Sonntag, 29. Dezember 2024

Balken & Splitter (108)

Aber nicht doch! Bloß nicht vor „ausländischen“ Böllern warnen. Die sind gefährlich? Gut so! Wer an diesem Silvester ein paar Finger verliert, wird am nächsten die Finger von der sinnlosen Knallerei lassen.
 
Recht so, deutsche Medien, immer schön „Terrororganisation Hamas“ sagen, wenn vom Islamischen Widerstand die Rede ist, aber niemals vom zionistischen Staat als „Terrorstaat Israel“ reden. An Fakten orientierte Werturteile sind bekanntlich antisemitisch. Und bitte weiterhin immer, wenn von dem unschönen „Konflikt“ die Rede ist, die Gräuel vom 7. Oktober erwähnen, weil der Krieg gegen die arabische Bevölkerung Palästinas ja erst 2023 begann und Genozid eine völlig legitime Reaktion auf ein paar mörderische Anschläge ist.  
 
Die Silvesterknallerei war immer schon dumm und widerlich. Aber herumzuballern, während in der Ukraine, in Gaza, im Jemen usw. usf. wirkliche Bomben wirkliche Menschen töten, ist dermaßen bestialisch, dass man an seinen moralisch minderbemittelten Mitmenschen einmal mehr verzweifeln muss.  
 
Der Staat, der sich alles Mögliche an Verbotsrechten anmaßt, kann offensichtlich weder Silvesterböller noch Zweiklassenmedizin verhindern. Arzttermine für Minderversicherte erst in einigen Wochen oder Monaten, das ist auch Biopolitik: Entweder das jeweilige Leiden ist von selbst verschwunden (Resilienz!) oder man ist daran verstorben. So oder so, es stärkt die Volksgesundheit.

Freitag, 27. Dezember 2024

Notiz zur Zeit (240)

Kaum war Assad gestürzt, wurde in der BRD und Österreich laut darüber nachgedacht, wie man nun die syrische Flüchtlinge auf schnellstem Wege wieder loswerden könne. Jetzt, gut zwei Wochen später, ist klar: ohne syrische Ärzte und andere Fachkräfte entständen schwere Probleme.
Das rassistische Ressentiment ist eben immer schneller als der ohnehin nicht sehr ausgeprägte Verstand.

Wenn ich von „westlichen Werten“ reden höre, könnte ich kotzen. Die  „westlichen Werten“ beschützen die Ukrainer nicht, die Palästinenser nicht, die Sudanesen nicht, sie helfen den Georgiern nicht (die fest an sie glauben). Sie lassen auch die Chinesen im Stich, die man der kommunistischen Diktatur überlässt. Und so weiter und so fort. „Westliche Werte“ scheint nur zu bedeuten, dass man möglichst ungestört Geschäfte und Party machen möchte, während der Rest der Welt krepieren kann.

Leute (20)

Nachdem er zum ersten Mal eine Frau Sex gehabt hatte, erklärte mir X. damals, er sei sich jetzt sicher, dass Heterosexualität von der Natur vorgesehen sei. Die Genitalien passten einfach zu gut zueinander. Ich sagte nichts dazu. Hätte ich ihm raten sollen, sich einmal von einem Mann in den Arsch ficken zu lassen?

Montag, 23. Dezember 2024

Leute (19)

X. ist eine hochberühmte Dichterin, war das schon zu Lebzeiten und wurde es nach ihrem Tod anscheinend noch mehr. Ich gestehe offen, ich habe nur sehr wenig von ihr gelesen. Und muss sagen, da war nichts dabei, was mich berührt oder angeregt oder überrascht oder amüsiert oder beeindruckt oder interessiert oder zum Weiterlesenwollen gebracht hätte. Nichts, was mir gefallen hätte. Das spricht nicht gegen die Texte, sie wurden einfach nicht für mich geschrieben. Schon wegen der graphischen Manierismen und der peinlichen Selbstinszenierung der Dichterin (als kauzige Chaotin und zarte Seele) nicht, aber besonders nicht wegen dieses Poesie-Getues, das ich nicht ausstehen kann, dieses Verrätselns und Verbilderns und Verdunkelns. Das ist wohl für Leute geschrieben, die von Dichtung nicht mehr erwarten als gefälligen Dunst in dämmrigen Germanistikseminarien. Also wie gesagt nicht für mich.

Sonntag, 22. Dezember 2024

Wozu über Weihnachten lügen?

Warum belügt man die Kinder über Weihnachten? Warum erzählt man ihnen etwas von erfundenen Figuren wie Weihnachtsmann, geschenkebringendem Christkind, der Fee Befana, Väterchen Frost, irgendwelchen Trollen, Elfen und fliegenden Rentieren? (Und unterm Jahr geht es ja weiter mit dem Osterhasen, der Zahnfee und anderen konsumistischen Pseudomythen.)
Gewiss, Kinder können phantastische Erzählungen, die ihre Phantasie anregen, gut gebrauchen. Aber es ist ein Unterschied zwischen Dornöschen, Schneewittchen, Aschenbrödel usw. und Weihnachtsmann und Zahnfee: Die Märchenfiguren werden als solche ― hoffentlich ― vorgestellt und verstanden und ihre tatsächliche Existenz wird nicht behauptet.
Man sollte Kinder überhaupt nie belügen. Man kann ihnen zudem die Wahrheit über Weihnachten von Anfang an zumuten: Gottes Sohn ist Mensch geworden, ist zu den Menschen gekommen, um sie von allem Schlechten zu befreien und ihnen zu helfen, Gutes zu tun, und wurde darum damals im Stall bei Bethlehem geboren. Aus Freude darüber feiern wir ein Fest und beschenken einander.
Wozu aber diese sinnlosen, mit dem Festgeheimnis überhaupt nichts zu tun habenden Lügengeschichten? Fällt nicht von diesem Unsinn ein Schatten auf die „hochheilige Nacht“? Wenn der Weihnachtmann nur erfunden ist, ist es dann nicht vielleicht auch Jesus?
Gewiss, viele werden sagen, die Lügen hätten ihnen nicht geschadet, und sie erzählen sie darum auch ihren Kindern. Trotzdem, über Weihnachten zu lügen, ist unwürdig. Der Unsinn von Weihnachtsmann und Weihnachtsfee scheint jedoch Teil der längst sehr erfolgreichen Bemühungen zu sein, das Fest nichts mit Gottes Sohn, mit Sünde und Erlösung, mit Wiederkunft und Letztem Gericht zu tun haben zu lassen. Fest der Liebe? Fest der Familie? Fest der Kinder? Fest der Geschenke? Nein, Fest der Geburt Jesu Christi. 
Es gibt genug wahre Geschichten, die man von unserem Herrn und Erlöser erzählen kann und soll und mehr als genug erbauliche Legenden seiner Heiligen. „Putzige“ Lügen in Kinderherzen zu stopfen, mag diese vorbereiten auf eine Welt voller Unwahrheit, Betrug, Ausbeutung und Enttäuschung. Mit dem Sinn von Weihnachten hat es nichts zu tun.

Samstag, 21. Dezember 2024

Notiz zur Zeit (239)

Offensichtlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob die mörderische Gewalt irgendwo anders Fremden angetan wird oder ob sie einem selbst oder vielmehr denen, die man für Seinesgleichen hält, widerfährt. Der Völkermord in Gaza und der verbrecherische Krieg gegen die Ukraine: Daneben sind fünf Tote und Hunderte Verletzte quantitativ nicht viel, aber weil das Entsetzliche das mitten unter ihnen geschehen ist, hat es für die Leute eine andere Qualität.
 
Man ist es gewohnt, terroristische Anschläge von „Islamisten“ zu erwarten, Nun hat ein Antiislamist, ein Islamhasser und Anhänger des Rechtspopulismus gemordet. Trotzdem wird jetzt nicht die AfD an den Pranger gestellt (die in Sachsen-Anhalt immerhin jeder Fünfte gewählt hat), obwohl der von ihr ― und „Islamkritikerinnen“ (beiderlei Geschlechts) ― verbreitete Hass sehr wohl Ursache von Gewalt ist.
 
Dem Täter wird eine wirre Weltanschauung zugeschrieben. Als ob AfD, BSW und dergleichen nicht allesamt geistig verwirrt und nützliche Idioten wären.
 
Die saudi-arabische Herkunft des Tãters muss erwähnt werden. Jedenfalls glauben das offensichtlich Politik und Journalismus. Als ob seine Herkunft ein Defekt oder doch Makel wäre, der sich nun ausgewirkt habe.

Freitag, 20. Dezember 2024

Ein merkwürdiger Fall

Nicht, dass ich den Fall besonders interessant fände, aber da man ihn nun schon eine ganze Weile mit Begeisterung durch die Öffentlichkeit gezerrt hat, konnte ich nicht umhin, ihn zu bemerken, und so stellen sich mir zu dem, was ich da bemerkt zu haben meine, ein paar Fragen.
Habe ich das richtig verstanden? Eine Frau wird zehn Jahre lang von ihrem Mann betäubt und vergewaltigt und anderen Männern zur Vergewaltigung überlassen. Davon hat sie aber nie etwas mitbekommen, sagt sie, nur ihr unerklärliche Folgen: körperliche und seelische Probleme. Das mag so gewesen sein, ich kann das nicht beurteilen, aber vorstellen kann ich es mir auch nicht. Sie wurde mit einem Beruhigungsmittel betäubt, heißt es. Und es fiel ihr nie auf, dass sie manchmal ungewöhnlich müde oder ganz einfach weggetreten war? Eine Betäubung ist zudem etwas anderes als eine Bewusstlosigkeit. Die hätte ihr doch noch viel mehr auffallen müssen. Über zweihundert Vergewaltigungen Penetration durch über achtzig Männer und davon keine Spuren am Körper oder im Bett oder im Haus? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.
Anderes will ich mir nicht vorstellen, obwohl es vermutlich erschreckenderweise realistisch ist. Dass heterosexuelle Männer, darunter auch junge, eine alte (sechzig bis siebzigjährige) und, ich erlaube mir, das so zu sehen, sehr hässliche Frau gefickt haben sollen. Wie pervers muss man sein, um das zu wollen und zu können. Heterosexualität ist immer unappetitlich, aber das ist wirklich unvorstellbar widerlich.
Zur Ungewöhnlichkeit und, mit Verlaub, sehr eingeschränkten Glaubwürdigkeit des Falles passt die übergroße Aufmerksamkeit und einhellige Empörung. Die Frau als Opfer, die öffentlich sagt, dass sie ein Opfer ist ― was für eine Heldin! Zehn Jahre lang offensichtlich ohne Kenntnis vom eigenen Körper, nichts spürend, nichts hörend, nichts sehend. Über fünfzig Jahre mit einem Mann zusammen, verheiratet, geschieden, wieder verheiratet (und zuletzt wieder geschieden), einem Mann, den sie offensichtlich gar nicht kannte, dessen perverse Gelüste anscheinend nie zum Thema wurden und der sie offensichtlich sehr verachtete und zugleich begehrte.
Übrigens: Hatten die beiden außer den Vergewaltigungen auch noch „normalen“ Sex? (Oder was für Heteros halt als normal gilt …) Wenn schon alles ohne Scham aufgedeckt werden soll, darf auch eine solche Frage gestellt werden. Denn wenn nicht, wieso sagt ihr das nichts? Wenn doch, wieso erinnerte sie das an nichts?
Wer glauben möchte, dass der Fall sich so zugetragen hat, wie das Opfer, die Medien und das Gericht es für wahr erklärt haben, mag das tun. Sollte dann aber vielleicht bedenken, dass, wenn derlei wirklich war, es womöglich viele derartige Fälle gibt, dass also hinter den Fassaden normaler Heterosexualität oft die übelsten Abartigkeiten hausen dürften. Das sagt etwas über eine Gesellschaft und ihre Moral. Darum ist der Abscheu ja auch so groß: „Wir“ sind gut, die Verurteilten sind die Ungeheuer. Ist das glaubwürdig?

Drei Erinnerungen an Hermes Phettberg

Am 18. Dezember starb Hermes Phettberg, entnehme ich den Nachrichten. Ich bin ihm nur zweimal persönlich begegnet. Beim ersten Mal, Anfang der 90er, brachte ihn ein Bekannter aus der Rosa-Lila-Villa zu einer kleinen studentischen Veranstaltung am Rooseveltplatz mit (ein anderer brachte Doron Rabinovich mit). In der Diskussion brauchte es nur Minuten, bis er und ich aneinander krachten. Unsere Auffassungen waren völlig unvereinbar. Keine Ahnung, worum es ging.
Ein paar Jahre später schrieb er an die Zeitung, in der ich damals viel publizierte, einen Leserbrief. In einem Teil, der nicht zur Veröffentlichung bestimmt war, lobte er mich sehr. In dem Teil, der dann veröffentlicht wurde, nannte er mich herzlos.
Wieder ein paar Jahre moderierte ich eine Veranstaltung des Günther-Anders-Forums. Noch bevor es anfing, ging ein Raunen durch die Hänge des Liesinger Rathauses: Phettberg kommt und er hat abgenommen. (Damals hatte er wohl schon seine Tefausendung oder hatte sie gehabt.) Tatsächlich kam dann Hermes Phettberg in den Saal, trat an den Tisch, an dem ich schon saß, stellte sich vor und fragte, ob ich Stefan Broniowski sei. Als ich bejahte, sagte er: „Ich lese alle Ihre Artikel. Ich stimme Ihnen nie zu.“ Ich weiß nicht mehr, was ich erwiderte, vielleicht: „So geht es vielen.“ Jedenfalls setzte Phettberg dann hinzu, dass er noch vor Veranstaltungsende gehen müsse, niemand solle sich etwas dabei denken, er sei nur schon verabredet.
Was für ein Selbstbewusstsein!, dachte ich mir. Und welche Fürsorglichkeit; Niemand solle sich kränken, wenn Herr Phettberg früher gehen müsse. Ob er erwartete, ich werde das in meine Moderation einflechten? Ich tat es nicht, und Hermes Phettberg blieb bis zum Schluss. Die Diskussion nach den Vorträgen, an der er sich beteiligte, war hitzig und lang gewesen.
Mehr fällt mir zu Hermes Phettberg nicht ein. Ich habe nie seine Tefausendung geschaut und seine Zeitungsartikel nie gelesen. Für mich war er einfach dieser große, fette, unappetitliche Kerl, der sehr viel intelligenter und gebildeter sein mochte, als man auf Grund seiner Selbstinszenierung hätte glauben mögen. Dass so jemand populär werden konnte, zumindest vorübergehend, fand ich bemerkenswert. Vielleicht machte es mir auch Mut. Josef Fenz, der sich Hermes Phettberg nannte, kam mir immer sehr unglücklich vor und war es wohl auch. Armut und Krankheit dürften seine letzten Jahre verdunkelt haben. Er ruhe in Frieden.

Sonntag, 15. Dezember 2024

Trauriges Thema: Einsame Weihnachten

Viele Menschen seien zu Weihnachten allein und einsam, heißt es. Na und? Das sind sie sonst auch. Warum ist das an Weihnachten besonders schlimm? Weil die Leute meinen, es gehe bei dem Fest (oder seinen Surrogaten) um sie selbst. Tut es aber nicht. Es geht um die Geburt des Herrn und Erlösers und um die Freude auf seine Wiederkunft.
Sich auf Jesus freuen und sich fragen, ob man bereit ist fürs Jüngste Gericht, das kann man auch ganz allein. Vielleicht sogar allein am besten. Nicht abgelenkt von Konsumterror, hohlen Familienritualen und Gedöns. Was nicht dagegen spricht, an liturgischen Feiern teilzunehmen. Und wenn man nicht mobil ist: Es gibt Radio und Tefau und Internet.
Wer einsam ist und das nicht sein will, hat allen Grund, sein Leben zu ändern. Und das ist eigentliche Thema von Weihnachten. Losgekauft worden sein von der Sünde und sich verantworten zu müssen.
Gewiss, manche Ursachen ungewollter Einsamkeit, verantworten die Betroffenen nicht selbst. Und manchmal gibt es auch keine Lösungen. Das muss man dann eben genauso annehmen wie Krankheit und Tod.
Andererseits ist ungewollte Einsamkeit, seien wir unerschrocken ehrlich, oft selbstgemacht. Wer beizeiten für andere da war, und zwar immer wieder mal auch für neue (die also, ums deutlich zu sagen, nicht schon alle weggestorben oder weggezogen sein können), hat gute Chancen, mit vielen in Kontakt zu sein.
Der Kontakt nach oben jedenfalls ist immer möglich. Und darauf kommt es an. Mehr als auf alles andere.Nicht nur an Weihnachten

Freitag, 13. Dezember 2024

Glosse CXXXIV

Von der Besiedlung einer Gegend ist die Rede. Sie sei kolonialisiert worden, heißt es. Dann waren die Kolonisten also wohl auch Kolonialisten.

„Sicherheitsgarantien“?

Reihum erklären westliche Länder, sie würden, nachdem die Ukraine mit Russland verhandelt und einen Waffenstillstand vereinbart haben würde, für die unbesetzten Gebiete „Sicherheitsgarantien“ abgeben. Da stellen sich doch zwei Fragen. Zunächst: Warum wird die Sicherheit der Ukraine nicht schon jetzt garantiert? Das Völkerrecht verbietet Angriffskriege und Annexionen. Warum wird dieses verbindliche Recht nicht durchgesetzt? Warum wird nicht erstens alles unternommen, die Verteidigungsbemühungen der Ukraine zu unterstütze, und zweitens der Aggressor direkt angegangen? Stattdessen gibt es viele schöne Reden, unzureichende Unterstützung und viel Angst vor Russland und dessen angedrohten Dritten Weltkrieg.
Das führt zur zweiten Frage: Was sind „Sicherheitsgarantien“ wert? Angenommen, es käme zu Verhandlungen und einem Abkommen über einen Waffenstillstand, wodurch Teile von Land und Leuten der Ukraine „vorläufig“ Russland überlassen würden. Und irgendwann später entschlösse sich Russland, doch wieder die Ukraine anzugreifen und dort zu morden, zu zerstören und vielleicht ein bisschen mehr des Nachbarlandes zu besetzen. Würden „Sicherheitsgarantien“ dann nur bedeuten, dass es wieder viele schöne Reden, unzureichende Unterstützung und viel Angst vor Russland und dessen angedrohten Dritten Weltkrieg gibt? Oder würde der Krieg gegen den Westen, den Russland bereits führt (und in dem die Ukraine „nur“ die Stellvertreterin ist), endlich auch vom Westen geführt?
Die Rede von „Sicherheitsgarantien“ entbehrt der Substanz, wenn sie keine glaubwürdige Androhung von militärischer Gewalt umfasst.
Zur Erinnerung: Im „Budapester Memorandum“ von 1994 wurde durch die USA, Großbritannien und Russland die Souveränität und territoriale Unverletzlichkeit der Ukraine, die gerade auf ihre Atomwaffen verzichtet hatte, garantiert. Was war diese Garantie wert, als Russland 2014 die Krim und Teile des Donbass eroberte und diese Gegenden gegen jedes Recht später „annektierte“?
Die Ukraine braucht keine vollmundigen, aber wirkungsloesen „Garantien“, sie braucht Waffen und Munition. Gegen Russland hilft nur Gewalt und ― wenn diese einmal nicht mehr unmittelbar nötig sein sollte ― die Androhung von Gewalt im Falle von Fehlverhalten. Alles andere ist Blabla und gefährdet Recht, Anstand und Menschenleben.

Sonntag, 8. Dezember 2024

Notiz zur Zeit (238)

Herzlichen Glückwunsch, liebe Rumäninnen und Rumänen, euer Verfassungsgericht hat eine mutige und sehr angemessene Entscheidung getroffen! Endlich wehrt sich ein Land gegen die russländische Einmischung. Dann ist die Wahl eben ungültig und muss wiederholt werden. Dass das die „liberale“ Kandidatin zu Putins faschistischem Favoriten nicht freut, ist ihre Sache, aber wegen eine Wahlannullierung geht nicht gleich die Demokratie unter. Eher im Gegenteil. Wenn der erste Wahlgang manipuliert war, kann auch die Stichwahl kein korrektes Ergebnis haben.

Ob ich euch, liebe Syrerinnen und Syrer gratulieren darf, weiß ich nicht. Aber immerhin seid ihr, wie es aussieht, den Schlächter Assad erst einmal los. Das ist eine gute Nachricht. Was jetzt kommt, weiß nur der liebe Gott.

Eine Mehrheit der Deutschen, lese ich, habe Angst, dass durch die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine in den Krieg gegen Russland „hineingezogen“ würde. Einmal abgesehen, dass die BRD längst von Putin attackiert wird (nicht zuletzt kybernetisch), muss ich ganz ehrlich sagen: Wenn es hülfe, ukrainische Menschenleben zu retten, könnte ich mich damit abfinden, dass der Preis dafür wäre, dass eine Mehrheit der feigen, selbstgefälligen, moralisch wohlstandsverwahrlosten Deutschen draufginge. Die deutsche Ostpolitik hat den Ukrainerinnen und Ukrainern diesen Krieg eingebrockt (weil sie dazu beitrug, dass Putin nicht beizeiten gestoppt wurde), dann können ihn die Deutschen auch auslöffeln.

Randthema Abtreibung?

Letztens* fragte mich ein Bekannter, was ich denn bloß gegen den Zeitgeist hätte, auf den ich immer schimpfte. Ich versuchte mich einmal mehr zu erklären (man lese dazu kritische Texte von mir) und wählte dann ein Beispiel, wo ich mit dem vorherrschenden Denken meiner Zeitgenossen ganz und gar nicht einverstanden sei, das Thema „Abtreibung“, oder wie ich unverblümt zu sagen pflege, Kindstötung.
Der Bekannte antwortete, Abtreibung sei ja kein Massenphänomen und niemand tue sich leicht damit; da sähen die Abtreibungsgegner einfach etwas, was es so gar nicht gebe.
Daraufhin besorgte ich mir rasch aus dem Internet aktuelle Zahlen. Offizieller Statistik zu Folge wurden im Jahre 2022 in der BRD (wo der Bekannte lebt) rund 739.000 Kinder geboren und rund 104.000 „abgetrieben“, also ungeboren getötet. (2023: 693.000 und 106.000.) Zusammen 843.000 Kinder (2023: 799.000), wovon die Getöteten demnach 12,34 Prozent ausmachen (2023: 13,27 Prozent), also ungefähr ein Achtel. (2023: deutlich mehr!) Wenn das kein Massenphänomen ist, weiß ich nicht, was eines wäre. Jedes fünfte Kind? Jedes zweite?
(Zur Gesamtzahl der Kinder, die hätten geboren werden können, gehören selbstverständlich noch die durch natürlichen Abort oder Unfälle und dergleichen gestorbenen. Deren Zahl habe ich ihr nicht nachgeforscht. Die Dimension der Abtreibungen würde dadurch wohl nicht verändert.)
Mehr als jede achte Schwangerschaft wird „abgebrochen“, was so harmlos-unschuldig klingt wie der Abpfiff eines Fußballspiels, in Wahrheit aber ein medizinischer Aufwand und ein blutiges Geschäft ist. Trotzdem ist dieses Massaker in der Gesellschaft nur insofern ein Thema, als jede Einschränkung des unbeschränkten Zugangs zu Verfahren der Kindstötung als „konservatives“ Unrecht angeprangert, wo doch die Verfügung von Frauen über ihren Körper deren ureigenstes Recht sei (was das Thema verfehlt, denn es geht ja um den Körper des Kindes); neuerdings wird „Abtreibung“ gar zum „Menschenrecht“ proklamiert. Neben dem Recht auf Leben und Unversehrtheit macht sich das Recht auf Tötenlassen unschuldiger Ungeborener allerdings etwas seltsam aus.
„Abtreibungsgegner“ gelten als Spinner, womöglich religiöse Fanatiker, die ein Randthema aufbauschen. Selbst gebildete Menschen wie der erwähnte Bekannte ignorieren die Dimensionen und reden sich zu ihrer eigenen Beruhigung ein, es gehe eh nur um ganz wenige Fälle. Die Zahl der Abtreibungen weltweit wird für die letzten Jahre auf 56 bis 73 Millionen jährlich geschätzt. Ist das wenig?

* Dieser Text wurde damals nicht zeitnah veröffentlicht, ich habe darum noch aktuellere Zahlen als die damaligen ergänzt.

Ihr Kinderlein, kommt nicht

„Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben!“ Dieser alte slogan der Abtreibungsbefürworterinnen (beiderlei Geschlechts) ist in seiner ganzen menschen- und religionsfeindlichen Bösartigkeit völlig zutreffend. Dem totalkonsumistischen Wunsch, den Mitmenschen endgültig zur Verfügungsmasse der heteronom eingepflanzen „Rechte“ und „Bedürfnisse“ zu machen, steht im Wesentlichen nur noch das aufrechte Häuflein aufrechter Christen und Christinnen entgegen, das mit dem Rücken zur Wand des unerbittlichen Zeitgeists an der Würde und dem Lebensrecht jedes Menschen, auch des ungeborenen, mit frommem Trotz festhält.
Abtreibung ist Mord und deshalb kann es, egal, was Gesetze besagen, niemals ein „Recht“ auf Abtreibung geben. Daran ist kein vernünftiger Zweifel möglich. Menschen dürfen Menschen nicht töten, das steht fest; Ausnahmen mag es zur Fremd- und Selbstverteidigung oder, je nachts Rechtsordnung, zur Strafe geben. Im Grundsatz aber ist, um es religiös zu formulieren, jedes menschliche Leben heilig und unantastbar.
Dass in dieser wahnsinnigen und verderbten Weltordnung, an der so viele freiwillig und alle mindestens unfreiwillig mitwirken, Menschen im Elend leben, ausgebeutet werden, an Hunger und vermeidbaren Krankheiten oder in Kriegen sterben, ist schrecklich genug, es rechtfertigt nicht, Kinder im Mutterleib zu zerstückeln. Wenn Frauen zu arm sind, soll man ihre Armut beseitigen, nicht ihre Kinder.
In den wohlstandsverwahrlosten Ländern werden ungeborene Kinder ohnehin eher deshalb getötet, weil ein Kind gerade nicht zum Lebensentwurf oder zum Lebensstil passt. So werden beispielsweise 80 bis 90 der Kinder, bei denen pränatal das Down-Syndrom diagnostiziert wurde, nicht zur Welt gebracht, sondern abgemurkst. Bei ähnlichen Diagnosen verhält es sich ähnlich. Und das befürwortet jemand? Das ist eine Entscheidung, die eine Frau für ihr Kind treffen darf?
Denn es geht nicht, wie die Pro-Abtreibungs-Ideologie behauptet, um die freie Verfügung von Frauen über ihr Eigentum, hier: ihren Körper. Selbst wenn es nur darum ginge, wäre es fraglich, ob man mit sich wirklich alles machen darf, wonach einem der Sinn steht. Doch tatsächlich geht es ja um einen anderen Menschen, um das Kind, dass sich im Körper der Frau befindet. Selbst wenn man also ein Verfügungsrecht über den eigenen Körper zugestände, was ist mit dem Recht des anderen Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit? Steht dieses Recht nicht höher als die Unbilden einer „ungewollten“ Schwangerschaft? Sein Kind töten zu lassen ist etwas grundsätzlich anderes, als sich die Zehennägel zu schneiden oder die Haare zu färben. Hier ist eben nicht nur der eigene Körper betroffen, sondern auch und vor allem der Körper eines anderen Menschen, der ein für allemal vom Leben zum Tode befördert werden soll. Oder eben nicht soll. ― Was nebenbei die „Ungewolltheit“ der Schwängerung betrifft: Wer nicht schwanger werden will, soll halt nicht ficken. Wer zu blöd zum „Verhüten“ ist, soll das nicht am Kind auslassen. (Und was die sehr seltenen Fälle von Schwangerschaften nach Vergewaltigungen betrifft: Warum soll ein unschuldiges Kind für ein Verbrechen seines Vaters bestraft werden dürfen? Noch dazu mit der Todesstrafe?)
Man muss schon sehr fanatisiert oder moralisch heruntergekommen sein, um „für Abtreibungen“ einzutreten sein und dieses Unrecht gar zum „Recht“ umetikettieren zu wollen. Man muss vor allem ohne Achtung und Liebe gegenüber dem Mitmenschen, in diesem Fall dem eigenen Kind sein. Die Befürworterinnen (beiderlei Geschlechts) behelfen sich meist damit, dass sie ihr Gewissen mit der Behauptung kalt stellen, was da heranwachse, sei ja noch gar kein Mensch.
Ja, was denn sonst? Die Ausdrücke „schwanger sein“ und „ein Kind bekommen“ sind synonym. Sobald eine Frau schwanger ist (und wenn sie nicht schwanger wäre, könnte sie nicht „abtreiben“), ist ein Kind unterwegs. Von der befruchteten Eizelle über die Einnistung derselben und dann die Monate der Schwangerschaft bis zur Geburt ist ein weiter Weg, auf dem manches schief gehen kann. (Auch ein natürlicher Abortus ist leider möglich.) Aber das rechtfertigt kein willkürliches Eingreifen, schon gar keine Tötung jenes lebendigen „Zellverbandes“, von dem absolut niemand genau und mit Gewissheit sagen kann, ab wann er, wenn nicht von Beginn an, denn nun ein „richtiger“ Mensch ist. Vernünftig, weil sachlich angemessen und ethisch verantwortungsbewusst, ist darum nur, schon die befruchtete Eizelle als Kind, als zwar noch unausgebildeten, aber doch um nichts weniger zu achtenden, ja zu liebenden Mitmenschen anzunehmen.
Zur Erinnerung: Lebenswertes von nicht lebenswertem Leben zu unterscheiden und letzteres folgerichtig zu vernichten, war eine Vorliebe der Nazis. Die waren zwar, was Arierinnen betraf, sehr fürs Kinderkriegen und darum gegen Verhütung und Abtreibungen, aber „Erbkranke“und die Kinder der „fremdrassigen“ massakrierten sie durchaus, geboren oder ungeboren, und gern deren Mütter und Väter noch dazu. Das ist die Traditionslinie von Eugenik, Euthanasie und eben auch Abtötung der Leibesfrucht, in die sich stellt, wer „noch kein Mensch, nur ein paar Zellen“ sagt, wenn von ungeborenen Kindern die Rede ist.
Keine Frage, es gibt reaktionäre Kräfte, die die Gegnerschaft zur Abtreibung für ihre scheußlichen Zwecke missbrauchen. Ebenso wie sie Religion missbrauchen. Ihnen geht es nicht um Menschenwürde und Menschenrechte, ihnen geht es um Familienideologie, Lebensstil, Segregation, Niederhalten der Armen und die Ausübung von Macht. (Wie sich in den USA zeigt, sind Politiker, die öffentlich für Abtreibungsverbote eintreten, oft Ehebrecher, die ihre Buhlinnen gegebenenfalls zur Abtreibung nötigen. Doch selbst wenn einer mal in dieser und ähnlicher Hinsicht keinen Dreck am Stecken hat, kann er trotzdem ein bösartiger Reaktionär sein.) Dass man aus den falschen Gründen gegen Abtreibung sein kann, ändert freilich nichts daran, dass es auch gute Gründe gibt.
„Hätt’ Maria abgetrieben …“ Hat sie aber nicht. Vielmehr empfing sie vom Heilgen Geist und brachte unseren Herrn und Erlöser zur Welt. Zugegeben, die Geschichte des Christentums ist voller Irrtümer und schwerer Sünden. Bis heute. Doch von den teuflischen Machenschaften der Menschen bleibt, wenn man es ernst nimmt, das Evangelium unberührt. Gott ist der Gott des Lebens, der auf der Seite der Schwachen und Benachteiligten steht ― und nicht der der Mächtigen und Benachteiligenden. Wer aber wäre schwächer, schutzloser, schutzbedürftiger als ein ungeborenes Kind?
Christ sein muss heißen, für die Würde, das Wohlergehen, das unbeschädigte Leben des Mitmenschen einzutreten. Ausbeutung, Zerstörung, Verblödung, kurzum: die herrschende Weltunordnung ist unvereinbar mit dem Evangelium. „Was ihr für den geringsten meiner Brüder getan habt …“ Wer also ein Kind töten lässt, geboren oder ungeboren, stellt sich gegen Gott. Und hat darum zu Recht nichts zu erwarten als die Hölle, die er (oder sie) anderen schon auf Erden bereitet hat.

Freitag, 6. Dezember 2024

Rede der beiden Blinden, denen die Augen geöffnet worden waren

Da wurden ihre Augen geöffnet. Jesus aber wies sie streng an: Nehmt euch in Acht! Niemand darf es erfahren. Doch sie gingen weg und erzählten von ihm in der ganzen Gegend. (Mt 9,30f)
 
Vergib uns, Herr, dass wir deine Anweisung missachtet haben. Aber wir waren blind, und du hast uns sehend gemacht! Wie hätten wir da unsere Freude nicht mit aller Welt teilen sollen? An uns war ein Wunder geschehen, und alle sollten wissen, wer es vollbracht hat, der Heilige Gottes. Du freilich wolltest keine Berühmtheit werden, kein Spektakel für die Massen. Du wolltest das Evangelium vom Reich Gottes verkünden und die Menschen zur Umkehr bewegen. Unsere Unbedachtheit hat, wie die Kunde von vielen anderen Zeichen, die du aus Barmherzigkeit an so vielen gewirkt hast, den Rummel um deine Person vermehrt und damit die Obrigkeit weiter gegen dich aufgebracht. Bereits deine Lehre war ihr verdächtig, aber dass so viele dich sehen. hören, vielleicht sogar berühren wollten, machte sie wütend. Damit wurde die Sache politisch. Das hattest du vorausgesehen. Du wusstest, dass man dich verfolgen würde, aber du hattest vorher noch so viel zu sagen, deinen Jüngern und allen Menschen. Schließlich ging die Sache übel aus und du wurdest hingerichtet. Die an dich glauben als an den Sohn Gottes, den Heiland und Erlöser, wissen, dass das nicht das Ende war. Und auch wir können bezeugen: Er hat sich unser erbarmt. Wir waren blind, und er hat uns sehend gemacht. Wer sonst hätte das vermocht als unser Herr und Gott?

Mittwoch, 4. Dezember 2024

Notiz zur Zeit (237)

Herzlichen Glückwunsch, lieber Südkoreanerinnen und Südkoreaner! Ihr wart unbeirrt, mutig und entschlossen ― und habt gesiegt. Endlich zeigt einmal eine Bevölkerung einem lächerlichen Möchtgerndiktator, dass sie nicht alles mit sich machen lässt. Ich weiß zwar nicht, wer von euch den Narren überhaupt gewählt hatte, aber das passiert euch kein zweites Mal, oder? (Im Unterschied zu den Yankees.)

Erfolg wünsche ich von Herzen auch den Georgierinnen und Georgiern. Ihr gehört zu Europa. Lasst Euch das nicht nehmen! Keine Konzessionen an Putin und seine Marionetten! Ihr habt schon ein paar Mal schlechte Regierungen abgeschüttelt. Daumen hoch!
 
À propos Georgien. Erinnert sich noch jemand daran, dass Russland georgisches Staatsgebiet militärisch besetzt hält? Ohne die mindesten Anstalten, irgendwann wieder abzuziehen. So viel zum Thema „Frieden mit Putin schließen“.

Dienstag, 3. Dezember 2024

An M.

Heute wäre dein sechzigster Geburtstag gewesen. Oder doch schon der einundsechzigste? Wie war das damals: Als wir einander begegneten, warst du zwei Jahre älter als ich, aber das war im Sommer, ein halbes Jahr später waren es dann alsp vielleicht schon gleichsam drei Jahre … Das kommt mir jetzt sehr wahrscheinlich vor.
Dein einundsechzigster Geburtstag wäre also heute. Wenn du nicht schon vor 36 Jahren gestorben wärst. An den Folgen eines von dir verursachten Autounfalls.
Am ersten Abend unserer ersten Begegnung, als wir nach einem universitätspolitischen Treffen von Philosophiestudierenden noch in kleiner Runde in einer Pizzeria saßen, fragtest du herum, wie die anderen denn ihr Studium finanzierten, ob die Eltern zahlten, ob jemand ein Stipendium habe oder wie jeder sein Geld verdiene. Und du erzähltest stolz, du habest jetzt deine Zulassung als Taxifahrer, dein Einkommen sei gesichert.
Anderthalb Jahre später bist du beim Taxifahren umgekommen. Ich habe dich nie als Autofahrer erlebt (nur einaml als Motorradfahrer gesehen), aber man erzählte mir später, du seist immer schnell und unvorsichtig gefahren. So hast du wohl auch den Unfall verursacht, der dich tötete, nach ein paar langen, für deine Angehörigen, Freunde und Bekannten sehr quälenden Tagen im Koma.
Mir wird heute noch ganz anders, wenn ich daran denke. Wir waren befreundet, vielleicht nicht sehr eng, aber wir besuchten gemeinsam Lehrveranstaltungen, politische Treffen, zwei Tutoriumsseminarien im Wald bei Scheibbs, leiteten gemeinsam eine Tutoriumsgruppe für Erstsemestrige, ich war bei dir in deiner WG und einige Male mit dir (und auch anderen) in der gemütlichen Einzimmerwohnung deiner Freundin, wir sprachen in Kaffeehäusern über Gott und die Welt, trieben ein bisschen Politik, lachten viel und kochten auch einmal gemeinsam Spaghetti mit Sugo bei mir zu Hause.
Vor allem aber war ich in dich verliebt. Du warst einfach zu charmant, gutaussehend, intelligent, humorvoll und quirlig. Einmal verglich ich dich mit einem schwarzen Eichhörnchen; schwarz wegen deiner Lockenpracht und deiner (wie vom gemeinsamen Duschen wusste) schwarzen Körperbehaarung. Elastisch und immer auf dem Sprung, vielseitig interessiert und dir Zug um Zug philosophische Grundlagen verschaffend ― wie hätte ich mich nicht in dich verlieben sollen? Irgendwann musste ich mir eingestehen: Ich liebe ihn.
Selbstverständlich erzählte ich dir nichts davon. Ich war damals nicht so weit, und vor allem hätte es nichts „gebracht“, du hattest ja eine Freundin (die ich gern mochte) und erzähltest immer wieder belustigt von den Anmachen, denen du als Taxifahrer ausgesetzt warst. Wobei es anscheinend nur Männer waren, die dir unanständige Angebote machten, obwohl du meines Wissens auch bei Frauen gut ankamst.
Dein Tod traf mich hart. Mich und viele andere. Es war unfassbar. Aus dem Leben gerissen, wie man so sagt. Und man sagte noch viel mehr. Ich ertrug es kaum. Als einige von denen, die mit dir studiert hatten, darunter auch ich, nach deinem Begräbnis noch im Kaffeehaus zusammensaßen, war viel davon die Rede, dass du in unseren Erinnerungen weiterleben würdest, dass es dich noch gebe, solange jemand an dich denke.
Scheiße, dachte ich mir da (sagte aber nichts), das ist mir verdammt noch mal zu wenig. Wie kann es sein, dass er tot ist und ich lebe? Wie soll ich das aushalten? Er sollte leben, was mit mir ist, ist demgegenüber gleichgültig. Er muss leben. Mir genügt nicht dieses lauwarme oder im Grunde kühl-selbstgefällige „in unserer Erinnerung“ Weiterleben, ich will, dass er wirklich und wahrhaftig weiterlebt, als er selbst, als Person, als Individuum, als der, den ich liebe und immer lieben werde, nicht als bloße Idee, als nachlassende Erinnerung, als undeutlich werdender Gedanke.
Und in der Folge begriff ich: Ich kann nicht anders, als an Gott zu glauben. Wenn du tot bist und doch leben sollst, dann muss es Gott geben, damit der Tod nicht das letzte Wort hat und das beruhigende Gerede auch nicht, der billige Trost derer, die einen Verlust dadurch auszuhalten versuchen, dass sie ihn behübschen.
Dein Tod war ein Einschnitt in mein Leben. Ich verlor einen Freund. Kein Gerede kann ihn mir wiedergeben oder mich über den Verlust hinwegtrösten. Nur einer kann mir versprechen, dass du lebst und in Ewigkeit leben wirst. Gott. Nur wenn Gott tatsächlich da ist und jeden Menschen liebt, gibt es einen Grund, nicht irr zu werden oder sich selbst auszulöschen.
Man mag das eine Schwäche nennen: an Gott glauben zu müssen, weil sonst alles sinnlos ist, weil dann der geliebte Freund nicht mehr existiert und das Leben unerträglich wäre. Wenn es denn eine Schwäche ist, dann ist es meine Schwäche für dich. Ich bin aber lieber schwach als treulos, lieber schwach und lächerlich, als dich preiszugeben.
Du selbst hast, glaube ich, nicht an Gott geglaubt. Zumindest hattest du so deine Zweifel, nehme ich an, so jedenfalls deute ich manches deiner Worte. Und mit deiner protestantischen Herkunft hattest du offensichtlich nichts im Sinn. Andererseits … Wir saßen auch Seite an Seite in einem katholisch-theologischen Hörsaal (und hörten einer philosophischen Vorlesung über Freud zu). Über Glauben und Gott haben wir aber nie geredet. Es kam nicht dazu. Wie auch immer. Vielleicht warst du Atheist oder Agnostiker oder ein Suchender oder einfach desinteressiert. Keine Ahnung. Das ist eine Sache zwischen euch beiden. Und inzwischen werdet ihr das geklärt haben.
Sechsundddreißig Jahre bist du tot. Anderthalb mal so lange, wie du gelebt hast. Ich fasse es nicht. Manches Mal bin ich an dein Grab gegangen, habe eine rote Rose auf die Steinplatte gelegt, war über mich selbst gerührt, über meine Treue, meine Rührung, meine nassen Augen. Das ist so unser Ritual, du kannst dich nicht dagegen wehren und siehst es mir hoffentlich nach. Viel kann in dem Grab nicht mehr von dir, deiner sterblichen Hülle, wie man so sagt, übrig sein. Ich habe immer wieder mal versucht, mir Verwesung und Verfall vorzustellen, um das Entsetzliche auszuhalten, aber ich denke an dich unweigerlich als an den hübschen jungen Mann voller Lebenslust, voller Phantasie, voller Zukunft. Das macht alles viel schlimmer. Wäre da nicht der Gedanke, dass du, auf eine Weise, die ich nicht verstehen muss, um an sie glauben zu können, lebst. ― Ich hoffe, dieser Text hätte dir gefallen. Und ich vertraue darauf, dass er dir gefällt.

Zwischendurch ein bisschen Rumänien

Zweifellos ist es höchst bedauerlich, dass so viele in Rumänien bei der Präsidentschaftswahl einem prorussischen Faschisten ihre Stimme gaben, aber diesen Georgescu zum „Wahlsieger“ zu erklären und im Brustton der journalistischen Überzeugtheit von den eigenen Phrasen erklären, er habe „die erste Runde für sich entschieden, ist etwas lächerlich. Der Mann konnte nur 22,9% der Stimmen auf sich vereinigen, unter Berücksichtigung der Wahlbeteiligung von 52,6% heißt das, dass knapp zwölf Prozent der Wahlberechtigten für Georgescu stimmten. Ein triumphaler Wahlsieg, gar ein „Erdrutsch“, sieht wohl doch etwas aus.
Aber wahrscheinlich würden die routinierten Demokratieberichterstatter auch von einem, der zwei Prozent der Stimmen bekommen hat, während auf 98 andere jeweils nur ein Prozent entfällt, umstandslos erklären, er habe die Wahl eindeutig für sich entschieden …
Ich weiß nicht, wie die Stichwahl am 8. Dezember ausgehen wird. Vielleicht gewinnt Georgescu, vielleicht nicht. Bei den zwischen den Präsidentschaftswahlgängen abgehaltenen Parlamentswahlen haben die Rechtextremen jedenfalls nicht einmal ein Drittel der gültigen Stimmen erreicht. Das ist unerfeulich viel. Aber doch für Panik viel zu wenig.
Mir ist schon klar, dass Journalisten lieber über spektakuläre Ereignisse (oder das, was sie so darstellen) fabulieren, als einfach regelmäßig über Rumänien und das Wohl und Wehe seiner Bevölkerung zu berichten. Das kitzelt die Aufmerksamkeit. Hintergründe, Zusammenhänge, Normalität sind langweilig und kommen darum in den deutschsprachigen Medien kaum vor. Nicht nur Rumänien betreffend, sondern eigentlich alle Weltgegenden, in denen nicht jetzt gerade etwas Verwertbares geschieht. Und außerdem ist man ja zu sehr damit beschäftigt, den (übrigens auch hemmungslos prorussischen) Rechtsextremen im eigenen Land viel Aufmerksamkeit zu schenken …

Sonntag, 1. Dezember 2024

Advent? Welcher Advent?

Ich bin es müde, jedes Jahr dasselbe zu schreiben: Ohne Weihnachten kein Advennt. Weihnachten aber als das Fest unseres Herrn und Erlösers ist ja bekanntlich abgeschafft zu Gunsten eines konsumterroristischen Sentimentalitätsspektakels mit Elfen, Rentieren, Glitzerramsch und nervigem Schmalzgedudel. Und darum ist der Advent folgerichtig längst durch eine ominöse Vorweihnachtszeit ersetzt worden, die im Sommer beginnt, wenn die ersten Lebkuchen in den Regalen auftauchen, und spätestens nach Halloween flächendeckend wird, wenn die omnipräsente Saisonal-Reklame völlig überschnappt. Kaufe, schenke, konsumiere. Euer Geld gehört in die Kassen der Konzerne und Einzelhändler. Berauscht euch am Sinnbefreiten und denkt ja nicht, ihr könntet euch mit Bethlehem und Kind in der Krippe herausreden.
Derartiges sage ich jedes Jahr, und selbstverständlich ändert sich nichts. Wie auch? Ich bin ein Prophet, auf den keiner hört.
Aber ihr werdet schon sehen. Advent, das heißt ja auch: Vorbereitung auf die Wiederkunft Christi, auf das Ende der Zeiten und das Letzte Gericht. Davon ist nichts zu merken, das darf nicht wahr sein und die sogenannten Kirchen (eine diffuse Bezeichnung für eine diffuse Sache) machen in der Hinsichta uch kein glaubwürdigs Angebot.
Man wird sich freuen, wenn einmal im Jahr die Kirchenbänke rappelvoll sind und die Kollekten scheppern. Was soll man die Leute mit Buße und anderen Kernpunkten des evangeliums belästigen, wenn sie sich doch mit inbrünstig geträllerten Weihnachtsliedern und Kerzenglanz zufrieden geben?
Ich sage nur (alle Jahre wieder): Das nimmt kein gutes Ende. Das scheint nur schön, weil es unwahr ist. Das müsste anders werden, wenn es vor Gott bestehen soll.
Gott? Welcher Gott?

Notiz zur Zeit (236)

Trump will einen von ihm begnadigten Ex-Knacki zum Botschafter in Paris ernennen. Hätte Macron auch nur ein bisschen Rückgrat (was er nicht hat), müsste er die Akkreditierung des Trump-Kumpans als Beleidigung der grande nation ablehnen.