Sonntag, 23. Juni 2024

Warum wählen die Leute Rechtspopulisten?

Warm wählen Leute Rechtspopulisten? Sicher, Dummheit wird ein wichtiger Grund sein, aber dumm sind viele, doch nicht alle Dummen wählen ganz rechts. Man wird also wohl auch Niedertracht als Grund in Betracht ziehen müssen.
Rechtspopulisten sind ausschließlich destruktiv. Für keines der realen oder auch nur eingebildeten Probleme schlagen sie überhaupt irgendwelche Lösungen vor oder solche, die nicht bloß negativ sind: Sie sind, grob gesagt, gegen Migration, gegen europäische Integration, gegen Liberalität, gegen den Sozialstaat, gegen ökologischen Umbau. Alles soll so bleiben, wie es nie war, und alles Ungewohnte, alles Infragestellende, alles auf Grund von vernünftigen Überlegungen verbessern Sollende soll weg.
Nicht einmal die Vorliebe fürs Autoritäre ist auch nur formal positiv: Autoritär zu denken, zu reden und zu handeln bedeutet, jedes Bedenken, jede Berechtigung anderer beiseitezuschieben ― was übrigens letztlich immer auf Gewalt hinausläuft. (Der Übergang von angedrohter zu tatsächlicher Gewaltanwendung ist darum auch, meiner Meinung nach, der Übergang von Rechtspopulismus zu Faschismus.)
Warum wählen also die Leute solche Leute mit rein negativer Programmatik? Die nichts als verwaschene Versprechungen zu bieten, dass alles irgendwie besser werde, wenn man nur gegen dies da und das da vorgehe? Warum wählen sie Leute, die sie offensichtlich unter dem Vorwand, endlich in ihrem Namen zu sprechen, entmündigen, gängeln, ihrer Freiheitsrechte berauben wollen?
Weil die Rechtspopulisten gerade mit ihrer Negativität ein Angebot machen: Hassen zu dürfen! Die Rechtspopulisten sind stark darin, Gegner zu benennen und diese, zunächst mit Worten, irgendwann vielleicht mit Taten, als rechtlos, in ihren Anliegen unberechtigt, hinzustellen und ihr Verschwinden zu fordern und anzukündigen.
Das ist unpolitisch. Politik besteht keineswegs in der Unterscheidung von Freund und Feind, sondern in der Bereitschaft, Gegner nicht zu Feinden werden zu lassen, sondern Gemeinsames und für alle Seiten Hinnehmbares in institutioneller Form auszuhandeln. Politik setzt nicht, wie frühere Formen des Zusammenlebens, gemeinsame Abstammung und entsprechende Unter- und Überordnungsverhältnisse voraus, sondern gründet auf der Möglichkeit, auch mit Fremden gedeihlich zusammen zu leben, wenn die jeweils ausgehandelten und für gültig erklärten Normen akzeptiert werden.
Rechtspopulismus ersetzt Politik, zumindest rhetorisch, durch Affekte. Dabei spielen diffuse positive Affekte der Verbundenheit mit Vertrautem, Gewohnten, Eingebildetem („Heimat“, „Nation“, „Tradition“, „kulturelle Identität“ usw.) eine große Rolle, aber entscheidend sind die konkreten negativen Affekte: gegen Migranten, gegen „Eliten“, gegen Perverse, gegen geheime Mächte usw. ― In gewisser Weise sind die positiven Affekte nur die Kehrseite der negativen: Heimatliebe heißt Hass auf Fremde usw.
Zivilisierte Gesellschaften versuchen, Affekte zu privatisieren und das öffentliche Leben von parteilichen Leidenschaften in nicht sublimierter Form freizuhalten („Wahlkampf“ nicht als Kampf auf Leben und Tod, sondern als sportlicher Wettstreit z. B.). Für einen halbwegs gut erzogenen, halbwegs gebildeten Bürger wäre es undenkbar, seinen Hass gegen ganze Bevölkerungsgruppen, Menschentypen, tatsächliche oder eingebildete Feinde und deren Machenschaften öffentlich herauszuplärren. Das gälte als primitiv, unfein, unkonstruktiv.
Die Rechtspopulisten bieten an, sich gefahrlos dem Hass überlassen zu können, in dem jeweiligen Grad, der den eigenen Bedürfnissen entspricht, ohne an irgendwelche Folgen denken zu müssen: vom heimlichen Kreuz in der Wahlkabine über das öffentliche Bekenntnis bis zur Teilnahme an Massenaufmärschen ist alles drin. Jeder hasst, wie er will. Wir gemeinsam gegen all die anderen. Die werden schon sehen!
Das ist boshaft. Wer hassen will und dem anderen jede Berechtigung, gehört zu werden und Anliegen vorzubringen, abspricht, handelt niederträchtig und weiß das. Er schafft selbst die Kampfsituation, die die objektive Lage nicht hergibt. Es wird existenziell. Im Grunde geht es um Leben und Tod. „Die müssen sterben, damit wir leben können“ (meine Formel für Rassismus). Von der Anfeindung im Alltag führen dann nur wenige Stufen nach unten zur körperlichen Attacke, dem Wunsch nach Auslöschung. Kommt der Rechtspopulismus an die Macht, kann er sich staatlicher Mittel bedienen, um das zu verwirklichen. Das verspricht er. Jetzt ist sein Angebot noch affektiv, aber darin ist auch der Affekt des Genusses der (bei vielen eher unbestimmten) Vorstellung impliziert, dass den aufgeladenen Worten eines Tages brutale Taten folgen werden.
Rechtspopulismus ist der Wille zum Bösen und das Angebot, das Böse ebenfalls zu wollen, mitzuhassen, mitzuzerstören, mitzuvernichten. Dass das, so lange die liberale Demokratie noch besteht, zunächst nur rhetorisch stattfindet, in seiner Abgründigkeit also noch bei weitem sichtbar wird, stimmt schon, aber wer das rechtspopulistische Angebot an die Wählerinnen und Wähler zu Ende denkt, versteht, dass es bei Mord und Totschlag enden muss.
Weil sie das nicht zugeben würden, aber vielleicht doch heimlich ein bisschen wünschen dürfen wollen, darum wählen die Leute die Rechtspopulisten. Sie stellen sich dumm oder sind es, sie sind zwar nicht abgrundtief böse, aber zumindest so ein kleines bisschen boshaft. Doch der Weg des Bösen ist eine abschüssige Bahn, wer sie betritt, weiß nie, womit er endet.

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