Freitag, 4. Juli 2025

Stau ist kein Schicksal

Ich bin ein Gastarbeiterkind. Selbstverständlich fuhren wir jeden Sommer in die „alte Heimat“. Alle paar Jahre mit einem etwas besseren, etwas teureren Auto. Übrigens nie ― wer erinnert sich noch? ― mit einer Waschmaschine oder einem Kühlschrank auf dem Dach. Aber mit rammelvollem Kofferraum. Bei der Hin- und vor allem der Rückfahrt (weil es so viele gute Sachen der Heimat in der Fremde nicht gab). Wir düsten meist gleich zu Ferienbeginn los, zuweilen auch früher (wen interessiert schon so eine Zeugnisverteilung?), und wenn dann der angesammelte Urlaub meines Vaters knapp vor Schulbeginn zu Ende war, ging’s wieder zurück.
Mein Vater machte es bei der Reiseplanung richtig. Erstens fuhr er nie tagsüber, sondern immer nachts. (Nachtarbeit war er beruflich gewohnt.) Und zweitens garantiert nie an den Tagen, an denen allen andere nach Norden oder Süden fuhren. Perfekt.
So ging das zehn Jahre lang, erst reisten auf diese Weise meine Eltern, meine Schwestern und ich, dann nur noch meine Eltern und ich. Im Jahrzehnt darauf besuchte ich meine Eltern (und Freunde) sommers gern, in dem ich für die Hinfahrt die Bahn nahm und zur die Rückfahrt manchmal, wie in alten Zeiten, mit meinen Eltern im Auto mitfuhr. Unzählige Male bin ich also mit Zug und Pekaweh von Niederösterreich nach Niedersachsen, von Niedersachsen nach Niederösterreich gereist.
Warum erzähle ich das? Weil ich immer daran denken muss, wie klug mein Vater in dieser Hinsicht war, wenn ich Jahr für Jahr im Tefau sehe, wie die Leute zu Ferienbeginn in gewaltigen Staus stecken. Absolut bescheuert. Nun gut, nicht jeder mag weite Strecken bei Nacht fahren. Aber warum, wenn schon mit dem Auto gefahren werden muss, gerade an den Tagen, von denen man weiß, dass unzählige andere dann auch unterwegs sein werden? Gewiss, die Deutschen lieben ihre Autobahnen. Aber erklärt das den Wahnsinn? Geht es um eine Art Volksgemeinschaft der Kriecher auf Asfalt und Beton? Gehört das zum Ferienerlebnis einfach dazu?
Ich jedenfalls durfte schon als Kind lernen, wie man entspannt und effizient reist. Aber ich war ja auch ein Gastarbeiterkind.

Mittwoch, 2. Juli 2025

Glosse CXXXVIII

Frauen als Priesterinnen kämen in einem jüngst rekonstruierten babylonischen Hymnus vor, lese ich. Ich sag mal so: Männer als Priesterinnen wären für die Zeit um 1.000 v. Chr. wohl auch etwas übertrieben fortschrittlich gewesen.

Ist doch egal, ob das was heißt

„Sollen Plattformen effektive Steuerungsleistungen erbringen,“ ― ähem, eben ist noch von Kanonen, Zitadellen und, hoppla, „zeitspezifischen Subjektivierungsweisen“ die Rede gewesen ― „müssen sie allerdings ein hohes Maß an Interaktivität und wechselseitiger Kommunikation zwischen Plateau und Ebene erlauben, nicht zuletzt um daraus Dynamik zu generieren.“ Man könnte vermuten, dass dieser Satz irgendetwas bedeutet oder das wenigstens versucht. Ebenso gut könnte er aber einfach nur mit den Mitteln des Bedeutens die Unmöglichkeit des Bedeutens vorführen wollen. Die Botschaft ist jedenfalls klar: „Ich bin professioneller Akademiker, und das kann ich beweisen.“

En bisschen Rassismus zwischendurch

Unvorsichtiges Schalten durch die Tefaukanäle. Die Fernbedingung spinnt und erzwingt ein zu langes Verweilen. Da spricht ein Merz (und ich muss es hören): „Das eigentliche Problem ist, dass wir zum Teil aus diesen Kulturkreisen eine unglaubliche Respektlosigkeit haben gegenüber Frauen, gegenüber unserer Polizei, in der Art und Weise des Umgangs im Alltag, so, und das ist etwas, was ich nicht sehen möchte. Und ich tue alles, um das in Deutschland zu unterbinden.“
Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Was sind das für Kreise, aus denen da so unverschämte nach Deutschland getrudelt sind? Zuvor war von verurteilten Straftätern aus Syrien, der Türkei und Afghanistan die Rede. Diese Eingetrudelten sind also kulturell darauf geprägt, „unserer“ Polizei (nicht nicht die ihre ist!) ohne Respekt zu begegnen ― während jeder brave Deutsche angesichts einer Unform innerlich in Habtachtstellung geht? ―, Frauen zu missachten (was wohl voraussetzt, dass sie selbst keine sind), und ihre „Art und Weise des Umgangs im Alltag“ lässt auch zu wünschen übrig.
Wer auch nur wenig von syrischen, türkischen, afghanischen traditionellen Umgangsformen weiß, dem drehen sich da die Kulturkreisel vor Augen, denn gerade besagte kulturelle Kontexte sind bekannt für ihr hohes Maß an Höflichkeit und Rücksichtnahme, auch und gerade gegenüber Älteren, Schwächeren, Gästen.
Dass irgendwelche, mutmaßlich untervögelte männliche Jugendliche fremder Herkunft in einem hessischen Freibad irgendwelche (deutschblütigen?) jungen Mädchen, die mutmaßlich (weil hierorts kulturell vorgegeben) freizügig wie Bordsteinschwalben herumliefen, übel angegangen sind, ist gewiss höchst unerfreulich, hat aber weder etwas mit einem Aufenthaltsstatus noch mit syrischer, türkischer oder afghanischer Kultur zu tun, sondern mit divergierenden Konzepten von Nacktheit in der Öffentlichkeit und Spaß an der eigenen Geschlechterrolle.
Merz will unterbinden. Will Leute (wegen Fehlverhaltens in Freibädern?) aburteilen und abschieben lassen. „Ich weiß das nicht, ob es ein Abschiebeverbot nach Syrien gibt, der Bürgerkrieg dort ist beendet, man kann nach Syrien zurückkehren, das Land braucht dringend die das Land wieder aufbauen.“ Ja genau, Syrien braucht dringend in der BRD verurteilte Straftäter für den Wiederaufbau …
Und werden dann auch Bundesbürger deportiert, wenn sie nachweislich respektlos gegenüber Bullen, äh, Polizisten waren? Nein, wenn ein Deutscher einen deutschen Beamten beschimpft, ist er zwar vielleicht kriminell, aber die Sache ereignet im eigenen Kulturkreis und ist darum nur halb so schlimm.
Jedenfalls ist es erfreulich, dass der Kanzlerdarsteller Merz kein ökonomisches Problem mit Migration hat, sondern ein kulturelles. Dass er damit de realen soziale Probleme vollkommen ausblendet, ist weit weniger schön. Das macht seine Sichtweise doch etwas rassistisch. Die anderen Rassisten reden ja auch nicht mehr so viel von Blut und Boden, sondern von ethnischer Identität und kultureller Verschiedenheit. Da klinkt der um Volkstümlichkeit bemühte Merz sich ein: Wer mag schon diese Orientalen, die ihre Frauen verschleiern und den Wachtmeister nicht grüßen?
Zum Glück war nach dem Wechsel der Batterien in der Fernbedienung der Wechsel des Senders wieder möglich. Leider nicht, ohne noch die alte Hetzerin Maischberger (die gar zu gern Menschenrechte beschnitten sehen möchte) respektlos dazwischenquatschen zu hören, wenn ihr Kanzler spricht. Ihre stotternde Erwähnung des fragwürdigen Freibad-Vorfalls ― „Es gibt einen Fall, der gerade die Schlagzeilen bestimmt … offensichtlich … das ist in der Klärung“ ― ist wirklich manipulativer Pseudojournalismus vom Feinsten. (Wozu denn noch eine Unschuldvermutung, wenn man schon Menschenrechte überflüssig findet?) Der Kulturkreis, aus dem das kroch ist, ist mutmaßlich leider noch sehr fruchtbar.

Dienstag, 1. Juli 2025

Leute (34)

Als Maler und Zeichner ist X. es gewohnt, die Dinge von außen zu sehen und ie nur im Hinblick auf ihre unmittelabre Wirkung auf ihn selbst wahrzunehmen. Daher wohl auch seine Fremdenfeindlichkeit. Wenn er auf der Straße dicke Frauen mit Kopftuch und langem Mantel sieht, ist er entsetzt, er nimmt das Phänomen rein ästhetisch, es gefällt ihm nicht, und keinen Augenblick lang versetzt er sich in die Frauen hinein, es liegt ihm nichts daran, den Kontext zu begreifen, er wird einfach abgestoßen und ist dagegen. Noch schlimmer ist es mit der Zuwandeung. Er kennt kaum Migranten. Für ihn sind das Zahlen, und man hat ihm gesagt, die seien zu hoch. Er empfindet das als wahr, weil er in einer Großstadt lebt, die viel Zuwandeung anzieht und in der viele Sprachen gesprochen und viele Bräuche gelebt werden. Er findet jeden Tag Bestätigung und nimmt eine Flut war. Er interessiert sich nicht für die Einzelnen und ihre Erlebnisse. Deren Wünsch, Bedürfnisse, Rechte existieren für ihn nicht. Er findet, die Leute sollten zuhause bleiben und dort etwas verbnessern. Dass er selber wie die Made im Speck lebt, nicht durch eigenem Zutun, sondern gemäß den gesellschaftlichen Bedingungen, bemerkt er nicht. Er erlebt Fremdes und fühlt sich unwohl. Es ist nicht wie das Fremde im Urlaub, wo er mit seinem Geld der Chef ist. Dieses Fremde kommt zu ihm, konkurriert mit ihm in seiner Lebenswelt und stellt ihn in Frage. Er versteht die Fremden nicht und sucht nicht nach Verständigung. Tatsachen ignoriert er und übernimmt Parolen. Nicht weil er dumm ist, sondern weil sich dummzustellen bequemer ist, weniger Mühe erfordert und ihn ein bisschen mächtiger erscheinen lässt. Immerhin gehört er hierher, die anderen nicht. Seine Fremdenfeindlichkeit ist wie eines seiner altmeisterlich gepinselten Bilder: langweilig, aber halbwegs gekonnt.