Montag, 30. Mai 2022

Glosse CIV

Sein Wunsch ist es, einen Job mit ‘nem okayen Gehalt zu finden. Das wünsche ich ihm auch. Und dass er den Unterschied noch lernt zwischen prädikativem und attributivem Gebrauch von Wörtern. Denn selbst wenn man umgangssprachlich sagen kann: „Das Gehalt ist okay, dies Tür ist zu, der Ball ist türkis oder rosa oder orange“, so kann doch nicht im Ernst von einem „okayen Gehalt“ (angemessen, fair!), einer „zuen Tür“ (geschlossen!), einem „türkisen, rosanen oder orangenen Ball“ (türkisgrün, rosarot, orangefarben!) die Rede sein. Auch nicht im Bremischen.

Dienstag, 24. Mai 2022

Ein Spiel

Wir saßen im Zug nach N. und spielten, dass wir im Zug nach N. säßen. Die Regeln des Spiels waren ganz einfach: Man musste nur bei allem, was man tat, so tun, als säße man im Zug nach N. Außerdem hatten wir uns eine eigene Geheimsprache ausgedacht. Wir nannten den Zug „Zug“, den Wagen „Wagen“, den Sitzplatz „Sitzplatz, das Fenster „Fenster“, die vorübereilende Landschaft „vorübereilende Landschaft“, die Mitreisenden „Mitreisende“ und den Schaffner „Schaffner“, und freuten uns sehr, dass die Leute um uns herum uns die ganze Zeit über so komisch anschauten und nicht kapierten, wovon bei uns die Rede war.

Zwei wichtige Grundsätze öffentlicher Debatten

Wer israelische Politik kritisiert, will alle Juden umbringen.
 
Wer behauptet, Kritik an israelischer Politik solle durch den Vorwurf des Antisemitismus verunmöglicht werden, ist ein Antisemit.

Mittwoch, 18. Mai 2022

Abtreibung als Armutsbekämpfung?

Abtreibungen sind oft vordergründig unter dem Gesichtspunkt akzeptiert, dass niemand gezwungen sein sollte, ein Kind in Armut großzuziehen.“ Ein sehr gutes Argument, das muss man zugeben. Je weniger arme Kinder es gibt, desto besser, dagegen kann man nichts sagen. Also müssen arme Frauen abtreiben dürfen. So weit, so logisch. Blöd nur, wenn man nicht immer schon in Armut lebt, sondern irgendwann arm wird, dann aber schon ein Kind oder gar Kinder hat. Aber das Argument bleibt ja auch dann noch völlig richtig: Niemand sollte gezwungen sein, ein Kind in Armut großzuziehen. Also müssen Kinder auch dann „abgetrieben“ werden können, wenn sie schon null bis 18 Jahre alt sind. Und das Beste daran: Dafür braucht man nicht einmal ins Krankenhaus oder eine Abtreibungsklinik, das kann ganz bequem zu Hause erledigt werden, etwa mittels vermutlich ohnehin vorhandener Schusswaffe.

Recht auf Abtreibung

„Ich will dieses Kind nicht mehr. Die letzten Jahre waren anstrengend genug. Dauernd dieses Sich-kümmern-müssen! Und was das alles gekostet hat! Dann auch noch dieser ganze Stress mit zur Kita bringen und von der Kita abholen. Und so weiter. Ich will das nicht mehr. Jetzt, wo Mia-Leonie im Herbst zur Schule gehen soll, passt das überhaupt nicht mehr zu meinem Lebensstil. Hausaufgaben, Elternabende, Schulausflüge und der ganze Mist. Kommt nicht in Frage. Keine zehn, dreizehn Jahre lang! Ich muss auch mal an mich denken. Ich habe andere Pläne. Schließlich ist es mein Körper, um den es da geht. Ich will einfach kein Schulkind. Wenn ich mich dafür entscheide, es wegmachen zu lassen, ist das meine Sache, da darf sich keiner einmischen.“

Dienstag, 17. Mai 2022

Was heißt bodyshaming auf Französisch?

Mag ja sein, dass sie keinen bodentiefen Spiegel zur Verfügung hatte. Aber sie hätte ja von ihrem faltigen Gesicht auf ihre Knie schließen können. Und dann eher keinen kniefreien Rock tragen. Aber vielleicht war ja auch gerade alle altersangemessene Kleidung in der Wäsche, als sie zur Premierministerin ernannt wurde. Man stelle sich vor, ein Politiker männlichen Geschlechts wäre bei gleichem Anlass (oder überhaupt) mit nackten Knien vor die Kameras gertreten ... Vive la difference!

Montag, 16. Mai 2022

Die Zahlen sind nackt

Von 12.964.754 Wahlberechtigten haben gestern bei der nordrheinisch-westfälischen Landtagswahl 2.552.337 ihre (zweite) Stimme für die CDU unter Hendrik Wüst abgegeben. Das sind (aufgerundet) 19,7 Prozent. In Worten: Nicht einmal jeder Fünfte. 
Was für ein „Wahlsieg“! Daraus ist selbstverständlich ein „Regierungsauftrag“ abzuleiten! Und „Rückenwind“ für die CDU im Bund! ― Klingt komisch, ist aber „Demokratie“, wenn man dem Geschwafel der Politiker und der ihnen vor-, nach- und zuschwafelnden Journalisten folgt.

Nachtrag. Die Zahlen sind sogar noch nackter. 2.552.337 Zweitstimmen für die CDU 2022, 2.796.683 im Jahre 2017. Also ein Minus von 244.046, fast einer Viertelmillion Wählern! (Erststimmen: Rückgang von 3.242.524 auf 2.607.763, also ein Minus von 634.761! Unfassbar.)

Sonntag, 15. Mai 2022

Oberammergau II

Der Tag wird kommen, an dem vor einem deutschen Gericht erfolgreich darauf geklagt worden sein wird, dass auch eine Frau den Christus spielen dürfen müsse.

ESC 2022

Die Ukraine hat überragend gewonnen. Auf Grund der Stimmen des Publikums, nicht der „Fachjurys“. Und wohl nicht nur, weil Exil-Ukrainerinnen ihre Mobiltelephone heißlaufen ließen. Die Ukraine ist einfach beliebt. Und so schlecht ist das Gewinnerlied ja auch gar nicht. Im Vergleich.
Deutschland hat den letzten Platz belegt. Einmal mehr. Was soll man bloß machen? Wieder an den Spielregeln herumpfuschen, so wie damals, als Deutschland dann einmal gewann? Das Problem sind natürlich die anderen Teilnehmerländer. Von denen gibt es einfach keine Sympathiepunkte. Ist ja auch klar: Keiner kann Deutschland leiden. Außerhalb Deutschlands versteht das jeder, nur die Deutschen, die doch fest überzeugt sind, so viel besser als ihre Nachbarn und alle anderen Nationen zu sein, können es nicht in ihr Selbstbild integrieren, dass sie keiner mag. (Anscheinend merken sie nicht einmal, wie überheblich die beliebte Kommentierung durch Peter Urban zu sein pflegt.) Die Lösung, um zu einen besseren Platz zu kommen, wäre also vielleicht: Lieder und Interpreten, die man nicht nur in Deutschland toll findet. Und nett sein zu den Nachbarn!
Europa freut sich. Die Ukraine hat gewonnen. Verdientermaßen. Sie wird also den ESC 2023 ausrichten. Darum lautet die Devise. Nächstes Jahr in  Mariupol!

Oberammergau I

Seit der Mensch den Esel vor über 6.000 Jahren domestizierte, ist dieser ihm Reit- und Lasttier. Auch heute sind und wären Esel (sowie Pferde, Maultiere usw.) eine sinnvolle Alternative zu mit fossilen Brennstoffen oder Strom betriebenen Maschinen. Sehr dumme Menschen sehen das freilich anders. „Tiere sind Lebewesen, keine Transportmittel“, verkündet aus Anlass der Eröffnung der Passionsspiele eine Tierschutzorganisation. Esel seien auch keine Schauspieler. Darum müsse Christus beim Einzug in Jerusalem endlich einen E-Scooter verwenden. Diese Verbindung von antichristlichem Impuls und Tierschutzduselei ist charakteristisch. Man sollte den transhumanistischen Aktivisten darum den Heinrich-Himmler-Preis verleihen.

Dienstag, 10. Mai 2022

Staatsgewerkschaftlerei

Frau Fahimi ist zur DGB-Vorsitzenden gewählt worden. Ich will hier nicht über ihre Eignung zu diesem Posten spekulieren. Auch nicht über ihre Eignung zur Generalsekretärin der SPD (2014/15) oder zur Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2016/2017). Ich stoße mich nur daran, dass eine ehemalige Inhaberin hoher Partei- und Staatsämter einem angeblich unabhängigen Gewerkschaftsbund vorsitzen soll. Die vermeintliche Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Transmissionsriemen des Kapitals (auf dessen Seite Staat und Sozialdemokratie unverbrüchlich stehen)? Im gesellschaftlichen Leben und der politischen Praxis spielen die Gewerkschaften ohnehin schon ein kaum wahrnehmbare Rolle. Von ihnen kommen weder zukunftsweisende Entwürfe noch aktuelle Interventionen. Ab und zu werden „Arbeitskämpfe“ inszeniert, deren Funktion hauptsächlich zu sein scheint, die realen Konflikte zwischen den Interessen der Ausgebeuteten und der Ausbeuter zu verschleiern und milde abzuführen, ohne dass je auch nur von fern die Systemfrage gestellt werden könnte. All das ist schlimm genug. Diese erniedrigende Funktion der Gewerkschaften auch noch dadurch zu symbolisieren, dass eine gebrauchte Partei- und Staatsfunktionärin als Galionsfigur an die Spitze gehievt wird, ist aber doch etwas arg.

Sonntag, 8. Mai 2022

Pro Burka

Man kann an den Taliban selbstverständlich dies und das kritisieren. Mit Menschenrechten, Bürgerrechten oder schlicht zivilisierten Umgangsformen (Schwule nicht umbringen) haben sie es ja nicht so. Man muss aber auch mal das Gute an ihrer Gewaltherrschaft in Afghanistan sehen, wenn es denn vorkommt, und es ausdrücklich würdigen. So ist die erneuerte Vorschrift, dass Frauen sich in der Öffentlichkeit vollständig verhüllen müssen, etwas, das ich durchaus begrüße. Aus meiner Sicht ist derlei freilich weniger ein moralisches als vielmehr ein ästhetisches Thema. Es gibt ja so viele hässliche Frauen! Die gibt es freilich überall, weshalb ich folgerichtig schon seit vielen Jahren für die globale Einführung der Burka eintrete. Man stelle sich vor, wie angenehm ein Leben ohne fette Weiber in hautengen Leggings wäre! Und ohne all die anderen Fälle, in denen Frauen einem ihre Körperformen und Körperoberflächen (inklusive vom Kopf hängender Hornfäden) exzessiv aufdrängen. Es ist ja nicht so, dass mich die allgemeine Hurenästhetik anekelt, weil ich gegen Prostitution wäre (was ich nicht bin: in ihren eigenen vier Wänden oder im Puff dürfen die Damen ihre Geschlechtsmerkmale von mir aus feilhalten, wie sie möchten, ich muss ja nicht hingehen), sondern weil ich sie extrem unschön finde.
Zugegeben, es gibt auch viele hässliche Männer. Dann eben Burka für alle! Oder aber ich treffe eine angemessene Auswahl. Es gibt ja zum Glück auch schöne Männer.

Achter-Mai-Gedanken

Alle Jahre wieder feiern die Nachfahren derer, von denen befreit wurde, die Befreiung. Als ob sie nachträglich selbst gleichsam Opfer gewesen wären oder zumindest deren Perspektive einzunehmen (und zu verstaatlichen) berechtigt wären.
Auch der Rechtsnachfolger (als kleindeutscher Kanzler) Hitlers (als großdeutscher Kanzler) hält eine Rede. Niemand empfindet das als pervers. Und immer noch wird die von der habsburgischen Monarchie gestohlene Hymne, zu deren Klängen halb Europa verwüstet wurde und Millionen Menschen getötet wurden, bei Gelegenheit gespielt. Es gibt bei einer Melodie keine „dritte Strophe“
Nie wieder!, sagen alle. Und tatsächlich, was war, geschieht so nicht noch einmal. Aber anders?
Etwa, wenn deutsche Herrenmenschen in einem öffentlichen Brief beteuern, die Menschen in der Ukraine, deren Leben, Rechte und Würde seien doch gar nicht so wichtig, nicht wichtig genug jedenfalls, um es sich mit Russland zu verderben und auf irgendwelchen Komfort zu verzichten. Rassismus in Reinkultur in der Tarnfarbe der Friedensliebe.
Wo stecken die deutschen Gelegenheitspazifisten eigentlich, wenn die BRD seit Jahrzehnten führend bei Waffenexporten ist? Den Beitrag der Rüstungsindustrie zum deutschen Wohlstand hat man unbesehen gern akzeptiert. Wenn aber Waffen mal nicht an eine Diktatur gehen sollen, entdeckt man plötzlich eine perfide Moral.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa bedeutete nicht nur die Niederringung des Nationalsozialismus (und seiner Verbündeten), sondern auch unzählige ungestrafte Plünderungen, Vergewaltigungen, Morde, Verschleppungen im sowjetischen Herrschaftsbereich und nicht zuletzt die schrittweise Errichtung kommunistischer Diktaturen. Für viereinhalb Jahrzehnte. Tag der Befreiung? Als Osteuropäer kann man das wohl nur zynisch finden.
Befreit werden könnten heute übrigens auch noch viele. Von Kriegen, von Gewaltherrschaft, von Ausbeutung, Zerstörung und Verblödung. Wie kann man von „Befreiung“ faseln und über das Böse in der Vergangenheit lauwarme Tränen vergießen, während man das heutige Böse daheim und in derc Welt nicht nur zulässt, sondern fördert und durchsetzt? Wie kann eine hedonistsch-konsumistische Kontroll- und Disziplinierungsgesellschaft sich für „befreit“ und also frei halten?

Donnerstag, 5. Mai 2022

Der Kinderwunsch im Zeitalter seiner technischen Erfüllbarkeit

„Kinder sind ein Geschenk.“ Mag sein. Üblicherweise bestimmt. Aber wenn man bezahlen muss, um etwas zu bekommen, ist es kein Geschenk.

Grausame Realität

Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, in ein Waisenhaus zu gehen und ein Kind auszusuchen, um es mitzunehmen und ihm ein gutes neues Zuhause zu schenken, während alle anderen Kinder zurückbleiben müssen? Können Sie sich das vorstellen? So geht es mir jedes Mal in einer Buchhandlung. Ich kaufe ein Buch, womöglich ein paar Bücher, aber alle anderen nicht. Wenn ich wieder draußen bin, schäme ich mich meiner Grausamkeit.

Sonntag, 1. Mai 2022

Reklame (IV)

Wenn ich Tefauwerbung für Tefausendungen wie „Teeanger werden Mütter“, „Mein Gemeindebau“, „Amore unter Palmen“ und „Germay’s Next Topmodel“ sehe, verzweifle ich an der Menschheit, hasse sie dafür, dass sie derlei zulässt, und wünsche ihr jede erdenkliche Apokalypse an den Hals.

Glosse CIII

Etwas irritierend finde ich den Ausdruck Gewürzketchup. Ungewürzt wäre Tomatenmark ja wohl einfach bloß Tomatenmark, kein Ketchup, oder?

Glosse CII

Ich vermute ja, sie sagen der Ketchup, die E-Mail, die Cola, weil es „die Soße“, „die Nachricht“, „die Limonade“ heißt. Die Grammatik der Herkuntssprache ist egal. Im Oberdeutschen hingegen ist das alles sächlich: das Ketchup, das Mail, das Cola. Ein Hang zur Neutralität ist erkennbar.

Glosse CI

Erbarmungslos sagen sie: die pesto. Im Ernst? Wie viele andere italienische Wörter kennen sie denn, die auf O enden und grammatisch feminin sind?