Montag, 24. Mai 2021

Ein Abschied

Seit einiger Zeit schon und gerade in den letzten Tagen hatte ich daran gedacht, ihm zu schreiben. Was hätte ich ihm sagen wollen? In etwa das: Es tut mir leid, dass Dich anscheinend alles fürchterlich nervt, was ich schreibe. Dass zwei Menschen unterschiedliche Meinungen haben, ist ja nun nichts Besonderes, aber dass es Dich dermaßen auf die Palme bringt, wenn ich etwas äußere, was Du ganz anders siehst, wundert mich doch. Zumal ich von Deiner Seite nie auch nur den geringsten Versuch bemerkt habe, bei mir etwas nachzufragen oder etwas zu erklären. Ich bin um Unrecht, sagst Du, basta. Anscheinend nimmst Du an, wie Du die Welt siehst und wertest, müsse das eigentlich jeder tun. Das ist aber nicht der Fall. Oder nimmst Du an, mit mir zu reden lohne ohnehin nicht? Warum? Bin ich so dumm und verbohrt? Bin ich so unfähig, Deine besserer Argumente anzuerkennen?
Ich hätte ihm schreiben wollen: Umgekehrt kannst Du mir, oder bestreitest Du das etwa, nicht vorwerfen, ich hätte nicht stets argumentiert, hätte nicht mir Respekt und Argumenten um Dein Verständnis meiner Auffassungen geworben. Seit Jahren, ein kleines Beispiel, warte ich schon darauf, dass Du mir wie versprochen erklärst, warum Denkmäler für Karl Heinrich Ulrichs eine gute Sache sind, während ich Dir ausführlich erklärt habe, warum jemand, der Homosexuelle als Frauen in Männerkörper verstanden wissen wollte, nichts zur Emanzipation, sondern nur zu einer anderen Form der Repression beigetragen hat. Aber Du hattest wohl immer zu viel zu tun, um mal ein Argument zu formulieren.
Ich hätte ihm schreiben wollen: Wir kennen einander nicht persönlich, nur virtuell. Ich denke mir immer, das es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten gäbe (oder wird mit solchen zumindest entspannt und geradezu gemütlich) umgingen, wenn wir einander persönlich begegneten und bei ein paar Gläsern Trollinger dies und das beredeten. Du würdest merken, denke ich, dass ich kein übler Kerl bin, sondern humorvoll, intelligent, freundlich, verbindlich. Mich wundert, dass Du, zu dessen Beruf das Lesen gehört, das nicht schon meinen Texten entnommen hast, aber sehr wahrscheinlich schreibe ich nicht so gut, wie ich manchmal meine.
Ich hätte ihm schreiben wollen: Es ist wie es ist, sagt Erich Fried. Ich gehe Dir auf die Nerven, und es gibt keinen Grund, warum mich das freuen sollte. Im Gegenteil, es macht mich traurig. Gerade weil Du mir keine Chance gibst, es zu ändern, indem Du mir wirklich zuhörst, mich als einen vielleicht irrenden, aber doch nicht schlechten Menschen wahrnimmst. Mich kränkt das, denn Du bist mir sympathisch (soweit ich Dich virtuell kenne) und ich habe großen Respekt vor Deiner Lebensleistung. Warum verschiedene Meinungen nicht Anlass zu Diskussion, sondern zu Wut und Verbitterung sein sollen, verstehe ich nicht. Nicht bei jemandem wie uns beiden.
So oder so ähnlich wollte ich ihm schreiben. Das hat sich erübrigt. Denn heute schreibt er mir: das war´s dann. ich habe keine lust auf dialog mit coronaidioten und anarchofaschistischen judenhassern. ein schönes leben noch!
Das also bin ich seiner Meinung nach: ein Coronaidiot und anarchofaschistischer Judenhasser. Der es nicht wert ist, dass man mit ihm redet, ihn von Besserem zu überzeugen versucht. Wie auch, mit solcher Beschreibung hat man jemanden ja bereits so abgewertet, dass er er praktische eine Unperson ist. Da ist kein Dialog von Mensch zu Mensch mehr möglich. (Den es vorher auch schon nicht gab, aber sei’s drum.) Wer kritische Fragen zur sogenannten Corona-Krise stellt, mag ja ein Idiot sein, und Idioten können harmlos sein. Aber ein Judenhasser, das ist das Unterste vom Untersten, da Widerlichste vom Widerlichen, fast schon kein Mensch mehr, sondern politisches Ungeziefer. (Wobei der Ausdruck „anarchofaschistisch“ mich an die stalinistische Vokabel „hitlertrotzkistisch“ erinnert: Je absurde der Vorwurf, weil er Unvereinbares vereint, desto besinnungsloser die Wut, die sich damit ausdrückt.)
Nochmals: Es ist, wie es ist. Wer mich verabscheuen möchte, möge das tun, seine Gründe dafür wird er schon irgendwie finden. (Und wenn er sie erfinden muss.) Wer nicht mir reden will, braucht das nicht. Wer nichts von mir lesen will, muss das nicht. (Ich bin nicht Schullektüre.) Ich verliere ich ungern „Freunde“, schätze aber klare Verhältnisse. In diesen Krisenzeiten haben sich viele, denen ich mehr zugetraut hätte, als konformistisch, opportunistisch, autoritätstshörig, hysterisch und dummschwätzerisch erwiesen. Es tut mir leid, dass sie mich nicht als Vorbild für kritische Haltung, unabhängiges Denken, gelassene Rationalität und leidenschaftliche Gegnerschaft gegen Lüge und Unterdrückung nehmen konnten oder wollten. Es ist ja auch nichts Neues, dass viele, gerade Deutsche, absolut durchdrehen, wenn man im „Nahostkonflikt“ nicht die Partei der Zionisten ergreift. Es ist, wie es ist. Es gibt eigentlich keinen Grund, warum ich mich über die Gegnerschaft der moralischen erben der Nazis und Bolschewiken grämem sollte. (Wer sich in Sachen Biopolitik und Kolonialismus in diese Traditionslinie stellen möchte, soll das ohne mich tun.) Ich bin schon froh, dass sie mich (derzeit) nicht vergasen oder per Genickschuss erledigen können. Wenn von den Freunden des Staates und der Unterwerfung nicht ermordet, sondern nur als quermeinender Quatschkopf und dialogunwerter Untermensch abgewertet und virtuell eliminiert zu werden, schon ein schönes Leben ist, dann habe ich das. Danke.

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