Donnerstag, 30. Juni 2022

Ein Aufruf zur Unanständigkeit

Zwanzig Unterzeichner und Unterzeichnerinnen eines öffentlichen Aufrufs fordern für Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine einen Waffenstillstand und dann Friedensverhandlungen. Weil der Krieg für die ukrainische Seite nicht zu gewinnen und der Sprit in Deutschland wegen des Krieges teurer geworden ist. („In Afrika droht eine Hungerkatastrophe, die Millionen von Menschenleben kosten kann.“ Das ist wahr. Aber unerträglicherweise wurde in Afrika und sonstwo schon vor diesem Krieg gehungert und würde es unerträglicherweise auch ohne ihn. Kein Waffenstilstand und keine Kapitulation würde dem erschreckenderweise ein Ende setzen. Das „Argument“ ist heuchlerisch.)
Unter den Unterfertigten sind: Jakob Augstein, Svenja Flaßpöhler, Josef Haslinger, Alexander Kluge, Christoph Menke, Julian Nida-Rümelin, Robert Pfaller, Richard D. Precht, Edgar Selge, Ilija Trojanow, Harald Welzer, Ranga Yogeshwar - allesamt (mit anderthalb Ausnahmen) Leute, die ich seit langem als Dummschwätzer verabscheue. Mit guten Gründen und jetzt einem mehr.
Was wollen diese Leute? Keinen Diktatfrieden, sagen sie. Also sollen nicht alle Wünsche Putins erfüllt werden, nur ein paar. Was für ein netter Gedanke ... Sie wollen eine diplomatische Lösung für ein Ende des Krieges. Klingt freundlich, ist aber kriminell.
Die Rechtslage ist klar: Alle Eroberungen und Annexionen durch die Russländische Föderation sind null und nichtig. Was gibt es da zu verhandeln? Was kann bei solchen Verhandlungen herauskommen? Soll die Ukraine etwa Bevölkerung und Territorium abtreten? Soll Putin für seine Verbrechen also auch noch belohnt werden? Ganz abgesehen davon, was das für die Menschen bedeutet, die die Appellierer einer brutalen Dikatur ausliefern möchten, für Europa und die ganze Welt bedeutet es gewiss nichts Gutes, wenn Angriffskriege sich wieder lohnen dürfen und aufs Völkerrecht geschissen wird.
Ich frage mich, ob diese Herrschaten auch so locker mit Recht und Unrecht, Anstand und Unaständigkeit umgingen, wenn statt der ihnen offenkundig völlig fernen Ukraine ihr eigenes Land angegriffen worden wäre. Würden sie um des lieben Friedens willen Ostdeutschland abtreten? Fänden sie es unerfreulich, aber verzeihlich und auf dem Verhandlungswege irgendwie ausgleichbar, wenn Berlin bombardiert worde wäre und Frankfurt an der Oder ausradiert? Sähen sie noch eine Zukunft für Demokratie und Rechtsstaat in Europa und für ein halbwegs vernünftiges Völkerrecht, wenn eine Besatzungsmacht in Teilen Mitteleuropas manipulierte Referenden abhielte und daraufhin erfolgende Annexionen (und Ausrufungen „unabhängiger“ Volksrepubliken) von internationalen Institutionen anerkannt und in ihrem Bestand garantiert würden?
Von welchen Kompromissen, die auf diplomatische Wege (durch Druck des Westens!) erreicht werden sollten, phantasieren diese Leute also? Ein bisschen Frieden gibt es nicht. Ein bisschen Unrecht auch nicht. Die Alternative lautet: Entweder eine Befreiung der Ukraine vom Aggressor oder nicht. Wie viele Menschenleben, wie viel Zerstörung das kostet, hängt einzig und allein von Russland ab. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind Opfer – aber nicht etwa, wie suggeriert wird, ihrer sie verteidigenden Regierung, sondern des vom Kremlchef begonnen und mit äußerster Brutalität geführten Angriffs. Mag sein, dass das Ziel der Befreiunf der ganzen Ukraine militärisch in absehrbarer Zeit nicht erreicht wird; aber kein Waffenstillstand und schon gar kein „Friede“ kann auf dem Verzicht des Anspruchs auf diese Befreiung geschlossen werden. Das würde niemand in der Ukraine akzeptieren, dessen Stimme zählt (potenzielle Quislinge und Pétains also nicht eingerechnet).
Puntin ist ein Kriegsverbrecher und Initiator und Ermöglicher von Kriegsverbrechen. Mit so jemandem verhandelt man nicht. Wollen die zwanzig Appel-Unterzeichner wirklich einer ukrainischen Delegation zumuten, darüber zu „verhandeln“, ob sie denen, die ihre Mitbürger und womöglich Angehörigen ermordet, vertrieben, verschleppt, obdachlos gemacht haben, einen Teil ihrer Landsleute und Teile des Staatsgebietes ausliefern dürfen? Man muss schon ein deutscher (oder österreichischer) „Intellektueller“ sein, um die Realität so zu verkennen. Von der moralischen Dimension ganz zu schweigen.
Die de facto antiukrainischen und prorussischen „Friedensaktivisten“ des strunzdummen Aufrufs fürchten sich vor einer Eskalation. Ui, der Putin hat mit Atomwaffen gedroht! Da machen sich die „Intellektuellen“ aber mal kräftig in die (metaphorische) Hose.
Eskalation, das heißt: Die NATO kämpft auf der Seite der Ukraine gegen Russland. Begegnet der atomaren Drohung gegebenenfalls mit einer Gegendrohung. Das ist gewiss keine schöne Aussicht, aber wenn es notwendig ist, ist es eben notwendig. Wenn das der Preis ist, der zu zahlen ist, ist er extrem hoch, aber nicht zu hoch. Denn was ist die andere Option? Ein Sieg oder Teilsieg Putins. Das ist für jeden anständigen Menschen, dem an Menschenleben, Menschenwürde, Menschenrechten etwas liegt, absolut inakzeptabel.
Aber diese Appelliererinnen und Appellierer sind keine anständigen Menschen. Sie sind, aus Sorge um sich selbst, auf der Seite des Bösen. Sie legitimieren indirekt Kriegsverbrechen. Sie sagen implizit, Angriffskriege sollen sich wieder lohnen dürfen. Sie scheinen zu meinen, Russland könne ruhig Ukrainerinnen und Ukrainerinnen und deren Land vom Westen geschenkt bekommen. Für sie ist Diktatur anscheinend schon irgendwie okay, wenn der Diktator Atomwaffen und Bodenschätze hat und Getreidexporte blockieren kann. Sie spucken den russländischen Oppositionellen (den wenigen, die noch leben) ins Gesicht. Sie sind mit einem Wort von Grund auf unanständig und verachtenswert. Am liebsten würde ich von dem Gesindel nie wieder etwas hören oder lesen. Aber vermutlich werden diese Kanaillen die Menschheit weiterhin mit ihren Schwachsinnigkeiten beglücken.

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