Freitag, 15. Mai 2015

Glosse XX

Das Kiss-In ist eines der ganz wenigen Aktionsformen, das die Jahrzehnte überdauert hat. Das Schwinden des Gefühls fürs grammatische Geschlecht habe ich bereits glossiert. An diesem Fall freilich erstaunt mich nicht nur, dass solch ein Patzer (den der falsch angeschlossene Relativsatz noch verschlimmert) einem Muttersprachler passiert; der Mann ist Journalist und Schriftststeller und weiß selbstverständlich, dass es „eine der ganz wenigen Aktionsformen, die die Jahrzehnte überdauert haben“ heißen muss. Allerdings ist es für einen Autor immer schwierig, seinen eigener Korrektor zu sein, denn weil er weiß, was er sagen wollte, übersieht er mitunter, dass er es an der und der Stelle nicht oder nur schlecht gesagt hat. Da bleiben dann, besserem Wissen zum Trotz, manche Vertippungen, Verschreibungen oder Verkonstruierungen stehen. Weit erstaunlicher als diese auch mir nur allzu vertraute partielle Blindheit für den eigenen Text finde ich jedoch die Ignoranz der zuständigen Redaktion, die den Text doch abgenommen haben muss. Ohne ihn zu lesen? Ohne ihn gründlich zu lesen? Ich finde das respektlos dem Autor gegenüber, aber auch gegenüber dem Leser.

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