Dienstag, 27. August 2024

Asyl nur für die Braven?

Die Leute hätten es gar zu gern immer eindeutig. Sie hätten gern ihr Schwarz schwarz und ihr Weiß weiß. Grau finden sie unverständlich und unerträglich. Obwohl sie einerseits immer dafür zu haben sind, dass es Gut und Böse so gar nicht gibt oder dass das Böse existieren muss, damit es Gutes gibt (was selbstverständlich Blödsinn ist), hätten sie es dann andererseits doch ganz gern, dass die Guten gut und die Böse böse sind. Und obwohl sie einerseits immer dafür zu haben sind, dass es gar keine Wahrheit gibt oder dass Wahrheit für jeden etwas anderes ist (was selbstverständlich Blödsinn ist), hätten sie es dann andererseits doch ganz gern, dass Wahres wahr und Unwahres unwahr ist. Je mehr sich die Leute in dem, was man fast ihr Denken nennen könnte, in Widersprüche verstricken, desto mehr sehen sie sich nach Widerspruchsfreiheit und eindeutigen Verhältnuissen.
Darum wollten so viele, fast alle, dass die Regierung und die von ihr bezahlten Wissenschaftler die Wahrheit sagten und alle, die das Gesagte kritisierten, in Frage stellten, unwissenschaftliche „Schwurbler“ waren, verrückte „Querdenker“, verhetzte Rechte, Reichsbürger, Nazis. Was dabei auf der Strecke blieb, war die Wahrheit. Denn wie spätestens seit den RKI-Protokollen (einem Skandal, der in de staatsfrommen Medien völlig verpuffte) jeder wissen kann, log die Regierung und ließ lügen. Und nicht nur diese Regierung mit diesen Wissenschaftsbeamten, sondern viele Regierungen mit vielen Gehilfen. Intelligente Menschen könnte das auf den Gedanken bringen (und viele hat es das schon seit langem), dass Wahrheitsansprüche mit Machtwillen verknüpft sind und dass weder die Herrschenden immer die Wahrheit sagen, noch dass deren Gegner, wie wenig man sie auch sonst mögen mag, immer lügen.
Was nun das Gute betrifft, das eindeutig sein soll, so schießen derzeit die den Vogel ab, die fordern, man müsse beim Gewähren von Asyl (und Duldung) doch bitte unterscheiden können zwischen guten „Demokratieaktivisten“ und bösen „Islamisten“.
Als ob jemand, der vor Verfolgung flieht, nicht beides sein kann: in seinem „Herkunftsland“ politisch verfolgt (und deshalb verfassungsgemäß Asylgenießer) und jemand, dessen politische Anschauungen man aus irgendwelchen gründen nicht teilt und sogar verwirft.
Im deutschen Grundgesetz ist die politische Verfolgung das Kriterium des Asylrechts, nicht die politische Gesinnung. Verfolgung ist mal mehr, mal weniger feststellbar, jedenfalls aber ein möglicher Gegenstand juristischer Befassung. Gesinnung hingegen ist das schwerlich. Zumal doch in beschränktem Umfang Meinungsfreiheit gilt, auch und gerade als Grundlage von Demokratie. Zum Glück also werden politische und erst recht religiöse Einstellungen nur selten zu Gegenständen juristischer Auseinandersetzung. Und wenn doch, hat das ausschließlich mit gerichtlicher Nüchternheit zu geschehen und keinesfalls mit journalistischer Willkür. Das wäre ja auch ein lustiges Schlachtfest, wenn irgendwelche inferioren Schreiberlinge darüber bestimmen dürften, was Demokratie ist und wer sich wirklich dafür einsetzt und wer nicht demokratisch genug gesinnt und wessen Verfolgung darum gleichgültig ist!
Man muss kein Demokratiefeind sein, um als Fakt feststellen zu können, dass es verschiedene Konzepte von Demokratie gibt. Und man muss kein „Islamist“ sein, um verstehen, dass es keinen unpolitischen Islam gibt ― so wenig wie irgendeine ernst zu nehmende Religion unpolitisch sein kann: sie legt Regeln fürs Leben fest, also auch fürs Zusammenleben. Man muss andererseits schon geistig sehr verengt sein, um nicht mitzubekommen, dass die eigene oder „die“ westliche Vorstellung von Demokratie nicht die einzig mögliche auf der Welt ist.
Und es kommt noch schlimmer. Es kann einer ein tatsächlich politisch Verfolgter sein und doch Straftaten begehen. Derlei kommt vor. Der Aufenthaltsstatus besagt nichts über Moral und praktizierte Rechtskonformität. Asyl ist keine Belohnung fürs Bravsein. Es ist auch nicht einzusehen, warum die für jeden Menschen geltenden Gesetze und die jedem zuzumutenden ethischen Normen für vor Verfolgung Schutz Suchende in erhöhtem Maße zu gelten hätten. Mensch ist Mensch, oder? Alle sind vor dem Gesetz gleich, oder? Was soll dann das dumme Gerede von „verwirkten“ Rechten? Wenn, wer eine Straftat begeht, „obwohl“ er doch hier geduldet ist, dadurch plötzlich rechtlos würde, dann hätte er auch keine Pflichten mehr und könnte erst recht tun und lassen, was er will … Aber so ist es eben nicht, weder der Beschuldigte noch der Angeklagte noch der Verurteilte hat keine Rechte mehr. Und zwischen Aufenthaltsstatus und rechtlichem Verhalten gibt es keinen begründenden oder eben unterminierenden Zusammenhang. Wer kriminelle Ausländer „abschieben“ will, müsste auch kriminelle Inländer deportieren lassen wollen, denn nach der deutschen Verfassung darf niemand wegen seiner Abstammung, seiner Heimat und Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden. Übrigens auch nicht wegen seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen.
Es bleibt dabei: Es gibt Menschen, denen von Gesetz wegen Gutes gewährt werden muss, die aber trotzdem Böses, gegen Gesetze Verstoßendes tun können. Und das eine hat mit dem anderen nicht das Geringste zu tun. Derselbe Mensch ist also, je nach dem Sehvermögen der ihn Betrachtenden einmal schwarz und einmal weiß, in Wahrheit jedoch wohl eher in Abstufungen hell- und dunkelgrau und bunt sowieso.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen