Samstag, 27. August 2011

Und das ist nicht gut so: Wowereit und der Papstbesuch

„Ich verstehe, und das ist auch in Ordnung, dass Bürgerinnen und Bürger den Papstbesuch benutzen, um hier darauf aufmerksam zu machen, dass die katholische Kirche mit ihrer Lehre Thesen vertritt, die weit in die zurückliegenden Jahrtausende gehören, aber nicht in die Neuzeit.“ Sagte Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin zur dpa. Und fuhr fort: „Ich habe großes Verständnis dafür, immer vorausgesetzt, dass diese Proteste im friedlichen und demokratischen Rahmen passieren. Damit muss die katholische Kirche leben. Das widerspricht auch nicht einer Gastfreundschaft, die wir bei einem Staatsbesuch zeigen sollen.“
Nun, darüber kann man geteilter Meinung sein. Zumal der „Staatsbesuch“ kein solcher ist (oder nur in seinen unwesentlichsten Aspekten), sondern von seiten des Papstes Reise eines Hirten zu einem Teil seiner Herde verstanden wird. Wer kann da etwas dagegen haben, wem kann an „Protesten“ etwas liegen? (Außer den Protestanten.) Es ist ja nicht so, dass mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche ein bluttriefender Diktator anreist. Es kommt lediglich jemand zu Besuch, dessen religiöse und moralische Überzeugungen viele in Deutschland nicht teilen. Da viele von ihnen diese ihre Abweichung ohnehin schon immer und überall mehr oder minder lautstark verkünden, ist nicht recht einzusehen, warum ein Papstbesuch eine passende Gelegenheit sein soll, sich schon wieder zu Wort melden. Im Allgemeinen gilt es als unhöflich, Gäste zu beschimpfen, zu verleumden und als Deppen hinzustellen.
Nochmals: Wer soll da überhaupt protestieren wollen? Reformgeile Katholiken? Ich habe nie verstanden, warum man Mitglied einer religiösen Vereinigung bleibt, deren Regeln man nicht anerkennt und deren Lehre man in wesentlichen Punkten nicht teilt. Wer gegen den Zölibat, für die Frauenordination, fürs Laienregiment, für eine Beliebigkeitsliturgie und für eine den Bedürfnissen einer zynischen Konsumgesellschaft angepasste Zeitgeistmoral ist, wird doch bei den Protestanten bestens bedient. (Seltsamerweiser aber sind deren Gotteshäuser sonntags noch leerer als die katholischen, und die Mitgliederzahlen der Landeskirchen schrumpfen noch nachhaltiger als die der katholischen Diözesen. Durch „Reformen“ die katholische Kirche zu einer quasi-protestantischen machen zu wollen, ist also bloßer Zerstörungswille.)
Oder sollen Nichtkatholiken protestieren? Warum? Weil sie den gefährlichen Einfluss der katholischen Kirche auf die Öffentlichkeit befürchten? Dann sollten sie sich in Therapie begeben und wegen Paranoia behandeln lassen. Die religiösen und moralischen Lehren, für die der Papst steht, kommen in der öffentlichen Wahrnehmung so gut wie nicht vor, außer selbstverständlich, jemand sagt etwas dagegen. Irgendein ein relevanter Einfluss des Katholizismus auf Politik oder Kultur oder gar Wirtschaft ist nicht zu bemerken. Wogegen soll sich der Protest also richten?
Hier nun bringt Herr Wowereit das zum Protest einladende Ressentiment gut auf den Punkt: Am Papst und seiner Kirche stört, dass sie „mit ihrer Lehre Thesen“ vertreten, „die weit in die zurückliegenden Jahrtausende gehören, aber nicht in die Neuzeit“. Anscheinend muss man gar nicht sagen, um welche Lehren oder Thesen es sich handelt, es genügt, sich als unmodern hinzustellen, um sie abzuqualifizieren.
Tatsächlich fiele es wohl keinem katholischen Theologen ein, den ersten Teil der Wowereitschen Behauptung zu bestreiten. Die kirchliche Lehre beruft sich zunächst und zuallererst auf Jesus Christus, der nun wirklich vor fast zwei Jahrtausenden sein Evangelium verkündete. Problematisch ist freilich der zweite Teil von Wowereits laientheologischer These. Soll man, weil es so alt ist, also besser auf das Evangelium Jesu Christi verzichten, und es, beispielsweise, durch die lebensnahen Weisheiten eines Talkshow-Moderators ersetzen?
Wenn wahr ist, was die katholische Kirche lehrt, dann ist es unerheblich, wie alt diese Lehre ist. Und umgekehrt, wenn die Kirche etwas Falsches lehrt, ist das Alter der Lehre ebenfalls unerheblich. So oder so, ob etwas „die zurückliegenden Jahrtausende“ gehört oder ein Erzeugnis der Neuzeit ist (wie der Protestantismus, dieser ideologische Nebeneffekt des Kapitalismus), kann doch gar kein Kriterium dafür sein, ob es wahr ist oder falsch. (Wenngleich, anders als die innovationssüchtige Moderne sich das denkt, gerade daraus, dass eine Lehre alt ist, ein Argument für ihre Wahrheit gemacht werden könnte. So sah man es jedenfalls in vormodernen Zeiten: Je älter ein Wissen war, desto besser war es.)
Die allermeisten Leute „kritisieren“ freilich mit der Kirche und deren Lehre etwas, was sie gar nicht kennen oder nicht verstehen und sie tun es in aller Regel keineswegs mit theologischen Argumenten. Man ist dagegen, weil halt alle irgendwie dagegen sind und weil die hartnäckige Weigerung der katholischen Kirche, alles dem individuellen Belieben und den Schwankungen der kollektiven Überzeugtheiten anheim zu stellen, irgendwie nicht ins Konsumklima passt.
Doch man denke sich einmal den umgekehrt Fall: Die katholische Kirche versuche nicht das zu lehren, was sie für das hält, „was überall, was immer, was von allen geglaubt wurde“ (so bekanntlich die Bestimmung des Katholischen durch Vinzenz von Lérins), also nicht das, „was in allen katholischen Gemeinden unvermindert und unverändert seit der Zeit der Apostel als christliche Lehre von einer Generation an die andere weitergegeben wurde“ (nach Irenäus von Lyon), sondern sie passe ihre Lehre den jeweiligen Erwartungen der Zeitgenossen an. Wenn diese möchten, dass Jesus Christus gestorben und auferstanden ist, lehrt sie das. Wenn diese seinen Tod leugnen, weil er nur zum Schein starb und dann als Guru in Indien weiterlebte, dann lehrt sie eben das. Und wenn die Menschen die Auferstehung für ein frommes Märchen halten, dann verkündet die Kirche auch dies, obwohl es ihre jede Grundlage und Daseinsberechtigung entzieht. Will man wirklich eine solche Kirche, die das dünne Mäntelchen ihrer Theologie nach dem jeweils wehenden Wind des Zeitgeistes hängt? Dann werde man Protestant.
Dann bekommt man auch im Bereich der Sexualmoral, und das ist ja der Lieblingsbereich der „Kirchenkritiker“ und „Reform“-Forderer — und vermutlich auch der Herrn Wowereit am meisten interessierende —, endlich das, was man jeweils möchte. Dann gibt es vor- und außerehelichen Sex, Verhütungsmittel, Abtreibung, Homosexualität und was weiß ich noch was mit dem Segen der Kirche. Die ist dann endlich modern und beliebig und rückratlos, wie es sich nach Meinung so vieler eigentlich gehört. Statt über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg dasselbe zu lehren, wird die Kirche dann im Grunde gar nichts mehr lehren — sind doch Lehrsätze, griechisch „dogmata“ ohnehin verpönt —, sondern nur noch ein bisschen erbauliche Folklore treiben und zur Behübschung des gesellschaftlichen Ist-Zustandes beitragen. Wer will das?
Wohlgemerkt, ich behaupte hier nicht, alle müssten umstandslos die Überzeugungen der katholischen Kirche teilen und beispielsweise vor- und außerehelichen Sex, Verhütungsmittel, Abtreibung und Homosexualität missbilligen. (Wobei man ja auch zu jedem dieser Themen eine andere Haltung einnehmen kann. *) Aber man sollte, auch wenn man andere theologische oder ideologische Auffassungen vertritt, den Willen der Kirche respektieren, sich im Gehalt ihrer Lehre, anders als in deren Formen, nicht anzupassen. Man kann diesen Beharrungswillen sogar bewundern. Jedenfalls gibt es aus meiner keinen Grund, dagegen zu protestieren.

* Ich für meinen Teil, wenn das jemanden interessiert, halte nicht viel von Heterosexualität, ob nun verhütend oder nicht, und lehne das Ehe-und-Familien-Getue der Katholiken ab. Ich teile jedoch die kirchlichen Zweifel an Sinn und Berechtigung von Reproduktionstechnologien und halte zudem Abtreibung für Mord. Dass die Kirche, der ich nicht angehöre, und ich verschiedene Überzeugungen haben, was Homosexualität betrifft, brauche ich hier vielleicht nicht extra zu erwähnen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen