Montag, 3. Juli 2023

La république, c'est la brutalité

„Den Unruhestiftern ist gemein, dass sie die Republik verachten und Frankreich hassen. Wir wollen die Republik respektieren und mögen Frankreich", hat jüngst der Capo der französischen Bürgermeister tiefsinnig gedichtet. Doch wer würde nicht sagen, dass er Frankreich ganz doll lieb hat und die mächtige Republik zu niederknien findet, wenn er dafür so gut bezahlt wird? Doch wer würde andererseits den korrupten Drecksstaat nicht verabscheuen, wenn er erst einmal seine hoffnungslose Lage als Staatsbürger dritter oder vierter Klasse begriffen hat? Die schlicht darin besteht, dass das System ihn und Seinesgleichen nicht braucht und niemals mehr brauchen wird, weder in der Produktion noch für den Konsum. Weshalb es auf seine Bildung oder auch nur Ausbildung pfeift und seine Erwerbslosigkeit als Schicksal zementiert. Würde? Partizipation? Lebensglück? Drauf geschissen.
Wenn man instinktiv oder rational kapiert hat, dass man nicht zur Gesellschaft gehört, dass man außerhalb steht und überflüssig ist, dass man zwar vom Wohlfahrtsstaat ein bisschen reglementiert, vom Polizeistaat stark schikaniert und von der Demokratie voll verarscht wird, wenn man erfasst hat, dass es „denen“ völlig egal ist, ob man lebt oder verreckt, weil man aus ihrer Sicht keinen Wert hat, dann ist das abgeleierte Geplärre von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ nicht nur Hohn, sonder Kampfansage. Eingekesselt in der Aussichtslosigkerit und Hässlichkeit der banlieus ist Gewalt sicher keine Lösung, aber mal eine ganz lustige Abwechslung.
Das empört das Bürgertum. Wie kann man nur? Wie kann es sein, dass „Busse in Brand gesetzt werden, mit denen Leute zur Schule und zur Arbeit fahren, oder der Supermarkt geplündert“ wird (Nils Minkmar)? Ja, genau: zu Schule und Arbeit, also zum Funktionieren im System soll man gekarrt werden, zu Ausbeutung und Erniedrigung. Wenn man keine Busse anzündet, wenn man ausnahmsweise mal rebelliert, hat man nichts kapiert. Aber wenn man schon dabei ist, geht man auch shoppen, ohne zu bezahlen. Das befremdet den bourgeois zutiefst, der sich immer alles kaufen kann, was er will (und fürs andere spart), weshalb er nie im Leben auf den Gedanken des Plünderns käme. (Auf den des Ausplünderns ganzer Kontinenten schon eher.)
Und das Anzünden von privaten Autos erst!  Diese geheiligten Kühe der Moderne sollten sakrosankt sein! Für sie werden Städte gebaut und Landschaften verschandelt, da kann man sie doch nicht Nacht für Nacht abfackeln. Als ob das nicht der umweltfreundlichste Gebrauch wäre, der sich von ihnen machen lässt. Den Randalierern würde ein dicker, aufgemotzter Schlitten vermutlich viel bedeuten. Sie haben aber meist keinen, und dann soll niemand sonst einen haben!
Wie kann man nur Jugendzentren anzünden, diese wohlüberlegten Symbole der Almosenverteilung von Väterchen Staat. Hier, liebe Kleine, hier habt ihr was, wo wir euch im Auge haben, einen Ort zum Zeitvertreib, damit ihr nicht auf dumme Gedanken kommt, gar auf den, dass ihr demnächst nicht mehr jung und immer noch ohne Geld und Zukunft sein werdet. Geht sorgsam damit um, das kostet alles viel Geld. Das wir euch und eurenb Familien vom Mjunde abgespart haben.
Macht kaputt, was euch kaputt macht? Was euch demütigt, verhöhnt, missachtet?
Die Zerstörungen haben in Wahrheit keinen Sinn als das Zerstören selbst. Es geht auch fast nicht um irgendeinen Jugendlichen, den die Staatsmacht beiläufig und bedenkenlos vom Leben zum Tode befördert hat. Es geht um die Gelegenheit. Ums erlebnis. Wut ist der adäquate Ausdruck ungerechter Verhältnisse. Werden sie dadurch geändert? Nein. Es macht einfach Spaß, etwas kaputt zu machen, wenn es sonst nichts zu tun gibt. Es macht Spaß, die Spießer zu empören und die Büttel des Kapitals zu provozieren.
Der Staat reagiert wie erwartet: Mit noch mehr Gewalt. Mit der Drohung, die jugendlichen Randalierer, deren man nicht habhaft wird (und es wurden schon Tausende verhaftet), über ihre Eltern zu belangen: Die sollen gefälligst dafür sorgen, dass ihre Brut brav zu Hause bleibt, sonst gibt es Geldstrafen. (Die dann in vielen Fällen von den Transferleistungen abzuziehen wären ...); eine patriarchale Phantasie des paternalistischen Etatismus: Heute Abend bleibst du zu Hause, mein Söhnchen, und zündest nicht die Republik an, basta.
Aber was soll man sagen? Der Staat kann eigentlich nichts dafür. Er ist ja bloß der Büttel des Kapitals. Er soll garantieren, dass die Reichen reicher werden können, und unterdessen alle anderen in Schach halten. Mit der Mittelschicht und der unscheinbaren Armut der Peripherie gelingt ihm das auch ganz gut. Die Leutchen verhalten sich brav und fügsam. Sie zittern um das Wenige, das sie haben, und träumen vom Mehr. (Und wenn sie doch mal Gelbe Westen anziehen, kriegt man das schon mit einer Pandemie in den Griff.) Wenn die Angepassten gut funktionieren, dürfen sie auch in Maßen lügen und betrügen und stehlen, jeder ein kleiner Held der gewöhnlichen Akkumulation. Das nennt man Geschäftssinn. Es herrschen Ruhe und Bürgerpflicht. Aber dort, wo sich die vom System nicht Benötigten konzentrieren, geht alles schief. Dort hat der Staat wenig zu melden und kann um seiner Achtbarkeit willen doch nicht umhin, die Delinquenz, die in diesen cours des miracles unweigerlich entsteht, irgendwie zu verwalten, also hin und wieder brutale Präsenz zu zeigen. Das eskaliert irgendwann selbstverständlich, führt zu Gewaltb und Revolten und beweist so, dass man diese Leute zu Recht draußen hält. Die sind nicht wie wir. Wir Anständigen zerstören nicht, sondern tragen zum Bruttosozialprodukt bei und singen dabei fröhlich unsere Hymne.
Nun, bald kehrt wieder Ruhe ein. Mal schauen, was die Versicherungen zahlen. Und dann au revoir und à bientôt.

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