Sonntag, 21. Januar 2024

Selbstgerecht „gegen rechts“

Ach wie niedlich, jetzt demonstrieren wieder einmal Tausende „gegen rechts“! Das ist so unreflektiert oder heuchlerisch, dass, wenn harmlos-selbstgerechte Symbolpolitik eine olympische Disziplin wäre, die deutschen Moralathletinnen und Athletinnen ganz bestimmt Gold holen würden.
Unreflektiert und heuchlerisch sind die Veranstaltungen, weil man, wenn man „gegen rechts“ ist, ja eigentlich nur nicht „rechts“ wählen muss, das sollte im Parlamentarismus genügen. Andere wählen halt anders. (Derlei kann vorkommen in Demokratien.) Was also, wenn nicht bloß die Demonstration der eigenen Selbstgerechtigkeit, des eigenen Besserseins, des eigenen Besserwählens haben die Demos zum Zweck? Oder glaubt irgendwer von den Demonstrierenden im Ernst, wenn er oder sie auf der Straße unter Beteiligung des regierenden Gesindels „gegen rechts“ Transparente schleppt und Parolen plärrt, ändert das auch nur eine einzige Wahlentscheidung? „Ach, das wusste ich ja gar nicht, dass alle die Nazis hassen, gut, dass ich das Schild im Fernsehen gesehen habe, nein, dann wähle ich natürlich nicht AfD.“
Die Leute wählen doch nicht aus Überlegung und Einsicht, sondern im Affekt, in kurz- mittel- und langfristiger Gestimmtheit. Sie wählen nach Milieu und soziokultureller Zugehörigkeit. Träfen sie Wahlentscheidungen aus rationalen Gründen, gingen sie nicht zur Wahl, sondern lehnten die ganze Wählerei ab, die ohnehin nur verdecken soll, in wessen Interesse tatsächlich regiert wird. (Spoileralarm: Es ist nicht „die Bevölkerung“, es ist, pssst, nicht weitersagen, „das Kapital“.) Wer unter den real existierenden Bedingungen wählen geht, und zwar egal, was, unterstützt damit ein System, dass dafür sorgt, dass alles bleibt, wie es ist oder allenfalls schlimmer wird. Die Staaten und Politiker hangeln sich von Krise zu Krise, und am Ende steht immer nur eines fest: Die Reichen sind wieder reicher geworden. Dagegen könnte man ja mal demonstrieren, aber das gibt nicht so ein wohliges Gefühl wie eine Demo „gegen rechts“.
Anlass für die jetzigen Vorführungen eigener moralischer Überlegenheit war ja wohl das allseits bekannte „Geheimtreffen“ rechter Politiker, bei dem der Nazi Sellner über künftige Massenabschiebungen phantasierte. Das war am 25. November 2023.
Am 20. Oktober schon hatte der „Spiegel“ ein Interview mit Bundeskanzler Olaf Scholz veröffentlicht, in dem der deutsche Regierungschef verkündete: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.“
Scholz hat jetzt bekanntlich „gegen rechts“ mitdemonstriert.
Ich weiß schon, ein Sozi ist kein Nazi. Zwischen ihnen steht der Rechtsstaat. Aber der ist flexibel handhabbar. Das Prinzip hingegen ist durchaus dasselbe: Wer nicht hierher und „zu uns“ gehört, muss weg. Die einen setzen auf eine umständlich-ungerechte Fremdenrechtsbürokratie, die anderen wollen ohne viel Federlesens alles Undeutsche loswerden. Letztlich geht es immer darum, mit Gewalt, die wegzuschaffen, die unerwünscht sind.
Wer von denen, die gern hier blieben, obwohl sie keine deutschen Staatsbürger sind, ein „Bleiberecht“ oder eine „Bleibeperspektive“ oder eine „Duldung“ hat, ergibt sich ja nicht aus der Beobachtung von Naturtatsachen. Es ist vielmehr Resultat der Auslegung von staatlichen Gesetzen. Gesetze aber können so oder auch anders sein. Restriktiv oder großherzig, weltoffen, integrativ, menschenfreundlich.
Wer deshalb „gegen rechts“ demonstriert, weil er oder sie gegen rassistische Deportationen ist, müsste also auch gegen die Abschiebungen demonstrieren, die im Einklang mit dem bestehenden „Recht“ nur Menschen betreffen, die die (aus gesetzlicher Sicht) falsche Herkunft und Zugehörigkeit haben. Alles andere ist pure Heuchelei.
Dass das gängige Modell von Bleibendürfen und Deportiertwerdenmüssen rassistisch ist, zeigt beispielsweise die Beliebtheit der (vielfach umgesetzten) Forderung „Kriminelle Ausländer abschieben“ über alle Parteigrenzen hinweg. Was soll das sein, wenn nicht Rassismus? Inländische Kriminelle werden ja auch nicht abgeschoben. Ist eine Straftat sträflicher, wenn sie von jemandem begangen wurde, dessen Staatsbürgerschaft und also vermutlich Herkunft „falsch“ ist? Unsinn.
Ja, Sellners Gewaltphantasien sind groteske Höllenvisionen und völlig widerlich, aber schon das „Deportieren light“, das bereits stattfindet und das auch die Parteien „links“ von der AfD intensivieren wollen, erzeugt unnötig Leid. Und ist schon gar keine Lösung für die Probleme der Weltwirtschaftsordnung, in der der Wohlstand der einen mit dem Elend der anderen erkauft ist.
Wer mit Scholz etc. auf die Straße geht, demonstriert vielleicht „gegen rechts“, aber nicht gegen das, was „rechts“ so grauslich macht. Denn das ist nicht die Verpackung, sondern der Inhalt. Und der findet sich, in abgeschwächte, aber keineswegs harmloser auch in der herrschenden Politik.
Wäre es nicht sinnvoller, statt gegen ein diffuses „Rechts“ eher gegen das konkrete „Recht“ und das von ihm verursachte Unrecht zu demonstrieren? Wäre es nicht sinnvoller, statt unverbindlich auf der Straße zu marschieren, mit selbstgerechten Sprüchen zu wedeln und so bloß die eigene Großartigkeit zu bekunden, endlich den Wahlberechtigten ein Angebot zu machen, doch noch etwas anderes wählen zu können als die Befürworter von Kapitalismus, Nationalstaat und rassistisch grundierter Identität? Etwas anderes als Rot, Schwarz, Gelb Grün und das populistische Kroppzeug à la Wagenknecht und Maaßen?
Aber wen interessiert das schon?

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