Donnerstag, 25. Januar 2024

Ein (nicht ganz erfundenes) Gespräch über Buße

A: Indem einer Buße tut (Verzicht, Wallfahrt usw.), tut er sich selbst weh, um so sein Vergehen vor einer höheren Instanz auszugleichen. Aber es gibt die Schuld gar nicht. Sie ist eine Erfindung der christlichen Religion.
B: Sie sind anscheinend in bedauerlicher Unkenntnis darüber, was Buße ist. Das heute offensichtlich schwer verständliche deutsche Wort steht für das griechische Metanoia, was wörtlich Umdenken, Umkehr bedeutet, also Abkehr vom Schlechten (Sünde, Gottesferne) hin zum Guten (gute Taten, Gottesnähe). Zur Buße gehören Schuldeinsicht, Reue, Sühne. Die deutsche „Geldbuße“ führt auf eine falsche Fährte. Wer im religiösen Sinn Buße tut, bestraft sich nicht, er befreit sich. Vielleicht nimmt er Mühe, Anstrengung, Verzicht usw. auf sich, um den „alten Menschen“ loszuwerden und frei zu werden für Freude und inneren Frieden.
A: Wenn ich einen Fehler mache und das bedauere, so belastet mich dieses Missgeschick eine gewisse Zeit, womöglich gräme ich mich und habe ein schlechtes Gewissen, aber ich nehme nicht das Kreuz und schleppe es auf Knien um eine Gnadenkapelle. Darum geht es in der christlichen Religion von Anfang an: mit der Vertreibung aus dem Paradies beginnt die Buße für den Ungehorsam gegen Gott. Die Erbsünde ist in der Welt.
B: Übersetzen wir es doch einmal ins Alltägliche: Wenn Sie (mit voller Absicht) „einen Fehler gemacht haben“, der zu Lasten eines Ihnen sehr nahestehenden Menschen, so tut Ihnen das doch (hinterher) gewiss sehr leid und Sie werden sich nicht nur grämen (und womöglich schämen), sondern auch durch ein anderes Verhalten Ihr Fehlverhalten auszugleichen versuchen. Vielleicht sogar etwas Ihnen Unangenehmes auf sich nehmen, um der Person zu zeigen, wie wichtig sie Ihnen ist (und dass es Ihnen nicht nur um Sie selbst geht). „Schatz, meine Worte haben dich verletzt. Das tut mir leid und ich bitte dich um Entschuldigung. Damit du siehst, wie lieb ich dich habe, unternehmen wir gemeinsam das und das (woran mir sonst eigentlich nichts liegt).“ Ist das nicht ein ganz normales Verhalten? Warum sollte das im Umgang mit Gott anders sein?
Was nun Wallfahrten betrifft, so werden sie mitunter auch zur Buße unternommen. Aber Gnadenkapellen sind in der Regel keine Bußorte, sondern solche der Bitte um außerordentliche Gnadenerweise: Heilung von Krankheit z. B.
Und was das Herumschleppen des Kreuzes angeht: Die Aufforderung Jesu, wer ihm nachfolgen wolle, solle sein Kreuz auf sich nehmen, scheint mir vernünftig: Das irdische Leben ist kein Ponyhof und kein Wunschkonzert. Es ist voller Leid. Sich davon nicht irritieren zu lassen und allen Widrigkeiten zum Trotz am Wahren, Guten und Schönen festzuhalten und, wenn man mal versagt, auf die Erlösung und Sündenvergebung zu vertrauen zu dürfen, scheint mir kein so übles Konzept.
Nicht die Vertreibung aus dem Paradies, sondern der Sündenfall war übrigens die Ursünde/Erbsünde. Und der Opfertod Christi hat davon vor 2000 Jahren losgekauft. Sagt man.
A: Ihr herablassendes Pädagogisieren sollte Sie reuen, mein Herr! Ihre religiös definierten Feststellungen helfen Menschen, die sich in innerer Bedrängnis befinden, vermutlich wenig. Warum sollten sie das Büßerhemd anziehen und ihre qualvolle Reue öffentlich zeigen? Damit möchte ich diesen Wortwechsel schließen.
B: Immer wieder traurig, dass Menschen den Versuch, Ihnen aus ihrer (oft selbstverschuldeten) Unwissenheit und Unbildung herauszuhelfen, als „Pädagogisieren“ oder Schulmeistern wahrgenommen wird. Jeden Unsinn darf man posten, aber wenn einer Gründe anführt, warum etwas Unsinn ist, ist er der Buhmann. Die Leute wollen alles, nur keine Kritik. Lauter kleine Trumps …
Die Leugnung von Schuld und die Verweigerung von Reue sind als kollektives Phänomen etwas fundamental Modernes. Jahrtausendelang waren Menschen immer wieder einsichtig, was ihre Schuld angeht, und bemüht, ihre Sünden zu büßen. Erst der moderne Mensch ist von seiner Schuldlosigkeit überzeugt und von seiner Verantwortungslosigkeit gegenüber Gott. Was etwas irre scheint, angesichts der modernen Verwüstungen der Erde und dem die Vergangenheit überbietenden Morden. 
Seit Anbeginn der Zeiten haben Menschen in innerer (und äußerer) Bedrängnis Trost und Hilfe in Zuwendung zu höheren Mächten gesucht. Und gefunden. Die eigene Endlichkeit und Schwäche nicht mit Selbstherrlichkeit zu überspielen („es gibt gar keine ‘Schuld’“), sondern auf etwas oder jemanden Mächte zu vertrauen, die stärker sind und es besser wissen, als man selbst, war Grundlage gelingender Lebensführung und gedeihlichen Zusammenlebens. Und wenn man versagt, wusste man, an wen man sich mit der Bitte um Vergebung und einem Angebot der Sühne wenden konnte.
Der moderne Mensch, dank dem Mord und Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung, Betrug und Verblödung ungeahnte Ausmaße erreicht haben, hat es aber ja nicht mehr nötig, um Entschuldigung zu bitten, er „entschuldigt sich“ allenfalls selbst. Und macht weiter. 
Man kann Religionen gewiss kritisieren. Aber dazu muss man erst wissen und verstehen, worum es geht. Bloßes Ressentiment und das Abspulen von Vorurteilen und Missverständnissen, führt nur tiefer in die Dummheit.
Ach nein, liebe Dame, es reut mich nicht, Ihnen aus Ihrer Unmündigkeit durch ein kleines Angebot an Wissen herauszuhelfen versucht zu haben. Auch wenn ich einmal mehr gescheitert bin. Damit beende ich meinerseits den Wortwechsel, der leider kein Gedankenaustausch war.
C: Das ist alles sehr interessant. Ich lerne sehr gern dazu. Aber mir scheint, hier treffen einfach zwei unterschiedliche Sichtweisen (auf Buße/Umkehr) aufeinander.
B: So sympathisch die tolerant-liberale Sichtweise, es träfen einfach unterschiedliche Sichtweisen aufeinander, auch ist, sie hat ihre natürliche Grenze doch in der Sache. Leugner des menschengemachten Klimawandels und „Klimaretter“ haben auch unterschiedliche Sichtweisen, aber ihre Feststellungen, Deutungen und Wertungen haben ja eben auch unterschiedliche Konsequenzen: Weiterso wie bisher oder massive Änderungen der Lebens- und Wirtschaftsweisen. Können Menschen am Klima ohnehin nichts ändern, sind alle Einschränkungen und Umbauten überflüssige Gängelung. Können Menschen aber durch ihr gemeinsames Handeln den Klimawandel beeinflussen und sich und andere vor den verheerenden Folgen bewahren, wäre es unverantwortlich, das nicht zu tun. Nicht, dass Sichtweisen unterschiedlich sind, sondern dass manche falsch und manche richtig sind, ist dann das Entscheidende.
Wie mir jetzt erst auffällt, hat das von mir hier gewählte Beispiel „Klimawandel“ ebenfalls mit Sündeingeständnis („wir haben der Umwelt geschadet“) und Buße/Umkehr („wir müssen anders leben“) zu tun …

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