Mittwoch, 25. Januar 2023

Balken & Splitter (93)

Wenn man schon so viel Wert darauf legt, was die russländische Propagandamaschinerie an Lügen und Verdrehungen produziert, dann ist ja wohl klar: Scholzens trotziges Hinhalten, sein Hinauszögern des Unvermeidlichen, hat der Lieferung von Kampfpanzern mehr Gewicht und Aufmerksamkeit als nötig beschert, als nötig. Hätte er gesagt: Klar, machen wir, ist ja kein großes Ding, wäre er Putins Kläffern weniger in die Hände gespielt.

Die Angst vorm Atomkrieg ist verständlich. Sich davon beherrschen zu lassen, ist allerdings unethisch. Denn was bedeutet der Wunsch, eine direkte Konfrontation um jeden Preis zu vermeiden, denn anderes, als dass die Ukrainer diesen Preis bezahlen? Müssen sie sich also abschlachten und ihr Land in Grund und Boden bomben lassen, damit westliche Länder nicht angegriffen werden? Sind ukrainische Leben denn weniger wert als westeuropäische?

Mittwoch, 18. Januar 2023

Nolde zum Beispiel, oder Heidegger

Als man noch glaubte oder glauben wollte, Emil Nolde sei kein Nazis gewesen, sondern sogar selbst ein Opfer nazistischer Kulturpolitik, konnte man seine Gemälde und Zeichnungen unbefangen ausstellen und betrachten. Seit man weiß und wissen muss, das Nolde immer Nazi geblieben war, fragt man sich, ob man seine Bilder noch ausstellen und anschauen darf. Aber haben sich Noldes Werke denn zwischen den Kenntnisständen des Kulturbetriebes und des Publikums verändert? Sind sie nazistisch geworden? Oder sind sie nicht vielmehr immer dieselben, egal, was man über ihren Erzeuger weiß? Welches Reinheitsbedürfnis ist da am Werk, wenn Verbote gefordert werden? „Wir gucken nicht auf Bilder von Nazis“? Als könne man den Nazismus und seine Einschreibung in die Geschichte damit irgendwie von sich fernhalten. Als wäre man dadurch besser als „die damals“.
Gewiss, es gab bildende Künstler, deren Werke explizit oder implizit Beiträge zu einer Kunst des „Dritten Reiches“ sein sollten und auch waren. Ob man diese Bildwerke zeigen soll und wie, muss man problematisieren. Man kann daraufhin auch der Meinung sein, derlei gehöre nicht in die Öffentlichkeit. (Warum man dann in den gefühlt zig Millionen Geschichtsdokus dauernd Wochenschaubilder von Hitler und Konsorten zeigen darf, die einst zur Verherrlichung des „Führers“ und seiner Gefolgschaft gedreht wurden, wäre sodann aber zu fragen.)
Bei Nolde wird man allerdings lange suchen müssen, um spezifisch Nazistisches in seinen Bildern zu finden. Falls man denn überhaupt etwas findet. Wenn da aber nichts ist oder nicht in jedem einzelnen Gemälde, jeder Zeichnung, dann kann man diese auch ausstellen. Man befördert den Nazismus nicht schon dadurch, dass man man Werke von Nazis ausstellt, zumal solche Werke, an denen nichts Nazistisches ist. Ein Bild wird nicht „böse“ oder „unrein“, weil sein Erzeuger ein Nazi war. Ein Bild ist ein Bild und danach zu beurteilen, wie es aussieht.
Nolde und die Malerei bloß als Beispiel. Dasselbe gilt für Werke der Belletristik und der Philosophie und so weiter.
Selbst wenn Heidegger persönlich Zyklon B in eine Gaskammer gekippt hätte, wäre „Sein und Zeit“ immer noch „Sein und Zeit“. Und als Text nicht deshalb kritisierbar, weil sein Verfasser anderswo dies und das geschrieben hat, was man verwerflich findet (und wovon man vielleicht nur vom Hörensagen weiß), sondern weil der Text als Text so und so verfasst ist. Was man genial oder bedenklich finden kann oder beides, und man darf auch durchaus unter dem Gesichtspunkt eines „Gesamtwerkes“ Verbindungslinien von scheinbar Harmlosem zu späterem ganz und gar nicht Harmlosen ziehen. Aber dazu muss man die Texte eben lesen und verstehen. Sie komplett zu ignorieren oder gar zu verbieten, weil ihr Verfasser „böse“ war, ist dumm und bildungsfeindlich.
Kontexte, auch politische und biographische, sind wichtig (oder können es sein), aber sie ersetzen Texte nicht. Schon gar nicht kann die Bewertung eines Kontextes allein über den Wert oder Unwert eines Textes entscheiden. Wer so denkt, verachtet in Wahrheit das Denken und will es zu Gunsten eines ungeistigen Mitläufertums mit dem Zeitgeist ersetzen. Macht also genau das, was Heidegger vorzuwerfen ist: So zu denken, wie man eben gerade denken soll. Sich anzupassen und womöglich noch jede andere Angepasstheit überbieten zu wollen (zumindest im stillen Kämmerlein, wo keiner dazwischenredet, keine Prüfung an der Realität stattfindet und scheinbar nichts Konsequenzen hat).
Früher war es mal angesagt, Heidegger für ein großen Philosophen zu halten. Heute ist es chic, ihn für erledigt zu halten. Zwischen diesen Einstellungen aber haben sich die Texte nicht verändert (sie sind nur mehr geworden). Ihre Deutung kann und darf nicht einzig und allein davon abhängen, was im Sinne politischer Korrektheit herauskommen muss. Dass Heidegger ein Nazi war, wusste man schon vor dem Erscheinen der „Schwarzen Hefte“. Wenn an Heideggers nicht explizit nazistischen Texten etwas problematisch war, dann ist es das immer noch. Und wenn an ihnen etwas klug und anregend war, dann ebenso.

Dienstag, 10. Januar 2023

Krawalle für ganz, ganz wenige

Achtunddreißig Festnahmen wegen Angriffen auf Polizei und Feuerwehr bei den „Silvesterkrawallen“ habe es in Berlin gegeben, wird berichtet. Mehr nicht? In einer Stadt mit dreienhalb Millionen Insassen (davon gefühlte fünf Millionen „mit Migrattionshintergrund“)? Von den 38 seien, heißt es, zwei Drittel deutsche Staatsbürger. Wie bitte? Wegen einem guten Dutzend nichtdeutscher Randalierer wird eine Debatte über gescheiterte Integration, orientalisches Mackertum und gewaltbereite Staatsfeindschaf geführt?
Die örtliche CDu entblödet sich übrigens nicht, die Vornamen der nicht-nichtdeutschen Festgenommen wissen zu wollen. Wohl, weil ein deutscher Staatsbürger, der Ali und nicht Kevin heißt, ja doch ein Undeutscher ist. Ach, ihr Gelegenheitsrassisten, selbst wenn sämtliche 38 Festgenommene staatlich geprüfte Syro-Afghanen mit behördlich anerkannter toxischer Männlichkeit wären: Was sind schon drei Dutzend gegen Hunderttausende Menschen mit Herkunft, denen (in puncto Silvesterkrawall) nichts vorzuwerfen ist und die sogar entschieden gegens Krawallmachen sind?
Es stimmt, Berlin hat wie die ganze BRD (und viele andere Staaten) ein Problem mit Milieus, die von Armut, Unbildung und unzureichender Ausbeutung der Arbeitskraft geprägt sind. Aber diese Probleme werden nicht durch Zuwanderung, Geschlechtszugehörigkeit oder die ominöse „kulturelle Prägung“ erzeugt, sondern durch genau das soziökonomische System, an dessen Rand besagte Milieus angesiedelt sind. Und das genau der Staat sichert und schützt, dessen Repräsentanten mancherorts so unbeliebt sind.
Rassistische Pseudodebatten tragen jedenfalls nur gezielt dazu bei, Probleme zu verschleiern, deren Lösung letztlich eine durchdachte Gegnerschaft zur Wirtschaftsordnung voraussetzt. Dass die „Mitte der Gesellschaft“ die Dummheit und das Unrecht solcher spektakel und vor alle ihre Ursachen erträgt, ist dabei das eigentliche Problem.

Samstag, 7. Januar 2023

Krawallversteher mit Sozialisationshintergrund

„Warum schießen manche arabisch- oder türkischstämmige junge Männer an Silvester gern mit Schreckschusswaffen herum? Weil in ihren Herkunftsländern oder in den Herkunftsländern ihrer Eltern Männer auf Hochzeiten gern Schüsse abgeben, oft auch aus scharfen Waffen. Das zu benennen, ist nicht Rassismus, sondern Sozialanthropologie ...“ (Gunnar Hinck in der„taz“ ) Der Denkfehler hierbei: Dass Sozialanthropologie nicht rassistisch sein könne. Der Krawallversteher Hinck erbringt dafür unfreiwillig den Gegenbeweis. Seine Hobby-Sozialanthropologie mit ihrem einseitigen Verständnis von Sozialisation und kultureller Prägung ist Quatsch. Rassitischer Quatsch.
Woher ich das weiß? Ich bin in Österreich geboren und (zeitweise) aufgewachsen. Österreich ist mein Herkunftsland und das meiner Eltern, könnte man sagen. In Österreich wird viel Wintersport getrieben. Das hat mich geprägt. Ich verabscheue Wintersport aus ganzem Herzen und halte jeden, der ihn betreibt oder kommentiert oder sich dafür interessiert, für schwachsinnig. Allerdings treiben nicht alle in Österreich Wintersport und nicht alle, die in Österreich Wintersport treiben, sind hier geboren und aufgewachsen (oder in einem anderen Land, wo viel Wintersport getrieben wird). Wenn also irgendwo in der Welt systematisch Wintersport getrieben wird, liegt das wohl nicht oder nicht vorrangig an „kultureller Prägung“, sondern am Verhältnis zu dieser, vor allem aber an der konsumistischen Spaßkultur und den kommerziellen Interessen der Wintersportvermarkter. Erklär mir das doch bitte ein Sozialanthropologe oder eine Sozialanthropologin!
Nicht jeder der Silvesterkrawallmacher ist ein Mann (von wegen „Mackertum“), nicht jeder stammt aus einem Herkunftsland mit Knallerei-Kultur (oder hat entsprechende Eltern). Wie erklärt die Sozialanthopologie à la Hinck, dass auch Frauen und Nicht-Orientalen Krawall gemacht haben? Oder ist es für sie so: Wenn du Araber bist, ist klar, dass du ein machistischer Schusswaffenfetischist bist, deshalb greiftst du Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr an. Wenn du allerdings Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr, ohne ein Mann oder wenigstens irgendwie orientalisch zu sein, dann spielt die kulturelle Prägung eben bei dir keine Rolle.
Das ist sehr wohl rassistisch, denn es reduziert das Sein, Wollen und Handeln von Menschen auf ihre unterstellte Herkunft. Das Individuum ist in dieser Weltsicht zudem den ihn bestimmenden Faktoren ausgeliefert und kann sie weder reflektieren, noch sich ihnen entziehen. Aber selbst wenn solche deterministischen Ableitungen möglich wären (sie sind es ganz sicher nicht), warum werden dann eigentlich nur Nichtdeutsche sozialanthropologisch gedeutet, Deutsche aber nicht? Haben die keine Herkunft, keine Sozialisation, keine kulturellen Prägungen? Leute wie Hinck „erklären“ immer nur bestimmte Leute anhand bestimmter willkürlich herausgegriffener „kultureller“ Details, die angeblich prägend sind. Sie erklären nie, warum andere, die von anderer Herkunft, Kultur und Sozialisation anders geprägt sind, trotzdem gleich handeln, und schon gar nicht, warum die große Mehrheit derer, die doch auf Grund ihrer Herkunftskultur entsprechend „geprägt“ sein müssten, nicht so handelt, es ablehnt, so zu handeln, und solches Handeln missbilligt.
Leute wie Hinck sind implizite Rassisten. Und zwar gerade deshalb, weil sie behaupten, ihr unvoreingenommener Zugang (hier: wissenschaftlich, nämlich „sozialanthropologisch“) hindere sie daran, es zu sein. Warum sie dann aber zu denselben „Erkenntnissen“ gelangen wie explizite Rassisten, fragen sie sich nicht. Es ist jedoch offensichtlich: Weil ihr Verständnis von Unvoreingenommenheit bereits unzulässige Vorannahmen impliziert, weil sie nur einiges bei einigen erklären wollen und damit bereits im Voraus unterscheiden, wer erklärungsbedürftig ist und wer nicht, welche Herkünfte problematisch sind und welche nicht.
Übrigens: Freudenschüsse bei Hochzeiten, wie fremd sie dem modernen Mitteleuropärer vorkommen mögen (der ja aller sinnlosen Knallerei bekanntermaßen innerlich fernsteht), mit tätlichen Angriffen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter zu parallelisieren, ist infam. Und selbst für einen Hobby-Sozialanthropologen ungewöhnlich dumm.

Mittwoch, 4. Januar 2023

Krawalle für alle

Ist es rassistisch, anzunehmen, die „Silvesterkrawalle“, einschließlich der Angriffe auf Einsatzkräfte von Feuerwehr und Polizei, seien vonehmlich „jungen Männern mit Migrationshintergrund“ zuzuschreiben, ohne dass dazu gesicherte Erkenntnisse vorliegen? Mag sein. Vor allem aber ist es rassistisch, bei mutmaßlichen Straftätern überhaupt zwischen Deutschen und Nichtdeutschen zu unterscheiden, zwischen Menschen mit und ohne Herkunft sozusagen. Als ob deutsche Staatsbürger eher und „Migranten“ weniger legitimierten seien, Illegales zu tun. Als ob die Empörung größer (und vielleicht die anzustrebende Strafe härter) sein müsse, wenn einer, der Unrecht tut, zugewandert ist oder zugewanderte Eltern hat, als bei alteingesessenen Übeltätern. Als ob es eine wie auch immer geartete Ableitbarkeit von Straffälligkeit aus Abstammung gäbe.
Gesetz ist Gesetz, Straftat ist Straftat. Dass alle vor dem Gesetz gleich sind, ist ein wichtiger Rechtsgrundsatz, dass wegen Herkunft nicht diskrimiert werden darf, steht im Grundgesetz. Wer also die Beurteilung von Delinquenz und die Schärfe der Gegenmaßnahmen davon abhängig machen will, welches Geburtsland jemand hat oder welchen Aufenthaltstitel usw., äußert sich gesetzwirdrig und verstößt gegen genau jene „Werte“, die er doch gegen unzivilisierte Fremde (die nicht wissen, wie man sich „bei uns“ benimmt) verteidigen zu wollen behauptet.
Wohlgemerkt, soziologisch und sozialpsychologisch mag die Differenzierung der Unterschichten nach kulturell codierten Milieus interessant sein. Strafrechtlich aber eben nicht.
Die Unterstellung, man müsse nur mit mehr Saatsmacht und Justizapparat gegen Menschen mit abweichender Herkunft vorgehen, dann sei bald alles wieder in Ordnung wie früher, bevor so viele Fremde da waren, ist populärer Wohnzimmerrassismus. Statt sich der gesellschaftlichen Realität der Segmentierung, Ausgrenzung, Abwertung zu stellen, die selbstverständlich (völlig sinnlos angewandte) Gegengewalt gegen die institutionelle Gewalt der kapitalistischen Verhältnisse erzeugt, wird die nihilistische Lust am Bösesein und Zerstören vom eigenen (relativen) Wohlstand und der eigenen (vermeintlichen) Wohlanständugkeit abgekapselt und kulturalisiert, gar ethnisiert. Nun sollen es etwa plötzlich von außen eingeführte, also falsche Männlichkeitsvorstellungen sein, die die Verlierer der Ausbeutungsgesellschaft in den wütenden Hass auf Polizei und Feuerwehr treiben, und nicht etwa das Unrecht der Verhältnisse selbst. (Also ob dort, wo „die“ eigentlich herkommen, junge arbeitslose und wenig gebildete Männer ständig damit befasst wären, Böller auf Polizisten zu schießen und gewaltsam Feuerwehrleute am Löschen zu hindern. Bemerkenswertes Bild der arabischen Welt ...)
Wieso bloß genügen in bestimmten Situationen Alkohol und andere Drogen, Instagram und Netflix und das Zuckerbrot und die Peitsche des Wohlfahrtsstaates nicht mehr, um bestimmte Leute vergessen zu lassen, was für beschissene Leben sie haben? Die Mehrheitsgesellschaft schafft das doch auch: Die Beschissenheit der anderen wie die eigene zu verdrängen. Also darf, was da selten genug aufbricht, nichts mit dem System zu haben, nur mit Unangepasstheit ans System, also mangelnder Integration (deutsch: Unterwerfung). Die üblichen Verdächtigen werden zum Rapport gebeten.
Ja, das ist rassistisch. Und dieser Rassismus ist kein Irrtum, kein Missverständnis, das man aufklären könnte. Populistische Politiker haben nicht den Ethikunterricht zu oft geschwänzt, sondern wollen etwas erreichen und bedienen sich eines zweckmäßigen Mittels. Der Wohnzimmerrassismus, so widerwärtig er ist, ist kein Patzer, kein Missgeschick, kein Missgriff, er hat Methode, er ist eine Methode, er ist Teil der Verteidigung jener Verhältnisse, die die Krawallmacher wahrscheinlich gern anders hätten, wenn sie darüber nachdächten, die sie aber mit ihrem Gewaltkonsum nur abspiegeln. Gewalt ist keine Boschaft, sie ist Ausdruck ohne Mitteilung, hilfloser Versuch, der eigenen Sinnlosigkeit etwas destruktiven Spaß abzutrotzen. Die Antwort darauf ist im Voraus gegeben.