Montag, 7. Februar 2011

Nachbemerkung zum Fall Mirco

Eigentlich möchte ich von der Entführung, Misshandlung und Ermordung des 10-jährigen Mirco aus Grefrath gar keine Einzelheiten hören. Das ist alles zu widerlich und zu traurig. Ein Detail freilich, das der Berichterstattung zu entnehmen ist, finde ich bemerkenswert und ich meine, dass es aus gewissen Gründen zu wenig beachtet wird. Der als Täter Ermittelte, der ja auch ein Geständnis abgelegt hat, ist ein 45-jähriger Familienvater, nach Scheidung zum zweiten Mal verheiratet, zwei Kinder aus erster, eines aus zweiter Ehe. Das Verbrechen habe er wegen Stress und Frust im Beruf begangen, heißt es. Irgendwelche Hinweise auf pädophile Neigungen, etwa einschlägiges pornographisches Material, so die Ermittler, gebe es nicht.
Fast scheint es so, dass dieser Täter den Medien nicht ganz recht ist. Er gibt nichts her. Er passt nicht zum verbreiteten Bild des kinderschänderischen Ungeheuers und ist auch kein einschlägig Vorbestrafter, sodass nach seiner Festnahme der Ruf nach lebenslangem Wegsperren „dieser Leute“ und, wenn’s doch nur möglich wäre, nach „Rübe ab!“ laut würde.
Banalität des Bösen? Bosheit des Normalen. Der Mörder von Mirco ist, von seinem Verbrechen abgesehen, ganz normal, ist wie Hunderttausende andere in Deutschland auch. Das wäre nun eine gute Gelegenheit, sich wieder einmal klar zu machen, dass die Gefahr des „sexuellen Missbrauchs“ von Kindern und Jugendlichen im Wesentlichen nicht von Außenseitern ausgeht, sondern in der Mitte der Gesellschaft lauert. Sexuell motivierte Kindesmisshandlung, genannt „Kindesmissbrauch“, ist etwas, was weit überwiegend von Vätern, Onkeln, Brüdern begangen wird, also in der Familie.
Dass Mircos Mörder sein Opfer zufällig auswählte, ist ungewöhnlich. Gewöhnlich ist, dass es ganz normaler Familienvater war, der hier gewalttätig wurde und Sexualität als Machtausübung an einem weit Schwächeren praktizierte. Und der dann keine Hemmung hatte, sein Opfer als lästigen Zeugen zu beseitigen. Dann kehrte er zu seiner Familie zurück, als sei nichts gewesen.
Dass der Täter nicht „pädophil“ ist — nicht einmal in dem diffusen Sinne, in dem dieses Wort im öffentlichen Diskurs verwendet wird —, wird zwar berichtet, aber nicht reflektiert. Ich habe mittlerweile sogar „Experten“ reden hören, die zwar keine Sekunde mit dem Täter gesprochen haben, aber genau zu wissen vorgeben, dass da schon früher irgendetwas Einschlägiges gewesen sein müsse. Solche Psychologen galten sich nicht mit Fakten und Beweisen auf, sie wissen ja, wie alles gefälligst zu sein hat, aus der Tat folgern sie einen Tätertypus und aus einem von ihnen definierten Typus dessen möglichen Taten. Dass die Realität eine ganz andere ist, ficht sie nicht an.
Das passt ganz wunderbar zum öffentlichen Interesse. Niemand scheint wissen zu wollen, was wirklich vor sich geht in den Familien. Die Vorstellung, von irgendwelchen „Pädophilen“ gehe Gefahr für „unsere“ Kinder aus, hat eine beruhigende Wirkung, die Empörung über Monströses lenkt vom Normalfall ab. Der ist schrecklich genug. Da aber niemand auch nur im Entferntesten daran denkt, die heterosexuelle Kleinfamilie zu problematisieren, sondern diese im Gegenteil ungebrochen als erstrebenswertes Idyll gilt, wird sich am Elend auch nichts ändern. Gewiss, nicht jeder heterosexuelle Familienvater ist ein Triebtäter. Aber fast alle Täter sexuell motivierter Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen sind heterosexuelle Familienväter. Darüber spricht man nicht. Auch wenn man, wie im Fall Mirco, eigentlich gar nicht darüber schweigen kann.

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