Dienstag, 30. August 2022

Neun Euro sind geil

Man will herausbekommen haben, dass zehn Prozent der Fahrten mit „9-Euro-Tickets’ Autofahrten ersetzt haben. 90 Prozent der Fahrten wären also sowieso unternommen worden, waren jetzt aber eben sehr viel billiger, oder fanden überhaupt nur statt, weil’s so schön billig war.
Nur zehn Prozent! Ein lächerlich geringer Effekt angesichts der ungeheuren Kosten. Wenn denn Verlagerung von Personenverkehr von der Straße auf die Schiene ein Ziel war. Vielleicht ging es aber nur darum, die Belastbarkeit der Infrastruktur, des Personals und der Passagiere in einem deutschlandweiten Großversuch unter Realbedingungen einem Stresstest zu unterziehen.
Volle Verkehrsmittel, volle Bahnhöfe, Zugausfälle, Umleitungen, Fahrradverbote: Stress gab es genug. Aber der Ausnahmezustand in der Zeit der Billigfahrscheine war sicher nicht ausschlaggebend für die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage, derzufolge 51 Prozent der Deutschen mit dem ÖPNV nicht zufrieden sind. Mindereinnahmen der Verkehrsbetriebe oder Staatsknete, die nicht für die Verbesserung der Infrastruktur ausgegeben wird: Inwiefern war das Fast-für-lau-Herumfahren ein Erfolg, wie seine Befürworter behaupten? Weil die steuergelgesponserten Fahrscheine weggingen wie warme Demmeln? 
Zumal sich die Frage stellt: Hohe Unzufriedenheit und trotzdem über 52 Millionen verkaufte „9-Euro-Tickets“, wie passt das zusammen? Nun gut, wer ohnehin den ÖPNV nutzen musste, etwa beruflich, konnte etwas Geld sparen. Aber warum legten sich Leute den Knapp-über-gratis-Fahrschein zu, die nicht müssen und voraussehen könnten, dass Chaos und Komfortmangel fest programmiert sind?  
Was man hat, hat man. Geiz ist geil. So billig fährt man nie wieder, also fährt man. Die deutsche Schnäppchenjäger-Mentalität hat die „9-Euro-Tickets“ zum Bestseller gemacht. Darum gehen jetzt auch Leute für eine Verlängerung des Sonderangebots (oder die Bereitstellung einer ähnlichen Sparmöglichkeit) auf die Straße, die sich „normale“ Fahrscheine (mit all den Nachlässen für Rentner, Jugendliche usw.) durchaus leisten könnten.
Dass die bei solchen anlässen rhetorisch oft ins Feld geführten „sozial Schwachen“ vielleicht eher höhere Löhne und Gehälter (und Renten) brauchten, statt Mobilitätsalmosen, ist sowieso kein Thema.
Selbstverständlich wäre ein günstiger, gut ausgebauter ÖPNV ein vernünftiges Ziel. Selbstverständlich muss man weg vom Automobilismus. Aber Fahrscheine knapp vor der Gratisabgabe sind zwar populär, weil sie der Knauser- und Knicker-Mentalität entgegenkommen. Aber so lange, wer beim Bahnfahren Geld spart, sich davon womöglich doch bloß wieder Benzin (oder einen weitere Flugreise) leistet, bringen solche Rabattorgien weder der Umwelt noch der Infrastruktur etwas.

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