Samstag, 6. November 2010

Austrovertikalität

Wenn der von mir geschätzter Radiomoderator und Musikschriftsteller Johannes Leopold Mayer in einer Ö1-Sendung von dem deshalb nicht weniger schätzenswerten Komponisten und Kulturfunktionär Josef Lechthaler sagt, dieser sei von den Nazis wegen seines „aufrechten Österreichertums“ verfolgt worden, so stößt mir das sauer auf. War man da nicht schon weiter? Ist die Lebenslüge der Zweiten Republik, dass die Deutschen die Nazi-Täter und die Österreicher die Nazi-Opfer gewesen seien, nicht längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet?
Aufrechtes Österreichertum: Als ob sich Österreichersein und Nazisein je ausgeschlossen hätten. Das tun sie bis heute nicht. Man mag etwa heutigen Hetzern vom Schlage Straches einiges nachsagen können, aber nicht, dass sie unösterreichisch seien. Eher im Gegenteil. Der Nazismus war und ist eine österreichische Spezialität. Hitler etwa kam nur nach oben, weil er ein Exportschlager war. Seine reichsdeutsche Konkurrenten auf dem weiten Feld des Rechtsextremismus konnte der Zuwanderer auf Grund seines österreichischen ideologischen Erbes links liegen lassen. Im Bismarckstaat und seinem Nachfolger hatte man ja allenfalls Erfahrungen mit Polen und Hottentoten. Was herrenmenschliches Ressentiment ist und wie man’s mobilisiert, davon verstanden Deutschösterreicher (und Magyaren) mit ihrer innerkontinentalen Kolonialgeschichte sehr viel mehr. Und auch in puncto Antisemitismus war man seit jeher Vorreiter.
Aufrechtes Österreichertum: Hat Herr Lechthaler als Komponist, Kirchenmusiker, Lehrer, musikpolitischer Akteur  usw. irgendetwas gegen die kulturelle Repression im „zweiten deutschen Staat“ (so bekanntlich die Eigendefinition des austrofaschistischen Ständestaates) unternommen? Die Nazis enthoben ihn seiner Ämter. Aber unter Dollfuß und Schuschnigg war einfach ein braver katholischer Patriot?
Aufrechtes Österreichertum: Die Geschichte Österreichs war bereits zu Lebzeiten Lechthalers eine Verlustgeschichte und ist es bis heute. In Wien (andere Orte kamen dafür meist gar nicht erst in Frage) war man stets bestrebt, alles Fremde, das hätte bleiben können, zu eliminieren. Lueger war aus heutiger Sicht vor allem Antisemit, gewiss; in seiner Zeit jedoch galt er besonders als Antitscheche: Zuwanderern aus Böhmen und Mähren wurde damals beim Bürgereid das Versprechen abgenommen, nur noch Deutsch zu reden.
Aufrechtes Österreichertum: Nach oben buckeln und nach unten treten ergibt noch keinen aufrechten Gang. Eingeigelte Provinzialität ist garantiert keine Garantin für Menschenfreundlichkeit, ganz im Gegenteil. Das Wir-Österreicher-Gefühl hat immer Ausschließungscharakter. Die Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn ist zwar nicht mehr explosiv genug, um im großen Maßstab zu verheeren, für Alltagsrassismus aber reicht es allemal. Gegen die „Deitschen“ ist man sich einig, aber von den „Ausländern“ (zu denen in der öffentlichen Wahnehmung wohl auch die autochthonen Minderheiten gehören) verlangt man: „Red’s gfölligst Deitsch!“

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