Samstag, 13. Juli 2024

Das eigentliche Problem mit der Migration

Vielen Menschen in den reichen Industriegesellschaften macht die Zuwanderung in „ihre“ Länder große Sorgen. „Es sind einfach zu viele“, hört man oft. „Das verkraften wir nicht. Das kann der Staat, die Gesellschaft, die Wirtschaft nicht leisten.“ Darum müsse Migration gesteuert, beschränkt, eingestellt werden.
Ich verstehe das nicht. Es kann doch niemand behaupten, dass es im Globalen Norden nicht genug zu tun, nicht genug Arbeit gäbe. Und angesichts des relativen Reichtums so vieler und eingedenk der irrsinningen Vermögen einiger weniger, kann auch niemand behaupten, es sei nicht genug Geld da.
Das Geld ist, es ist nur in den falschen Händen. Arbeit wäre genug zu tun, man müsste nur machen lassen.
Dass Fachkräfte, Pflegekräfte, Lehrkräfte usw. fehlen, geben selbst die zu, die vor „irregulärem“ Zuzug warnen. Dass ohne den dauernden Einsatzkräfte billige Arbeitskräfte (im Baugewerbe, in Schlachthäusern als Erntehelfer usw.) das Wirtschaften in vielen Bereichen gar nicht funktionieren würde, ist ein offenes Geheimnis. ― Und übrigens können auch die, die Migration stoppen wollen, nicht sagen, wie bloß mit heimischen Kräften ihre geliebte Wirtschaft zu Rande kommen soll. Wären morgen alle Migranten weg, bräche übermorgen die Nationalökonomie zusammen.
Das Problem ist also weder ein Mangel an zu verrichtender Arbeit noch ein Mangel an Kapital. Und auch Nebenprobleme wie berufliche Qualifikation und Kenntnis der jeweiligen Verkehrssprachen sind relativ leicht lösbar.
Das Problem ist: Um zu einer vernünftigen Verteilung von gut bezahlter Arbeit zu kommen, müsste man den Kapitalismus abschaffen. Dieser stützt sich auf Ausbeutung von Mensch und Natur, auf Elend und Krieg, auf Zerstreuung und Bildungsverweigerung oder Bildungsverflachung. Der „Markt“ regelt da gar nichts. Es sind die Nationalstaaten die mit Gewalt und Ideologie irrationale Wirtschaftsformen durchsetzen und schützen, die viele benachteiligen, einige ruhig halten und wenige in enormem Ausmaß profitieren lassen.
Im Kapitalismus werden unzählige unsinnige Tätigkeiten verrichtet, an denen jemand profitiert, während eine Fülle von Sinnvollem, das etwa dem Gemeinwohl dienen würde, ungetan bleibt. Waren, die keiner braucht und die bald im Müll landen, werden massenweise produziert, nachhaltiges Produzieren und Konsumieren aber wird behindert und unterdrückt. Hochbezahlt werden viele Jobs von überschaubarem Nutzen, während die, die notwendige Arbeit erbringen, vielfach unterbezahlt sind. Dass das System zudem daran parasitiert, dass vieles getan wird, bei dem an Bezahlung gar nicht zu denken ist (alle zwischenmenschlichen Leistungen etwa, modisch Care-Arbeit genannt), ist absurderweise systemerhaltend.
Wer also sagt: Die sollen aufhören, zu uns zu kommen, wir wollen von unseren Wohlstand nichts abgeben, ist nicht nur ein Schwein, weil er das eigene übertriebene Wohlergehen über das Elend und die Not anderer stellt, er ist auch noch ein Dummkopf, weil er das Geschäft derer betreibt, die ihn selbst ausbeuten, entwürdigen und verblöden. Wer gegen Migration ist, ist gegen Menschen und letzlich  für Megavermögen, die niemandem nutzen und allen schaden.
Statt nun also die Zuwanderung zum Anlass zu nehmen, mit demokratischen Mitteln einen Umbau des absurden wirtschaftlichen Systems zu fordern, investiert man Leidenschaft ins Bestehende und auch gern in die, die einem erlauben, diejenigen zu hassen, die auch nichts anderes wollen, als man selbst ― in Ruhe und Frieden ein gutes Leben zu führen ―, aber dabei das Pech haben, in den falschen Ländern geboren zu sein.
Meine Güte, wie dumm und niederträchtig kann man sein!

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