Freitag, 31. Mai 2024

L’inhumanité toujours

Ach, wenn man das früher gewusst hätte. Anscheinend genügt es, dass ein paar Besoffene auf die Melodie eines populärmusikalischen Fabrikats ― ich kenne übrigens weder das Lied noch seinen Hervorbringer und darf darum eigentlich nichts Schlechtes darüber sagen ― einen rassistische Text singen, damit das Lied von Radiosendern und den Organisatoren unterhaltungsakustisch unterlegten Großveranstaltungen von der playlist verbannt wird. Wie viel unerhörten Dreck, wie viel ohrenverschmutzendes Gedudel und hirnbetäubendes Hopsassatralala hätte man sich ersparen könnte, wenn man beizeiten den Leuten politisch unerwünschte Texte zu kulturell minderwertigen songs suggerieren hätte können: Judenfrei durch die Nacht … Ein Stern, der deine Rasse zeigt … Asyl in Deutschland, da ist nichts mehr frei … Dann sind wir jenseits von Auschwitz … Ich bin ein Neger aus Tirol … Das kleine Lager in unserem Polen
Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Beamtenanwärter, Abiturienten, Sylttouristen und so weiter und so fort ― die Berichterstattung bringt, mit beweiskräftigen Internetfilmchen unterfüttert, derzeit an den Tag, was anscheinend ohnehin schon seit längerem tägliche oder allnächtliche Folklore ist: rassistisches Herumgegröle. Soll man sagen, Deutsche werden zu Quasinazis, wenn sie betrunken sind? Was sind sie dann, solange sie noch halbwegs nüchtern sind?
Die Reaktion auf die erschreckend beliebten, erschreckend fröhlichen Chorgesänge? Verbote. Nämlich des Liedes, auch in seiner unschuldigen Version als handelsübliche Tonkonserve (jedenfalls in der Öffentlichkeit). Bestraft wird also, wer gar nichts dafür kann, was sein Publikum aus seiner Ware macht. Nicht der Ungeist, der da so gern aus deutschen Kehlen steigt.
Aber man will symbolpolitisch den Deckel draufhalten, das Markenimage der Nation von brauner Befleckung möglichst freihalten. Immerhin ist das Milliardengeschäft Fußball-Europameisterschaft schon angelaufen, das Massenspektakel steht bevor, da ist die Vorstellung, in den Fan-Meilen wäre „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen“ der Partyhit Nummer eins, ein Schreckgespenst der internationalen Profitminderung.
Auf die Idee, statt Äußerungen zu verbieten, sich damit zu beschäftigen, warum denn eigentlich Ausländerhass, Rassismus und Radaupatriotismus bei so vielen so knapp unter der Oberfläche sitzen, dass schon ein paar Promille sie zur kollektiven Sichtbarkeit bringen, will anscheinend niemand kommen. Wie auch. Was da lustvoll gegrölt wird, ist nur die ekelhafte Version offizieller Politik. „Ausländer raus“ ist nicht dem Klang, aber dem Sinn nach dasselbe wie „Im großen Stil abschieben“ (Olaf Scholz), „Zuzug begrenzen“, „Einwanderung steuern“ usw. usf. Es herrscht ein Konsens, dass man am liebsten unter sich bliebe und nur solche Fremde zulassen möchte, die ganz schnell möglichst deutsch werden.
Menschenfeindliches Liedgut ist widerlich. Aber menschenfeindliche Politik ist das auch. Das Singen wird unterbunden. Die Politik aber wird fortgesetzt. Prost.

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