zu sein; eine andere, sich vom Schreibtisch aus über ihn zu empören, ihn zu beklagen, ihn zu verwerfen. Eines ist es, beschossen und bombardiert zu werden und Stunden in Luftschutzkellern verbringen zu müssen, fliehen zu müssen und allerhand Einschränkungen und Entbehrungen erfahren zu müssen; ein anderes, eigentlich nichts zu entbehren und im Gegenteil die Muße zu haben, darüber nachzudenken, zu sprechen, zu schreiben. Eines ist es, Angehörige und Freunde zu verlieren, Hab und Gut zu verlieren und eine gesicherte Zukunft; ein anderes irgendwo in Sicherheit und Bequemlichkeit darüber zu hören, zu lesen und Bilder zusehen.
Trotzdem, ich kann nicht anders. Ich bin gegen den Krieg, gegen jeden, aber wenn er nun einmal stattfindet, kann ich nicht neutral sein, ich muss Partei ergreifen, für die Opfer sowieso und jedenfalls für die Angegriffenen und Verteidiger gegen den Aggressor und seine expliziten und impliziten Komplizen und Propagandisten. Das scheint mir ethisch geboten (und nicht nur gefühlsmäßig erforderlich), wenn ich es denn ernst nehme, dass jeder meiner Mitmenschen dasselbe Recht auf Leben und Wohlergehen hat wie; zumal wenn er sich nichts anderes „zu Schulden“ hat kommen lassen als zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.
Ich gehöre nicht zu denen, die mit Erleichterung und sogar einer gewissen Selbstzufriedenheit sagen können: Das ist deren Krieg, uns geht das zum Glück nichts an. Es geht mich sehr wohl etwas an, weil mich ein solches Wir der Verschonten, Herausgehaltenen, scheinbar Unbeteiligten nicht interessiert; ich verachte es sogar. Wenn das Haus meines Nachbarn brennt usw. Und selbst wenn es der Nachbar in einer anderen Stadt und einem anderen Land lebt. Der Brand muss gelöscht und weitere Brände müssen verhindert werden. Punkt.
Es gibt Staaten, die erklären sich für neutral, und viele ihrer Untertanen haben das längst in ihr komfortables Selbstverständnis integriert. Doch sagen wir so: Belgien war auch neutral und wurde in zwei Weltkriegen von den Deutschen überrannt und besetzt. Die Schweiz ist traditionell neutral, was sie noch nie gehindert hat, an Kriegen zu profitieren. Österreichs Neutralität war immer ein Witz. Rundum von NATO-Staaten (und der Schweiz und Liechtenstein) umgeben, die seine Sicherheit de facto garantieren (und die Neutralität bei Bedarf missachten), verstand es sich zu Ostblockzeiten immer als westlich und kann seit dreißig Jahren als Teil des unierten Europas gar nicht anders, als dessen Bedrohtheit zu teilen, egal, wie vielfältig die ökonomischen Interesse auch mit dem östlichen Aggressor verbandelt sein mögen.
Ein moralisches Individuum kann ohnehin nicht neutral sein. Und will das auch nicht. Es muss und will Unrecht als Unrecht benennen und das tun, wozu es Gelegenheit und Möglichkeit hat, Unrecht abzustellen. Sonst handelt es selbst falsch und ist Teil dessen, wogegen es zu sein hätte.
Die wirksamen Möglichkeiten mögen für die meisten Menschen gering sein und die Umstände oft ungünstig. Das ändert nichts an der Verpflichtung. Unerlaubt ist es jedenfalls, sich zu freuen, dass es einem selbst nicht so schlecht ergeht wie anderen, wenn man eigentlich mit diesen anderen solidarisch zu sein und irgendetwas zu tun hätte, um ihnen zu helfen.
Zugegeben, das scheint eine völlig abstrakte Haltung zu sein. Denn eine Sache ist es, dem Krieg unmittelbar ausgesetzt zu sein; eine andere, sich vom Schreibtisch aus über ihn zu empören, ihn zu beklagen, ihn zu verwerfen. Eines ist es, beschossen und bombardiert zu werden und Stunden in Luftschutzkellern verbringen zu müssen, fliehen zu müssen und allerhand Einschränkungen und Entbehrungen erfahren zu müssen; ein anderes, eigentlich nichts zu entbehren und im Gegenteil die Muße zu haben, darüber nachzudenken, zu sprechen, zu schreiben. Eines ist es, Angehörige und Freunde zu verlieren, Hab und Gut zu verlieren und eine gesicherte Zukunft; ein anderes irgendwo in Sicherheit und Bequemlichkeit darüber zu hören, zu lesen und Bilder zusehen.
Trotzdem, ich kann nicht anders. Ich bin gegen den Krieg, gegen jeden, aber wenn er nun einmal stattfindet, kann ich nicht neutral sein, ich muss Partei ergreifen, für die Opfer sowieso und jedenfalls für die Angegriffenen und Verteidiger gegen den Aggressor und seine expliziten und impliziten Komplizen und Propagandisten. Das scheint mir ethisch geboten (und nicht nur gefühlsmäßig erforderlich), wenn ich es denn ernst nehme, dass jeder meiner Mitmenschen dasselbe Recht auf Leben und Wohlergehen hat wie; zumal wenn er sich nichts anderes „zu Schulden“ hat kommen lassen als zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.
Ich gehöre nicht zu denen, die mit Erleichterung und sogar einer gewissen Selbstzufriedenheit sagen können: Das ist deren Krieg, uns geht das zum Glück nichts an. Es geht mich sehr wohl etwas an, weil mich ein solches Wir der Verschonten, Herausgehaltenen, scheinbar Unbeteiligten nicht interessiert; ich verachte es sogar. Wenn das Haus meines Nachbarn brennt usw. Und selbst wenn es der Nachbar in einer anderen Stadt und einem anderen Land lebt. Der Brand muss gelöscht und weitere Brände müssen verhindert werden. Punkt.
Es gibt Staaten, die erklären sich für neutral, und viele ihrer Untertanen haben das längst in ihr komfortables Selbstverständnis integriert. Doch sagen wir so: Belgien war auch neutral und wurde in zwei Weltkriegen von den Deutschen überrannt und besetzt. Die Schweiz ist traditionell neutral, was sie noch nie gehindert hat, an Kriegen zu profitieren. Österreichs Neutralität war immer ein Witz. Rundum von NATO-Staaten (und der Schweiz und Liechtenstein) umgeben, die seine Sicherheit de facto garantieren (und die Neutralität bei Bedarf missachten), verstand es sich zu Ostblockzeiten immer als westlich und kann seit dreißig Jahren als Teil des unierten Europas gar nicht anders, als dessen Bedrohtheit zu teilen, egal, wie vielfältig die ökonomischen Interesse auch mit dem östlichen Aggressor verbandelt sein mögen.
Ein moralisches Individuum kann ohnehin nicht neutral sein. Und will das auch nicht. Es muss und will Unrecht als Unrecht benennen und das tun, wozu es Gelegenheit und Möglichkeit hat, Unrecht abzustellen. Sonst handelt es selbst falsch und ist Teil dessen, wogegen es zu sein hätte.
Die wirksamen Möglichkeiten mögen für die meisten Menschen gering sein und die Umstände oft ungünstig. Das ändert nichts an der Verpflichtung. Unerlaubt ist es jedenfalls, sich zu freuen, dass es einem selbst nicht so schlecht ergeht wie anderen, wenn man eigentlich mit diesen anderen solidarisch zu sein und irgendetwas zu tun hätte, um ihnen zu helfen.
Montag, 5. Mai 2025
Lüge oder Ehrlichkeit
Nicht der ist ein Lügner, der die Unwahrheit sagt, sondern der, der sie sagen will oder dem es gleichgültig ist, ob das, was er sagt, wahr ist oder unwahr. Denn der Lügner ebenso wie der Ehrliche kann sich irren. Während dieser aber ehrlich ist, auch wenn er Unwahres sagt, ist jener auch dann ein Lügner, wenn er Wahres sagt, es aber für Unwahres hält (oder es ihm egal ist, ob es Wahres oder Unwahres ist.
Ein Beispiel. Einer wird nach dem Weg gefragt. Er gibt redlich Auskunft: dort entlang, dann rechts, dann links. Doch er irrt sich, der Weg führt erst links dann rechts. Weil er im Irrtum war, aber nicht in die Irre schicken wollte, sondern es unwissentlich tat, hat nicht gelogen, obwohl er Unwahres gesagt hat. Ein anderer, der nach dem Weg gefragt wird, will aus Bosheit falsche Auskunft geben, ist aber fälschlich der Meinung, die richtige Antwort laute: erst rechts, dann links, und sagt darum: erst links, dann rechts. Obwohl er also die Wahrheit gesagt hat, hat er doch gelogen.
Ein Beispiel. Einer wird nach dem Weg gefragt. Er gibt redlich Auskunft: dort entlang, dann rechts, dann links. Doch er irrt sich, der Weg führt erst links dann rechts. Weil er im Irrtum war, aber nicht in die Irre schicken wollte, sondern es unwissentlich tat, hat nicht gelogen, obwohl er Unwahres gesagt hat. Ein anderer, der nach dem Weg gefragt wird, will aus Bosheit falsche Auskunft geben, ist aber fälschlich der Meinung, die richtige Antwort laute: erst rechts, dann links, und sagt darum: erst links, dann rechts. Obwohl er also die Wahrheit gesagt hat, hat er doch gelogen.
Lüge und Ehrlichkeit haben keinen außermoralischen Sinn, es sind ausschließlich moralische Begriffe. Wahrheit und Unwahrheit sind im Unterschied dazu epistemologische oder ontologische Begriffe. Der Unterschied ist bedeutend. Ein Lügner kann Wahres sagen, wie gezeigt wurde, und ein Ehrlicher Unwahres; worauf es ethisch betrachtet ankommt, sind nicht die Sachverhalte, sondern das Verhältnis von Sagen, Sagenwollen und Wissen.
Ehrlichkeit ist der Wille zur Wahrheit. Wer den nicht hat, der lügt. Darum lügt auch der, den der Unterschied von Wahrheit und Unwahrheit, von Ehrlichkeit und Unehrlichkeit gleichgültig lässt.
Es gibt Lügner, die gar nicht mehr wissen, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht, weil sie so oft gelogen haben, dass ihnen die Fähigkeit zur Aufrichtigkeit abhanden gekommen ist. Sie vermögen sich selbst so nachhaltig zu belügen, dass sie sogar glauben können, sie seien ehrlich, wenn sie eigentlich wissen, dass sie lügen.
Wer spricht, ohne damit den Anspruch auf Wahrhaftigkeit zu verbinden, missbraucht die Sprache; wenn hier einmal von Spaß, Ironie, theatralischer Rede usw. abgesehen darf. Sprache als Sprechen von jemandem zu jemandem ist wesentlich wahre Rede, soll und will es sein. Das wissentliche und absichtsvolle Sagen von Unwahrem untergräbt die Voraussetzungen von Kommunikation und damit das menschliche Miteinander überhaupt.
Die Gleichgültigkeit demgegenüber, ob das, was man sagt, wahr ist, ist böse. Darum ist sie von jeher Kennzeichen nicht nur individueller Immoralität, sondern auch von Herrschaft. Gesagtes ist dabei Mittel zum Zweck, ob es wahr oder unwahr ist, spielt keine Rolle, entscheidend ist die Wirkung. Wenn es der Durchsetzung und Erhaltung von Herrschaft dient, ist es zweckmäßig, also „gerechtfertigt“: der Führer, die Partei, Karl Marx usw. hat immer Recht, auch wenn das, was heute gesagt wird, dem widerspricht, was gestern gesagt wurde. Gerade diese Unsicherheit, ob das, was heute unbedingt (und unter Strafandrohung) als wahr zu gelten hat, auch morgen noch wahr sein darf, gehört zu den Herrschaftsmitteln. Nicht der Untertan ist im Besitz der Wahrheit, sondern die Herrschenden, sie verfügen darüber nach Belieben, sie erfinden neue Wahrheiten und löschen alte aus, niemand kann sich auf etwas Wahres berufen, das nicht erlaubt ist, alles kann auch ganz anders sein, nur das bleibt gleich: Dass darüber, was wahr ist, die Obrigkeit bestimmt.
Lüge ist in jedem Fall Beitrag zu Herrschaft, nämlich „mindestens“ zur Herrschaft der Sünde. (Die Grundlage und Folge aller Herrschaft von Menschen über Menschen ist.) Wer lügt, kündigt dem, den er belügt, die Mitmenschlichkeit auf, er setzt dessen Recht auf Wahrheit außer Kraft oder verletzt es, er ignoriert die Würde des anderen und verweigert ihm die Ebenbürtigkeit. Geht das über individuelles Fehlverhalten hinaus und verfestigt sich zu gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen das Sagen von Unwahrem „normal“ ist und erwartet wird oder sogar erzwungen ― Reklame, Politik, Szientismus ―, dann ist Lüge systemrelevant geworden. Ein auf Sünde gegründetes System aber ist durch und durch böse und muss vernichtet werden.
Ehrlichkeit ist der Wille zur Wahrheit. Wer den nicht hat, der lügt. Darum lügt auch der, den der Unterschied von Wahrheit und Unwahrheit, von Ehrlichkeit und Unehrlichkeit gleichgültig lässt.
Es gibt Lügner, die gar nicht mehr wissen, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht, weil sie so oft gelogen haben, dass ihnen die Fähigkeit zur Aufrichtigkeit abhanden gekommen ist. Sie vermögen sich selbst so nachhaltig zu belügen, dass sie sogar glauben können, sie seien ehrlich, wenn sie eigentlich wissen, dass sie lügen.
Wer spricht, ohne damit den Anspruch auf Wahrhaftigkeit zu verbinden, missbraucht die Sprache; wenn hier einmal von Spaß, Ironie, theatralischer Rede usw. abgesehen darf. Sprache als Sprechen von jemandem zu jemandem ist wesentlich wahre Rede, soll und will es sein. Das wissentliche und absichtsvolle Sagen von Unwahrem untergräbt die Voraussetzungen von Kommunikation und damit das menschliche Miteinander überhaupt.
Die Gleichgültigkeit demgegenüber, ob das, was man sagt, wahr ist, ist böse. Darum ist sie von jeher Kennzeichen nicht nur individueller Immoralität, sondern auch von Herrschaft. Gesagtes ist dabei Mittel zum Zweck, ob es wahr oder unwahr ist, spielt keine Rolle, entscheidend ist die Wirkung. Wenn es der Durchsetzung und Erhaltung von Herrschaft dient, ist es zweckmäßig, also „gerechtfertigt“: der Führer, die Partei, Karl Marx usw. hat immer Recht, auch wenn das, was heute gesagt wird, dem widerspricht, was gestern gesagt wurde. Gerade diese Unsicherheit, ob das, was heute unbedingt (und unter Strafandrohung) als wahr zu gelten hat, auch morgen noch wahr sein darf, gehört zu den Herrschaftsmitteln. Nicht der Untertan ist im Besitz der Wahrheit, sondern die Herrschenden, sie verfügen darüber nach Belieben, sie erfinden neue Wahrheiten und löschen alte aus, niemand kann sich auf etwas Wahres berufen, das nicht erlaubt ist, alles kann auch ganz anders sein, nur das bleibt gleich: Dass darüber, was wahr ist, die Obrigkeit bestimmt.
Lüge ist in jedem Fall Beitrag zu Herrschaft, nämlich „mindestens“ zur Herrschaft der Sünde. (Die Grundlage und Folge aller Herrschaft von Menschen über Menschen ist.) Wer lügt, kündigt dem, den er belügt, die Mitmenschlichkeit auf, er setzt dessen Recht auf Wahrheit außer Kraft oder verletzt es, er ignoriert die Würde des anderen und verweigert ihm die Ebenbürtigkeit. Geht das über individuelles Fehlverhalten hinaus und verfestigt sich zu gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen das Sagen von Unwahrem „normal“ ist und erwartet wird oder sogar erzwungen ― Reklame, Politik, Szientismus ―, dann ist Lüge systemrelevant geworden. Ein auf Sünde gegründetes System aber ist durch und durch böse und muss vernichtet werden.
Sonntag, 4. Mai 2025
Wärme und Kälte oderTemperatur?
Einer schreibt: „Dass verschiedene Menschen ein und dieselben Person oder Situation unterschiedlich wahrnehmen, ist eine Binsenweisheit. Das gilt, um ein Beispiel zu nennen, auch für die beiden Patienten, die kurz nacheinander in meine Praxis kamen. Der erste setzte sich, angezogen mit einem Pullover, in den Sessel, stand wieder auf, holte seine Lederjacke vom Garderobenständer und sagte: ‘Hier ist es mir zu kalt.’ Der zweite kam in einem T-Shirt, darüber ein leichtes Blouson, und antwortete auf meine Frage, ob es ihm hier nicht zu kalt sei: ‘Nein, es ist warm genug.’ / Beide sprachen eine objektiv identische Situation an, die sie subjektiv ― offenbar sehr verschieden ― erlebten.“
Damit scheint gemeint zu sein, dass die Raumtemperatur eine objektive Tatsache ist ― immerhin ist sie mittels eines Thermometers messbar und in Grad Celsius (oder Fahrenheit oder Réaumur usw.) angebbar ―, während das Empfinden von Wärme oder Kälte etwas Subjektives und, wenn schon nicht Willkürliches, so doch eher Zufälliges, von unbestimmten Faktoren Abhängiges sei.
Diese Sicht der Dinge ist eine erlernte und keineswegs selbstverständliche. Man könnte auch umgekehrt in der Thermometer-Temperatur ein von Subjekten konstruiertes Artefakt sehen, mit dem zwar irgendwie eine Realität dargestellt werden soll, das aber vor allem eine eigene Realität zu konstituieren hilft; während es sich bei der jeweils wahrgenommen Wärme oder Kälte um eine reale Erfahrung handelt, die kommuniziert und in Beziehung zu den Erfahrungen anderer gesetzt werden kann.
Die Menschen der Moderne haben gelernt, ihre Empfindungen an den Vorgaben der Messinstrumente, genauer gesagt: an der Interpretation der Messwerte auszurichten. Wenn es 30 Grad hat, muss einem heiß sein, wenn es Minusgrade hat, muss man frieren. Als es noch keine Thermometer gab oder diese nicht verbreitet waren, kam man allerdings auch zurecht.
Anders gesagt: Die Vorstellung, dass es eine objektive Temperatur gibt, die messbar ist und die nicht von subjektivem Empfinden abhängt, ist eine Idee, die nur Subjekte haben. In einer subjektlosen Welt aus lauter Objekten (wenn es eine solche gäbe und geben könnte) käme derlei nicht vor.
Wenn also Menschen sagen, es sei ihnen warm oder kalt, reagieren sie nicht auf eine objektive Situation, sondern umgekehrt: die thermometrische „Objektivität“ wird von der realen Situation, die von den Menschen erfahren werden kann, abstrahiert und in mathematische Form (Zahlen als Messwerte) gebracht. Aber eine Wärme- oder Kälteerfahrung ist etwas ganz anderes als eine physikalische Temperaturmessung.
Dem physikalistischen Weltbild zu Folge ist Temperatur etwas Objektives, das subjektiv verschieden erlebt wird. Will sagen, etwas hat die und die Temperatur, unabhängig davon, ob das jemandem warm oder kalt vorkommt. Diese Idee ist nicht falsch, aber sie stimmt eben nur innerhalb eines bestimmten Weltbildes (einer Ideologie, könnte man auch sagen). Begreift man hingegen Wirklichkeit als etwas Gegebenes, dann muss man bedenken, dass es nichts Gegebenes geben kann, das nicht jemandem gegeben würde. Um zu verstehen, was das Gegebene ist, muss man die Gegebenheitsweisen berücksichtigen, die zugleich Aufnahmeweisen derer sind, für die etwas als gegeben gilt.
Versteht man die oben zitierte Situation (einem ist kalt, einem ist warm, obwohl das Thermometer vermutlich dieselbe Temperatur zeigt) so, dass eine „identische Objektivität“ (dieselben Messwerte) verschieden gedeutet wird, so verfehlt man das Wesentliche: Jede Deutung ist Deutung durch einen Deutenden; hätten beide darin übereingestimmt, dass es in der Praxis warm oder dass es kalt ist, wäre das keine Bestätigung der „Objektivität“ gewesen, sondern eine zufällige Gleichheit von Empfindungen, die wie auch immer zu Stande kam.
Hat denn nun der Recht, dem kalt war, oder der, dem warm war? Müsste das nicht, wenn Temperatur etwas Objektives zu sein hat, entscheidbar sein? Oder spricht man nicht in Wahrheit von zwei verschiedenen Arten von Wirklichkeit: Empfinden und Messung?
Eines ist es zu sagen: „Mir ist kalt“, ein anderes: „Hier ist es kalt“. Letzteres besagt ja vermutlich: „Mir ist kalt und jedem anderen muss hier auch kalt sein“. Das Messen der Temperatur erlaubt keinen dieser Sätze. Eine Zahl besagt nichts darüber, wie sie empfunden werden muss.
Insofern haben die beiden Patienten also nicht die objektive Temperatur in der Praxis subjektiv verschieden interpretiert, sondern sie sprachen von ihrer jeweils eigenen, auf ihre Subjektivität bezogenen Objektivität. Sie teilten eine Erfahrung mit, nicht die Deutung eines Messwerts. In ihre Erfahrung geht aber ihre Befindlichkeit und ihre Geschichte ein. Verschiedene Menschen haben unterschiedliche Empfindlichkeiten.
Dass einer, der Patienten behandelt, dies mit einer verkorksten Metaphysik tut, in der er abstrakte Objektivität mit realer Verwechselt, könnte man bedenklich finden. Aber liegt dieser autoritäre Gestus ― „ich weiß besser als du, was objektiv real und was bloße subjektive Einbildung ist“ ― nicht dem ganzen Psychogeschwätz zu Grunde?
Damit scheint gemeint zu sein, dass die Raumtemperatur eine objektive Tatsache ist ― immerhin ist sie mittels eines Thermometers messbar und in Grad Celsius (oder Fahrenheit oder Réaumur usw.) angebbar ―, während das Empfinden von Wärme oder Kälte etwas Subjektives und, wenn schon nicht Willkürliches, so doch eher Zufälliges, von unbestimmten Faktoren Abhängiges sei.
Diese Sicht der Dinge ist eine erlernte und keineswegs selbstverständliche. Man könnte auch umgekehrt in der Thermometer-Temperatur ein von Subjekten konstruiertes Artefakt sehen, mit dem zwar irgendwie eine Realität dargestellt werden soll, das aber vor allem eine eigene Realität zu konstituieren hilft; während es sich bei der jeweils wahrgenommen Wärme oder Kälte um eine reale Erfahrung handelt, die kommuniziert und in Beziehung zu den Erfahrungen anderer gesetzt werden kann.
Die Menschen der Moderne haben gelernt, ihre Empfindungen an den Vorgaben der Messinstrumente, genauer gesagt: an der Interpretation der Messwerte auszurichten. Wenn es 30 Grad hat, muss einem heiß sein, wenn es Minusgrade hat, muss man frieren. Als es noch keine Thermometer gab oder diese nicht verbreitet waren, kam man allerdings auch zurecht.
Anders gesagt: Die Vorstellung, dass es eine objektive Temperatur gibt, die messbar ist und die nicht von subjektivem Empfinden abhängt, ist eine Idee, die nur Subjekte haben. In einer subjektlosen Welt aus lauter Objekten (wenn es eine solche gäbe und geben könnte) käme derlei nicht vor.
Wenn also Menschen sagen, es sei ihnen warm oder kalt, reagieren sie nicht auf eine objektive Situation, sondern umgekehrt: die thermometrische „Objektivität“ wird von der realen Situation, die von den Menschen erfahren werden kann, abstrahiert und in mathematische Form (Zahlen als Messwerte) gebracht. Aber eine Wärme- oder Kälteerfahrung ist etwas ganz anderes als eine physikalische Temperaturmessung.
Dem physikalistischen Weltbild zu Folge ist Temperatur etwas Objektives, das subjektiv verschieden erlebt wird. Will sagen, etwas hat die und die Temperatur, unabhängig davon, ob das jemandem warm oder kalt vorkommt. Diese Idee ist nicht falsch, aber sie stimmt eben nur innerhalb eines bestimmten Weltbildes (einer Ideologie, könnte man auch sagen). Begreift man hingegen Wirklichkeit als etwas Gegebenes, dann muss man bedenken, dass es nichts Gegebenes geben kann, das nicht jemandem gegeben würde. Um zu verstehen, was das Gegebene ist, muss man die Gegebenheitsweisen berücksichtigen, die zugleich Aufnahmeweisen derer sind, für die etwas als gegeben gilt.
Versteht man die oben zitierte Situation (einem ist kalt, einem ist warm, obwohl das Thermometer vermutlich dieselbe Temperatur zeigt) so, dass eine „identische Objektivität“ (dieselben Messwerte) verschieden gedeutet wird, so verfehlt man das Wesentliche: Jede Deutung ist Deutung durch einen Deutenden; hätten beide darin übereingestimmt, dass es in der Praxis warm oder dass es kalt ist, wäre das keine Bestätigung der „Objektivität“ gewesen, sondern eine zufällige Gleichheit von Empfindungen, die wie auch immer zu Stande kam.
Hat denn nun der Recht, dem kalt war, oder der, dem warm war? Müsste das nicht, wenn Temperatur etwas Objektives zu sein hat, entscheidbar sein? Oder spricht man nicht in Wahrheit von zwei verschiedenen Arten von Wirklichkeit: Empfinden und Messung?
Eines ist es zu sagen: „Mir ist kalt“, ein anderes: „Hier ist es kalt“. Letzteres besagt ja vermutlich: „Mir ist kalt und jedem anderen muss hier auch kalt sein“. Das Messen der Temperatur erlaubt keinen dieser Sätze. Eine Zahl besagt nichts darüber, wie sie empfunden werden muss.
Insofern haben die beiden Patienten also nicht die objektive Temperatur in der Praxis subjektiv verschieden interpretiert, sondern sie sprachen von ihrer jeweils eigenen, auf ihre Subjektivität bezogenen Objektivität. Sie teilten eine Erfahrung mit, nicht die Deutung eines Messwerts. In ihre Erfahrung geht aber ihre Befindlichkeit und ihre Geschichte ein. Verschiedene Menschen haben unterschiedliche Empfindlichkeiten.
Dass einer, der Patienten behandelt, dies mit einer verkorksten Metaphysik tut, in der er abstrakte Objektivität mit realer Verwechselt, könnte man bedenklich finden. Aber liegt dieser autoritäre Gestus ― „ich weiß besser als du, was objektiv real und was bloße subjektive Einbildung ist“ ― nicht dem ganzen Psychogeschwätz zu Grunde?
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