Montag, 9. Dezember 2019

„Siehe, der Herr wird kommen, zu retten die Völker“

Wir schauen lieber weg. Nicht immer, denn es gibt vorzügliche Berichte mit Bildern, die sich ins Gedächtnis brennen. Aber wir schauen mit dem Herzen weg. Mehr noch, das Elend der Welt, von dem wir nichts wissen wollen, soll bleiben, wo es ist und auf keinen Fall zu uns kommen, und wenn seine Ausläufer uns erreichen, wählen wir Politiker, die versprechen, es uns vom Hals zu halten.
Wir wissen: Es gibt viel zu viele Menschen auf der Welt, die hungern, die im Dreck leben, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, die an eigentlich leicht heilbaren Krankheiten sterben, die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft werden.
Wir wissen: Das Elend der anderen und unser Wohlstand hängen zusammen. Die reichen Länder beuten die armen aus, ihre Rohstoffe und Arbeitskräfte. Wir lassen billig „dort unten“ produzieren und liefern Waffen, damit die Kriege nicht enden.
Wir wissen: Selbst wenn es bei uns nicht jedem gut geht, geht es jedem besser als der Masse der Menschen dort, wo wir vielleicht Urlaub machen, aber nicht leben wollen würden.
Wir wissen das. Aber wir schauen mit dem Herzen weg. Wir stellen das Gewissen auf Durchzug: Was kann ich schon ändern? Wenn ich mir das neueste Handy nicht kaufe, geht nicht auch nur ein Kind mehr zur Schule, dort, wo wichtige Materialien meines Spielzeugs herkommen.
Stimmt. Einzelne können wenig tun. Aber leben wir nicht in Demokratien? Dürfen wir unsere Regierungen nicht wählen? Warum geben so viele Menschen Politikern ihre Stimme, die nichts gegen Ausbeutung, Umweltzerstörung und Verdummung leisten, sondern im Gegenteil ein Weiterwursteln im herrschenden Weltwirtschaftssystem befürworten? Warum gibt es eigentlich keine anderen Politiker?
Vielleicht gäbe es sie, wenn wir bereit wären, sie zu wählen. Wir wollen aber nicht, dass wir unsere Lebensweise, unsere Einstellung zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen, unser Verhalten in der Welt ändern müssen. Wir haben uns in den herrschenden Verhältnissen eingerichtet, den Preis lassen wir nicht zuletzt andere bezahlen.
Aber wie lange noch? Bis zum Jüngsten Tag? An den glauben wir nicht. Wir haben die Evolution erfunden, die Genetik, die Tiefenpsychologie, die Hirnforschung, um für nichts mehr verantwortlich zu sein. Wir wissen, was wir lieber nicht wahrhaben wollen. Wir haben das Gewissen abgeschafft und Moral zu einem Schimpfwort gemacht oder zu einem schlechten Witz. Wir können ohnehin nichts tun. Und letztlich wollen wir es lieber nicht gewesen sein. Wider besseres Wissen schauen wir mit dem Herzen weg.

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