Montag, 13. Juni 2022

Über Übergewinn

Plötzlich ist die über alles geliebte Marktwirtschaft ― wie man den Kapitalismus gern verharmlosend nennt ― doch pfuigack? Zumindest in einem Punkt. Gilt sonst überall unangefochten das Prinzip der Profitmaximierung ohne Rücksicht auf (menschliche, gesellschaftliche, kulturelle, ökologische) Verluste als Motor des Fortschritts und als der Glücksbringer schlechthin, so soll es mit einem Mal „unmoralisch“ sein, wenn sich die „Ölmutltis“ eine „goldene Nase“ an den armen Autofahrern verdienen. Das war bisher auch nicht anders, aber jetzt ist irgendwo Krieg und somit alles anders. Nix mehr mit Angebot und Nachfrage und freier Preisbildung, sonder Politikern, denen sonst außer Verboten und Kürzungen nichts einfällt, setzen voll auf Populismus: Die bösen Tankstellen-Oligarchen ziehen dem fossilen Brennstoffpöbel das Geld aus der Tasche, das geht gar nicht, da muss was gemacht werden. Nicht etwa weniger gefahren soll werden, sondern die Herumfahrerei (superwichtig! Arbeitsplätze! Lieferketten!) soll mit Staatsgewalt billiger werden. Und zwar, indem man „übermäßige Gewinne“ besteuert. Aha. Werden denn Gewinne nicht ohnehin besteuert? Höhere nicht stärker als geringere? Wann ist ein Gewinn überhaupt übermäßig und wann bloß geschickt herbeikalkuliert? Natürlich machen die Mineralölkonzerne in der Krise gehörig Profit, derlei gilt doch sonst auch nicht als ungehörig, dazu ist Kapitalismus ja da, dazu sind dessen Krisen ja da. Wie sonst sollen die Reichen immer reicher werden? Hier versteht das Personal (die Politikstellenpächter) mal wieder nicht, welche Rolle die Inhaber ihrem Staat zugedacht haben. Sicher nicht, Milliardengewinne und Konzentrationsprozesse zu verhindern. Doch keine Angst, Populisten kläffen, aber sie haben keinen Biss. Ein bisschen am Kartellrecht schrauben, um irgendwas illegal zu machen, was vorher womöglich legal gewesen wäre, bringt gar nichts. Die Multis haben Preisabsprachen gar nicht nötig. Da weiß jeder Konzern ganz von selbst, wie er die Spritpreise ansetzen muss, damit gejammert, aber brav geblecht wird.
À propos Jammern: Ich werde dann über die armen Benzin- und Dieselverbraucher in den reichen Industriegesellschaften und das Elend ihrer Entbehrungen ― Essen oder Tanken? Tanken! ― ein paar Tränen verdrücken, wenn ich von den echten Hungerkatastrophen dieser Welt nicht mehr erschüttert und über das Zusehen der Satten nicht mehr empört bin. Aber ich fürchte, das wird so bald nicht sein.

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