Sonntag, 9. Oktober 2022

Wissenschaft und Glaube

„Wissenschaft ist, was wahr ist, auch wenn man nicht daran glaubt.“
Was für ein aufgeklärter Satz. Was für ein Inbegriff zeitgenössischen Weltverständnisses. Was für ein Blödsinn.
Was wahr ist, auch wenn man nicht daran glaubt ― das ist nämlich keine Bestimmung von Wissenschaft, sondern von Religion. Jedenfalls aus theologischer Sicht. Gott ist da, ob man an ihn glaubt oder nicht. Aber nur der Glaube erschließt diese Wirklichkeit des Daseins Gottes.
Wissenschaft hingegen hat es mit Wahrheitsproduktion zu tun. (Naturwissenschaft sogar nur mit der Errechnung von Wahrscheinlichkeiten.) War ist, was wissenschaftlichen Regeln folgt. Nicht, was an sich „wahr“ ist, sondern was mit wissenschaftlichen Mitteln innerhalb des wissenschaftlichen Deutungsmusters („Paradigmas“) als wahr erwiesen und von der wissenschaftlichen Betriebsgemeinde anerkannt wird, das gilt als wissenschaftliche Wahrheit.
Wissenschaft ist, das Wahres produziert, das insofern wahr ist, als es als wahr anerkannt ― in diesem Sinne: „geglaubt“ ― wird.
Die alte Devise, glauben heiße nicht wissen, ist, ich sagte es schon oft, falsch. Denn Wissen setzt Glauben voraus. Wer nichts schon für wahr hielte, bevor er Gründe dafür anführen kann, könnte auch nichts wissen. Wissen erlangt nur, wer das, was er weiß, auch glaubt. Wissen baut auf Glauben auf, aber Glaube kann auch ohne bestimmtes Wissen auskommen.

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