Donnerstag, 21. November 2024

Das Geheimnis der öffentlichen Hand in der kulturellen Produktion

Um die sogenannten Kulturschaffenden steht es recht merkwürdig. Einerseits produzieren sie Waren (Texte, Bilder, Musikstücke usw.) und Dienstleistungen (Tanz, Schauspiel, Musik usw.) und wollen sie verkaufen. Andererseits sind sie von diesem Geschäftsmodell nicht restlos überzeugt, weil sie wissen, dass nur die allerwenigsten davon unbeschwert leben können. Darum fordern sie, die öffentliche Hand möge abhelfend eingreifen und sie und ihre Waren und Dienstleistungen fördern. Alle zusammen sollen, übers Steuergeld, das bezahlen, was im freien Verkauf nicht genug einbringt.
Und nun geschieht, von Nationalstaat zu Nationalstaat sehr verschieden, etwas noch viel Merkwürdigeres: Die öffentliche Hand sagt ja, klar, wird gemacht. Und vergibt Förderungen, Stipendien, Preise. Zwar nicht flächendeckend und in Hülle und Fülle. Aber doch so, dass sehr viel mehr Kulturschaffende ein Auskommen finden als durch individualwirtschaftliche Betätigung allein. Für viele werden Ausbildung, Produktion und öffentliche Verbreitung erst dadurch überhaupt möglich.
Erweitert man den Kulturbegriff über die Künste hinaus, dann gilt in etwa dasselbe auch für viele Wissenschaften, namentlich die nicht technisch verwertbaren. Ohne staatlich finanzierte Universitäten und Akademien, ohne Förderprogramme und Stipendien, ohne Zuschüsse und Preise könnten viele Akademikerinnen und Akademiker eine akademische Karriere vergessen.
Nun stellt sich die Frage: Warum macht der Staat das? Warum leistet sich eine Gesellschaft Künste und Wissenschaften? Ohne dass bei ihnen ökonomisch was rausspringt (von der berüchtigten „Umwegretabilität abgesehen)? Alles Übrige, mitunter sogar der Sozialstaat, wird immer wieder nur unter dem Gesichtspunkt des Profits gesehen, dessen Maximierung bekanntlich das höchste und alles bestimmende Prinzip ist. Wieso gibt’s dann Geld für brotlose Branchen, die nichts abwerfen als ein bisschen Sinnesreiz und soziale Distinktion?
Man mag sich das mit einer diffusen Ideologieproduktion erklären. Wenn die öffentliche Hand den Daumen auf der Kulturproduktion hat, kann diese nicht ins Kraut schießen. Zwar sind sind in aller Regel Kulturschaffende ohnehin nicht die Revolutionäre und Anarchisten, für die manche sich halten wollen, sondern biedere Mitläufer eines Betriebs, der in Lizenz Muster ohne störenden Wert herstellt. Abhängigkeit von Staatsknete mag das begünstigen. Nicht dass aus öffentlichen Mitteln genährte Künste und Wissenschaften notwendig staatsfromm, unfrei und unkritisch sein müssten. (Was sie freilich mancherorts sind.) Aber staatstragend und systemkonform sind sie allemal. Die Hand, die man beißt, wird einen nur ungern füttern oder gar nicht.
Aber erklärt denn das das Phänomen des institutionellen staatlichen Mäzenatentums schon hinreichend? Oder soll man noch ins Kalkül ziehen, dass eine rein privat finanzierte kulturelle Produktion eine Tendenz zur staatsfernen Gesellschaftskritik haben könnte? Dass auf sich allein gestellte Kulturschaffende womöglich kooperative Arbeitsformen entwürfen und verwirklichten, die unangenehmerweise bewiesen, dass nicht alles Produktive als Konkurrenz und Unterordnung organisiert sein muss? Dass „Kultur“ außerhalb eine geschützten Rahmens womöglich mehr Leute erreichte und sie anders beeinflusste?
Auch das überzeugt noch nicht restlos. So gefährlich ist Kultur nicht für den Staat und die Wirtschaft, der er dient. Geht es also um Ablenkung und Zerstreuung, darum allzu bedenklich wuchernde Nachdenklichkeit über die herrschenden Verhältnisse zu verhindern? Das leisten doch Sport, Populärkultur und Unterhaltungselektronik viel effizienter. Allenfalls mag es ein genehmer Effekt sein, dass eine breit geförderte kulturelle Produktion die einzelne Hervorbringung entwertet, weil sie in der Masse verschwindet, so sie nicht als populäre Ware ohnehin schon in den Dienst der Verwertung gestellt ist.
Es bleibt rätselhaft. Warum gibt der Staat das Geld seiner Untertanen für etwas aus, für das sich die meisten Leute (die trotzdem dafür zahlen) nicht interessieren, das ihnen geschmacklich und intellektuell fern und zuweilen sogar zuwider ist? Wer hat etwas davon?

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