Dienstag, 29. Oktober 2013

Aufgeschnappt (bei einer Romanfigur)

Menschen sind von Natur phlegmatisch und unaufmerksam, und ohne Achtung sind sie auch. Wenn man einmal Gelegenheit sieht, sie zum Aufmerken aufzurufen, soll man sie ergreifen. (...) Und den Leuten ein klein bißchen Angt zu machen, das hat auch noch nie geschadet.

Der letzte Rittmeister (von Werner Bergengruen)

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Neuzugang in der Gehenna

Er wird mir fehlen. Männer seines Formats sind selten geworden in unserer Zeit. Ovadia Yosef, der am 7. Oktober 93-jährig verstarb, war einer der großen intellektuellen Verbrecher des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Ein gewaltiger Hassprediger vor dem Herrn. In verschieden Oberrabiner-Funktionen und als geistliches Oberhaupt der an fast allen israelischen Regierungen der letzten zwei Jahrzehnte beteiligten ultra-orthodoxen Schas-Partei, gab er einem nicht unbedeutenden Teil des sephardischen Judentums Stimme, Profil und Richtung. Eine halbe Million Menschen soll ihn zu Grabe getragen haben.
Hier ein paar Kostproben aus seinem reichen theologischen Werk. Die von den Nazis und ihren Helfern als Juden und Jüdinnen ermordeten Menschen bezeichnete er als „wiedergeborene Sünder“: „Die sechs Millionen Holocaust-Opfer waren Reinkarnationen der Seelen von Sündern, Leute, die gegen das Gesetz verstoßen hatten und alle möglichen Dinge taten, die nicht getan werden dürfen. Sie wurden wiedergeboren, um zu büßen.“
Auch für den Hurricane Katrina mit seinen Tausenden von Opfern hatte Ovadia Yosef eine passende Erklärung: In New Orleans sei die Torah zu wenig studiert worden. („Black people reside there. Blacks will study the Torah? [God said], Let’s bring a tsunami and drown them … Hundreds of thousands remained homeless. Tens of thousands have been killed. All of this because they have no God …“) Als zusätzliche Erklärung gab er an, Katrina sei die Strafe Gottes gewesen für die US-amerikanische Unterstützung des israelischen Rückzugs aus dem Gaza-Streifen.
Gegenüber den Palästinensern nahm Ovadia Yosef eine klare Haltung ein. Er wünschte nicht nur allen, die Israel hassen, die Pest an den Hals, die Arabern als solche wollte er bei Gelegenheit ausgerottet sehen. Ebenso einige nichtarabische Muslime: „Möge Gott sie zerstören und vom Angesicht der Erde tilgen.“
Generell hatte Ovadia Yosef ein fest umrissenes Bild des Verhältnisses von Juden und Nichtjuden. „Die alleinige Bestimmung von Heiden [Nichtjuden] ist es, Juden zu dienen … Wozu sind Heiden gut? Sie werden arbeiten, sie werden pflügen, sie werden die Ernte einbringen. Wir werden dasitzen wie Effendis und speisen. Dazu wurden die Heiden erschaffen.“
Aber auch wenn im idealen Israel Ovadia Yosefs die Heiden gut behandelt werden würden — wie zum Beispiel Esel, die ja, so der Rabbiner, auch nicht zu früh sterben dürfen, wenn sie Nutzen bringen sollen —, hätte auch das Grenzen. Mit autoritativen Verlautbarungen erlaubte der Schriftgelehrte zwar unter anderem, dass Frauen Hosen tragen dürften, nicht aber dass jüdische Ärzte am Sabbat Nichtjuden behandeln; womit er übrigens in bester halachischer Tradition stand.

Dass Ovadia Yosef Homosexualität als "krank" und "pervers" bezeichnet und entschieden verwarf, braucht kaum erwähnt zu werden. Auch damit hielt er sich ja bloß an jahrtausendealte jüdische Überlieferung.
Zweifellos lehnen viele Juden und Jüdinnen Ovadia Yosefs theologische und politische Positionen mehr oder minder entschieden ab. Manche widersprachen ihm (zuweilen er sich auch selbst oder wurde „falsch zitiert“). Aber Ovadia Yosef war keineswegs eine isolierte und einflusslose Gestalt. Im Gegenteil, über Jahrzehnte galt er als die geistliche Autorität des sephardischen Judentums schlechthin, seine Bücher sind weit verbreitet, seine Auslegungen der verbindlichen Texte fanden Beachtung und wurden vielfach selbst verbindlich, seine die Zahl seiner Anhängerschaft ist Legion. Nicht, dass alle seiner Bewunderer einen lupenreinen ultra-orthodoxen Lebensstil pflegen, vielen genügt es wohl schon, sich an seiner kompromisslosen Haltung und seinen extremen Äußerungen zu erfreuen.
Ohne schlechtes Gewissen hassen zu dürfen, ist immer noch das erfolgreichste Angebot, dass die Bösewichter dieser Welt den Menschen machen können. Die Erlaubnis, im Namen der eigenen Religion, Ideologie, Partei, Klasse, Rasse usw. alle anderen bedenkenlos zu verachten, nach Möglichkeit wie Dreck zu behandeln oder bei Bedarf umzubringen, ist für viele verführerisch. Wer hört es also nicht gern, dass er einem auserwählten Herrenvolk angehört, das immer im Recht ist und dem sich alle anderen Völker (hebräisch gojim, auch als Heiden übersetzt) unterwerfen müssen?
Ovadia Yosef hat unzählige Menschen zum Bösen verführt. Er ist tot. Sein Gedankengut lebt. Möge er nicht in Frieden ruhen.

Dienstag, 1. Oktober 2013

Rechtsruck, welcher Rechtsruck?

Viele deutsche Medien wissen von einem Rechtsruck bei der Wahl zum österreichischen Nationalrat zu berichten. „Diese sogenannten Freiheitlichen haben 3,9 Prozentpunkte zugelegt. Und das, obwohl zwei kleine rechte Gruppierungen zusammen auch noch einmal zehn Prozent einsammeln konnten.“ So wie hier die Süddeutsche Zeitung kann man auch zählen. Aber das ist ein eine Milchmädchenrechnung mit Äpfeln und Birnen.
Warum bloß sind Journalistinnen und Journalisten so oft zu faul (oder zu ignorant), um sich die relevanten Zahlen genauer anzuschauen? Das ergäbe nämlich: Bei der Nationalratswahl 2008 konnten die beiden „post-haiderianischen“ Zwillingsparteien FPÖ und BZÖ zusammen 1.379.962 Stimmen auf sich vereinigen. Jetzt, bei der Wahl 2013, kommen sie zusammen auf 1.128.059 Stimmen. Das sind 251.903 Stimmen weniger! Die FPÖ konnte also nicht einmal die Verluste des BZÖ ausgleichen (übrigens auch in Prozent- und Mandatszahlen nicht). Und selbst wenn man noch die für das Team Stronach angegebenen Stimmen dazuzählt (wie es die Autoren in der Süddeutschen vorschlagen), kommt man „nur“ auf 1.396.738 Stimmen, also lediglich 16.776 mehr, als 2008 auf FPÖ und BZÖ entfielen. Das sind gerade 0,36 Prozent der gültig abgegeben Stimmen.
Ist das ein Rechtsruck? Sicher, wenn man immer nur auf die Prozentzahlen starrt wie Kaninchen auf die Schlange, dann ergibt sich ein anderes Bild. Aber ein verzerrtes. Denn die Prozente werden unter Vernachlässigung der Wahlbeteiligung errechnet — über den tatsächlichen quantitativen Zuspruch, den Parteien in der Bevölkerung finden, sagt das nichts aus. Und es werden ja auch immer 100 Prozent der Parlamentssitze vergeben. Aber selbst hier ergibt sich kein „Rechtsruck“: FPÖ und Team Stronach werden zusammen (vorerst) 51 Abgeordnete stellen (das BZÖ ist nicht im Nationalrat vertreten), 2008 hingegen gehörten noch 55 der Mandatare FPÖ und BZÖ an.
Um nicht missverstanden zu werden: Jede Stimme für Nazis, Rassisten, Rechtspopulisten und senile Ausbeuter ist eine Stimme zu viel. Es ist erschreckend, wie viele Menschen in Österreich menschenverachtenden Parteien wählen. Aber man muss auch die gute Nachricht gelten lassen: Die Zahl der Rechtswählerinnen und Rechtswähler in Österreich ist in fünf Jahren praktisch gleichgeblieben. Und das trotz verdummender Dauerberieselung. Ist das nichts?

Alle Zahlen nach http://wahl13.bmi.gv.at. (Einige Zahlen im Text wurden von mir am 4.10.2013 im Hinblick auf die Auszählung der Wahlkarten verändert. Die Aussagen blieben dieselben.)