Sonntag, 29. Juni 2025

Wenn das Literatur ist

Wenn man (wie ich) manchmal so durch die Tefaukanäle schaltet, gerät man in diesen Tagen womöglich in eine Übertragung des Klagenfurter „Wettlesens“. Zweimal saß da in meinem Bildschirm eine gelangweilte junge Frau (es war wohl nicht dieselbe, aber die gleiche), die im Tonfall einer schlecht gelaunten Schülerin, die ihre Schlaftabletten schon genommen hat, einen Text herunterleierte, an den sie offensichtlich selbst nicht glaubte. Wenn das Literatur ist, bin ich dagegen. (Ja, mein Eindruck ist zufällig, subjektiv und hoffentlich nicht repräsentativ. Aber er bestätigt so schön meine Vorurteile.)
 
Nachtrag.
Es hat also mittlerweile irgendsoeine Lese-Else den Dingsbums-Preis gewonnen. So ist es recht. Natascha Irgendwer. Kenn ich nicht. In Ösiland heißen bekanntlich alle jungen jungen Frauen Natascha. Vorn. Und hinten Pimplović oder Pumplhofer. Oder auch Pumplhofer-Pimplović. Oder so. Egal. Ich kenne nichts von der. Ganz sicher schreibt sie ganz großartige Sachen. Ist überhaupt ein sehr guter Mensch und nur durch falsche Freunde in den Literaturbetrieb geraten. Den verabscheue ich bekanntlich, aber Frau Pimplović oder Pumplhofer wünsche ich alles Gute für ihren weiteren Lebensweg.

Donnerstag, 26. Juni 2025

Übrigens (3)

Ich bin, wie ich bin. Ich hätte es schlechter treffen können. Aber auch besser. Viel besser.

Dienstag, 24. Juni 2025

Zwei Meldungen zum Stand des realexistierenden Kapitalismus in der BRD

Bundesagrarminister Alois Rainer hat sich in einem Zeitungsinterview offen für die Forderung von Bauernpräsident Joachim Rukwied gezeigt, den Mindestlohn für Saisonarbeiter zu kürzen. (…) Die Bundesregierung stehe grundsätzlich zum Mindestlohn, aber er nehme die Sorgen der Obst- und Gemüsebauern sehr ernst, sagte der CSU-Politiker. (…) Im Koalitionsvertrag sei außerdem vereinbart, kurzfristige Beschäftigung auf 90 Tage auszuweiten. So könnten nicht berufsmäßig tätige Saisonarbeitskräfte länger sozialversicherungsfrei beschäftigt werden. (…) Der Bauernverband hatte gestern Ausnahmen vom Mindestlohn für Saisonarbeitskräfte gefordert. „Wir schlagen vor, dass sie 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns erhalten“, sagte Bauernpräsident Rukwied der Rheinischen Post. Er argumentierte, Saisonarbeitskräfte hätten ihren Lebensmittelpunkt „schließlich nicht in Deutschland“. (tagesschau.de)

Rund 3.900 Superreiche in Deutschland besitzen nach Berechnungen der Unternehmensberatung BCG mehr als ein Viertel des gesamten Finanzvermögens im Lande – insgesamt knapp drei Billionen Dollar. „Superreiche“ beziehungsweise (…) sind demnach Menschen mit mehr als 100 Millionen Dollar Finanzvermögen. Dank der Kursgewinne des vergangenen Jahres an den internationalen Aktienmärkten hat sich laut BCG-Berechnung die Zahl der hiesigen Superreichen um 500 erhöht, deren Vermögen um 16 Prozent vermehrt. (…) 2024 war laut BCG generell ein sehr gutes Jahr für Reiche, nicht nur für die extrem Wohlhabenden an der Spitze: Die Zahl der Dollarmillionäre in Deutschland ist demnach um 65.000 auf 678.000 gestiegen. (br.de)

Montag, 23. Juni 2025

Notiz zur Zeit (253)

Die USA haben Russland bombardiert. Ein schwerer Schlag gegen die Herstellung und Lagerung von Raketen, Drohnen und anderen Rüstungsgütern ist gelungen. Der russische Krieg gegen die Ukraine dürfte bald zu Ende sein.

Ach nein, ich habe mich geirrt. Die USA haben den Iran bombardiert. Ein Land, das (im Unterschied etwa zu Israel) seine Nachbarn nicht anzugreifen pflegt. Das dürfte die Gewalt in der Region und weltweit anheizen.

Halten wir zwei Dinge fest: 1. Der Iran hat keine Atomwaffen. Er will keine Atomwaffen (sagt er). Und er darf keine Atomwaffen haben (gemäß einer Fatwa von Republikgründer Ayatollah Chomeini). 2. Israel hat Atomwaffen.

Infantilpazifismus

In Mitteleuropa ist, scheint mir, eine Haltung weit verbreitet, die weniger eine solche als eine vielmehr bloße Gewohnheit ist. Weil man, seit man sich erinnern kann, anders als Millionen Menschen in der Welt (einschließlich der Nachbarn in Osteuropa, Südosteuropa usw.) von keinem Krieg mehr unmittelbar betroffen war ― wie schön weg war Vietnam oder Ruanda oder Libyen usw. ―, möchte man Krieg für etwas halten, mit dem an nichts zu tun haben möchte. Man lebt in einer mentalen und politisch-ökonomischem Komfortzone, einer Friedensblase, und jede Erinnerung daran, dass die Blase platzen und die Komfortzone zum Kampfgebiet werden könnte, wird empört zurückgewiesen.
Vokabeln wie „Aufrüstung“ und „Kriegstüchtigkeit“ lösen Schnappatmung aus. Dass die BRD sich sündteure Streitkräfte leistet, nimmt man irgendwie hin, dass diese weitgehend nicht einsatzfähig (eben verteidigungsbereit, kriegstüchtig) sind, hält man für kein Problem. Braucht man eh nicht. Kommt eh kein Krieg. Bloß nichts ins Militär investieren. Nützt nur den Rüstungskonzernen.
Der Denkfehler: Der Krieg ist nicht weit weg, er ist schon da. Dass in in ihm keine deutschen Soldaten und Soldatinnen, keine deutschen Zivilistinnen und Zivilisten sterben, bedeutet nicht, dass er nicht längst auch gegen die BRD geführt wird: etwa als Cyberkrieg. Oder als Propagandakrieg (wie das kriegsverbrecherische „Manifest“ der Ekel-Sozis so schön demonstriert).
Dass andere derzeit die Last des Krieges tragen, indem sie sterben und verwundet werden, indem sie ihrer Angehörigen beraubt und von Raketen und Drohnen terrorisiert werden, indem ihr Hab und Gut zerstört wird ― das empfinden viele in Mitteleuropa, die von ihrer Mitverantwortung für Krieg und Frieden nichts wissen wollen, bloß als lästig, sie nehmen ihre moralische Verpflichtung nicht ernst, dass gegen den Krieg zu sein, wenn dieser bereits stattfindet, nur bedeuten kann, ihn mit allen möglichen Mitteln zu führen und zu beenden. Man mag von „diplomatischen“ Mitteln träumen, Tatsache ist, dass alles Verhandeln und Beschwören bisher weder etwas genützt hat (und mit Sicherheit nichts nützen wird), sodass offensichtliche nur militärische Mittel Frieden schaffen können.
Wer also meint, in einer Demokratie zu leben, müsste sich öffentlich so äußern und müsste so wählen, dass sein Staat merkbar aufrüstet, die Angegriffenen wirkungsvoll unterstützt und in geeigneter Weise in den Krieg eingreift.
(Putin hat ausdrücklich dem Westen den Krieg erklärt. Angegriffen hat er die Ukraine. Wie zuvor auch Georgien usw. Hätte er Italien angegriffen, hätte der Westen militärisch reagiert. Haben die Ukrainerinnen und Ukrainer weniger Recht auf Leben als Italiener und Italienerinnen? Sind sie bloß Angehörige eines minderwertige Ostvolkes? Ist es das, was die sagen wollen, die meinen, man müsse die Konfrontation, die bereits stattfindet, unbedingt vermeiden und dürfe nicht „eskalieren“? Sterben nicht genug Menschen in diesem Krieg, ist es das? Müssten mehr sterben, damit der Westen massiv eingriffe?)
Die Realität zu leugnen und in einer Phantasiewelt zu leben, ist unverantwortlich. Sicher, man kann aus grundsätzlichen Erwägungen gegen jegliche Gewalt sein, auch wenn einen selbst und andere das Freiheit und Leben kostet. Das ist eine mögliche Haltung. Wer sie einnimmt, müsste sich allerdings eigentlich dem Staat verweigern, dessen Gewaltmonopol der fundamentalpazifistischen Haltung ja widerspricht, dürfte keine Steuern zahlen (auch keine indirekten), weil damit ja auch Gewalt finanziert wird, dürfte an Wahlen nicht teil- und keinerlei staatliche Leistungen annehmen. Wer tut das schon? ― Es gab da ein paar russische Sektierer, die vom Zaren blutig verfolgt wurden, aber auch wenn noch irgendwo in Kanada ein paar ihrer Nachfahren lebten, eine nennenswerten Einfluss auf das Weltgeschehen scheinen sie nicht auszuüben.
Gewohnheit (statt Haltung), Komfortzone, Blase: Wer sich der ethischen und, wenn er den Staat grundsätzlich bejaht, demokratischen Verantwortung verweigert, indem er auf alles Militärische der eigenen Seite allergisch reagiert und das militärische Agieren der anderen Seite sehenden Auges ignoriert oder wie ein Naturereignis hinnimmt, den kann man mit Fug und Recht infantil nennen. Es ist kindisch, das Schreckliche und Verbrecherische nicht wahr haben zu wollen ― und Krieg ist ein schreckliches Verbrechen! ― und das, was dagegen hülfe, abzulehnen.

Herr Piosga bei Frau Mistorius, zum Beispiel

Wenn die Leute sich aufregen, was der und der Politiker (m/w/d) bei der und der Journalistin (m/w/d) mal wieder Arges gesagt hat, frage ich mich: Warum schauen die das überhaupt? Wer noch eine ausreichende Anzahl von Tassen im Schrank hat, weiß doch im Voraus, wer in solchen Quatschsendungen welche Meinung verkünden wird. So wird dort gefragt, so wird dort geantwortet: Dass nichts dabei herauskommt als das Erwartbare. Wenn doch einmal einem Befragten eine prägnante Formulierung unterläuft oder gar, hurra eine verräterische, hat auch das eine Funktion: Nun kann man sich aufregen, dass der das gesagt hat. Oder es befürworten und verteidigen. Nach Belieben.
Mir scheint, die Aufregerei nach solchen Sendungen, ist die Ware, die dem Zuschauer (der Zuschauerin) verkauft werden soll. Schaut her, hier werdet ihr nicht informiert und könnt außerdem eure Affekte in dieses Simulationsszenario investieren.
Dass solche Sendungen weder an Wahrheit noch an Wirklichkeit sonderlich interessiert sind, steht für mich seit langem fest. Darum schaue ich sie nicht.
Wenn ich mich über etwas aufregen wollte, dann darüber, das andere derlei Ablenkungstefau schauen, statt sich richtig zu informieren und ihre Affekte in Kritik zu investieren. Selbst wenn sie in der derselben Zeit bloß gerade so viel über sich selbst nachdächten wie ich über sie, wäre schon etwas, wenn auch sehr wenig, zur Verbesserung der Welt getan.

Donnerstag, 19. Juni 2025

Heteronomes Fahren

Ich bin ja ein bisschen dumm. Darum verstehe ich zwei Dinge überhaupt nicht.
Erstens: Warum heißt es „autonomes“ Fahren, wenn doch der Mensch, der im Fahrzeug sitzt, keine Entscheidungen mehr zu treffen braucht (und vielleicht auch nicht mehr kann)? Soll das etwa heißen, das Ding ist „autonom“? Eine Maschine, also ein unpersönliches Etwas ohne Willen, ohne Bewusstsein und ohne Moral, demnach ohne die Fähigkeit, sich selbständig Ziele zu setzen und zwischen Gut und Böse zu unterschieden, soll „autonom“ sein? Was ist das für ein Begriff von Autonomie? Wäre im Hinblick auf den Menschen, der seiner Autonomie beraubt wird (wenn er sie nicht freiwillig hergibt), nicht besser von heteronomem Fahren die Rede?
Und zweitens: Wozu braucht man den Scheiß?
Wahrscheinlich bin ich von all der Gesellschaftskritik, mit der ich seit Jahrzehnten befasst bin, bis ins Mark verdorben, aber mir drängt sich der Verdacht auf, hier gehe es um Entmündigung. Wie schon bei so viel anderem „Spielzeug“, das angeblich nicht mehr wegzudenken ist und tatsächlich als weitgehend fest verschraubt mit geschäftlichen Notwendigkeiten und soziokulturellen Üblichkeiten gelten muss. Wer kann heutzutage, im aktuellen Zustand der technoiden Verzivilisiertheit, noch ohne Schaden und ohne Bedrängnis ganz ohne Smartphon leben? Wer morgen ohne Smartwatch? Und wer weiß, was übermorgen der heiße Scheiß sein wird. Hirnimplantate?
Läuft es beim fremdbestimmten Fahren nicht darauf hinaus: Deine Maschine wird dir sagen, wo du hinwillst und wie du am besten hinkommst. Du hast für die Maschine bezahlt, aber gebaut und programmiert haben sie andere, und die haben auch dauerhaft Zugriff auf das Ding. Diese anderen sind übrigens profitgeile Konzerne, die noch nie etwas Gutes für dich getan haben und nur daran interessiert sind, dich zu benützen. Sie wollen Geld machen mit dir und dich beherrschen. Punkt.
Und dass ist das ist das Dritte, das ich nicht verstehe: Warum die Leute wie verrückt in jede neue Konsumfalle rennen, wo doch die Nachteile des Zeugs vorhersehbar sind und die Vorteile hauptsächlich solche für die Ausbeuter?

Glosse CXXXVII

Nein, es heißt nicht selektieren (oder gar „selektionieren“), sondern selegieren, wie es ja auch nicht „fiktieren“ heißt (oder gar „fiktionieren“), sondern fingieren.

Mittwoch, 18. Juni 2025

Übrigens (2)

Ich habe nie gesagt, ich könnte das auch. (Einen Beststeller schreiben.) Ich sagte, ich könnte das auch, wenn ich wollte. Wohl wissend, dass ich das niemals wollen würde.

Übrigens (1)

Ich schaue fast täglich die Nachrichten, um zu wissen, was ich glauben soll, was nicht passiert ist.

Notiz zur Zeit (252)

Merz sagt, Israel erledige mit seinem Krieg gegen den Iran die „Drecksarbeit“ für den Westen. Wie nennt man noch mal Leute, die Auftragskiller beauftragen?

Trump ähnelt von Charakter und Gehabe einem miesen kleinen Gangsterboss; was ihn davon unterscheidet, ist, dass keine Bande von Kriminellen einen so dummen und unfähigen Anführer lange akzeptieren würde.

Wohnungsbau-Turbo: Weniger Qualität beim Bauen (und also Wohnen) und weniger Klimaschutz. Eine ganz großartige Idee.


Montag, 16. Juni 2025

Leute (33)

X. macht es sich einfach. Wenn andere in Zeiten zugespitzter politischer Konflikte, wie er es nennt, „totale Mobilmachung auf dem Feld bedingungsloser Parteinahmen“ betreiben, zitiert er „Die Feinde unserer Feinde sind auch unsere Feinde“ und setzt hinzu: „Geschichte ist, wenn schlimme Leute schlimme Leute abschlachten.“ Wenn es doch nur so einfach wäre! Wenn nicht auch, und zwar überwiegend, ganz und gar nicht schlimme Leute von schlimmen Leuten abgeschlachtet würden. Wenn es nicht Lagen gäbe, wo man sich mit anderen Teufeln gut stellen muss, um Beelzebub auszutreiben. Und was die Parteinahme betrifft: Es wäre unanständig und unheilvoll, nicht für das Recht gegen das Unrecht Partei zu ergreifen. Ich weiß schon, alle behaupten immer, sie seien im Recht. Es gibt aber doch auch das Offensichtliche. Beispielsweise: Wer abschlachtet ist im Unrecht, wer abgeschlachtet wird, dessen Recht wird verletzt. So einfach ist es wirklich.


Sonntag, 15. Juni 2025

Unterwegs (25)

Es war nicht schön, zufällig an dem Tag die Stadt vom einen zum anderen Ende und später wieder zurück zu durchqueren, an dem Splittergrüppchen und Einzelkämpfer (vielerlei Geschlechts) der Buchstabensternchen-Herde, mit diversen Exemplaren ihrer Stammesflagge bewaffnet, die Verkehrsmittel besiedelten. Vermutlich unterwegs zu Großen Stolz-Parade. Was für eine lächerliche Freakshow! So mögen die Heteros ihre Abartigen: bunt, peinlich, harmlos. Freilich, wer mit Kostüm und Schminke bezeugen muss, das er (sie, es) anders ist, ist es wohl in Wahrheit gar nicht so sehr. Heteronormativität in Tütü und Maske. Und was ist überhaupt aus den hübschen jungen Schwulen geworden, die es doch früher gab? Haben die Lesben, Trans, Nonbinären und Quiiieeeren die alle gefressen?

Unterwegs (24)

Ein beißend hässlicher alter Mann verstellt samt Koffer und Begleitung und deren Koffer am Bahnsteig den Fahrplanaushang. Als ich höflich, aber bestimmt darauf hinweise, dass ich, um Unterschied zu ihm, den Aushang gerne nutzen möchte, wird der Alte fuchtig, trollt sich dann aber. Eine unangenehmbe Begegnung. Hässlichkeit, Rücksichtslosigket und Feindseligkeit gegen die, die berechtigterweise gegen Fehlverhalten Einspruch erheben: Ich kann mir nicht helfen, aber ich vermute, es in diesem Fall einmal mehr mit einem Israeli zu tun gehabt zu haben.

Dienstag, 10. Juni 2025

Protest, Gewalt, Staat, Kapitalismus

Oh weh, die demonstrieren ja gar nicht friedlich. Na, da muss der Staat natürlich eingreifen. Um uns alle zu schützen.
Des braven, demokratischen Bürgers Herz rutscht in die Hose, wenn er von Gewaltausbrüchen hört, wo alles friedlich und zivilisiert zugehen sollte. Die gewöhnliche Vorstellung ist die: Es gibt ein Grundrecht auf Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit und zusammen ergeben sie das Recht auf Protest in der Öffentlichkeit. Wenn es friedlich zugeht. Wenn aber Polizisten (und Militärs) attackiert werden, Geschäft geplündert, Barrikaden errichtet und Autos und andere Wertgegenstände angezündet werden, dann ist der Spaß vorbei und der Ernst des Lebens muss wieder zuschlagen. Selber schuld, warum haben diese Leute (mit denen man nichts zu tun hat und haben will) nicht öediglich friedlich demonstriert, sondern sich für Gewalt und Zerstörung entschieden, das ist gegen das Gesetz und spielt nur denen in die Hände, die die Proteste unterdrücken wollen, was sie jetzt selbstverständlich müsse, mit Gewalt, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen.
Darin steckt ein Denkfehler, der so offensichtlich und grundlegend ist, dass er tatsächlich den Angelpunkt der Argumentation ausmacht: Warum sollten die, gegen deren Untaten protestiert wird, festlegen dürfen, in welcher Form das getan werden darf und in welcher nicht. Es ist vernünftig, darüber zu diskutieren, welche Protestformen vernünftig sind und welche Folgen sie haben. Aber den Staat und seine Gesetze vorschreiben zu lassen, wer wie wann wo gegen das staatliche Verbrechertum auftreten darf, ist absurd.
Nun kommt gewiss sofort der Protest: Aber der Staat, das sind doch wir alle, und Gesetze braucht es für ein friedliches und gewaltfreies Zusammenleben, ohne Vorschriften herrschte Anarchie!
Erstens: Anarchie (Herrschaftslosgkeit) herrscht nicht. Gemeint ist Durcheinander,. Zweitens: Anarchie ist nicht Unordnung, sondern vernünftig geordnetes Zusammenleben auf der Grundlage der Zustimmung und Mitwirkung jedes Einzelnen. Also genau das, was Frieden und Gewaltlosigkeit garantiert, im Unterschied zum System der Nationalstaaten und multinationalen Imperien, die innen und außen Kriege führen und äußerst destruktiv und unordentlich sind. Und drittens: Selbstverständlich kommt zunächst nichts Gutes dabei heraus, wenn systematisch-institutionelle Gewalt mit spontaner und privater Gewalt beantwortet wird. Wenn, anders gesagt, irgendwelche Protestgruppen sich aufführen, als wären sie jetzt mal kurz ein bisschen an der Macht und dürften nach Belieben (also hasserfüllt und ressentimentgeladen) über Menschen und Dinge verfügen.
Es ist aber doch so: Die Gewalt geht von den Verhältnissen aus. Was auch immer da und dort irgendwelche Protestierende gelegentlich an kriminellen Akten begehen, ist Reaktion darauf und nichts im Vergleich zu dem, was Staat und Wirtschaftsordnung den Leuten andauernd antun. Es sind nicht irgendwelche Demonstranten, gewalttätig oder nicht, die für all die Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen, für Umweltzerstörung und Unterdrückung, für Armut und Konsumwahn, für Verdummung und Unterhaltungsmüll verantwortlich sind, die es auf der Welt gibt. Verantwortlich ist die Weltwirtschaftsordnung, die von den Nationalstaaten geschützt wird. Während die Reichen weltweit nachweislich immer reicher werden, bleiben die Armen arm und alle dazwischen müssen Wohlverhalten an den Tag legen, wenn sie ein bisschen Wohlstand für sich abzweigen und nicht in die Mittellosigkeit abrutschen wollen.
Es geht übrigens nicht darum, dass halt die Reichen ein bisschen von ihrem Reichtum abgeben sollen, um die Armen ein bisschen weniger arm zu machen. Es geht darum, dass der real existierende Reichtum ungerechtfertigt ist, dass er auf Raub beruht (Privat-Eigentum) und auf Entrechtung. Diese Art von privatisierten, unproduktivem Reichtum gäbe es nicht, wenn nicht den Vielen etwas weggenommen würde und den Wenigen gegeben. Reich wird ja nicht, wer hart, schwer und viel dafür arbeitet, das ist eine Lüge; reich ist vielmehr und immer reicher wird, wer Reichtum geerbt oder innerhalb eine ihn begünstigenden Systems erschwindelt und erpresst hat.
Die meisten Menschen haben sich ― regional und global ― mit dieser Lage abgefunden. Auch die, die nicht von ihr profitieren und nie von ihr profitieren werden. Es gibt eben Reiche und Arme und irgendwas Dazwischen. Die meisten Menschen wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden und ihr Leben leben. Einige möchten außerdem gern den Umstand, dass es reiche und arme Länder gibt, insofern für sich nutzen, dass sie aus ihrer armen Heimat in reiche Länder migrieren, um dort hart zu arbeiten und zu etwas zu kommen, was ihnen dort, wo sie herkommen, verwehrt wird: ein erträgliches Auskommen. Ihre Migration ist einerseits ein Beitrag zum Wohlstand der Reichen, insbesondere wenn sie „illegal“ ins Land kommen und wie rechtlose Sklaven behandelt werden können. Wobei „Illegalität“ keine Naturgegebenheit ist, sondern vom Staat nach Gutdünken festgelegt wird. Andererseits eine gute Gelegenheit, die Abstiegsängste und die Fremdenfeindlichkeit der eigenen Mittelschichten zu mobilisieren und gegen Schwächere zu kanalisieren. Das funktioniert meistens. Nur selten bildet sich dagegen Widerstand.
Die Unruhen in Los Angeles kamen zu Stande, weil unter der faschistischen Regierung der USA die „Einwanderungsbehörde“ (in Wahrheit eine Einwanderungsverhinderungsbehörde, eine Deportationsbehörde) brutal, zum Teil gesetzwidrig und jedenfalls unmenschlich Jagd auf vermeintliche „Illegale“ machte. Dagegen bildete sich sehr wohl Widerstand. Verfolgte, deren Angehörige und besorgte Bürger gingen auf die Straße, um gegen Unrecht und Grausamkeit zu protestieren. Das demokratische und gewaltfreie Demonstrieren ließ sich die Behörde aber nicht gefallen und ging gewaltsam dagegen vor. Die Regierungszentrale eskalierte. Das war eine gern genutzte Gelegenheit für manche, ihre Wut auf ein repressives, diskriminierendes und ausbeuterisches System und ihre beschissenen Lebensverhältnisse durch Randalieren und Vandalieren auszudrücken. Damit bekamen die Anbeter der Staatsgewalt erst recht die Bilder, die sie haben wollten. Und die Gewaltschraube bekam ein paar Drehungen mehr.
Die Protestierer von Los Angeles oder anderswo LA sind keine Aufständischen. Ihr Protest ändert auch nichts an den Verhältnissen, er ist nur eine Bekundung von Anstand und Verzweiflung. Was inmitten einer gleichgültigen und in weiten Teilen bösartigen Gesellschaft schon sehr viel ist.
Friedlicher Protest beruft sich heutzutage in den USA auf Recht und Gesetz, in einer historischen Situation, in der nicht Recht und Gesetz von der Regierung missachtet. Das ist einerseits ein sinnvolles Mittel, die demokratische Usurpation des Staates durch undemokratische Kräfte zurückzuweisen, andererseits völlig untauglich, um die Zurückweisung wirkungsvoll zu machen. Die Faschisten hören nicht auf Stimmen der Vernunft, Logik, Moral usw. Sie sprechen nur die Sprache der Gewalt (nebst all ihren Lügen) und vermutlich kann nur Gewalt sie stoppen. Wie soll eine moralisch, kulturell, religiös völlig verwahrloste und verderbte Gesellschaft, in der die Hälfte der Leute einem debilen Clown mit tyrannischen Gelüsten anhängt, anders als durch einen Bürgerkrieg sich aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit, ihrem Konsumismus, ihrem Hedonismus, ihrer geistigen Leere herausarbeiten?
Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede hier nicht der Gewalt das Wort und auch nicht irgendeiner Straftat. Ich rede vielmehr der Abschaffung des Staates das Wort und der Abschaffung des Kapitalismus. Ich befürworte gewaltfreie Lösungen, weil die Mittel dem Ziel entsprechen müssen. Blutige Umstürze etablieren neue blutige Regimes, weiter nichts.
Aber ich sehe nicht, wo in den USA eine wirksame Gewaltfreiheit herkommen soll, die sich von Stillhalten und Wegschauen anders als bloß durch Gesänge, selbstbeschriftete Kartons und Internet-Memes unterscheidet. Der Staat und die, die sich seiner bedienen können, sind jederzeit nicht nur gewaltbereit, sondern setzen längst Gewalt ein. Derzeit wieder mit besonderem Nachdruck. Dass das dumm ist ― weil eine Masse von Unterdückten unproduktiver und nach außen gefährdeter ist als ein Gemeinwesen freier Bürger mit gesicherten Rechten ―, steht außer Frage, heißt aber nicht, dass es nicht durchgesetzt wird. Was soll dazu die Alternative sein? Wahlen? Eine Wahl hat den widerwärtigen Narren zweimal ins Amt gehoben. Wer soll die, die die Macht dazu haben, daran hindern, durch Aushebelung der Verfassung ein drittes Mal zu inszenieren ― ein Gericht? hahaha … ― oder irgendeine andere völlig unmögliche Galionsfigur einzusetzen? Einsicht, Gewissen, Anstand und die Einhaltung von Spielregeln scheiden also aus. Nochmals: Was ist die Alternative zum Quasifaschismus, der Faschismus zu werden droht?
Ich weiß es nicht.
Der Zustand des Systems ist grauenhaft. Aber vor allem ist das System selbstgrauenhaft. Der Form nach Demokratie, dem Inhalt nach Ausbeutung und Verblödung und Zerstörung der Lebensgrundlagen aller. Bevor das nicht von allen, die aktiv gegen Missstände vorgehen wollen, begriffen wird, sehe ich kaum eine Chance, wie die Missstände beseitigt werden sollen, besonders nicht der eine Missstand, der die Ursache der anderen ist: die Herrschaft von Menschen über Menschen.
Bilder von bespuckten und beworfenen Bütteln und brennende Fahrzeugen mögen rebellische Herzen höher schlagen lassen. Sie illustrieren allerdings nur die Machtlosigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Staat, der aller seiner Untertanen Feind ist und der „wir“ nicht sind und besser auch keinesfalls sein wollen sollten. 

Montag, 9. Juni 2025

Leute (32)

Jemand, den ich nicht kenne, war in Neapel, und man sagt mir, die Person sei mit der Nachricht zurückgekommen, die Stadt sei schmutzig. Das ärgert mich. Schmutzig, laut, arm, chaotisch usw.,  all diese Klischees, die vermutlich ebenso wahr wie bedeutungslos sind, kennt man die nicht schon, bevor man hinreist? Wozu Neapel besuchen, wenn man sich nicht für die Stadt interessiert? Wenn man nichts über sie weiß und offenschtlich nicht mehr wissen will, als ein Tourist eben beim durchtrampel einer Stadt an Nebensächlichem mitbekommt und missversteht. Ich ärgere mich also nicht darüber, dass Neapel verleumdet würde, denn ich halte mich dank Malaparte, Bellavista e tutti quanti für einigermaßen zum Mitwisser gemacht. Ich ärgere mich vielmehr darüber, dass andere dorthin reisen, die ignorant und borniert sind, die es nicht verdient hanen, ja völlig unwürdig sind, die Wirklichkeit dieser Stadt zu erfahren, während mir, der ich so gebildet und aufnahmefähig bin, auf absehabre Zeit und vielleicht für immer die Mittel fehlen werden, nach Neapel zu reisen. Was für ein Unrecht!

Sonntag, 8. Juni 2025

Notiz über Literatur

Wenn einer schriebe, Kalkutta liege an der Seine und Paris am Ganges, dann ist das völlig in Ordnung, es stellt sich allenfalls die Frage: In welcher? In der einen Ordnung und in einer anderen nicht. Die Entscheidung, welche er wählt oder ob er gar Unordnung vorzieht, wird man dem Schreibenden überlassen müssen, es ist ja sein Text, in dem das steht. Warum sollte denn Geographie, wie sie herkömmlicherweise gelehrt wird, der Maßstab der Literatur sein? Warum sollte nicht, wer kann und will, eine alternative Geographie behaupten dürfen? Man nennt das Fiktion und sollte es von der Faktenhuberei unterscheiden, die manche zur Kunst erheben wollten. Das möglichst akribisch Nachbeten einer vermeintlichen Realität (Regnete es am Tag der Schlacht von Waterloo? Von wann bis wann und wie viel? Was hatte Napoleon gefrühstückt? Musste er noch aufs Klo?) ist nicht an sich sinnvoll, es müsste, wie alles Geschriebene es muss, seine Sinnhaftigkeit im Zusammenhang der sprachlichen Gestaltung erst unter Beweis stellen. Oder diesen Beweis aus guten Gründen schuldig bleiben, auch das kann zulässig sein. Was stimmt oder nicht, unterliegt in der schönen Literatur anderen Regeln, Absichten und Erfordernissen als in der Geschichtsschreibung. Wer nur sagen will, wie es gewesen ist, ist in der Belletristik fehl am Platze. Er muss schon etwas können, das es sinnvoll macht, so tu tun, als sei etwas so gewesen oder anders. Wer also erzählen möchte, Napoleon sei damals während starken Schneefalls auf einem lahmenden Einhorn ungefrühstückt aufs Schachtfeld geritten, möge das tun, wenn er weiß (oder immerhin vermuten kann), was er da tut, und wäre auch das, was er tut, zur Erfüllung des Wunsches gemacht, zu verstören und in die Irre zu führen. Warum er jemanden dorthin bringen will (in die Irre), was er sich davon verspricht und was er von einem Rückweg hält, darf ganz ihm überlassen bleiben, derlei Tun und Machen ist jedenfalls nicht von vorn herein weniger berechtigt als das Anliegen, überpüfbare Rekonstruktion und eindringliche Information zu geben. Aber auch nicht unbedingt mehr. Weshalb Reflexion und Offenlegen der Gründe gerade dann nicht schaden wird, wenn ohnehin schon Illusion als Sinn und Zweck des Schreibens auuscheidet, also ein Text sich ebenso gut gleich selbst kommentieren kann. Wie es übrigens seit jeher recht häufig Sitte ist, sonderlich in dem Zeitalter, das man das moderne nennen möchte. Erfindung und deren Aufdeckung nehmen dem Lesevergnügen nichts, wenn anders dieses nicht vor allem darin bestehen soll, das Lesen und mit ihm das Geschriebene zu vergessen und einzutauchen in unechte Wirklichkeit. Im gewöhnlichen Umgang sind „alternatve Fakten“ einfach Lügen und also böse. In der Schönen Literatur aber ist alles erlaubt, was gut gemacht ist; oder so schlecht, dass es schon wieder gut ist. Alles, außer eben das: Den Unterschied von Fiktionen und Fakten vergessen machen zu wollen, weil das zu unkritischer Haltung erzieht und also böse ist.

Samstag, 7. Juni 2025

In eigener Sache: Neues Blog

Ab sofort gibt es von mir ein neues Blog: Nackter Wahnsinn. Unter der Adresse https://nackter-wahnsinn.blogspot.com veröffentliche ich dort bellestristische Prosa-Texte. Zunächst habe ich nur solche aus diesem Blog hier übernommen, fortan werden dort neue Texte (und alte aus anderen Zusammenhängen) zu lesen sein.

Donnerstag, 5. Juni 2025

Leute (31)

Vor Jahren stritt ich mit X., einem Verleger, Übersetzer, Autor, ob Edmund Whites Genet-Biographie ganz grässlich und nur für dumme Amerikaner geschrieben sei (so X.) oder aber ein Meisterwerk der Biographik und eines der besten Bücher über Jean Genet, wenn nicht gar das beste überhaupt (so ich).
 
Am 3. Juni verstarb Edmund White. Sein Genet-Buch und manch anderes von ihm hat mich über dreißig Jahre lang begleitet. Ich bin ihm dankbar. Er ruhe in Frieden.

Mittwoch, 4. Juni 2025

Glosse CXXXVI

Befasst man sich intensiver mit dem Text, dann bieten die Form der formalen Gestaltung sowie die (...) Hier steige ich aus, der Satz muss erst einmal ohne mich zu Ende gehen. Was mich aus der Bahn wirft: Für mich sind Form und Gestalt Synonyme; andere können das gerne anders sehen, sie mögen mir ihre Gründe bitte in einer Fremdsprache erklären. Mir ist also ein Rätsel, was eine formale Gestaltung sein soll und wie sie sich unterscheidet von, ja was, einer nichtformalen Gestaltung? Einer stofflichen Gestaltung? Und wieso hat die Gestaltung, formal oder nicht, besonders aber, wenn ausdrücklich formal, auch noch eine Form? Oder geht es bei solchem Wortgeklingel nur um eine möglichst inhaltsarme, aber vokabelreiche Rede? Um so das Vorurteil zu bestätigen, dass Literaturwissenschaftler nicht gut schreiben können?

Glotze

Ich mochte es nie, wenn jemand vom Fernsehen als der Glotze sprach. Ob einer gern fernsieht oder nicht, muss jeder selber wissen, ob er es tut oder lässt, darf jeder selbst entscheiden. Aber das Fernsehen durch einen solchen Ausdruck abzuwerten und sich seiner dann doch zu bedienen (oder sich davon bedienen zu lassen), das erschien mir immer als Heuchelei.
Bedauerlich finde ich es aber vor allem, dass mit dem abschätzigen Ausdruck „Glotze“ schon das Fernsehen belegt worden ist, wo er doch heute so gut gebraucht werden könnte, um das Mobiltelephon zu bezeichnen. Lässt sich da nichts machen? Der Wortgebrauch scheint mir ohnehin stark rückläufig, übers Tefau zu meckern in der Internetära zudem weitgehend obsolet. Vielleicht darf man den Ausdruck also als bereits wieder frei geworden betrachten und somit auf besagtes Gerät anwenden.
Denn der Umgang mit diesem ist, soweit ich sehe, genau das: ein Glotzen. Manche sagen: ein Starren, auch das stimmt, aber vom „Handy“ als „Starre“ zu reden, wäre dann wohl doch zu abseitig.
Warum aber nicht „Glotze“? Es wird geglotzt, es wird gewischt, wieder geglotzt, getippt, wieder geglotzt und so weiter und so fort, das kann eine kleine Ewigkeit so gehen, manchmal auch nur ein paar Sekunden, dafür aber immer alle paar Minuten.
Nur selten noch wird geschwatzt. Zu oft, an der Lästigkeit gemessen, wenn es öffentlich geschieht, im Ganzen aber doch seltener, als der Begriff des Telephons vermuten ließe. Es gibt sogar, höre ich und habe es selbst bei einigen bemerkt, Fortgeschrittene, die gar nicht mehr mit dem Mobiltelephon telephonieren. Sie tippen nur noch, was sie zu sagen haben.
Es geht also ums Glotzen, Glotzen, Glotzen, und darum wäre Glotze so ein passender Ausdruck. Ich rate dringend dazu, ihn zu verwenden. Und wäre es auch nur in der pseudanglisierten Form „Glotzy“.

Dienstag, 3. Juni 2025

Ist die Natur an sich sinnfrei?

„Die Natur an sich ist sinnfrei.“ Woher weiß das der Mensch, der das schreibt? Woher kennt er die Natur „an sich“? ― Was man unter Natur verstehen will, mag verschieden sein, aber vielleicht kann man sich ja auf dieses Minimum einigen: Natur ist, was Menschen nicht gemacht haben. Das scheint auch für die zitierten Satz (auf Grund von dessen hier ausgeblendetem Kontext) plausibel.
Wie also gewinnt man Erkenntnisse über das nicht von Menschen Gemachte „an sich“? Um es einmal mehr zu sagen: Es gibt keine menschliche Erkenntnis, die nicht Erkenntnis eines Menschen wäre (wenigstens eines). Was und wie etwas also ist, insofern es nicht Gegenstand der Wahrnehmung, der Erkenntnis, der Rede ist, darüber kann nichts Sinnvolles gesagt, das kann nicht gewusst, das kann nicht wahrgenommen werden. Selbstverständlich kann ich sagen, wie etwas aussieht, das ich jetzt gerade nicht sehe, denn ich kann es früher gesehen haben oder mich auf Beschreibungen anderer verlassen. Aber wie etwas aussieht, das nie jemand gesehen (oder sich vorgestellt hat), ist unmöglich zu sagen.
Trotzdem wird über derlei geredet. Man spricht von „Natur an sich“, was ja wohl heißen soll: Natur, so wie sie ist, auch wenn niemand sie wahrnimmt. Der zitierte Satz geht sogar noch darüber hinaus und behauptet, etwas über Natur, wie sie ist, unabhängig von menschlicher Wahrnehmung und Deutung (Sinnzuschreibung), sagen zu können.
Nun ist freilich die „sinnfreie Natur an sich“ ein hölzernes Eisen, will sagen: ein sinnlosen Ausdruck, ein sich selbst widersprechender Begriff. Denn dass etwas „sinnfrei“ ist, kann ich ja nur sagen, wenn ich etwas darüber weiß; dann ist es aber nicht mehr „an sich“, sondern auf diese oder jenes Weise etwas für mich. Zumal man von „Sinnfreiheit“ (oder „Sinnhaftigkeit“, wenn das das Gegenstück ist) nur innerhalb einer Hermeneutik reden kann. So wie man ja auch nur innerhalb von Kulturen von Natur redet. In der Natur kommt Natur nicht vor, es ist ein menschlicher, immer schon mit Bedeutungen ausgestatteter (und insofern niemals sinnfreier) Begriff.
Aber auch wenn ich der Meinung bin, dass „Natur an sich“ kein sinnvoller Ausdruck ist (wegen des logischen und epistemologischen Widerspruchs, die Nichtgegenständlichkeit von etwas zum Gegenstand machen zu wollen), so ist es doch meiner Auffassung nach kein sinnfreier. Der Sinn solcher Redeweise scheint nämlich zu sein, einen Seinsbezirk zu behaupten, der der menschlichen Deutung zunächst einmal vorausliegt und nicht von Sinnstiftungsakten konstituiert wird. Eine „reine Natur“ also, die nachträglich Deutungen unterzogen wird.
Nun sollte man aber bedenken, dass dieses Narrativ der Nachträglichkeit selbst nachträglich ist und nur innerhalb einer bereits hermeneutisch verfassten Praxis vorkommen kann. Anders gesagt: die „sinnfreie Natur an sich“ ist ein mit Sinn aufgeladenes Kulturprodukt. Und nichts weiter. Ob das, wovon keine Rede sein kann (weil es dann schon nicht mehr an sich wäre, sondern eben Gegenstand menschlicher Rede), existiert oder nicht und in welchem Sinne, kann nicht gesagt werden. Oder vielmehr, es kann gesagt werden, aber nur als bloße Spekulation und Fiktion, nicht in der Art von überprüfbaren Aussagen zu Tatsachen.
Der Sinn und Zweck der Rede von der „sinnfreien Natur an sich“ ist also eine Intervention innerhalb des hermeneutischen Feldes. Es wird etwas postuliert, Natur, und dann mit einer Deutung ausgestattet („ist sinnfrei“), die sich nicht nur von selbst versteht, sondern, zu Ende gedacht, höchst widersprüchlich und nur dann verständlich ist, wenn es nicht als „wertfreie Tatsachenbehauptung“ genommen, sondern als Aufforderung verstanden wird: Es gibt Natur und sie hat keinen Sinn.
Beweisen lässt sich der Satz nicht. Denn wer überblickte erstens das Gesamt dessen, was die so und so verstandene Natur ist? Was, wenn er etwas übersehen hätte oder Sinn dort verborgen ist, wo er ihn nicht sehen wollte? Und wer könnte zweitens so aus Natur und Kultur heraustreten (ohne sich mitzunehmen …), dass er das An-Sich dieser Totalität erfasste? Niemand kann das. Im Gegenteil, Wirklichkeitsbetrachtung ist nur als sinnvolle Handlung denkbar, mögen die Ergebnisse auch falsch oder absurd sein, als menschliche Handlung also, die Anlass, Umstände, Gelegenheit, Geschichte, Absichten, Bedingungen usw. hat. Nicht nur kann nichts über „Natur an sich“ gewusst werden, weil Natur als bewusst gemachte und in ihrem Sosein gewusste notwendig „Natur für jemanden“ ist, sondern auch eine „sinnfreie Natur“ kann kein Erkenntnisgegenstand sein, weil alle Erkenntnis darauf aus ist, sinnvoll zu sein (und sonst keine Erkenntnis wäre).
Die Sinnfreiheit der Natur ist also eher ein Mythos, den man hinnehmen soll, als eine Erkenntnis, die man überprüfen kann. Zeigen lässt sich jedoch, dass es überhaupt Sinn gibt. Wenn aber irgendetwas Sinn hat, und jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass dem so ist, dann hat im Grunde alles Sinn. Denn sonst müsste man ja annehmen, dass zwar etwas Sinn hat, aber das Sinnhaben selbst sinnlos („sinnfrei“) ist. Das wäre aber seinerseits nicht sinnvoll, sondern absurd. Es ist aber eben offensichtlich nicht absurd, sondern sinnvoll, dass etwas Sinn hat.
Man darf also sagen: Das nicht von Menschen Gemachte, woher immer es stammt, was auch immer es bedeutet und wozu immer es verpflichtet (oder berechtigt), es ist jedenfalls nur innerhalb der Sinnfülle zugänglich, die zu den Bedingungen des menschlichen Daseins gehört. Sinn wird den Dingen und Verhältnissen nämlich nicht (oder nicht immer nur) übergestülpt, er wird ihnen vor allem auch entnommen, er ist im Umgang mit der Wirklichkeit erfahrbar. Ich gehe so weit zu sagen, dass das menschliche Dasein ganz wesentlich Sinnerfahrung ist. (Nur dadurch sind Erfahrungen von Sinnlosigkeit als Lebenskrisen oder Kulturzustand überhaupt möglich.)
Dass „Natur“ als solche also keineswegs a priori und notwendigerweise sinnfrei ist, bedeutet andererseits selbstverständlich nicht, dass der Sinn von etwas, das man der Natur zurechnet, immer zugänglich ist und erfasst werden kann und wird. Was der Sinn und vor allem, was der letzte Sinn ist, ist eine andere Frage als die, ob etwas überhaupt Sinn hat. Sehr wohl kann die Sinnhaftigkeit von etwas natürlich Verstandenem erkannt werden, ohne dass darum der Sinn „der Natur“ schlechthin erfasst werden müsste. Womöglich verlässt aber das Nachdenken darüber den Bereich der Philosophie und tritt auf den der Theologie über. daran ist nichts Ehrenrühriges. Auch die Philosophie hat ihre Grenzen und auch jenseits dieser Grenzen kann es Wahrheit geben, der man sich dann eben anders als philosophisch anzunähern hätte.

Montag, 2. Juni 2025

Notiz zur Zeit (251)

Ob das eine gute Wahl war? Ein Präsident, der nicht viel mehr können wird, als der Regierung dazwischenzufunken: Macht das Polen stark und unabhängig? Schützt es vor Bedrohungen? Antwortet es auf Herausforderungen? Dass so viele nicht eine Zukunft wählen, sondern den Wunsch nach einer Vergangenheit, die es nie gab, zeigt, wie gering die politische Phantasie bei den Leuten ist und wie groß die Lust an Abwertung anderer und der Kultivierung angeblicher Ängste, die in Wahrheit nur berechtigte Zweifel daran sind, ob man wirklich so großartig ist, wie man gerne wäre. Im Nachbarland zeigt gerade eine ganze Nation, was modernes Heldentum ist. Die Hälfte der Polen aber hat sich bei dieser Wahl als angeberische und rückständige Angsthasen erwiesen.

Leute (30)

Dass die Leute so gern X. zitieren (und also womöglich gelesen haben), ist mir ebenso unverständlich wie die Texte von X. selbst.