Sonntag, 11. August 2024

Gutes Deutsch aus der Maschine

„Gutes Deutsch in E-Mails, Präsentationen und Texten ist unerlässlich. Künstliche Intelligenz (KI) hilft dabei ― und bringt mit der richtigen Anweisung zusätzlich Eleganz und Präzision ein.“ Ich weiß nicht, wer diesen journalistischen Kurztext verfasst hat. Vielleicht niemand, sondern ein Etwas, ein Maschine mit einen Programm. Von Intelligenz, natürlicher oder „künstlicher“ zeugt daran jedenfalls nichts.
Wenn man die Behauptung einer „Unerlässichlichkeit“ von gutem Deutsch einmal so stehen und dabei Frage, was gutes Deutsch überhaupt ist, beiseite lässt. (Sowie die Frage, was mit „Texten“ gemeint ist, wenn e-mails und Präsentationen anscheinend keine sind.) Dann könnte man sich vielleicht gleichwohl darauf verständigen, dass die Fähigkeit, sich in einer Sprache nach anerkannten Regeln verständlich mitzuteilen, etwas Gutes und Erstrebenswertes ist. Wer diese Fähigkeit erworben und ausgestaltet hat, dürfte es im Umgang mit seinen Mitmenschen leichter haben, und es sollte auch seiner beruflichen Bewährung, sofern diese mit Sprechen und Schreiben zu tun hat, nützlich sein.
Wenn allerdings bei jemandem diese Fähigkeit arg unterentwickelt ist und er sich seine Texte von einer Maschine produzieren (der verbessern) lassen muss, um nicht als ungebildet dazustehen, dann steht er im Grunde sehr wohl als ungebildet da. „Ich kann nicht rechnen, ich lasse das eine Maschine machen“ oder „Ich weiß fast nichts, ich frage eine Maschine, wenn ich etwas wissen soll“ sind ja nun wirklich keine Sätze, die Vertrauen in die Befähigung etwa eines Mitarbeiters erwecken können. Dann könnte man ja gleich die Maschine (auch als Redakteur) anstellen …
Ebenso ist „Ich kann nicht gut reden oder schreiben, ich lasse das eine Maschine für mich erledigen“ ein geistiges Armutszeugnis, das noch dazu eine gewisse Unverschämtheit bezeugt, denn hier wird ja die Leistung anderer (der Programmierer) und das Funktionieren eines Dings als eigene Leistung ausgegeben.
Wie man hört, ist es freilich an Schulen und Universitäten längst üblich, dass auch und gerade zu benotende Texte nicht mehr von Schülern und Studierenden eigenständig verfasst werden, sondern durch die Nutzung „Künstlicher Intelligenz“ zu Stande kommen. Wäre es da nicht gerecht, wenn die Abschlusszeugnisse den Programmen ausgestellt und diesen auch die akademischen Titel verliehen würden?
Wer möchte denn, anderes Beispiel, von Ärzten behandelt werden, die keine zutreffende Diagnose mehr stellen und keine passende Therapie mehr vorschlagen können, sondern ganz auf die Erledigung ihres Kerngeschäfts durch Computer angewiesen sind? Anscheinend sehr viele, denn die diesbezüglichen Fortschritte in der Apparatemedizin werden allenthalben bejubelt. Menschen sind Fehlerquellen, agieren langsam und beschränkt, Maschinen hingegen arbeiten bekanntlich immer fehlerfrei, sie wissen und können alles, wenn man sie nur lässt. Wenn man dann noch beizeiten das Pflegepersonal durch Roboter ersetzt, kann die Dehumanisierung der Medizinals fast als abgeschlossen betrachtet werden, man müsste nur noch die menschlichen Patienten und Patientinnen loswerden. Was aber durch neoliberale Umstrukturierungen und die Kürzung von Sozialausgaben sowie die Förderung aktiver Sterbehilfe kein großes Problem sein dürfte.
Zurück zum Schreiben uns Sprechen. Es ist ja nun gewiss so, dass Sprache immer Sprache der anderen ist, die man sich nach und nach aneignen musste. Niemand hat die Sprache, wie sie ist, erfunden. (Und selbst Kunstsprachen setzen die Kentniss natürlicher Sprachen unerlässlicherweise voraus.) Kaum einer erfindet neue Wörter und fast keiner neue grammatische Strukturen. Allenfalls werden Wörter falsch verwendet und Regeln verletzt, und es gibt immer gute Chancen, dass solche Fehler, auch durch Mithilfe des Dudens zur Norm werden. Wer spricht und schreibt, verwendet in aller Regel das, was schon oft gesagt und geschrieben wurde, noch einmal, kombiniert es allenfalls im Rahmen des Erwartbaren neu, und Unerwartetes darf man höchstens von Humoristen und avancierten Schriftstellern erwarten.
Es besteht also einfach schon durch die Beschaffenheit der üblichen Sprache selbst, mit all ihren sich geradezu automatisch abspielenden Floskeln und Phrasen und idiomatischen Wendungen, durchaus die Möglichkeit, das Mechanische daran zu mechanisieren. Wenn zu einem Thema X regelmäßig die Sätze A, B, C mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorkommen und auf das Wort Y regelmäßig und wahrscheinlich das Wort Z folgt, dann kann das berechnet und reproduziert werden. Nicht, dass die Maschine jemals verstehen könnte, was sie da macht, sie versteht gar nichts, sie erzeugt einfach Simulationen von Texten, die niemand gemeint hat, sondern die nur das Äußerliche des Äußerns nachbilden und damit unweigerlich den Eindruck von Sinn und Verstand erzeugen.
Nur, wozu braucht man das? Will man im Ernst, dass die Mitteilungen, die man durch „ E-Mails, Präsentationen und Texten“ empfängt, vom Absender, Präsentierer oder ― ja was: Texter? gar nicht gemeint oder zumindest in ihrer konkreten Gestalt gar nicht beabsichtigt sind? Will man wirklich mit Maschinen kommunizieren?
Einen Menschen kann man dafür anerkennen, loben oder bewundern, dass er gekonnt mit Sprache umgeht, womöglich sogar elegant und präzise. Wenn er’s aber nicht kann und eine Maschine an seiner Stelle sein Können simuliert, dann, wie gesagt, ist er ein bedauernswerter Tropf, und das Lob gebührte eigentlich der Maschine, wenn diese nicht freilich einfach nur exekutierte, was sie muss, weil sie so und so programmiert ist und keine Wahl hat.
Wenn einer gut singen kann, ist das etwas Schönes. Wenn eine Maschine nach Vorschrift Töne erzeugt, ist das keine Kunst.
Das stört viele nicht. Im Gegenteil. Sie wären gewiss auch gern bereit, ihr schlechtes Deutsch durch das gute aus dem Computer ersetzen zu lassen. Rechtschreibprogramme nutzt man ja auch (wie viel Blödsinn die unweigerlich in die Welt setzen, ist anscheinend ein anderes Thema). Warum also nicht auch automatisierte Korrekturen an Wortwahl, Satzbau und Phraseologie vornehmen lassen? Nur altmodische Menschen wie ich finden das peinlich. Reden von Entfremdung und Verdinglichung. Aber solche althumanistischen Technophobiker fürchten sich ja bloß davor, dass im nächsten und letzten Schritt nach dem Rechnen, Reden und Schreiben auch das Denken von Maschinen übernommen werden wird. Dabei ist das doch zur Durchsetzung von allgemeiner Harmonie und Zufriedenheit unerlässlich.

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